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ERSTER THEIL.

Die Quellen des römischen Privatrechtes.

§. 6. Die Perioden der Rechtsentwickelung.

I. Das römische Recht ist in stetig fortschreitender Entwickelung aus dem besonderen Rechte der Stadt Rom zum allgemeinen Rechte der mit dem römischen Reiche identischen Kulturwelt geworden. Mit der äusseren Ausbreitung der römischen Herrschaft ging parallel die innere Ausweitung des römischen Rechtes, wodurch dieses der Einwirkung fremder Anschauungen sich öffnete, dieselben sich assimilirte und wie äusserlich so innerlich immer mehr den Charakter der Allgemeinültigkeit g erlangte.

II. Für die Klarheit des römischen Rechtsbewusstseins ist characteristisch die ihm eigene bestimmte Unterscheidung zweier Strömungen des Rechtslebens, einer nationalen und einer internationalen, oder des jus civile und des jus gentium. Jus civile ist das nach Ursprung, Geltung und Beschaffenheit specifisch römische Stadtrecht, jus gentium das aus dem Verkehre mit Nichtbürgern hervorgegangene, daher des specifisch stadtrömischen Characters entkleidete Recht der civilisirten Welt oder, was damit identisch ist, des römischen Reiches. Es beruht auf unhistorischer Abstraction, wenn die Juristen der Kaiserzeit das jus gentium als ein schlechthin allgemeines Weltrecht bezeichnen und daher theilweise mit dem jus naturale, dem Erzeugnisse der von der geistigen Entwickelungsstufe unabhängigen natürlichen Triebe, identificiren. In Wirklichkeit ist das jus gentium gleich dem jus civile positives römisches Recht; nur ist es allgemeines Reichsrecht im Gegensatz zum besonderen Rechte, theils der

herrschenden römischen Bürgergemeinde, theils anderer Gemein

wesen.

Omnes populi, qui legibus et moribus reguntur, partim suo proprio partim communi omnium hominum iure utuntur. Nam quod quisque populus ipse sibi ius constituit id ipsius proprium est vocaturque ius civile quasi ius proprium ipsius civitatis: quod vero naturalis ratio inter omnes homines constituit, id apud omnes peraeque custoditur vocaturque ius gentium quasi quo iure omnes gentes utuntur. Gai. I, 1.

III. Der Entwickelungsgang des R. R. ist dieser, dass neben das nationale jus civile in immer grösserem Umfange internationales jus gentium tritt und schliesslich jenes in diesem aufund untergeht. Die erste Periode des römischen Rechts ist die des ausschliesslich herrschenden jus civile, die letzte die seines Aufgehens im jus gentium. Indem die Zeit der Coexistenz von jus civile und gentium wieder in die zwei Hälften des Aufkommens des jus gentium neben dem jus civile und seines Ein dringens in dieses zerfällt, ergeben sich vier Perioden der römischen Rechtsentwickelung.

Als entscheidend für den Beginn der zweiten Periode erscheint die Einsetzung des praetor peregrinus und die vollendete Einigung Italiens, mit welcher Roms Streben nach Weltherrschaft beginnt. Der Beginn der dritten fällt zusammen mit dem Verfalle der Republik; der Uebergang zur letzten Periode beginnt um die Mitte des dritten Jahrhunderts nach Christo und gelangt zum entschiedensten Ausdrucke durch die diocletianisch-constantinische Reorganisation der Verfassung.

IV. Während die Grenzen der beiden letzten Perioden meist ähnlich wie hier gezogen werden, pflegt man die zweite Periode schon mit der Erhebung des jus civile zu selbständiger Existenz beginnen zu lassen. Einerseits reicht aber unsere sichere Kenntniss vom römischen Rechte über diese Zeit nicht zurück und andererseits ignorirt die übliche Ausdehnung dieser Periode bis gegen das Ende der Republik das für die Entwickelung des Privatrechts entscheidende Aufkommen des jus gentium.

V. Wie im Character der Rechtsbildung, so unterscheiden sich die angegebenen vier Perioden auch durch die Verschiedenheit der in ihnen vorwiegenden Rechtsquellen. In der ersten Periode herrscht die lex und die durch die pontifices sich fortpflanzende Tradition. In der zweiten Periode gewinnt auf die

Entwickelung des Privatrechtes massgebenden Einfluss die seiner praktischen Handhabung vorgesetzte Obrigkeit. In der dritten Periode weicht ihr Ansehen dem der Rechtskundigen und des die Auctorität der republikanischen Obrigkeiten lähmenden, die der Juristen seiner eigenen unterordnenden princeps. In der letzten Periode hat die Macht des kaiserlichen Willens jede andere verdrängt.

§. 7. Die lex.

I. Von Anbeginn ist der römischen Verfassung wesentlich die Entgegensetzung der Obrigkeit und der Gemeinde in der Weise, dass alles staatliche Handeln von jener ausgeht, dass ihr aber die Gemeinde als eine gegliederte Einheit gegenüber steht, ohne deren Zustimmung die Rechtsordnung nicht geändert werden kann. Das Gemeindegesetz oder die lex ist eine Vereinbarung der Obrigkeit mit der Gemeinde; das Gesetz gelangt zur Existenz durch die Einwilligung der von der Obrigkeit berufenen Gemeindeversammlung (comitia populi Romani) in die Anfrage jener.

II. Rechtsquelle ist die lex nicht etwa in dem Sinne, dass das Recht als ihre Schöpfung erschiene. So wenig als das imperium der Obrigkeit, von welchem ja alle Gesetzgebung ausgeht, sind die Privatrechte Producte der Gesetzgebung; nicht erzeugt, sondern nur fixirt, sichergestellt und geändert wird durch. sie der Bestand des privaten wie des öffentlichen Rechtes. Fixirung und Sicherstellung des Privatrechtes war insbesondere die Aufgabe des auf das beständige Andringen der Plebs drei Jahrhunderte nach Gründung der Stadt endlich zu Stande gebrachten Grundgesetzes der zwölf Tafeln. Nothwendig enthielt aber diese Fixirung zugleich eine Begrenzung; nach gesetzlicher Anerkennung verlangend hat das Privatrecht diese selbst als eine Grundlage seiner eigenen Existenz anerkannt. So begreift es sich, dass die Römer die zwölf Tafeln als die Quelle ihres gesammten Rechtes betrachteten. Mit nichten haben sie damit von ihnen die Schöpfung des Rechtes datiren wollen, mit nichten durch sie seinen gesammten Stoff erschöpft geglaubt. Allein in den zwölf Tafeln fixirt und garantirt war nunmehr der Bestand alles Rechtes auf diese gesetzliche Garantie zurückzuführen. Im Verhältnisse zu den zwölf Tafeln enthalten die späteren Privat

rechtsgesetze wesentlich Einschränkungen des durch jene gewährleisteten Masses freier Bewegung.

III. Das Gesetz ist wesentlich Gebot oder Verbot; lediglich negativen Inhaltes ist das erlaubende Gesetz; die rechtlichen Folgen des Ungehorsams bestimmt die sanctio legis. Das verbietende Gesetz ist lex imperfecta, wenn es mit keiner sanctio verbunden ist; lex perfecta, wenn es Rechtsacte nicht nur verbietet, sondern dadurch, dass es den Versuch ihrer Vornahme der beabsichtigten rechtlichen Wirkung beraubt, geradezu unmöglich macht; lex minus quam perfecta, wenn es eine Rechtshandlung nicht für unmöglich, aber für strafbar erklärt.

Legis virtus haec est imperare vetare permittere punire. L 7D de leg. 1, 3. Minus quam perfecta lex est quae vetat aliquid fieri, et si factum sit, non rescindit sed poenam injungit ei qui contra legem fecit. Ulp. praef. §. 2.

§. 8. Die juris dictio.

I. Der Einfluss der Obrigkeit auf die Rechtsbildung erschöpfte sich nicht in ihrem Antheile an der Volksgesetzgebung; von grösster Bedeutung war vielmehr das selbständige Walten der Gerichtsobrigkeit, welche nicht nur innerhalb der vom Gesetze gezogenen Grenzen die Rechtspflege nach eigenem Ermessen verwaltete, sondern in Handhabung dieser Verwaltung selbst zum Gesetzgeber wurde.

II. Seit 387. d. St. hat die Privatrechtspflege einen besonderen Vorstand in der Person des den Consuln als dritter College minderen Ranges beigegebenen praetor urbanus. Anderthalb Jahrhunderte später wurde die jurisdictio peregrina oder die Verwaltung der Rechtspflege gegenüber Nichtbürgern einem besonderen praetor (peregrinus) übertragen, der inter peregrinos sowie inter cives et peregrinos jus dicit. Jenen zwei Prätoren verblieb die oberste Verwaltung der Privatrechtspflege oder die jurisdictio auch nach der späteren Vermehrung der Prätorenzahl; neben ihnen stand den curulischen Aedilen eine Specialjurisdiction, die Marktgerichtsbarkeit, zu, in den Provinzen blieb die Gerichtsbarkeit mit der gesammten Befehlsgewalt in einer Hand vereinigt.

III. Die römische Gerichtsobrigkeit ist weder Gesetzgeber noch Richter und ist doch in gewissem Sinne beides zugleich, indem sie zwischen Gesetz und Gericht vermittelnd in die Sphäre

beider eingreift. An der Rechtsprechung kommt nach römischer Anschauung der obrigkeitlichen Gewalt ein wesentlicher Antheil zu, ohne dass doch das Richteramt ihr vorbehalten bliebe. Auch einem Privatmanne kann dieses zustehen; seine Zuständigkeit vermag aber nur ein Act der obrigkeitlichen Gewalt zu begründen. Ein wesentlicher Einfluss der Obrigkeit auf den Inhalt des Richterspruchs ist damit noch nicht gegeben, ergibt sich aber aus der ihr zustehenden Fixirung des Streitpunktes. Während diese im ältesten Prozesse der legis actiones Sache der an bestimmte Spruch-Formeln gebundenen Parteien gewesen war, kam sie in der zweiten Periode in die Hand des Prätors, welcher den Richter durch ein nach eigenem Ermessen schriftlich redigirtes decretum, die formula, instruirte. Mit der Feststellung der vom Richter zu untersuchenden Frage verband sich darin die Bezeichnung der aus ihrer Beantwortung zu ziehenden praktischen Consequenz der Verurtheilung oder Freisprechung des Beklagten. Der Prätor übernahm dadurch die volle und ausschliessliche Verantwortlichkeit dafür, ob wirklich diese Consequenz aus jener Voraussetzung sich rechtlich ergebe; für den Richter war die prätorische Anweisung als Act der seine Zuständigkeit begründenden Amtsgewalt schlechthin bindend. Allerdings nun ist keine Amtsgewalt ohne Amtspflicht und ein wesentlicher Bestandtheil dieser die Beobachtung des geltenden Rechtes. War aber Gesetz der durch die Zustimmung der Gemeinde rechtsverbindlich gewordene Wille der Obrigkeit, so setzte diese seinen Inhalt ohne Pflichtverletzung bei Seite, wenn sie der Zustimmung der Bürgerschaft sicher war. Jede Gesetzesverletzung war somit eine gewagte, möglicherweise Verantwortung nach sich ziehende, aber keine schlechthin unzulässige Handlung, sie war ein Versuch, dessen rechtliche Beurtheilung vom Erfolge abhing. Dem entsprechend haben die Prätoren ihre Gerichtsbarkeit nicht nur zur Handhabung, sondern mit fortschreitender Kühnheit und Sicherheit auch zur Correctur der Gesetze benutzt, haben trotz entgegenstehenden Gesetzeswortes Rechtshilfe gewährt und verweigert, wo dies die Gerechtigkeit zu fordern schien.

IV. Nicht Anmassung gesetzgebender Gewalt, sondern ein Act der Selbstbeschränkung war es, als die Prätoren anfingen durch ein beim Amtsantritte erlassenes edictum die Grundsätze zu verkündigen nach denen sie ihres Amtes zu walten gedächten,

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