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Die Aufgabe, welche die nunmehr in den Vordergrund eintretende kaiserliche Gesetzgebung zu lösen hatte, war eine zweifache einmal die Vollendung der römischen Rechtsentwickelung, sodann die Einsammlung ihrer Resultate.

Die Vollendung der römischen Rechtsentwickelung bedeutete die endgültige Abschleifung des jus civile durch das jus gentium, und andererseits die Aufhebung des Gegensatzes von jus civile und jus honorarium. Beide Aufgaben sind durch eine Reihe von Einzelerlassen, nicht durch eine plötzlich vorgehende Codification gelöst worden. Auch die kaiserliche Gewalt zeigt dieselbe conservative, schonende, vorsichtig eingreifende Tendenz, welche der römischen Rechtsgeschichte überhaupt eigen ist. Von Diocletian und Constantin bis auf Justinian, also während eines Zeitraums von mehr als zwei Jahrhunderten, haben die Kaiser nach einander an dem altüberlieferten Recht (jus vetus) geglättet, gefeilt, bis die völlige Einheit und Harmonie da war. Die Mehrzahl der in das Privatrecht tiefer eingreifenden endgültigen Reformen ist erst durch Justinian vollzogen worden, welcher (durch die Beihülfe seiner Räthe) als der letzte Kaiser arbeitete, der des römischen Rechtes mächtig war. Ein Theil seiner Reformen ward sogar erst nach Vollendung des Corpus Juris durch seine Novellengesetzgebung ins Werk gesetzt (so auf dem Gebiet des Erbrechts). Bis zum Corpus Juris galten noch immer die zwölf Tafeln als das formelle Fundament des gesammten römischen Rechts. Im Corpus Juris Justinians erst ward die Summe der Entwickelung gezogen, welche einst mit den zwölf Tafeln begonnen hatte, und an die Stelle des Zwölftafelgesetzes mit Allem, was ihm nachgefolgt war, trat das grosse kaiserliche Gesetzbuch Justinians.

Durch Caracalla war das römische Bürgerrecht allen Reichsbürgern verliehen worden. Es gab nur noch eine Nationalität im römischen Reich, die römische, und diese Nation war mit der Menschheit, auf welcher die Cultur des Alterthums beruhte, gleichbedeutend. Seit dem vierten Jahrhundert verlegte sich ferner der

Geltung haben solle, L. 12 C. de leg. (1, 14). Das Princip blieb aber immer das gleiche, dass nämlich Decrete und Rescripte grundsätzlich keine allgemeine Geltung mehr haben sollten.

Schwerpunkt des Reichs immer entschiedener nach dem griechischen Osten. Der Hellenismus mit seinem kosmopolitischen Wesen ward auch formell zum Sieger über das alte Römerthum. Der Kaiser von Constantinopel war nicht mehr von den Ueberlieferungen Roms und Italiens, sondern von den Anschauungen und Bedürfnissen des hellenischen Provinzialismus umgeben und beeinflusst. Die Provinzen hatten das alte Hauptland verdrängt, der Hellenismus den Romanismus. So verdrängte das jus gentium endgültig das jus civile. War durch den hellenischen Verkehr einst dem römischen Stadtrecht das jus gentium eingepflanzt worden, jetzt, da die Rechtsentwickelung zu dem Mutterboden des jus gentium zurückkehrte, musste es seine volle Kraft entfalten. Das jus aequum empfing seine vollausgeprägte, endgültige, das ganze Gebiet des Privatrechts einheitlich beherrschende Gestalt. Das römische Recht war fertig: aus dem Stadtrecht war ein Weltrecht hervorgegangen.

Es galt nur noch die Einsammlung der gereiften Früchte, um sie für die Zukunft aufzubewahren. Auch diese Aufgabe war von dem Kaiserthum zu lösen, und ward von ihm gelöst.

§ 17.

Die Codification.

I. Die Vorstadien der Codification. Die spätere Kaiserzeit (seit dem vierten Jahrhundert) hatte einen zweifachen Kreis von Rechtsquellen vor sich einmal das altüberlieferte Recht (jus vetus, auch jus schlechtweg genannt), welches in der klassischen Zeit römischer Jurisprudenz (erste Hälfte des dritten Jahrhunderts) zum Abschluss gebracht war; andererseits das durch die Kaisergesetzgebung geschaffene jüngere Recht (leges, jus novum genannt). Beiderlei Recht (jus und leges) beherrschte in wechselseitiger Ergänzung den Rechtszustand, und stellte in seiner Zusammenfassung das Resultat der gesammten römischen Rechtsentwickelung von der ältesten Zeit bis auf die Gegenwart der spätkaiserlichen Epoche dar.

Das Jus ruhte formell auf den zwölf Tafeln, den Volksgesetzen, den Senatsbeschlüssen, dem prätorischen Edict und den Erlassen der älteren Kaiser. In Wirklichkeit aber wurden alle

diese Rechtsquellen von den Gerichten wie von den Parteien nicht mehr unmittelbar, sondern nur noch durch das Mittel der klassischen juristischen Literatur benutzt, welche die Resultate derselben dargelegt und entfaltet hatte. Man citirte nicht mehr den Prätor, noch ein Volksgesetz, sondern den Papinian, Ulpian, Paulus u. s. f. Dabei ward kein Unterschied mehr gemacht, ob die betreffende Ansicht des Paulus oder Papinian gerade in einem Responsum geäussert war oder nicht. Die Autorität, welche die Responsenliteratur seit dem Beginn des zweiten Jahrhunderts gewonnen hatte (§ 15), ging thatsächlich auf die juristische Literatur überhaupt über. Es kam hinzu, dass die Verleihung des jus respondendi an einzelne Juristen im Lauf des dritten Jahrhunderts aufgehört hatte; seit Diocletian war der Kaiser (durch seine Rescripte) der einzige autoritäre Respondent (§ 16). So hatte die spätere Zeit keinen Sinn mehr dafür, zwischen Juristen mit jus respondendi und Juristen ohne jus respondendi zu unterscheiden. Mit dem gleichen Anspruch auf Ansehen wie die Schriften patentirter Juristen wurden auch die Schriften solcher Juristen. citirt, welche das jus respondendi nicht gehabt hatten, wenn ihnen nur das gleiche literarische Ansehen zur Seite stand, welches die Schriften der berühmten, privilegirten Juristen auszeichnete. So ward für die Gerichte des vierten Jahrhunderts Gajus, welcher als Rechtslehrer unter Hadrian und Marc Aurel geblüht hatte, und dessen Schriften durch griechische Flüssigkeit und Klarheit alle folgenden Jahrhunderte entzückten, der aber nie das jus respondendi besessen hatte, eine gleiche Autorität wie etwa Paulus und Papinian. Wenn man bei den patentirten Juristen ihre übrigen Schriften, bei deren Abfassung sie ja doch von ihrem jus respondendi keinen Gebrauch gemacht hatten, den Responsenschriften gleichstellte, so hatte es keinen Sinn, überhaupt noch an dem jus respondendi als Bedingung der gerichtlichen Autorität festzuhalten. Aus der Nichtunterscheidung der Schriften musste die Nichtunterscheidung auch der Schriftsteller folgen. Es vollendete sich damit lediglich die Thatsache, dass die Autorität der responsa auf die Literatur sich übertrug.

Ein lebhaftes Bedürfniss ward durch diese Entwickelung befriedigt. Die alten Rechtsquellen, vor Allem die Volksgesetze und das prätorische Edict, entzogen sich bereits, theils durch ihre

Sprache, theils durch ihre eng verclausulirte, inhaltsschwere Fassung dem gemeinen Verständniss der Zeit. Weil man die alten Rechtsquellen selber nicht mehr zu handhaben vermochte, musste an die Stelle ihres Gebrauchs ein erweiterter Gebrauch der aus ihnen erwachsenen juristischen Literatur eintreten. Das jus, das Recht der älteren Entwickelungsstufen, war nur noch in der Form der Juristenschriften praktikabel: das jus (vetus) identificirte sich mit dem Juristenrecht.

Die kaiserliche Gewalt hatte hier nur die Aufgabe, theils corrigirend, theils ergänzend und bestätigend einzugreifen. Dies geschah durch mehrere Citirgesetze, von denen das Citirgesetz Valentinians III. v. J. 426 das wichtigste ist. Valentinian III. bestätigte, was sich durch Herkommen gebildet hatte. Er gab den Juristenschriften, und zwar den Schriften des Papinian, Paulus, Ulpian, Gajus und Modestin, sowie den Schriften aller derjenigen, welche von diesen Schriftstellern citirt waren (damit ward der Umkreis der klassischen Literatur officiell begränzt), gesetzesähnliche Kraft, so dass der Richter an ihre Meinungen gebunden sein sollte 1). Fanden sich über dieselbe Frage

1) Die Voraussetzung des Citirgesetzes ist, dass die Schriften der genannten fünf grossen Juristen (Papinian u. s. w.) gemein verbreitet und gemein bekannt sind. Das Gleiche ist bei den Schriften der anderen, meist älteren, Juristen (Scaevola, Sabinus u. s. w.) nicht der Fall. Darum ist Voraussetzung für den Gebrauch dieser anderen Juristenschriften, dass sie, wie das Gesetz sagt, codicum collatione firmentur. Der Sinn dieser letzteren Worte ist zweifelhaft. Das Wort codices kann für jene Zeit nicht mit „Handschriften“, sondern nur mit „Sammlungen“ übersetzt werden. Die Schriften dieser anderen Juristen müssen also durch die Zusammenstellung (collatio) der „Sammlungen“ bestätigt sein, d. h. es können nur diejenigen Stellen benutzt werden, welche in die „Sammlungen" aufgenommen sind. Die einzig mögliche Deutung scheint, dass man beabsichtigte, Sammlungen (codices) der Stellen aus anderen Juristenschriften zu machen, welche neben den Schriften von Papinian u. s. w. noch gebraucht werden sollten, also vergleichbar dem Plan, welcher in c. 5 C. Th. de const. princ. (1, 1) angedeutet und in Justinians Digestenwerk ausgeführt ist (nur dass hier die Geltung sämmtlicher Juristenschriften auf die aufgenommenen Excerpte beschränkt ward). Die Meinung wäre dann: vollständige Geltung der Schriften von Papinian, Ulpian, Paulus, Gajus und Modestin, excerptenweise Geltung der Schriften der übrigen, von Papinian u. s. w. citirten Juristen. Da diese Excerptensammlungen aus den Schriften der übrigen Juristen nicht hergestellt wurden, so ergab sich praktisch das von der westgothischen Interpretation des valentinianischen Citirgesetzes ausgesprochene

Meinungsverschiedenheiten, so sollte Stimmenmehrheit entscheiden, bei Stimmengleichheit die Stimme Papinians, eventuell, falls Papinian die Frage nicht beantwortet hatte, das Ermessen des Richters. Von einem Citiren der alten Rechtsquellen selber ist keine Rede mehr; die juristische Literatur hat die Rechtskraft derselben überkommen. Das Citirgesetz Valentinians III. vollendete im Sinne seiner Zeit, was mit den responsa der alten pontifices und dem jus respondendi des Augustus seinen Anfang genommen hatte. Nie hat eine literarische Bewegung einen vollkommeneren Erfolg erzielt.

L. 3 C. Th. de resp. prud. (1, 4) (THEODOS. et VALENTINIAN.): Papiniani, Paulli, Gaji, Ulpiani atque Modestini scripta universa firmamus ita, ut Gajum quae Paullum, Ulpianum et cunctos comitetur auctoritas, lectionesque ex omni ejus opere recitentur. Eorum quoque scientiam, quorum tractatus atque sententias praedicti omnes suis operibus miscuerunt, ratam esse censemus, ut Scaevolae, Sabini, Juliani atque Marcelli, omniumque, quos illi celebrarunt, si tamen eorum libri propter antiquitatis incertum codicum collatione firmentur. Ubi autem diversae sententiae proferuntur, potior numerus vincat auctorum, vel si numerus aequalis sit, ejus partis praecedat auctoritas, in qua excellentis ingenii vir Papinianus emineat, qui ut singulos vincit, ita cedit duobus. Notas etiam Paulli atque Ulpiani in Papiniani corpus factas (sicut dudum statutum est) praecipimus infirmari 2). Ubi autem pares eorum sen

Resultat, dass von den Schriften der übrigen Juristen nur die Stellen galten, welche bei den genannten fünf Juristen (Papinian u. s. w.) Aufnahme gefunden hatten. - Ueber die verschiedenen Erklärungen des Citirgesetzes vgl. Puchta, Cursus der Institutionen § 134. Danz, Lehrb. der Gesch. des röm. Rechts, 2. Aufl., § 78. Padeletti, Lehrb. der röm. Rechtsgeschichte (deutsch von v. Holtzendorff) S. 394. Dernburg, Die Institutionen des Gajus S. 110 ff.

2) Den Gebrauch der von Ulpian und Paulus zu Papinians Werken geschriebenen kritischen Noten hatte der Kaiser Constantin im Jahre 321 verboten, um perpetuas prudentium contentiones abzuschneiden; der Gebrauch der übrigen Schriften des Paulus, insbesondere seiner Sententiae (deren auch am Schluss des obigen Valentinianischen Citirgesetzes ausdrücklich gedacht wird) war aber von ihm bestätigt worden, L. 1. 2 C. Th. de resp. prud. (1, 4). Man sieht, dass im Beginn des vierten Jahrhunderts bereits alle Schriften (nicht blos die responsa) der berühmten Juristen in den Gerichten gebraucht wurden, und dass die Partei die von ihr angezogene Juristenschrift ins Gericht mitzubringen und dem Richter vorzulegen pflegte (1. 2 cit.: in judiciis prolatos).

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