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seiner geistigen Thätigkeit machen kann und ausserdem freien Spielraum für den Umfang seines Werkes hat. Daher hatte Aug. Hermann Niemeyer (Grundsätze der Erz. u. des Unterrichts, Vorrede) wohl Recht, wenn er behauptete, dass eine vollständige Geschichte der Erziehung und des Unterrichts nur durch vereinte Bemühungen mehrerer Geschichtsforscher, die zugleich mit der Pädagogik selbst vertraut wären, verfasst werden könne. Man sieht sich daher in Beziehung auf das Gebiet der Hülfsmittel wohl oft genug genöthigt, sich auf das Wichtigste zu beschränken, wenigstens nur dieses einer genaueren Aufmerksamkeit zu würdigen. Eben so wenig ist es möglich, dass in einem schon von Mehreren bearbeiteten Gebiete jede Nachricht, jeder Ausspruch, jeder Satz die Farbe völliger Neuheit trage. Man muss sich bald in diesem, bald in jenem Abschnitte begnügen, einige neue Seiten beleuchtet, einige neue Bausteine zur Construction des Ganzen beigebracht, Einiges berichtiget, Anderes gesichtet, bereichert, angemessener geordnet und verbunden zu haben. Und wenn man nach diesem Allen einen Ueberblick auf seine Leistung wirft, so möchte man wohl mit M. Terentius Varro bescheiden ausrufen: Libri non nisi scientiarum paupercula monimenta sunt. Principia continent inquirendorum, ut ab his negotiandi animus sumat principia (Sententiae Varronis, ed. Vinc. Devit. Paris. 1843. p. 3. N. 68.). Und doch darf ich versichern, dass es hier keineswegs an zahlreichen neuen Thatsachen und Mittheilungen aus den Alten fehle, von welchen ein beträchtlicher Theil seine Stelle nur in den Anmerkungen finden könnte. Wenn diese letzteren einen weit grösseren Umfang eingenommen haben, als es ursprünglich in meiner Absicht lag, so wurde dies dadurch herbeigeführt, dass die ersten Umrisse zu dieser Geschichte der Erziehung bereits vor zwei Decennien entworfen worden sind. Im letzten Viertel des Jahres 1831 hatte ich als ordentliches Mitglied des hiesigen unter der Leitung des Herrn Director Professor Dr. Niemeyer blühenden Königl. pädagogischen Seminariums eine schriftliche Arbeit zu liefern und wählte als Thema die Entwicklung der unterscheidenden Merkmale in der griechischen und römischen Erziehung. Während der zur Behandlung dieses Gegenstandes nöthigen Studien bemerkte ich bald, dass Alles, was bis dahin im Gebiete der Erziehungsgeschichte bei den Griechen und Römern geleistet worden war, dem vorgerückten Standpunkte der

Alterthumswissenschaft nicht mehr in jeder Hinsicht für entsprechend gehalten werden könne. Ich fasste demnach schon damals den Entschluss, meine Befähigung auf diesem Felde zu prüfen und begann die Arbeit. Im Jahr 1382 erschien der erste Theil der Geschichte der Erziehung und des Unterrichts von Fr. Cramer, welchen ich damals mit Aufmerksamkeit las und natürlich im Ganzen einen bedeutenden Fortschritt im Verhältniss zu allen früheren Leistungen (namentlich zu den Schriften von Mangelsdorf, Hochheimer, Goes, Schwarz u. a.) bemerkte, wenn auch hie und da im Einzelnen mir so Manches unhaltbar zu sein ́ schien. Ich legte demnach ad interim meinen Grundriss bei Seite und wandte mich der Gymnastik und Agonistik der Hellenen zu, welche unter den Deutschen noch niemals einen Bearbeiter gefunden hatte. Abgesehen davon, dass mich die für dieses Werk zu liefernden bildlichen Darstellungen auf das mir bis diesen Tag so lieb gewordene Gebiet der Kunstarchäologie führten, wurde späterhin auch meine Zeit und Kraft durch verschiedene officielle Functionen, durch akademische Vorlesungen, durch bibliothekarische Arbeiten, dann auch durch zahlreiche Beiträge für die Allg. Encyclopädie der Wissenschaften und Künste von Ersch und Gruber, so wie für die Real - Encyclopädie der klassischen Alterthumswissenschaft von Pauly, Walz und Teuffel, so zersplittert, dass ich grössere Pläne im Gebiete litterarischer Thätigkeit wohl im Geiste entwerfen, hegen und pflegen, aber nicht so leicht bis zur Druckfertigkeit durchzuführen vermochte, während die Collectaneen, welche ich seit 1831 zur Geschichte der Erziehung angelegt hatte, einen immer grösseren Umfang erhielten. Mehr als einmal hatte ich während dieser Zeit einen Anlauf genommen, dieses opusculum zum Druck fertig zu machem musste aber nothgedrungen immer wieder davon abstehen, bis ich endlich im verflossenen Jahr nicht ohne eine gewisse desperate Entschlossenheit allen Hindernissen energischen Widerstand entgegensetzte, aus den bezeichneten Collectaneen nur das Wichtigste heraushob und so die Druckfähigkeit qualitercunque herbeiführte. Das ist die Entstehungsgeschichte dieses Buches. Was ich nun geleistet oder nicht geleistet, mögen Männer des Faches sine odio et ira beurtheilen. Nur möge man mir nicht vorwerfen, dass ich diese oder jene Schrift, diesen oder jenen hieher gehörigen Abschnitt in grösseren Werken nicht benutzt habe. Abgesehen von dem was ich bereits oben hierüber be

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merkt habe, war es auch meine Absicht, jedem das Seinige za
lassen und nichts aufzunehmen, was mir nicht unmittelbar aus
den Quellen zugeflossen war, oder was ich nicht durch neue
Beweisstellen gründlicher zu bestätigen oder zu motiviren ver-
mochte.

Man könnte nun wohl auch noch fragen, warum ich nicht
lieber eine Geschichte der Erziehung im Alterthume überhaupt,
als blos der klassischen Völker, geliefert habe. Allein die Er-
ziehungsgeschichte der übrigen Völker des Alterthums schien
mir nicht gleiches Interesse mit der der Griechen und Römer zu
haben, und wäre auch ein solches vorhanden, so fehlen uns
doch in den meisten Fällen hinreichende und sichere Quellen,
um ein vollständiges und klares Bild entwerfen zu können.
Noch geringfügiger dürfte wohl dasjenige sein, was eine Er-
ziehungsgeschichte jener Völker, wie der des Orients, etwa für
die Gegenwart Brauchbares darbieten könnte, wie viele vorzüg-
liche Institute sie auch für ihre eigene Nationalität haben moch-
ten. War doch selbst die Erziehungsweise des einen Volkes
von der des anderen in den meisten Fällen so verschieden, wie
die der Morgenländer von der der Abendländer überhaupt. Je-
des Volk hatte natürlich seine der Beschaffenheit des Landes,
dem Charakter, der religiösen und politischen Gestalt des Staa-
tes entsprechenden Formen der Erziehung.

Der theoretische oder philosophische Theil der Geschichte
der Erziehung der Griechen und Römer, wie belehrend und an-
ziehend er auch in vieler Hinsicht für uns sein möge, wird doch
niemals gleiche Bedeutung für uns erhalten als der praktische.
Jener war bei den Alten gleichsam die Philosophie der Erziehung
'oder die philosophische Erziehungslehre, von welcher weniger das
gesammte Volk, als der gebildetere Theil desselben in so weit
Notiz nahm, dass er deren Inhalt, ihren Unterschied von der
bestehenden Erziehungsweise, ihre ausführbaren und nicht aus-
führbaren Grundsätze und Lehren kennen lernte und sich ein Ur-
theil darüber verschaffte. Allein in den Staatsorganismus ver-
mochte eine philosophische Erziehungslehre dieser Art niemals
einzudringen oder auch nur darauf einzuwirken. Die legislative
Gestaltung der einzelnen Staaten war längst vollendet und die
bestehende Ordnung der Dinge wurde durch Theorieen nicht
so leicht aus der Angel gehoben, vielmehr war das vóμuov
mächtiger als die genialsten theoretischen Grund- und Lehrsätze.

Wenn nun schon dies ein hinreichender Grund für mich sein konnte, auf den theoretischen Theil hier zu verzichten, so treten noch zwei andere hinzu, erstens dass bei weitem der grösste Theil dieser theoretischen Lehren doch am Ende nichts anderes enthalten kann, als eine Uebersetzung der hieher gehörigen Schriften des Platon (πολιτειῶν ἢ περὶ δικαίου βίβλ. δέκα und d. vóμot) und des Aristoteles (noλitixà), und zweitens dass in dieser Beziehung die Leistungen von Alexander Kapp (Platons Erziehungslehre, Mind. 1833., und Aristoteles Staatspädagogik, Hamm 1837.) und von Fr. Cramer (Th. II. die Geschichte der Erziehung und des Unterrichts in welthist. Entwickelung, Elberf. 1835.) vollkommen ausreichen. Endlich war es auch keineswegs meine Absicht hier ein voluminöses Werk zu liefern, vielmehr denen, welchen vorzüglich an der Erziehungsgeschichte der klassischen Völker des Alterthums liegt, in mässigem Umfange ein fassliches Bild zu entwerfen, abgesehen davon, dass auf ein Werk von grösserem Umfange der Herr Verleger nicht eingegangen sein würde. Aus dem letztgenannten Grunde habe ich mich auch auf vier Excurse beschränkt und mehrere andere, wie über die ἐγκύκλια παιδεύματα, über die grammatischen und rhetorischen Studien der Römer u. s. w. weggelassen, um nicht die contraktlich festgesetzte Bogenzahl zu überschreiten. So hätte ich auch gern einige Abbildungen aus dem Gebiete der Kunstarchäologie beigegeben, z. B. mehrere Schulen und pädagogische Scenen aus den herculanischen Wandgemälden, worunter eine interessante Züchtigungs - Scene (Le Pittur. d'Ercolano Tom. III. tav. 41. F. 1-4., welche auch in ähnlicher Weise auf einer Gemme gefunden wird; Tölken, Verzeichniss S. 353. N. 95.), eine Scene im mathematisch musikalischen Unterricht (bei Tischbein Anciens vas. Hamilt. coll. vol. IV, 69.), eine Schule mathematischer Philosophen in Winckelmanns Mon. inedit. 319. A. 4. Achilleus vom Cheiron im Saitenspiel unterrichtet, in den Pitture antich. d'Ercolano T. I. tav. VIII. p. 43.; dann mehrmals wiederholt, auch von Ternite, Wandgem. v. Hercul. u. Pompeji I, 1. Taf. 6. Ein Mädchen mit der Schreibtafel in der einen und dem Griffel in der anderen Hand, mit dessen Spitze sie nachsinnend ihre Lippen berührt (Ternite Wandgemälde II, 1. Tafel 1. 2.), eben so mehrere Darstellungen von der Erziehung des jungen Dionysos (Ternite Liefr. II. Taf. 3. u. anderwärts), Gymnastik treibende und in

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mannichfachen Spielen begriffene Knaben in den verschiedensteu Situationen auf Gemmen, Vasen und in Wandgemälden (s. Gyinnastik und Agonistik Th. II. Taf. XVII. Fig. 62. Taf. XVIII e. Fig. x. aus d. Berl. Gemmensammlung. Vgl. Tölken, Verz. d. preuss. Gemmensammlung S. 352.353. Pitture d'Ercolano, a. m. O. Genien, Flügelknaben, mit verschiedenen Spielen und technischen Arbeiten beschäftigt, in d. Antiquités d'Herculanum ou les plus belles peintures antiques etc. trouv. dans les encavations d'Herculanum, Stobea et Pompeiio, grav. p. F. A. David, Tom. I. Tav. 89 sqq.). Ferner eine grosse Anzahl der verschiedenartigen Saiteninstrumente, von welchen ich mir seit einer Reihe von Jahren Durchzeichnungen aus verschiedenen grossen kunstarchäologischen Werken (deren namentliche Aufführung hier ein langes Register darbieten würde) gesammelt habe. Da jedoch durch solche Abbildungen der Preis des Buches bedeutend erhöhet worden wäre, was der Herr Verleger natürlich nicht wünschen konnte, so hielt auch ich es für rathsam dieselben wegzulassen und blos auf die betreffenden Werke hier zu verweisen.

Was die Litteratur betrifft, welche sich auf die Geschichte der Erziehung beziehet, bemerke ich nur noch, dass ich es für eine unnütze Mühe gehalten habe, hier einen bibliographischen Apparat auszubreiten. Nichts ist leichter als dies und nichts fruchtet weniger als dies. Das Gute und Brauchbare kennt jeder Gelehrte; das Geringfügige, Veraltete, Unbrauchbare gehört in die bibliographischen Speicher und verdient hier keine Erwähnung. Auch kann man solche Notizen anderwärts finden, z. B. in Aug. Herm. Niemeyers Grundsätzen der Erziehung und des Unterrichts Th. III., in dem Ueberblick der allg. Gesch. d. Erziehung und des Unterrichtes (von H. A. Niemeyer) von S. 289. ab. Seltnere Monographieen älterer und neuerer Zeit findet man namentlich in G. Bernhardy's Grundriss d. griech. Litt. Th. I. S. 63 ff. und Grundriss der röm. Litt. 2. Bearb. S. 35 ff. erwähnt.

Ich schliesse dieses Vorwort mit dem Ausspruch des M. Terentius Varro: citra perfectionem omne principium est, ultra veritatem est, qui in paucis offendiculum quaerit (M. Terentii Varronis sententiae maiori ex parte ineditae, ed. Vinc. Devit, p. 39. n. 144.).

Halle, d. 25. Juni 1851.

J. H. Krause.

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