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dieses Gesetzes, welche einst sogar Bekker selbst (a. a. O.) vermuthet hat. Die ganze Tragweite der lex Aebutia liess sich erst in jener Zeit erkennen, in welcher ihre langsam reifenden Früchte bereits gezeitigt vorlagen, nämlich in der Zeit der leges Juliae Augusti: es ist somit gewiss ein gewichtiger Beweis für die grosse Bedeutung dieses Verfassungsgesetzes, dass es trotz seines hohen Alters und der schlecht bestellten Ueberlieferung sogar noch den Juristen der Kaiserzeit wohl bekannt war, zumal wenn wir berücksichtigen, wie sehr dem römischen Volke schon in der ersten Kaiserzeit der Sinn für das Rechtsleben seiner grossen Vergangenheit, und damit auch die Kenntniss seiner alten Verfassungsgesetze abhanden gekommen war: Transeo prima discentium elementa, in quibus et ipsis parum elaboratur; nec in auctoribus cognoscendis, nec in evolvenda antiquitate, nec in notitia vel rerum vel hominum vel temporum satis operae insumitur (Dialog. de orat. c. 29).

Die Beziehung des Pontifical-Collegiums zu den Reformen des Pätor urbanus nach der .lex Aebutia.

§. 30. Die reformatorische Thätigkeit des Prätor urbanus bestimmte sich natürlich nach den Verhältnissen der Rechtskunde, welche zur Zeit der lex Aebutia bestanden und noch lange nachher fortdauerten. Von der Publication des jus Flavianum bis zur lex Aebutia waren 15 Jahre verflossen, welche aber wegen der Fortdauer der Kämpfe mit den gefürchteten Samniten für die Beschäftigungen des Friedens und die Pflege der Wissenschaft keinen Raum boten. Mit dem Abschluss des grundgesetzlichen Civilrechts und mit jener Publikation war also nur soviel erreicht, dass jetzt das geltende Recht jedem zugänglich gemacht, und für die Bedürfnisse der Civilrechtspflege dadurch in ergiebigerer Weise gesorgt war, dass die Kenntniss des geltenden Rechtes ein Gemeingut der Nation werden konnte. Wer also Fähigkeit und Neigung besass, der konnte jetzt, mochte er Patricier oder Plebejer sein, sicher erwarten, dass ihm die Kenntniss des geltenden Civilrechts in der Geltendmachung seiner Persönlichkeit im öffentlichen Leben sehr zu Statten kommen werde. 1) Allein die rein praktische Richtung in

1) Livius, 39, 40: Ad summos honores alios scientia juris provexit. Cicero de off. II 19, §. 65: In jure cavere, consilio juvare atque hoc scientiae genere prodesse quam plurimis vehementer et ad opes augendas pertinet, et ad gratiam. Itaque cum multa praeclara majorum tum quod optime constituti juris civilis summo semper in honore fuit cognitio atque interpretatio.

der Thätigkeit der Kenner des Civilrechts musste so lange dauern, als die Kriege das ganze Leben des Volkes absorbirten, was bis zur Beendigung des zweiten punischen Krieges im Jahre 553 d. St. der Fall war. Die wissenschaftliche Pflege des Civilrechts war also mehr als ein Jahrhundert nach der lex Aebutia durch die politischen Verhältnisse Roms ausgeschlossen, woraus aber folgt, dass der Prätor urbanus der Unterstützung jener wissenschaftlichen Jurisprudenz der Privaten noch sehr lange entbehren musste, welche später an der Rechtsentwicklung einen so hervorragenden Antheil nahm. Unter denjenigen, „qui jus civile fundaverunt" wird von Pomponius 2) zuerst Publius Mucius Scaevola genannt; dieser war erst im Jahre 621 d. St. Consul und im J. 623 Pontifex Maximus 3). Aber auch dieses Mannes wissenschaftliche Arbeit lässt sich nur als ein erster Versuch bezeichnen, weil Pomponius *) ein einheitliches und gegliedertes System des Civilrechts erst dessen Sobne Q. Mucius Scaevola zuschreibt (jus civile primus constituit), welcher im J. 659 Consul war und als Pontifex Maximus im J. 671 ermordet wurde. 5) Die Rechtskunde hatte also noch lange Zeit nach der lex Aebutia ihren Sitz im Pontifical-Collegium, was sich auch daraus folgern lässt, dass das jus divinum wegen seiner vielen Beziehungen zum jus civile einer einseitigen Pflege widerstrebte, und somit die Pontifices zwang, auch mit dem Civilrecht sich ernst zu beschäftigen). Es ist daher sehr glaublich, dass auch nach der lex Aebutia zum Pontificat, welches seit der lex Ogulnia auch den Plebejern zugänglich war, nur die utriusque juris prudentes gelangten, wesshalb ich der Erzählung, dass der erste plebeische Pontifex P. Sempronius Sophus (Consul 450) und der erste plebeische Pontifex Maximus, Tib. Coruncanius (Consul 474, Pontifex Maximus 500 oder 501) ihre Ehrenämter der Rechtskenntniss verdankten, nicht mit Mommsen 7) die Natur der Ueberlieferung versagen und als blosse Muthmassung der Späteren betrachten möchte. Es ist dies meines Erachtens einer der Erklärungsgründe, warum die Schule der Pontifices ihren thatsächlichen Einfluss auf das Civilrecht erst im Zeitalter Cicero's einbüsste und warum ihre Principien die Entwicklung des Civilrechts noch mehr als ein Jahrhundert beherrschten.

Aus diesen Thatsachen glaube ich folgern zu dürfen, dass die Pontifices dem Prätor urbanus und dem rechtsuchenden Publikum gegenüber

2) L. 2 §. 39 D. de orig. jur.

4) a. a. O. §. 41.

3) Rudorff RG. I. S. 159.
5) Rudorff a. a. O. S. 160.

6) Cicero de leg. II, 19 §. 47; Ihering, Geist I. S. 293. 993
7) Röm. Gesch. I. 1 S. 474.

nach der lex Aebutia sich noch sehr lange im Alleinbesitze der juristischen Fachkenntnisse befanden, und dass somit jene oben besprochenen Nachrichten, welche die Pontifices nur als gewöhnliche juris periti darstellen 8), aus der Zeit nach der lex Aebutia herrühren, und darum zwar Wahres berichten, aber nicht die ganze Wahrheit enthalten. Eine positive Bestätigung dessen enthält die Angabe des Pomponius) über die Epoche machende Liberalität und Publicität, mit welchen der erwähnte Pontifex Maximus Tib. Coruncanius öffentlichen Unterricht und schriftliche Responsa ertheilte. Wie also die Römer die erste systematische Darstellung ihres Civilrechts einem Pontifex Maximus zu verdanken hatten (dem Q. Mucius Scaevola), so hatte auch den ersten öffentlichen Unterricht im Civilrecht ein Pontifex Maximus in's Leben gerufen.

Obwohl nun das Pontifical-Collegium nach der lex Aebutia noch lange Zeit als der Sitz der fachmännischen Jurisprudenz betrachtet werden muss, so mussten sich doch die Anforderungen an die juristischen Kenntnisse der Prätoren in dieser Zeit wesentlich steigern. Es fällt hier vor Allem ins Gewicht, dass wir hier mit den Männern des fünften Jahrhunderts d. St. zu thun haben, welches, wie wir wissen, ein Jahrhundert ernster und sittlicher Arbeit, wie kein zweites war, dass in dieser Zeit die Begriffe,,Staatsmann und Jurist", sich deckten, dass also in einer Zeit, in welcher das Civilrecht des Grundgesetzes als fertiger Organismus vorlag, und sein Studium die Hauptbeschäftigung strebsamer Geister bildete, die Prätoren mit ungleich grösseren Kenntnissen den Richterstuhl besteigen mussten, als dies früher der Fall war. Dazu kommt noch der Umstand, dass die eigenthümliche Organisation der öffentlichen Aemter in Rom einseitige Richtungen völlig ausschloss, weil jeder, welcher sich dem öffentlichen Leben widmen wollte, bei seiner Vorbereitung die vorgeschriebene Stufenleiter der Aemter berücksichtigen, und somit entweder vom öffentlichen Leben sich ganz ferne halten, oder auch die für die Prätur nothwendige Jurisprudenz sich aneignen musste. Alle diese Momente gestatten die Folgerung, dass die Stadtprätoren in dieser Zeit bereits ein bedeutendes Mass der Selbstständigkeit in der Rechtspflege für sich in Anspruch nehmen durften, und dass die Pontifices von nun an nur in der Eigenschaft Gutachten erstattender Staatsjuristen den Stadtprätoren zur Seite standen. In dieser Weise bestimmt sich die Stellung der Pontifices zum Prätor urbanus auch dadurch, dass die lex Aebutia dem Pontifex Maximus und seinem Collegium die oberste, von jeglichem Einflusse des Prätors, Consuls, des Senates und der Volksversamm8) Vgl. Kuntze, Excurse S. 119-123. 9) a a. O. §. 39.

lung unabhängige Entscheidung in rebus divinis nicht entzog, die res divinae aber mit dem Civilrecht mehrseitig zusammenhingen, • Gutachten des Pontifical-Collegiums also schon dieses Zusammenhanges wegen eingeholt werden mussten. Weil nun auch die Interessen der Stände im Pontifical-Collegium ausgeglichen waren, so ist nicht zu bezweifeln, dass die Stadtprätoren bei ihren Reformen im Civilrecht der fachmännischen Unterstützung der Pontifices im reichsten Masse sich erfreuten. Dies glaube ich umso mehr annehmen zu dürfen, als ich auch die sagenhafte Geheimlehre der Pontifices auf ein Missverständniss der späteren Berichterstatter zurückgeführt habe, unten aber den Beweis antreten werde, dass die pontificischen Klagformen wegen ihrer weitreichenden Angriffs- und Vertheidigungsclauseln an die juristischen Kenntnisse der Geschwornen bedeutende Anforderungen stellten, also eine directe Widerlegung dieser Geheimlehre enthalten.

VI. Capitel.

Bestimmung der Richtungen der Reform des Prätor urbanus im Gebiete des Civilrechts.

Vorbemerkungen.

§. 31. Ich habe oben gesagt, dass sich Rom durch die lex Aebutia für das Gebiet des Privatrechts als italische Grossmacht constituirt hatte, damit wurde aber auch die Behauptung ausgesprochen, dass bereits dieses Gesetz die Aufnahme des jus gentium in das Römische Civilrecht angebahnt hatte. Von diesem Standpunkte aus bewirkte also die lex Aebutia zugleich eine ebenso entscheidende Wendung in der Geschichte des römischen Privatrechts, als früher die Decemviral- und später die Julische Gesetzgebung. Mir liegt also zunächst die Frage vor, ob Rom in der Zeit der lex Aebutia wirklich schon die Stellung unter den Staaten Italiens sich erobert hatte, dass es sich als künftige italische Grossmacht betrachten und einrichten musste, und in welchem Zeitraume es diese seine Grossmachtstellung definitiv verwirklichte. Weil nun bei der Beantwortung dieser Frage nicht bloss die rasch fortschreitende Vergrösserung des zusammenhängenden Gebietes der römischen Gemeinde und die Municipien und Colonien römischer Bürger in Italien, für welche Rom die juristische Heimath war, sondern auch die Völkerschaften Italiens anzugeben sein werden, mit welchen Rom seit der Decemviralgesetzgebung in den engsten Lebensverkehr getreten war, und deren Interessen also auch im Gebiete des Privatrechts zu be

rücksichtigen waren, so wird sich aus den berührten geschichtlichen Momenten zugleich von selbst ergeben, welche Bestimmungen des jus proprium civium Romanorum in Folge dieser Veränderungen unhaltbar geworden waren. Die besondere Hervorhebung dieser geschichtlichen Momente halte ich aber hier darum für nothwendig, weil die Aufnahme des jus gentium in das römische Civilrecht jetzt in eine viel spätere Zeit gesetzt wird mit Ausnahme Kuntze's, welcher allein die mit der Decemviralgesetzgebung beginnende Periode mit dem Jahre 504/250 abschliesst (Cursus, S. 56). Es ist ein glücklicher Umstand, dass ich bei der Beantwortung der oben angegebenen Frage die Forschungen des gründlichsten Kenners dieser Periode der römischen Geschichte, Theodor Mommsen's verwerthen kann.

Geschichtliche Momente zur Bestimmung der Richtungen der Reform des Civilrechts durch den Prätor urbanus.

§. 32. Zur italischen Grossmacht hatte sich Rom durch den Sturz der etruskischen Macht, durch die Niederwerfung der Latiner und Campaner und den Sieg über die Italiker den Weg gebahnt.

Der Sturz der etruskischen Macht hatte zur Folge, dass das ganze südliche Etrurien bis zu den ciminischen Hügeln in den Händen der Römer blieb, welche dann in den Gebieten von Veji, Capena und Falerii vier neue Bürgerbezirke einrichteten (367 a. u.), und die Nordgränze durch die Anlegung der Colonien Sutrium (371) und Nepete (381) sicherten. Rasch ging dieser fruchtbare und mit römischen Colonien bedeckte Landstrich der vollständigen Romanisirung entgegen. Schon im J. 411 trat Falerii aus dem etruskischen Bunde in den ewigen Bund mit Rom. Damit war nun ganz SüdEtrurien in der einen oder anderen Form der römischen Herrschaft unterworfen. Den Etruskern blieben nach dem Verluste ihrer Besitzungen in Campanien und der ganzen Landschaft vom Apennin und südlich vom Ciminischen Walde nur sehr beschränkte Gränzen übrig.

Ebenso glückliche Erfolge hatten die Unternehmungen der Römer gegen die Latiner und Campaner.

Schon im J. 308 behielten die Römer ein zwischen den Aricinern und Ardeaten streitiges Gränzgebiet für sich, sandten im J. 312 römische Colonisten nach Ardea, dann nach Suessa Pometia, Circeji (361), Satricum (369), Suetia (371) und wurden im J. 377 Herren im Pomptinischen Gebiet. Im Jabre 394 musste Tusculum in

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