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Reichs zu sein, sondern, sobald es aus der Vergessenheit der Jahrhunderte wieder auftauchte, auch die Welt der Gegenwart zu erobern.

Drei Factoren sind es gewesen, welche nach und neben einander an dieser selben einen Aufgabe, der Ausarbeitung und Einführung des jus gentium, entscheidend thätig gewesen sind: das prätorische Edict, die römische Rechtswissenschaft und die kaiserliche Gesetzgebung.

Cicero de offic. III, 17: societas enim est, latissime quae pateat, hominum inter homines, interior eorum, qui ejusdem gentis sunt, propior eorum, qui ejusdem civitatis. Itaque majores aliud jus gentium, aliud jus civile esse voluerunt. quod civile, non idem continuo gentium, quod autem gentium, idem civile esse debet 1).

Cic. de off. III, 5: illud natura non patitur, ut aliorum spoliis nostras facultates, copias, opes augeamus. Neque vero hoc solum natura, id est jure gentium, sed etiam legibus populorum, quibus in singulis civitatibus res publica continetur, eodem modo constitutum est, ut non liceat sui commodi causa nocere alteri.

Gaj. Inst. I § 1: Omnes populi, qui legibus et moribus reguntur, partim suo proprio, partim communi omnium hominum jure utuntur : nam quod quisque populus ipse sibi jus constituit, id ipsius proprium est vocaturque jus civile, quasi jus proprium civitatis; quod vero naturalis ratio inter omnes homines constituit, id apud omnes populos peraeque custoditur, vocaturque jus gentium, quasi quo jure omnes gentes utuntur. populus itaque Romanus partim suo proprio, partim communi omnium hominum jure utitur.

1) Der letzte Satz drückt keine Anforderung an das jus civile (etwa dass es sich dem jus gentium accommodiren müsse), sondern vielmehr die Thatsache aus, dass jus gentium nur das sein kann, was wirklich überall in den einzelnen positiven Stadtrechten (vor Allem im römischen Stadtrecht, jus civile in diesem Sinne) gilt. Das jus civile ist nicht nothwendig jus gentium (gilt nicht nothwendig überall), aber das jus gentium ist nothwendig jus civile: das überall geltende Recht muss nothwendig auch bei uns gelten, weil es sonst kein überall geltendes Recht (jus gentium) wäre. Jus civile ist hier im Sinne von Stadtrecht, also für römisches Recht schlechtweg genommen, nicht in dem engeren Sinn des eigenthümlich römischen Rechts. Was bei den Römern nicht gilt, das kann selbstverständlich nicht als apud omnes gentes geltend angesehen werden. Das jus gentium bewegt sich in den Schranken des jus civile (im weiteren Sinn), ist nicht der Gegensatz, sondern ein Theil des römischen Rechts.

Sohm, Institutionen.

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§ 14.

Das prätorische Edict.

Im Jahre 367 v. Chr. ward die Gerichtsbarkeit von der consularischen Gewalt abgezweigt, und ein besonderer Stadtrichter (praetor urbanus) eingesetzt. Später (um das Jahr 242 v. Chr.) ward es in Folge des anwachsenden Verkehrs nöthig, noch einen zweiten Prätor, den praetor peregrinus, einzusetzen, dem alle Processe zwischen römischen Bürgern und Nichtbürgern (Peregrinen) oder der Nichtbürger untereinander zugewiesen wurden. Der praetor urbanus blieb nur für die Processe der römischen Bürger untereinander competent.

Der Prätor besass, ebenso wie vor ihm der Consul, für die Dauer seines Amtsjahres die alte königliche Gerichtsgewalt 1), d. h. eine Gerichtsgewalt mit souveränem richterlichen Ermessen, formell nur gebunden durch den Buchstaben der leges, der Volksgesetze und durch die kraft uralten Herkommens mit Gesetzeskraft ausgestattete Gewohnheit (oben S. 22). Damit hängt das jus edicendi zusammen, welches dem Prätor gleich allen höheren Magistraten (magistratus majores), d. h. gleich allen Magistraten mit imperium (mit königlicher Amtsgewalt), zuständig war.

Edicte sind öffentlich bekannt gemachte Verfügungen der magistratus majores. Prätorische Edicte sind öffentlich bekannt gemachte Verfügungen des Prätors. Sie beziehen sich auf die Grundsätze, welche der Prätor bei Handhabung seiner Jurisdiction, also bei Handhabung seines freien richterlichen Ermessens zu befolgen beabsichtigt. Der Prätor wird schwerlich von vorneherein mit Verkündigung solcher Edicte begonnen haben. Denn es verstand sich von selbst, dass er zunächst einfach die Ausführung des bestehenden Rechts als seine Aufgabe betrachtete,,und dass erst allmälig sich feste und zugleich besondere Grundsätze prätorischer Rechtsprechung herausarbeiteten, welche dann einer Reaction der prätorischen Gewalt gegen die Grundsätze des Civilrechts den Weg bahnten, dass also erst allmälig ein Anlass zu öffentlich be

1) Der Name praetor bedeutet wörtlich den Feldherrn, und ist in den ersten Jahrhunderten der Republik der Ehrentitel der Consuln, Mommsen, Röm. Staatsrecht II (2. Aufl. 1877) S. 71 ff.

war.

kannt zu machenden Verfügungen des Prätors über die Gewährung der Rechtshülfe gegeben war. Nur dass schon früh, wie es scheint, beim Tribunal des Prätors ein Verzeichniss der Formeln des Processes (Klageformeln u. s. w.) aufgestellt ward zur Instruction für die Parteien. Neben dieser Formeltafel kam dann eine zweite Tafel auf, welche die Verordnungen des Prätors auf dem Gebiet des Rechtslebens (die Edicte) aufnahm, eine Art neuer Gesetzestafel neben den unferne auf dem forum Romanum zu erblickenden zwölf Kupfertafeln, in welche das altrömische Civilrecht eingegraben Die prätorischen Tafeln, nur für die Dauer eines Jahres bestimmt, waren einfach von Holz, mit weisser Farbe angestrichen (daher das Ganze album genannt). Aber diese Holztafeln sollten jene ehernen Tafeln aus dem Felde schlagen. Sie waren die Träger des Rechts, durch welches das alte Recht der zwölf Tafeln reformirt, dann zu Grabe getragen wurde. Das Ganze hiess wegen seiner äusseren Form das Album, oder auch das Edict des Prätors, indem man also auch die vom Prätor aufgestellten Formeln (deren Publication kein Edict im Rechtssinne war) mit den eigentlichen Edicten unter dem Gesammtnamen ,,das Edict" mit begriff. Von seinem wichtigsten Bestandtheil (den Edicten) empfing das Ganze seinen Namen, welches nun in zwei Theile zerfiel, einen Formeltheil und einen andern Theil, welcher die eigentlichen Edicte enthielt 2). Erst später (vielleicht erst unter Hadrian bei der definitiven Gestaltung des Edicts) wurden beide Theile sachlich ineinander gearbeitet 3).

Von Alters her wird jeder neue Prätor beim Amtsantritt für Revision und Neuaufstellung der Formeltafel (deren Material schon bedingte, dass sie höchstens für die Dauer eines Amtsjahres ausreichte) zu sorgen gehabt haben. Was für die Formeltafel Herkommen war, das war für die Edictstafel von vornherein Nothwendigkeit. Die Edicte verloren ihre Gültigkeit mit der Amtsdauer des edicirenden Magistrats. Der neue Prätor hatte also beim

2) Dass die Formeln und ebenso die Edicte nicht nothwendig auf je einer Tafel untergebracht zu werden brauchten, dass die Gesammtzahl der Tafeln also mehr als zwei betragen haben kann, versteht sich von selbst.

3) Vgl. M. Wlassak, Edict und Klageform, 1882, S. 22 ff. Ueber das System des Hadrianischen Edicts vgl. jetzt O. Lenel, das Edictum perpetuum, 1883, S. 12 ff.

Amtsantritt das Edict (als Ganzes) neu aufzustellen, ut scirent cives, quod jus de quaque re quisque dicturus esset (1. 2 § 10 D. de O. J. 1, 2).

Dies Edict des Prätors beim Amtsantritt heisst edictum perpetuum. Es soll für die ganze Dauer seines Amtsjahres gelten. Den Gegensatz bildet das edictum repentinum, die ausserordentliche Verfügung im Laufe des Amtsjahres für die unvorhergesehenen Verhältnisse (prout res incidit). Das Edict (wir werden im Folgenden das edictum perpetuum unter dem ,,Edict" schlechtweg verstehen) ist kein Gesetz, überhaupt ursprünglich keine Rechtsquelle. Sogar der edicirende Magistrat selber konnte von seinem Edict willkürlich abgehen1), bis eine Lex Cornelia (67 v. Chr.) ihn verpflichtete, sich an sein edictum perpetuum zu halten. Aber auch dann erlosch die Geltung des Edicts mit dem Amtsjahr des Edicirenden. Der Nachfolger war an das Edict des Vorgängers nicht gebunden. Er konnte es wiederholen oder auch ändern wie er wollte. In der Natur der Dinge aber lag es, dass ein grosser Theil des Edicts bald traditionell stehend wiederholt wurde (edictum tralaticium), und dass der Nachfolger sich auf Zusätze (nova edicta, novae clausulae) beschränkte 5). So entwickelte sich eine constante prätorische Gerichtspraxis, welche neben dem geltenden

4) Doch konnte der College in solchem Fall intercediren. Cic. in Verrem act. II. lib. I, 46 § 119: Tum vero in magistratu contra illud edictum suum sine ulla religione decernebat. Itaque L. Piso multos codices implevit earum rerum, in quibus ita intercessit, quod iste aliter, atque ut edixerat, decrevisset. Vgl. ferner § 120: alias revocabat eos, inter quos jam decreverat, decretumque mutabat, alias inter alios contrarium sine ulla religione decernebat, ac proximis paullo ante decreverat. Wenn ein solches Vergehen auch als ungehörig (sine ulla religione) empfunden wurde, so äusserte sich doch darin die formell freie (soweit nicht bestimmte leges vorlagen), königliche Gerichtsgewalt des Magistrats.

5) Schon zu Cicero's Zeit war der grösste Theil des prätorischen Edicts tralaticischer Natur, so dass Cicero das prätorische Recht (welches ja auf keiner lex beruhte) als eine Art des Gewohnheitsrechts bezeichnet, Cic. de invent. II, 22 § 67: consuetudinis autem jus esse putatur id, quod voluntate omnium sine lege vetustas comprobavit; in ea autem jura sunt quaedam ipsa jam certa propter vetustatem ; quo in genere et alia sunt multa, et eorum multo maxima pars, quae praetores edicere consuerunt. Vgl. ferner Cic. Verr. II. lib. I, 44 § 114: et hoc vetus edictum translatitiumque esse. 45 § 115: in re vetere edictum novum. Mommsen, Röm. Staatsr. I (2. Aufl.) S.198 Note 3.

Gesetzes- und Gewohnheitsrecht zu einem thatsächlich erheblichen Factor des Rechtslebens wurde.

Der praetor peregrinus hatte unter Bürgern und Nichtbürgern und über Nichtbürger untereinander zu richten, d. h. er richtete nach jus gentium. Das Edict des praetor peregrinus ward daher die erste Form, in welcher das jus gentium schriftliche, greifbare, feste Gestalt gewann. Es ward zugleich damit in den Stand gesetzt, eine energischere Wirkung auf das Rechtsleben überhaupt auszuüben. Der praetor urbanus dagegen richtete nur über Streitsachen römischer Bürger untereinander. Sein Edict betraf das gesammte römische Recht, also mit dem jus gentium, das ja auch für römische Bürger galt, auch das jus civile im engeren Sinne. Hier ward die Form ersichtlich, in welcher das jus civile im Gericht des Prätors wirklich praktisch lebendige Gestalt gewann.

Gesetze konnte der Prätor nicht geben, aber Klagen konnte er geben und verweigern. Die Klage alten Styls (legis actio) war in unbewegliche, von der Praxis in Anschluss an die Gesetzesworte ausgebildete Formeln eingezwängt. Hier war nur Gestattung der Klage (legis actio) oder Versagung derselben von Seiten des Magistrats möglich. Darum war es von grosser Bedeutung, dass die Lex Aebutia (etwa um die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr.) den Formularprocess einführte, d. h. ein Verfahren, in welchem die Klagstellung zu einer schriftlichen Anweisung (formula) seitens des Magistrats an den judex führte, um den Letzteren über den Gegenstand des Streits und zugleich über die Grundsätze, nach denen er zu entscheiden habe zu instruiren (unten § 36). Der erkennende judex (d. h. der Privatmann, welchem der Prätor die Untersuchung und Entscheidung des Rechtsstreites herkömmlicher Weise übertrug) war jetzt weit mehr als früher von den Verfügungen des Magistrats abhängig: ihm konnte aufgegeben werden, eine Klage, welche nach Civilrecht zuständig war, unter gewissen Umständen dennoch abzuweisen, oder auch eine Klage zuzulassen, welche dem Civilrecht überhaupt unbekannt war. Auch der Partei gegenüber stand der Prätor jetzt weit freier als zuvor: er konnte die Klage nicht blos abweisen, sondern auch gestatten, aber unter Clauseln gestatten, welche für bestimmte Fälle der Abweisung gleichkamen. Der ganze Process war unter die Alleinherrschaft des Prätors gebracht worden.

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