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und damit an ihre Beobachtung sich selbst zu binden. Jenes edictum hiess perpetuum als ein für die ganze Amtsdauer des Edicenten massgebendes; gesetzlich bindend wurde es erst durch eine lex Cornelia (687 d. St.). Reicher Zuwachs an Einfluss war der Erfolg jener weisen Beschränkung. Schon bisher im Stande die gesetzliche Regel im einzelnen Falle ausser Kraft zu setzen trat der Prätor jetzt selbst regelgebend auf. So trat neben die gesetzliche Regelung des Rechtes die obrigkeitliche Regelung seiner praktischen Handhabung, in ihrer Bedeutung von jener wesentlich verschieden, denn praetor jus facere non potest. Keiner anderen Geltung theilhaftig als die ihm seines Urhebers Amtsgewalt zu verschaffen vermochte, verlor das Edict mit dem Ablaufe seiner Amtszeit alle Bedeutung, enthielt keine definitive, sondern nur eine provisorische und versuchsweise Regelung. War aber der Versuch geglückt, hatte sich die aufgestellte Regelung in der Anwendung bewährt, so säumte der Nachfolger nicht sie als edictum tralaticium sich anzueignen. Dass aber der Prätor im Festhalten oder Fallenlassen überkommener, wie im Aufstellen neuer Bestimmungen (nova edicta) mit der erforderlichen Besonnenheit verfuhr, dafür bürgte vor allem der Umstand, dass er selbst die von ihm aufgestellte Regel zu handhaben hatte, weshalb die höchste Vorsicht in ihrer Aufstellung in seinem unmittelbarsten eigenen Interesse lag. So diente das prätorische Edict in unübertrefflicher Weise den zwei so schwer zu vereinigenden Bedürfnissen, dass der Rechtszustand im Wechsel der Zeiten in beständigem Flusse erhalten und doch seine Continuität bewahrt bleibe.

V. Wie alle republikanischen Gewalten, so wurde auch die Prätur durch den Principat zwar nicht aufgehoben, aber in ihrer Bedeutung durch die concurrirende kaiserliche Gewalt gelähmt; es war daher nur der Abschluss eines längst begonnenen Erstarrungsprocesses, als Hadrian das Edict in einer die prätorischen und Provinzialedicte vereinigenden, das Aedilenedict ihnen anhängenden Redaction des Juristen Salvius Julianus zum ständigen Reichsgesetz und damit zum edictum perpetuum im eminenten Sinne erhob. Neuester und bester Versuch das Edict aus den namentlich durch Justinians Digesten überlieferten Fragmenten wiederherzustellen ist: Rudorff, De juris dictione edictum. Edicti perpetui quae reliqua sunt. 1869.

VI. Das durch die Thätigkeit der Obrigkeit zur Geltung gelangte Recht wird als jus honorarium oder obrigkeitliches Recht dem jus civile oder Volksrecht entgegengesetzt.

Quod et

Jus praetorium est, quod praetores introduxerunt adjuvandi vel supplendi vel corrigendi iuris civilis gratia propter utilitatem publicam. honorarium dicitur ab honore praetorum sic nominatum.

Nam et ipsum ius honorarium viva vox est iuris civilis.
L 7 §. 1, L 8. D. de iu. et. iu. 1, 1.

§. 9. Die Jurisprudenz.

I. Von wesentlichem Einflusse auf die Geltung des Rechtes ist neben der Handhabung der Rechtspflege die Fortpflanzung der Rechtskunde, neben der Anwendung die Ueberlieferung des Rechtes. Aelteste Träger dieser waren in Rom die pontifices. Die unter ihnen sich fortpflanzende Tradition blieb auch nach den zwölf Tafeln nicht nur das wichtigste Mittel für die Deutung des weithin aus ihrem Borne geschöpften Gesetzesinhalts; den pontifices verblieb vor allem die genaue Kunde des rechtlichen Formenwesens, von dessen correcter Handhabung die erfolgreiche Rechtsbehauptung abhing. So blieb die Rechtskunde mit den Priesterthümern im Alleinbesitze der Patricier bis zu der im Jahr 450 d. St. erfolgten Publication einer Formelsammlung. Als dann ein halbes Jahrhundert später der erste plebejische Oberpontifex zugleich als erster dem Publicum seinen rechtlichen Rath zur Verfügung stellte, war das seit Jahrhunderten angestrebte Ziel der Publicität des Rechtes erreicht; denn mehr als allgemeine Zugänglichkeit der Rechtskunde haben die Römer nie angestrebt, einen allgemeinen Besitz derselben nie für möglich gehalten.

II. Aufgabe des Rechtskundigen wie der Gerichtsobrigkeit ist es wesentlich zwischen der abstracten Rechtsnorm und dem concreten Thatbestande zu vermitteln; dieser Aufgabe dient wie die obrigkeitliche juris dictio so die juristische interpretatio oder die Anwendung der Rechtsnorm auf den Rechtsfall, die Deutung des Rechtes im Verhältnisse zu dem von ihm beherrschten concreten Leben. 1st wesentlich obrigkeitliche Thätigkeit die Anordnung, die Instruction des Rechtsstreits durch decretum, so ist specifisch juristische Function die Rechtsbelehrung, die Beurtheilung des Rechtsfalls durch responsum.

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III. Die Auctorität dieser Rechtsbelehrung beruhte wesentlich auf dem persönlichen Ansehen ihres Urhebers, war daher keine formell bindende. Eine solche wurde sie aber durch Augustus; indem er seine Stellung als princeps wesentlich auf persönliches Ansehen zurückführte, wollte er die auf gleichem Grunde ruhende Auctorität der Juristen aus seiner eigenen abgeleitet wissen; damit an dem der Person des Kaisers zukommenden höchsten Ansehen theilnehmend wurde die persönliche Auctorität der Juristen als eine höchste und unbedingte zur rechtlich zwingenden, soweit hr nicht die gleiche Auctorität eines anderen Juristen entgegenstand. Während also die republicanischen Amtsgewalten durch Hie Concurrenz der kaiserlichen ihre alte Bedeutung einbüssten, wurde die Auctorität der Juristen durch ihre Unterordnung unter die kaiserliche eine höhere. Indem jetzt der Rechtsbelehung des Juristen die bindende Kraft des Gesetzes zukam, war sie als eine über die Kritik erhabene Erkenntnissquelle des Rechtes selbst zur Rechtsquelle geworden. Wichtigster Factor er Rechtsbildung ist in der dritten Periode nicht mehr die chöpferische Initiative des Magistrats, sondern die analysirende Thätigkeit des Juristen; weniger galt es jetzt mehr neuen Stoff em Rechte zuzuführen, als den vorhandenen durchzuarbeiten.

IV. Erhalten ist uns die juristische Literatur hauptsächlich - jedoch nicht ohne vielfache Veränderungen des ursprünglichen "extes (Interpolationen) - durch die Excerpte, aus welchen ustinians Digesten bestehen; ausserhalb derselben besitzen wir amentlich

1) Gaii institutionum commentarii quatuor in einer 1816 entdeckten, neuerdings wieder von Studemund durchgesehenen Handschrift;

2) gleichfalls in einer Handschrift Stücke aus Ulpians liber singularis regularum (Ulpiani fragmenta);

3) in der lex Romana Visigotorum (§. 11 S. 21) Pauli sententiae. 4) Excerpte aus verschiedenen Schriften enthalten die collatio legum Romanarum et Mosaicarum und die sog. Fragmenta Vaticana.

Responsa prudentium sunt sententiae et opiniones eorum, quibus permissum est iura condere. Quorum omnium si in unum sententiae concurrant, id quod ita sentiunt legis vicem obtinet; si vero dissentiunt, judici licet quam velit sententiam sequi. Gai I. §. 7.

§. 10. Der Senat und der princeps.

I. Nach seiner ursprünglichen Bedeutung ist das senatus consultum wesentlich ein bloser Rath oder eine Empfehlung, nicht eine Festsetzung, so insbesondere die Empfehlung eines Gesetzentwurfes, ohne welche derselbe nicht leicht vor das Volk gebracht wurde. Thatsächlich wurde aber der Senat aus einer die Obrigkeit berathenden zu der die gesammte Verwaltung regelnden Behörde; wie der Prätor als Vorstand der Gerichtsbarkeit durch sein Edict, so wurde der Senat als oberste Regierungsbehörde durch die von ihm aufgestellten Verwaltungsmaximen zum Urheber von Rechtsregeln.

Indem unter den Kaisern die comitia populi Romani abkamen, wurde die Billigung des im Senate eingebrachten Gesetzvorschlages aus einer blosen Empfehlung desselben an das Volk zur definitiven ihn zum Gesetze erhebenden Genehmigung; aus der Bedeutung der höchsten Regierungsinstanz durch den Principat verdrängt ist der Senat an die Stelle der comitia getreten.

Senatus consultum est quod senatus iubet atque constituit, idque legis vicem obtinet, quamvis fuerit quaesitum. Gai 1. §. 4.

II. Durch kaiserliche Festsetzung, principis constitutio, erfolgte die Feststellung von Rechtssätzen in einer Reihe von Formen, welche sämmtlich schon der vorhergehenden Zeit angehören, deren Anwendung nun aber, ursprünglich verschiedenen Auctoritäten zustehend, in der Hand des princeps sich vereinigt.

A. Verordnungen allgemeinen Characters, durch welche der princeps die nach der republicanischen Verfassung dem populus, den Magistraten und dem Senate zukommenden Festsetzungen vollzieht, sind die orationes, edicta und mandata principum. 1) Indem an die Stelle des Volksbeschlusses der des Senates trat, wurde bei dessen thatsächlicher Abhängigkeit vom princeps seine Zustimmung zu dem im Namen des princeps im Senate gestellten Antrage zur blossen Form, so dass diese oratio principis in senatu habita aus einem blosen Gesetzesvorschlage selbst zum Gesetze wurde.

2) Gleich anderen Obrigkeiten hatte auch der princeps das jus edicendi, dessen er übrigens nur gelegentlich sich bediente.

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3) Mittelbar griff in das Gebiet rechtlicher Festsetzung ein die Regelung der Verwaltung durch mandata.

B. Regelungen einzelner Rechtsverhältnisse kraft der Auctorität es Gesetzes, des mit der obrigkeitlichen Gewalt verbundenen ichteramtes, und der Jurisprudenz sind die leges datae, decreta nd rescripta.

1) Schon in republicanischer Zeit war die besondere gesetzliche Ermächtigung einer Obrigkeit vorgekommen, ein bestimmtes Verhältniss, wie namentlich die Organisation einer Gemeinde, durch einseitige mit der Kraft einer lex bekleidete Festsetzung (lex data) zu regeln. Dem princeps war dieses Recht ein für allemal eingeräumt; solche leges datae sind insbesondere die lex Salpensana und Malacitana (Bruns fontes. 3. A. S. 120 ff.) 2) Die Entscheidung des einzelnen Rechtsfalles durch decretum, welche der Obrigkeit ausnahmsweise anstatt seiner Ueberweisung an den Richter zustand, wurde vom princeps ausserdem als Ersetzung gefällter richterlicher Entscheidungen durch eigene gehandhabt. Während sonst durch constante Anwendungen in den Entscheidungen der Richter ein Satz zum Gewohnheitsrechte wird, ist der vom princeps in einmaliger richterlicher Entscheidung angewendete Satz Gesetz. 3) Im Gegensatze zu eigenen Entscheidungen sind rechtliche Belehrungen des zur Entscheidung berufenen Richters die rescripta principis. Wie durch jene als höchster Richter, so tritt er durch diese als angesehenster Respondent auf. Rechtsquellen sind die Decrete und Rescripte gerade dadurch, dass sie Rechts anwendungen sind, welche kraft des unbedingten Ansehens ihres Urhebers als Rechtsoffenbarungen erscheinen.

Quodcunque imperator per epistulam et subscriptionem statuit vel cognoscens decrevit vel de plano interlocutus est vel edicto praecepit, legem esse constat, haec sunt quas vulgo constitutiones appellamus. L. 1 §. 1 D de const. princ. 1, 4.

§. 11. Das Recht der vierten Periode.

I. Nachdem die Volksgesetzgebung der kaiserlichen Gewalt egen, das Edict durch den Kaiser fixirt, das Senatusconsult blosen Publicationsform des kaiserlichen Willens geworden r, waren alle mit der kaiserlichen concurrirenden rechtlichen

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