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Zweites Kapitel. Übersicht der Geschichte und der Quellen des Römischen Rechtes*).

§ 7. I. Die Zeit der Republik.

I. Erste Periode. Bis zur Zwölftafelgesetzgebung.

Aus kleinen Anfängen hat sich wie der Röm. Staat, so auch das Röm. Privat-R. entwickelt. Aber von Anbeginn an tritt uns das Röm. Volk als ein, wie kein anderes juristisch und politisch begabtes entgegen. Die straffe bürgerlich militärische Disciplin, die Strenge im Denken und Handeln, der sichere praktische Blick, die Klarheit in der Erfassung der auf politischem, wie rechtlichem Gebiete gestellten und die Energie, Besonnenheit und Konsequenz in der Verfolgung der einmal erkannten Aufgaben und Ziele, endlich die Schärfe in der juristischen Auffassung und rechtlichen Gestaltung der Lebensverhältnisse: alle diese Anlagen, welche dem Röm. Volksgeist als Erbteil zugefallen find, lassen die Röm. Nation als zur R-kultur gleichsam prädestinirt erscheinen.

A. Die ursprüngliche Verfassung Roms war der Tradition nach eine monarchische. Nach Abschaffung des Königtums traten an die Stelle des rex zwei auf ein Jahr vom Volke gewählte consules mit königlicher Gewalt, deren Macht jedoch durch den ihnen bei der Regierung zur Seite stehenden (anfangs wohl aus den Häuptern der gentes gebildeten) Senat und die legislative, wie auch in Kapitalsachen Röm. Bürger höchstrichterliche Volksversammlung (comitia curiata centuriata) beschränkt wurde. Da aber die Regierungsgewalt einzig den Patriciern (Altbürgern) zukam, und die Plebs nicht allein von der Magistratur, sondern auch von den einflußreichen Priesterämtern (insbesondere vom collegium der augures und pontifices) und vom Senat ausgeschlossen war, so war in der Verfassung selbst ein Gegensah gegeben, der den schon in der ersten Zeit der Republik beginnenden und durch zwei Jahrhunderte mit großer Zähigkeit geführten Ständekampf hervorrief, in welchem die Plebejer schrittweise die staatsrechtliche Gleichstellung mit den Patriciern sich errangen und schließlich das demokratische Prinzip in der Verfassung zur Geltung brachten. Der erste Erfolg des Kampfes war die Anerkennung von Vorstehern und Beamten der Plebs (tribuni plebis), denen der Schuß derselben gegen Übergriffe des consularischen imperium und gegen patricische Bedrückungen obliegen sollte, und von plebejischen Sonderversammlungen (comitia plebis comitia tributa), wodurch die Plebejer sich als einen besonderen, rechtlich anerkannten Stand im Staate konstituirten und politisch wie sozial

*) Puchta cit. Bd. I. Danz cit. I. T. Rudorff, Röm. R-gesch. Bd. I. Leipz. 1857. Zimmern, Gesch. d. Röm. Privat-R. Bd. I. Heidelb. 1826. I. T. Haubold, institut. iur. Rom. priv. Lips. 1826. p. 124–209. 466-82. Vgl. Marczoll, Lehrb. d. Instit. 11. Aufl. Leipz. 1881. § 10-46.

organisirten. Eine zweite, in ihrer Bedeutung den Ständekampf, ja die Röm. Republik weit überdauernde Errungenschaft der Plebejer war die 305 d. St. zu Stande kommende Zwölftafel-Gesezgebung (lex XII tabularum, auch lex schlechthin genannt). Hervorgerufen durch das Bestreben, das consularische imperium namentlich in der Jurisdiktion durch geschriebene unzweideutige Normen scharf zu begrenzen, so der patricischen Willkür wirksame Schranken zu sehen und eine Gleichmäßigkeit der Rechtspflege herbeizuführen, wurde und blieb das Zwölftafelgesetz welches die Grundsäße des bisher geltenden, in der Anwendung freilich oft schwankenden Gewohnheits-R. in klaren und bestimmt gefaßten Geboten und Verboten formulirte und sicherstellte und durch welches zugleich das anfangs noch vielfach mit dem öffentlichen und Sakral-R. (ius publicum, sacrum, fas) verwachsene Privat-R. zur Selbständigkeit erhoben wurde die feste Grundlage des nationalen Privat-R. (ius civile) bis in die spätesten Zeiten. (Liv. III. 34: „,velut corpus omnis Romani iuris,“ fons omnis publici privatique iuris.“)

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B. Die uns bei den Röm. Autoren überlieferten sog. leges regiae enthalten nur althergebrachte patriarchalische und sakrale R-sagungen, welche in einer wahrscheinlich aus den commentarii pontificum geflossenen und wohl kaum vor den 12. Taf. entstandenen ius Papirianum genannten Sammlung zusammengestellt waren, die gegen das Ende der Republik von Granius Flaccus kommentirt wurde. (Bruns cit. p. 1-13.) Die lex XII tabularum wurde als Grundlage des ius civ. bis in die späteren Zeiten vielfach von den Juristen kommentirt. (So von S. Aelius Catus c. 550. und zulet von Gaius unter Antoninus Pius od. Marc Aurel.) Gleichwohl ist von ihr kein zusammenhängendes Stück in Kopie oder Abschrift auf unsere Zeit gekommen. Nur mittelbar (durch Eitate und Referate) find uns daraus überliefert c. 100 zum Teil unvollständige Fragmente, um deren Kritik und Anordnung sich vornehmlich Jacob. Gothofredus (fragm. XII tab. suis nunc primum tabulis restituta. Heidelb. 1616, dann in den Fontes IV iur. civ. Genev. 1653), Dirksen (Übersicht d. bisherigen Versuche z. Kritik u. Herstellung d. Tertes d. Zwölf-Tafel-Fragmente. Leipz. 1824), und zuleht Schöll (leg. XII tab. reliquiae. Lips. 1866) Verdienste erworben haben. (Bei Bruns, fontes iur. Rom. antiqui. ed. IV. Tubing. 1880. p. 14-37.)

II. Zweite Periode. Bis zum Untergang des Freistaates.

Rom erweitert seine Macht über ganz Italien, dessen Gemeinden es sich nach und nach einverleibt, und strebt zur Weltherrschaft empor, indem es sich die bestehenden Kulturstaaten und andere Gebiete unabhängiger Völkerschaften als Provinzen unterwirft und durch Kolonien sichert. Mit der Ausdehnung des Röm. Herrschaftsgebietes, welche Rom zum Mittelpunkt des Weltverkehres erhebt, erweitert sich auch der Röm. Gesichtskreis; zugleich beginnt die hel=

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lenische Kultur in das Röm. Leben einzudringen und einen die bisherigen strengen Anschauungen umgestaltenden Einfluß auszuüben. Noch im ersten Jahrh. dieser Periode vollzog sich die Gleichstellung der beiden Stände, indem die Plebejer durch die leges Liciniae Sextiae (387 d. St.) die Mitregierung durch Teilnahme am Consulat und bald darauf den Zutritt zu den neu entstandenen patricischen Ämtern, wie insbesondere Censur und Prätur, sich errangen. Mit der seit Anerkennung der Allgemeinverbindlichkeit der Plebiscite spätestens durch die 1. Hortensia 468 d. St. - wachsenden Bedeutung der Tributcomitien, durch welche die Centuriatcomitien bald verdrängt wurden, gewann die Verfassung zwar eine mehr demokratische Basis, jedoch hielt dem demokratischen Prinzip noch lange das aristokratische das Gleichgewicht, indem thatsächlich die Nobilität durch die aus ihr hervorgehenden Magistrate und den Senat die Regierungsgewalt ausübte und den demokratischen Tendenzen erfolgreichen Widerstand entgegenseßte. Als jedoch anfangs des 7. Jahrh. infolge der nach Rom strömenden und in den Händen der herrschenden Klasse sich aufhäufenden Reichtümer ein immer rapider zunehmender Verfall der Röm. Sitte und Disciplin, eine moralische und politische Korruption und eine tiefgreifende soziale Zersehung eintrat, wurde jenes Gleichgewicht zu Gunsten der absoluten Demokratie gestört. Während nun die Volksmasse die höchste Souveränität für sich in Anspruch nimmt und maßlos geltend macht, gelingt es einzelnen Machthabern, in den durch demagogische Umtriebe hervorgerufenen politischen und sozialen Wirren und Revolutionen vorübergehend eine verfassungswidrige Regierungsgewalt an sich zu reißen, bis endlich Julius Cäsar eine der Alleinherrschaft nahekommende Machtstellung erlangt, durch welche zwar der Staat vor dem Untergange, in den ihn die Bürgerkriege zu stürzen drohten, gerettet und die Anarchie beseitigt, aber auch die Republik thatsächlich zu Grabe getragen und zur Monarchie der Grund gelegt wurde.

Das ältere durch die 12 Tafeln firirte und bis in die Mitte dieser Periode (etwa bis zum 2. Punischen Kriege) allein in Geltung befindliche Privat-R. war ein starres und streng nationales StadtR. (ius civile proprium Romanorum), wie es den einfachen Lebensverhältnissen einer engbegrenzten Bürgergemeinde und einer ansässigen, wesentlich ackerbautreibenden Bevölkerung entsprach. Gegründet ist es auf die Anerkennung der Privatpersönlichkeit des selbständigen Röm. Bürgers (paterfamilias) und der — ursprünglich unbeschränkten

Herrschaft desselben über sein gesamtes Hauswesen (familia pecuniaque § 41) und die zu demselben gehörigen freien Personen (patria potestas, manus) und Sachen (dominium ex iure Quiritium), indem es ihm die freie Verfügung über dieselben — wie auch über seine eigene Person (adrogatio, nexum) in bestimmten Formen gewährleistet und zum Schuße seiner Herrschaft und zur Geltendmachung seiner Rechte bestimmte gerichtliche Handlungen (legis actiones) festseßt. Der Strenge und Ungelenkheit des R.

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entsprach die Steifheit und Schwerfälligkeit des R-verkehres, welcher sich in wenigen solennen, in Wortformel und Ritus (gerere) fest bestimmten R-formen vorwiegend publizistischen, zum Teil auch sakralen Charakters (adrogatio § 52. III. legis actio: in iure cessio § 79. II. mancipatio § 79. I. coemptio § 49. I. B. nexum § 116. confarreatio § 49. I. A. sponsio § 117. I. A.) be

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wegte, die allein volle R-wirkung und staatlichen Schuß durch legis actio verbürgten.

Seit der Mitte dieser Periode erfährt jedoch das bisherige R. eine allmähliche Umgestaltung durch das Eindringen, die Anerkennung und weitere Ausbildung des ius gentium, als eines Bestandteiles des Röm. Privat R. Das ius gent. (§ 4. III.) war ursprünglich ein Fremden-R., in seiner Anwendung beschränkt auf den R-verkehr der sich in Rom aufhaltenden peregrini sowohl unter einander, wie mit cives Romani R-sprechung des praetor peregrinus -, dessen Grundsäge zuerst im Verkehre mit den peregrini erkannt und als in den verschiedenen Rechten der nichtröm. Gemeinden und dem. Röm. R., neben den streng nationalen Elementen, enthaltene allgemeine R-wahrheiten aufgefaßt wurden. Da nun den mit der Ausbreitung der Röm. Herrschaft, dem aufblühenden Handel und dem beginnenden Weltverkehr naturgemäß wachsenden Bedürfnissen des R-verkehres und den sich erweiternden R-anschauungen der Röm. Bürger das starre, enge und formstrenge ius civile nicht mehr genügen konnte, so wurden auch für den R-verkehr der cives Romani unter einander die Grundsätze des ius gent. fortschreitend anerkannt. So wurde schließlich das ius gent. zu einem Bestandteile des Röm. Privat-R. selber, welches nunmehr neben den einzig den Röm. Bürgern zugänglichen nationalen R-bildungen des ius civ. propr. Rom., noch auf alle Personen anwendbare allgemeinere R-bildungen des ius gent. enthielt. (Cic. de off. III. 17. Maiores aliud ius gentium, aliud ius civile esse voluerunt: quod civile non idem continuo gentium, quod autem gentium idem civile esse debet.) Die Aufnahme und zugleich die weitere Fortbildung dieser neuen Grundsäge wurde durch die prätorische Jurisdiktion und die Jurisprudenz bewirkt.

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Damit wurde das Privat-R. nicht allein freier und beweglicher gestaltet, verfeinert und spezialisirt, sondern es gelangten auch in ihm während es bis dahin nur ein strictum ius war immer mehr die Prinzipien des aequum ac bonum (§ 4. V.) zur Geltung. Diese Entwickelung des R., durch welche überall für das spätere klassische R. der Grund gelegt wurde, tritt u. a. hervor in der Einführung des bonitarischen Eigentumes, der Schöpfung eines selbständigen Pfand-R., dem Besißschuhe durch die interdicta, der zunehmenden Berücksichtigung des Parteiwillens (voluntas contrahentium, id quod actum est) bei Verträgen gegenüber dem gesprochenen Worte, in der Anerkennung der Klagbarkeit der bonae fidei contractus, der Einführung der actiones aediliciae, der beginnenden Aus

Salkowski, Institutionen. 4. Aufl.

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bildung des Dotal- und des Peculien-R. u. s. w., und vor allem auch in dem neuen freieren prozessualen Verfahren per formulas, welches an die Stelle der formstrengen und schwerfälligen legis actiones trat.

Als Faktoren der R-bildung treten uns entgegen die Gesetzgebung, das prätorische Edikt und die auctoritas prudentium:

A. Lex i. w. S. ist jeder, i. e. S. der eine R-norm feststellende Beschluß (iussum) der Röm. Volksversammlung, welcher in der Annahme des vom vorsißenden Magistratus eingebrachten und in fest= stehender Fragformel (vgl. § 52. III. A. c.) zur Genehmigung vorgelegten Gesegesvorschlages (rogatio legis) besteht. Der rogatio legis ging regelmäßig die ein trinundinum hindurch_stattfindende öffentliche Ankündigung des Gesezesvorschlages (promulgatio leg.) voraus; das angenommene und damit rechtsverbindlich gewordene Gesetz (lex perlata) wurde aufgezeichnet und durch Aushang (legem figere) zur allgemeinen Kenntnis gebracht. Während lex ursprünglich einzig den in Centuriatcomitien zu Stande gekommenen Beschluß der Gesamtbürgerschaft, im Gegensatz zum plebiscitum, als dem in den concilia plebis erfolgten Beschluß der Plebs, bezeichnete: wurde nach Anerkennung der allgemein verbindlichen Kraft der Plebiscite (1. Valeria Horatia 305?? 1. Publilia Philonis 415? 1. Hortensia 468 d. St.?) die Bezeichnung lex auch auf die in den — nunmehr die Gesamtbürgerschaft umfassenden Tributcomitien vom vorsigenden patricischen Magistrat (Consul, Prätor) rogirten Volksschlüsse angewendet, wogegen plebiscitum (lex plebivescitum') immer nur der auf Antrag und unter dem Vorsiß eines plebejischen Beamten (tribunus plebis) gefaßte Tribusbeschluß genannt wurde. (Gaj. I. § 3. cfr. § 4. J. de iure nat. 1, 2. Gell. X. 20. XV. 27. Liv. III. 55. VIII. 12.) Die Zahl der rein privatrechtlichen leges ist eine sehr geringe. Dahin z. B. gehören die Bürgschaftsgeseye (§ 118. III.), die lex Aquilia (§ 133.), Cincia (§ 129. III. B.), Voconia, Falcidia (§ 182.).

Die wichtigsten der uns unmittelbar (inschriftlich), jedoch nur fragmentarisch erhaltenen leges sind: 1) Ein Repetundengeseh, früher für die lex Servilia gehalten, jezt als die 1. Acilia v. J. 631 od. 632 erkannt. 2) Auf der Rückseite derselben Tafelfragmente eine lex agraria v. J. 643, welche früher als die 1. Thoria galt. 3) L. Rubria de Gallia Cisalpina (die 4. Tafel, welche cap. 20-22. vollständig, das Ende von cap. 19. und den Anfang von cap. 23. enthält, aufgefunden 1760 in den Ruinen von Veleja und jezt in Parma befindlich). Dieses Gesez regelte die Municipaljurisdiktion von Gallia Cisalpina, nachdem es 705 die Civität erhalten hatte und bevor es 712 aufhörte Provinz zu sein. Wichtig namentlich wegen der darin enthaltenen Klagformeln. Vielleicht ein Stück desselben Gesezes enthält das 1880 in Este aufgefundene Fragment. 4) Die tabula Heracleensis (unteres Stück, aes Neapolitanum, i. J. 1732, oberes, aes Britannicum, i. J. 1735 aufgefunden, seit

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