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Die testamentarischen Kodicille wiederum sind theils konfirmirte, d. h. solche, die der Erblasser in seinem Testamente nachträglich oder im voraus bestätigt hat, theils nichtkonfirmirte. Konfirmirte Kodizille konnten in Rom auch civilrechtliche Anordnungen, insbesondere Legate aufnehmen, nichtkonfirmirte dagegen nur fideikommissarische Verfügungen. Derzeit hat dies keine praktische Bedeutung mehr.s

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Mit der Zulassung testamentarischer Kodicille war der altrömische Gedanke aufgegeben, daß der Erblasser, welcher ein Testament hinterließ, einzig aus diesem beerbt werde. Man suchte ihn jedoch dadurch festzuhalten, daß man die testamentarischen Kodicille als Theile des Testamentes behandelte. 10

Hieraus schloß man, daß die testamentarischen Kodicille ohne Wirfung seien, wenn das Testament nicht zu Kräften kommt.11 Ja man stellte die s. g. kodicillarische Fiktion auf, wonach die in dem Kodicille getroffenen Anordnungen so beurtheilt werden, wie wenn sie in dem Testamente selbst enthalten wären.12 Hiervon machte man auch einzelne Anwendungen. Indessen ließ sich diese höchst unnatürliche Auffassung nicht aufrecht erhalten. Die testamentarischen Kodicille sind vielmehr in der Regel als besondere Zusaßgeschäfte nach der Zeit ihrer Errichtung zu beurtheilen.13

6) 1. 8 pr. § 1 D. eod. 29, 7.

7) Gajus Inst. II § 270 a.

8) Dies in Folge der Verschmelzung von Legaten und Fideikommissen_im justinianischen und der Umgestaltungen des Vormundschaftsrechtes im gemeinen Rechte. Vgl. oben Bd. 3 § 64 Anm. 11, § 44.

9) Oben Bd. 3 § 57.

10) 1. 11 D. testamenta quemadmodum 29, 3: Codicilli pars intelleguntur testamenti.

11) 1. 3 § 2 D. de jure codicillorum 29, 7.

12) 1. 2 § 2 D. de jure codicillorum 29, 7. Julianus libro 37 Digestorum: Codicillorum jus singulare est, ut quaecumque in his scribentur, perinde haberentur ac si in testamento scripta essent. Fein bei Glück Bd. 44 S. 233.

13) Eine richtige Würdigung der kodicillarischen Fiktion findet sich bei Kohler in Grünhuts Zeitschrift Bd. 7 S. 733. Vgl. auch Windscheid Bd. 3 § 630 bei Anm. 8. Die s. g. kodicillarische Fiktion wird in den bei weitem meisten Fällen, wo sie in Frage kommen könnte, von den römischen Juristen nicht angewendet, vgl. unter anderem 1. 4, 1. 8 § 4, 1. 14 pr. D. h. t. 29, 7. Ja in der 1. 2 § 1 D. h. t. 29, 7 hat sie Julian selbst nicht beachtet; siehe ferner 1. 17 § 4 D. de testamento militis 29, 1. Fein betrachtet als allgemeines Princip, auf welches sich die Ausnahmsfälle“ von der kodicillarischen Fiktion zurückführen ließen, ihre Unanwendbarkeit dort, wo eine Veränderung bloß in den faktischen Zuständen nach Errichtung des Testamentes eingetreten sei. Aber mit Unrecht führt er für diesen verfehlten Versuch Marcian 1. 7 § 1 D. de jure cod. 29, 7 als Gewährsmann an. Denn dieser bemerkt nur, daß die Fiktion auch praeterea nicht eintrete „in illis. quae non juris sed facti sunt", „,velutis si ita in codicillis scriptum erit,,,,vestem quae mea est"" codicillorum tempus spectandum non quo confirmantur“. Marcian

Testament und Kodizill sind einseitige Rechtsgeschäfte, blog Manifestationen des Willens des Erblassers. Urkundspersonen - Zeugen oder Richter – sind zwar bei der Errichtung regelrecht zuzuziehen, aber auf den Inhalt der Verfügung haben sie nicht einzuwirken. Die Gegenwart des Erben ferner oder anderer Honorirter, ihre etwaige Erklärung über Annahme oder Ablehnung der Honorirung zur Zeit der Errichtung ist für die Gültigkeit des Testamentes und des Rodicilles einflußlos. Erst nach dem Tode des Erblassers kommt die Erklärung der Honorirten in Betracht.

Der Erblasser ist, solange er lebt, zum Widerrufe seines Testamentes und seiner Kodicille befugt. Dieses Recht verliert er nicht durch die Erklärung, sich desselben begeben zu wollen, die s. g. derogatorische Klausel.14 Ebensowenig fann er besondere Bedingungen und besondere Formen für etwaige Nachträge oder einen Widerruf rechtsverbindlich festsezen. 15

§ 67. Testirrecht und Teftirfähigkeit.1

Der Erblasser muß das Recht und die Fähigkeit zu testiren testamenti factio haben, damit sein Testament, nicht minder sein

Kodicill 3 gültig sei.

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stellt damit nicht in Abrede und konnte nicht in Abrede stellen, daß dieselbe Be: handlung nicht minder überwiegend eintritt „in illis, quae juris sunt". Gerade in dem pr. hat er einen bezüglichen Fall in diesem Sinne entschieden.

14) 1. 4 D. de adim. leg. 34, 4. Ulpianus libro 33 ad Sabinum: Ambulatoria est voluntas defuncti usque ad vitae supremum exitum. 1. 22 pr. D. de leg. III. Hermogenianus libro 4 juris epitomarum.. nemo eam sibi potest legem dicere, ut a priore recedere non liceat. Mühlenbruch Bd. 38 S. 17. Vertragsmäßiger Verzicht auf den Widerruf eines Testamentes oder Kodicilles kann jedoch einen Erbvertrag in sich schließen und ist dann nach heutigem Rechte gültig.

15) 1. 6 § 2 D. de jure codicillorum 29, 7. Marcianus libro 7 Institutionum: Licet in confirmatione codicillorum pater familias adjecerit, ut non alias valere velit quam sua manu signatos et subscriptos, tamen valent facti ab eo codicilli licet neque ab eo signati neque manu ejus scripti fuerint: nam ea, quae postea geruntur prioribus derogant. 1. 88 pr. D. de leg. II. Immerhin kann der Mangel derartiger beabsichtigter Formen zu der Annahme führen, daß der Erblasser noch nicht mit seinen Entschlüssen fertig und ins reine gekommen ist und daß das Schriftstück, dem dieselben fehlen, in seinem Sinne einstweilen nur ein Entwurf war. Dann ist es ohne Verbindungskraft, vgl. Seuffert, Archiv Bd. 6 n. 52, Bd. 22 n. 55.

1) Tit. Dig. qui testamenta facere possunt 28, 1. Cod. 6, 22.

2) Die Römer bezeichnen das Recht und die Fähigkeit zu testiren als testamentifactio 1. 4 D. h. t. 28, 1. In einem weiteren Sinne verstehen sie darunter die Fähigkeit, bei einem Testamente als Testator, Zeuge, Erbe oder sonstiger Honorirter betheiligt zu sein, 1. 16 D. h. t. 28, 1; § 6 J. de testamentis ordinandis 2, 10.

3) 1. 2. 1. 114 pr. D. de leg. I, 1. 1 § 2-4 D. de leg. III.

1. Testirrecht hatten in Rom nur die römischen Bürger.1 Davon ist keine Anwendung mehr zu machen.

Auch war dies Recht durch zahlreiche Geseze zur Strafe entzogen. Auch dies ist antiquirt."

Endlich hatte in Rom das Testirrecht nur der Gewaltfreie, nur er konnte sein Haus bestellen. Dies ist in das gemeine Recht übergegangen, obgleich es nach heutiger Rechtsauffassung keinen rechten Grund mehr hat. Daher können Hauskinder nicht über ihre Adventicien testiren, nicht einmal über die irregulären. Die Zustimmung des Vaters kann ihnen das fehlende Recht nicht geben. Bezüglich seiner kastrensischen und quasikastrensischen Pekulien ist aber der Haussohn testirfähig, denn hinsichtlich ihrer ist er wie ein Hausvater berechtigt."

Wer an seinem Testirrechte zweifelte, konnte in Rom nicht testiren, auch wenn er es hatte, daher z. B. auch nicht, wer im Ungewissen über den Tod seines Vaters und über die hierdurch erfolgte Endigung der Gewalt desselben war, troßdem daß dieselbe nicht mehr bestand. Die gemeinrechtliche Anwendung dieses Sazes ist nicht nachweisbar."

Der Erblasser muß Testirrecht im Augenblicke der Errichtung des Testamentes und des Todes haben. Das Testament, welches ein Gewaltfreier errichtete, verliert daher seine Geltung, wenn er nachher in eine väterliche Gewalt tritt. 10

2. Die Fähigkeit, ein Testament zu errichten, fehlt wegen Mangels des gehörigen Willens:

a) den Unmündigen, also den Personen des männlichen Geschlechtes bis zur Vollendung des 14., und denen des weiblichen bis zum vollendeten 12. Jahre.11 Mündige

4) 1. 8 D. h. t. 28, 1.

gewaltfreie Minder

5) Zur Strafe unfähig waren namentlich: a) verurtheilte Pasquillanten 1. 18 § 1 D. h. t. 28, 1; b) wer einen Incest begangen hatte bezüglich Nichtverwandter 1. 6 C. de incestis 5, 5, vgl. jedoch nov. 12; c) gewisse Keter; d) endlich, nach kanonischem Rechte, wer Zinsen nicht etwa bloß wucherische nahm und nicht für deren Zurückgabe sorgte cap. 2 in 6to de usuris 5, 5. Vgl. Wächter im im Archiv für civ. Praxis Bd. 17 n. 14 „Ueber die Testirunfähigkeit wegen begangener Verbrechen“.

6) So auch Windscheid Bd. 3 § 539 Ziff. 5. Die Strafen wegen Injurien und wegen Incestes sind andere geworden. Die Keßerei ist derzeit ohne Einfluß auf die bürgerliche Rechtssphäre, das Nehmen von Zinsen gestattet.

7) pr. J. h. t. 2, 13, 1. 6 pr. D. h. t. 28, 1, 1. 12 C. h. t. 6, 22.

8) 1. 14, l. 15 D. h. t. 28, 1, 1. 1 pr. D. de leg. III.

9) Die neueren Pandektisten betrachten den Saß als gemeinrechtlich. 10) Vgl. unten § 93.

11) 1. 5 D. h. t. 28, 1.

jährige können testiren, ohne der Einwilligung ihrer Vormünder zu bedürfen.

b) Die Willensfähigkeit fehlt ferner den Geisteskranken, 12 dies ohne Unterschied, ob sie entmündigt sind oder nicht.

Der Richter, welcher eine lettwillige Verfügung aufnimmt, hat sich daher über den Geisteszustand des Testators zu vergewissern. Erkennt er dessen Verfügungsfähigkeit an, so schließt dies den Gegenbeweis nicht aus, daß sie in der That fehlte.

Partielle Gcisteskrankheit nimmt die Testirfähigkeit nicht absolut. Legtwillige Bestimmungen also, welche unzweifelhaft nicht mit der Krankheit in Verbindung stehen, sind zu respektiren. In lichten Augenblicken kann auch der sonst Geisteskranke testiren, selbst wenn er entmündigt wäre.18

c) Die entmündigten Verschwender sind nicht fähig zu testiren. Sie sind insofern den Geisteskranken gleichgestellt. Ihre vor der Entmündigung errichteten Testamente bleiben in Kraft.14

d) Wegen Mangels der Fähigkeit, sich in der gesetzlichen Form zu erklären, ist testirunfähig, wer sich in Folge Krankheit oder Gebrechen weder schriftlich noch mündlich aussprechen kann. 15

Bloße Zeichensprache genügt nicht.

Justinian erklärte die Taubst ummgeborenen für unfähig.16 Er sezte dabei voraus, daß sie weder artikulirt sprechen noch schreiben können. Der heutige Taubstummenunterricht giebt ihnen diese Kenntnisse, damit erlangen sie selbstverständlich die Testirfähigkeit. Manche leugnen dies jedoch um des Buchstabens der Verordnung Justinians willen. 17

Die Fähigkeit zur Errichtung des Testamentes muß zur Zeit seiner Vornahme vorhanden sein. Späterer Verlust der Fähigkeit durch den Erblasser schadet dem Testamente nicht, späterer Erwerb derselben macht das ungültig errichtete Testament nicht gültig. Dies

12) 1. 16 § 11 D. h. t. 28, 1. Es gilt dies auch von Kranken, die vorübergehend in Folge ihrer Krankheit ihrer Geisteskraft beraubt sind, l. 17 D. h. t. 28, 1; nicht minder von Persomen in somnambulem oder hypnotischem Zustande.

13) 1. 9 C. h. t. 6, 22.

14) 1. 18 pr. D. h. t. 28, 1.

15) 1. 29 C. de testamentis 6, 23.

16) 1. 10 C. h. t. 6, 22. Das ältere römische Recht hatte Tauben und Stummen schlechthin die Teftirfähigkeit versagt, weil sie die Formen nicht gehörig vollziehen konnten. Ulpian. fragm. XX § 13, vgl. 1. 7, 1. 16 pr. D. h. t. 28, 1.

17) Die hier vertretene Ansicht theilt Windscheid Bd. 3 § 530 Anm. 7, dagegen ist Arndts § 484 Anm. 4. Einen Fall des Testamentes eines Taubstummen durch Zeichen behandelt Gensler im Archiv für civ. Praris Bd. 3 n. 22.

muß selbst gelten, wenn ein Verschwender während seiner Entmündigung testirte und nachher in Folge Aufhebung seiner Entmündigung testirfähig wurde.

Zweites Kapitel.

Die Formen der lehtwilligen Verfügungen.

I. Einleitung.

§ 68. Form und Formlosigkeit.

Soll der lezte Wille an Formen gebunden sein oder formlos gelten? Die Formen, die in Betracht kommen, sind Errichtung bei öffentlichen Instanzen, insbesondere vor dem Volke oder dem Regenten oder dem Gerichte öffentliche Testamente; ferner Errichtung vor Zeugen, endlich schriftliche Beurkundung, insbesondere cigenhändige Niederschrift oder wenigstens Unterschrift private Testamente.

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Die Form ist bei leztwilligen Verfügungen von besonderem Werthe. Bei diesem bedeutungsvollen Akte ist Gewicht darauf zu legen, daß der Wille ein gesammelter und ernster ist und daß jeder Zweifel möglichst abgeschnitten werde, ob es sich um einen bloßen Entwurf und um ein vorläufiges Projekt des Erblassers, oder um einen bestimmten Entschluß handelte. Und da der Erblasser von der Welt abgeschieden ist, wenn sein letter Wille seine entscheidenden Wirkungen üben soll, so ist es empfehlenswerth, durch bestimmte Formvorschriften dessen Authenticität und Unverfälschtheit zu sichern.

Aber die Vortheile der Form sind durch erhebliche Opfer zu erfaufen. Denn jede Formvorschrift bringt die Gefahr mit sich, daß ein ernster letter Wille nicht zur Verwirklichung kommen kann, weil der Erblasser nicht mehr im Stande war die Form zu wahren. Vor allem wird oft schwer empfunden werden, daß Anordnungen, welche der Erblasser in der That schließlich nicht mehr wollte und verwarf, doch Kraft behalten, weil die Formen, die zum Widerruf nöthig sind, nicht mehr gewahrt werden konnten.

Das Problem der Form oder der Formlosigkeit des legten Willens hat die Römer sehr bewegt. Es finden sich drei Phasen, in denen entgegengesette Tendenzen vorwalten.

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