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Erfolg und das Volksthümliche der decemviralen Gesetzgebung: das Recht war, jedenfalls so weit es hier codificirt war, der Willkür des rechtsprechenden Magistrats entrückt.

L. 2 § 1 D. de orig. juris (1, 2) (POMPONIUS): Et quidem initio civitatis nostrae populus sine lege certa, sine jure certo primum agere instituit omniaque manu a rege gubernabantur.

juris.

Tacitus, Annal. III, 27: compositae duodecim tabulae, finis aequi

Nach Vollendung der zwölf Tafeln war die Kraft der nächsten drei Jahrhunderte auf die volle Entfaltung ihres Inhalts gerichtet. Auf dem Gebiete des Privatrechts griff die Volksgesetzgebung der Republik nur ausnahmsweise ein. In der Hauptsache ward die Klarstellung und zugleich die Fortbildung des Zwölftafelrechts dem Rechtsleben selbst überlassen. Auf die Epoche der Gesetzgebung folgte die Epoche der interpretatio.

Es galt, das neue Recht, welches der Verkehr forderte, als schon in den zwölf Tafeln enthalten und durch die Gesetzeskraft desselben gedeckt darzustellen. Eine formale Beseitigung des Zwölftafelrechts (als lex) durch abweichendes Gewohnheitsrecht wäre dem Römer damals undenkbar erschienen. Bis zum Ausgang der römischen Rechtsentwickelung, bis zum Corpus Juris civilis von Justinian, also ein ganzes Jahrtausend lang, als zuletzt schon längst von dem ganzen Zwölftafelrecht kein Stein mehr auf dem andern stand, galt in der Theorie noch immer die Rechtskraft der zwölf Tafeln als der Quelle des gesammten römischen Rechts. So entsprach es dem conservativen, in allen rechtlichen Dingen höchst vorsichtigen Sinne der Römer. Kein Buchstabe der zwölf Tafeln sollte geändert werden, und doch galt es, in den alten Buchstaben den neuen Geist hineinzulegen. Es handelte sich nach Vollendung der Zwölftafelgesetzgebung um eine „interpretatio“, welche das Recht fortentwickelte, ja änderte, indem sie den Buchstaben des Gesetzes unberührt liess.

Die Träger dieser interpretatio, welche die letzten Jahrhunderte der Republik ausfüllte, zugleich damit die Träger dieser

werden z. B. dem Servius Tullius Gesetze über Contracte und Delicte zugeschrieben. Die gewöhnlich sog. leges regiae aber, welche in dem sog. jus civile Papirianum (ungewissen Ursprungs) eine Zusammenstellung erfuhren, enthielten lediglich Sätze sacraler (religiös - sittlicher) Natur, vgl. Bruns, Fontes p. 1 ff.

ersten Entfaltung des jus civile, waren die pontifices. Mit ihren sonstigen wissenschaftlichen Kenntnissen hing ihr Amt zusammen, dem richtenden Magistrat bei seiner Rechtsprechung, der vertragschliessenden oder processführenden Partei bei ihren Handlungen mit juristischem Beirath zur Seite zu stehen (vgl. unten § 15). So gelangten sie in die Herrschaft über die „Auslegung des geltenden Rechts, zugleich über die Fortbildung des Civilrechts.

Auf dem Wege solcher interpretatio entstand jetzt die in jure cessio, d. h. eine neue Form der Eigenthumsübertragung durch Scheinprocess vor dem Magistrat. Nach Zwölftafelrecht bedurfte es über den, welcher sofort vor dem Magistrat (,,in jure") ein Bekenntniss des gegnerischen Rechts ablegte, keines Urtheils mehr: er war bereits verurtheilt (confessus pro judicato est) 2). Das Geständniss vor dem Magistrat hatte die Kraft des Urtheils, so dass daher im Falle einer Eigenthumsklage der Magistrat sofort zur addictio, zum Zuspruch der Sache an den Kläger schreiten konnte. Hatte Jemand also vor dem Magistrat zugestanden, dass sein Processgegner Eigenthümer sei, so ging er seines Eigenthums, falls er es bis dahin hatte, verlustig. Was folgte daraus? Sollte das Eigenthum an einer Sache aus irgend einem Rechtsgrunde veräussert werden, so war das Mittel gegeben, dass beide Theile vor den Magistrat gingen: der Erwerber behauptete Eigenthum, der Veräusserer gestand es ihm zu, worauf dann der Zuspruch des Magistrats (addictio) zu Gunsten des Erwerbers erfolgte. Damit hatte der Veräusserer sein Eigenthum verloren, der Erwerber es erworben. Aus einem processualischen Rechtssatz (confessus pro judicato est) war ein neues Privatrechtsgeschäft entwickelt worden, dessen Geltung auf die zwölf Tafeln gestützt werden konnte das Rechtsgeschäft der Eigenthumsübertragung durch Scheinvindication (in jure cessio). Mit demselben Mittel konnte auch

2) Dass der Satz: confessus pro judicato est (1. 1 D. 42, 2) in irgend welcher Form in den zwölf Tafeln vorkam, wird durch die Aeusserung Ulpians (Vat. fr. 50) wahrscheinlich: et mancipationem et in jure cessionem lex XII tab. confirmat. Den Ausgangspunkt bildete vielleicht nicht der ScheinEigenthumsprocess, sondern der Schein - Statusprocess (z. B. zum Zweck der Freilassung). Das Urtheil im Statusprocess hatte aber Rechtskraft auch gegen Dritte (ein Satz, der vielleicht ursprünglich überhaupt vom Urtheil im Vindicationsprocess galt). Daher die Rechtskraft der in jure cessio auch Dritten gegenüber. Anders Demelius, die confessio im röm. Civilprozess (1880)

z. B. die Begründung der väterlichen Gewalt (Scheinvindication in patriam potestatem), die Freilassung eines Sklaven (Scheinvindication in libertatem) bewirkt werden. Eine ganze Menge von neuen Rechtsgeschäften trat durch das Mittel der in jure cessio in das römische Rechtsleben ein.

In ähnlicher Weise ward mit Hülfe eines Strafrechtssatzes der zwölf Tafeln ein anderes Rechtsgeschäft ausgebildet, die Emancipation des Haussohnes. Es hiess in den zwölf Tafeln, dass der Vater, welcher seinen Sohn drei Mal in die Knechtschaft verkauft habe, zur Strafe seine väterliche Gewalt verlieren solle, XII tabb. IV, 2: Si pater filium ter venumduuit, filius a patre liber esto. Diesen Rechtssatz machte man sich zu nutze. Scheines halber verkaufte der Vater drei Mal seinen Sohn einem Andern in die Knechtschaft, der ihn dann jedes Mal wieder freiliess (durch das Mittel der in jure cessio). Damit hatte man die Emancipation, die Entlassung des Haussohnes aus der väterlichen Gewalt, erreicht, denn die Voraussetzung des Zwölftafelgesetzes war erfüllt: der Sohn war vom Vater dreimal in die Knechtschaft verkauft worden; so war der Sohn jetzt frei von der väterlichen Gewalt.

Am wichtigsten aber war die Umgestaltung, welche die mancipatio durch die jetzt beginnende Entwickelung erfuhr.

Es hiess in den zwölf Tafeln:

XII tab. VI, 1: Cum nexum faciet mancipiumque 3), uti lingua nuncupassit, ita jus esto.

Das gesprochene solenne Wort bestimmte die Wirkung des formalen Rechtsactes. Mit Hülfe dieser Rechtssatzes ward die Natur der mancipatio verändert. Nach den zwölf Tafeln sollte die mancipatio ein wirkliches Kaufgeschäft sein. Der in der Mancipation benannte Kaufpreis musste reell ausgezahlt werden, wenn die Mancipation gültig sein sollte. Es stand aber bei den Parteien, in der Mancipationshandlung nicht den wirklichen Kaufpreis, sondern einen blossen Scheinpreis zu benennen, dessen Zahlung dann genügte, um die Veräusserungswirkung der Mancipation her

S. 98 ff. Nicht in der confessio des Veräusserers, sondern in der solennen vindicatio des Erwerbers findet das „rechtskräftige Urtheil" Aug. Schultze Privatrecht und Process in ihrer Wechselbeziehung (1883) S. 459 ff. 477 ff. 3) Mancipium heisst hier die mancipatio.

beizuführen. Das ist späterhin geschehen. Es ging daraus die mancipatio sestertio nummo uno hervor. In der Mancipation ward erklärt, dass die Sache für ,,einen Sesterz" verkauft werde. War der Sesterz gezahlt ), so ging laut den zwölf Tafeln das Eigenthum an der Sache auf den Erwerber über. Als mancipatio sestertio nummo uno war die Mancipation zu einem Scheinkauf (imaginaria venditio) geworden.

Die Mancipation war damit das Mittel für die Eigenthumsübertragung als solche geworden, gleichgut aus welchem Rechtsgrunde sie erfolgte. Jetzt konnte durch mancipatio auch geschenkt werden. Jetzt ward, was noch wichtiger war, die mancipatio fiduciae causa möglich, die sog. fiducia, d. h. die clausulirte Mancipation, welche den verschiedensten wirthschaftlichen Zwecken zu dienen im Stande war. An Stelle der engherzigen, gebundenen war eine innerlich befreite, in ihren Zwecken ungebundene Mancipation getreten.

Fiducia ist die Klausel, durch welche der Mancipationserwerber unter gewissen Umständen zur Rückmancipation der Sache sich verpflichtet.

Es sollte also z. B. dem Gläubiger ein Pfand gegeben werden. Ein Verpfändungsgeschäft (Hypothek) in unserem Sinne kannte das altrömische Civilrecht nicht. Aber die Mancipation neueren Styls konnte zu diesem Zwecke gebraucht werden. Der Schuldner mancipirte dem Gläubiger eine Sache ,,um einen Sesterz", übertrug sie ihm also zu Eigenthum durch blossen Scheinkauf, aber mit der Clausel (fiducia), dass nach geschehener Bezahlung der Schuld die Sache vom Gläubiger zurück zu geben (zurück zu mancipiren) sei. Dann hatte der Gläubiger seine Sicherheit; er hatte inzwischen das Eigenthum an der Pfandsache. Der Schuldner aber hatte, sobald die Schuld von ihm getilgt war, sein Rückforderungsrecht (aus der Clausel, fiducia). Auch diese Clausel, welche der Mancipation beigefügt war, fand den Schutz des Zwölftafelrechts

4) Es genügte also nicht, dass das aes (raudusculum), welches zum Ritual der mancipatio gehörte, gegeben wurde. Es musste ausserdem der Bestimmung der zwölf Tafeln von der Nothwendigkeit der Kaufpreiszahlung durch Leistung des nummus unus entsprochen werden. Dem Wortlaut der zwölf Tafeln war genügt, dem Willen derselben zweifellos nicht. Aber das war gerade die Art dieser interpretatio: gestützt auf die Buchstabeninterpretation ein neues Recht zu schaffen.

satzes: Uti lingua nuncupassit, ita jus esto. Auf Grund der zwölf Tafeln konnte aus der fiducia gegen den Mancipationsempfänger auf Rückmancipation geklagt werden. Die mancipatio ward in dieser Form als fiducia das Mittel, Contracte verschiedenster Art abzuschliessen: ein Commodat (Gebrauchsleihe), Depositum (Hin-. gabe zur Aufbewahrung), Verpfändung (der soeben näher besprochene Fall), Tauschvertrag konnte durch das Mittel der fiducia (wenn der Commodant also den Commodatar zum Eigenthümer machte u. s. f.) civilrechtlich gültig contrahirt werden. Immer entstand in Anwendung des Zwölftafelrechts die actio fiduciae, die Klage auf Rückmancipation der hinmancipirten Sache (wenn die Voraussetzungen der Rückmancipation, z. B. Beendigung des eingeräumten Gebrauchs, eingetreten waren). Es war nun aber schwierig, die Clausel bei der fiducia im Voraus so zu formuliren, dass sie in Bezug auf Inhalt und Voraussetzungen genau der beabsichtigten Verbindlichkeit des Mancipationsempfängers entsprach. Die Klage aus der fiducia (actio fiduciae) gegen den Mancipationsempfänger, welcher die Pfandsache, die commodirte, deponirte Sache u. s. w. zurückgeben sollte, ward daher als eine sog. actio bonae fidei behandelt, d. h. als eine Klage, bei welcher über Inhalt und Voraussetzungen der Verbindlichkeit in ziemlich weiten Grenzen freies richterliches Ermessen zu entscheiden hatte.

Aus der Mancipation, dem alten solennen strengen Kaufgeschäft (Baargeschäft), war mit Hülfe der Interpretation des Zwölftafelrechts ein Doppeltes hervorgegangen:

1) ein solennes Mittel der Eigenthumsübertragung zu irgend welchem Zweck;

2) eine ganze Reihe von Creditgeschäften, nämlich von negotia bonae fidei (die Fälle der fiducia), welche re, d. h. durch Leistung, durch Mancipation nämlich (sestertio nummo uno), abgeschlossen wurden.

Mit dem nexum hat eine ähnliche Fortentwickelung nicht stattgefunden. Es ist ein Darlehnsgeschäft geblieben, und machte in dieser Eigenschaft später dem formlosen Darlehn, dem mutuum, Platz (vgl. § 12), welches nur noch durch seine Eigenschaft als negotium stricti juris (unten § 63. 66) an die einstige strenge Natur des solennen Darlehnsgeschäfts erinnerte. Die Rolle, ein streng einseitiges Schuldverhältniss aus irgend welchem Rechtsgrunde

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