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§ 9. Einleitung.

Das römische Recht hat aus römischem Stadtrecht in das Weltrecht des römischen Reichs sich verwandelt. So ergeben sich zwei grosse Perioden der römischen Rechtsgeschichte: die Zeit des Stadtrechts (bis in das letzte Jahrhundert der Republik) und die Zeit des Weltrechts (die Kaiserzeit). Dort (zur Zeit des Stadtrechts) überwiegt das strenge, formale, national-römische (lateinische) Recht (jus civile), hier (zur Zeit des Weltrechts) ein billiges, formfreies, aus der Verbindung römischen und hellenischen Wesens hervorgegangenes Recht (jus gentium).

Erstes Kapitel.

Die Zeit des Stadtrechts.

§ 10.

Die zwölf Tafeln.

Das römische Stadtrecht heisst jus civile. Seine erste grössere Darstellung empfing es durch die Zwölftafelgesetzgebung (v. J. 303. 304 d. St., 451. 450 v. Chr.), mit welcher zugleich die geschichtlich beglaubigte Entwickelung des römischen Rechts anhebt, die, ununterbrochen voranschreitend, später im Corpus Juris civilis endigte.

Das altrömische Recht, wie es in den zwölf Tafeln theils erscheint, theils vorausgesetzt wird, ist förmlich und streng.

Den Privatverkehr beherrschen zwei Rechtsgeschäfte: die mancipatio und das nexum.

Die mancipatio ist der feierliche Kauf1). Vor fünf Zeugen

1) Bechmann, Geschichte des Kaufs im römischen Recht (1876). Dazu Degenkolb in der Krit. Vierteljahrsschrift Bd. 20 S. 481 ff.

(cives Romani puberes) wird den Kaufpreis darstellendes ungemünztes Kupfermetall (aes, raudus, raudusculum) durch einen gelernten Wägemeister (libripens) dem Verkäufer zugewogen und von dem Käufer mit solennen Worten von der gekauften Sache als von seinem Eigenthum Besitz ergriffen.

Gajus Inst. I, § 119: Est autem mancipatio- imaginaria quaedam venditio: quod et ipsum jus proprium civium Romanorum est; eaque res ita agitur: adhibitis non minus quam quinque testibus civibus Romanis puberibus et praeterea alio ejusdem condicionis, qui libram aeneam teneat, qui appellatur libripens, is qui mancipio accipit, aes tenens ita dicit: HUNC EGO HOMINEM EX JURE QUIRITIUM MEUM ESSE AJO ISQUE MIHI EMPTUS ESTO HOC AERE AENEAQUE LIBRA; deinde aere percutit libram idque aes dat ei, a quo mancipio accipit, quasi pretii loco.

Das Zuwägen des aes durch den libripens war vor den zwölf Tafeln die ernsthafte Zahlung des Kaufpreises, oder konnte es wenigstens sein (es gab noch kein gemünztes Geld). Die mancipatio war keine imaginaria venditio, sondern eine wirkliche venditio. Die Decemvirn aber führten das gemünzte Geld in Rom ein (Kupfergeld, das As; später, 269 v. Chr., folgte dem Kupfergeld das Silbergeld, der Denar). Der Formalismus der Mancipation blieb trotzdem unverändert. Es blieb der libripens, es blieb das Zuwägen, obgleich das Zuwägen von ungemünztem aes jetzt keine Zahlung mehr war. Das Ritual der mancipatio schloss eine blosse Scheinzahlung in sich. Die wirkliche Zahlung lag ausserhalb der Mancipation. Daher der Rechtssatz der zwölf Tafeln, dass die Rechtskraft der Mancipation von wirklicher Zahlung des Kaufpreises abhängig sei 2). Die Mancipation blieb ein wirklicher Kauf, und zwar ein Baarkauf, ein engherziges, nur einem einzigen wirthschaftlichen Zweck dienstbares Rechtsgeschäft, mit unbeweglichen Formalitäten umkleidet. Der Mancipationskauf war die einzige gültige Form des Kaufgeschäfts, zugleich die einzige vom Civilrecht ausgebildete Form für die Veräusserung des Eigenthums durch Privatrechtsgeschäft. Nur das entgeltliche Veräusserungsgeschäft ist rechtlich gültig, und nur

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2) Vgl. unten § 12 Note 1. Die Gleichstellung der satisfactio (Bürgenoder Pfandbestellung für die Zahlung des Kaufpreises) mit der solutio pretii ist sicher erst späteren Ursprungs.

vor fünf Zeugen und mit dem libripens, und nur die Veräusserung der gegenwärtigen Sache, und nur die Veräusserung so vieler Sachen, als der Käufer auf einmal mit der Hand ergreifen (manu capiren) kann. Soll eine grössere Zahl von Sachen mancipirt werden, so muss der ganze Ritus der Mancipation immer auf's Neue wiederholt werden. Ein noch ungelenkes, seiner Entwickelung harrendes Verkehrsrecht!

Neben der Mancipation stand das nexum, das feierliche Darlehn. Vor fünf Zeugen wägt der libripens dem Darlehnsempfänger die entsprechende Menge Barrenmetall zu, und der Darlehnsgeber erklärt gleichzeitig mit solennen Worten, dass der Andere jetzt sein Schuldner sei (dare damnus esto). Dann ist der Empfänger zur Rückgabe verpflichtet, gleich als ob durch gerichtliches Urtheil seine Schuld schon constatirt wäre. Die Einführung des gemünzten Geldes führt auch hier dazu, dass nur die Form des Darlehns in dem nexum selber vollzogen wird. Das wirkliche Darlehn liegt jetzt ausserhalb des nexum. Dennoch bleibt auch hier, wie bei der mancipatio, der materielle, nur einem bestimmten Zweck dienende Charakter des Geschäfts bewahrt. Durch das Mittel des nexum kann nicht jegliche Schuld, sondern nur eine Darlehnsschuld begründet werden 3). Wie kein anderes Veräusserungsgeschäft als der Kauf, so ist dem alten Civilrecht kein anderer Contract bekannt als das Darlehn.

Die Mancipatio ist Baargeschäft. Sie verpflichtet den Käufer nicht zur Preiszahlung, sondern macht nur von der Preiszahlung den Uebergang des Eigenthums abhängig. Das nexum ist Creditgeschäft seine Wirkung ist Verpflichtung des Darlehnsempfängers zur Rückzahlung. Hier folgt der Schuld die Schuldvollstreckung.

Die Schuldvollstreckung aus dem nexum geht direct gegen die Person des Schuldners, mit unerbittlicher Strenge. Der Schuldner fällt in die Knechtschaft seines Gläubigers. Der mag ihn binden und in Ketten legen. Nehmen mehrere Gläubiger denselben Schuldner in Anspruch, so mögen sie von Rechtswegen

3) Dies folgt aus den Rechtssätzen über die nexiliberatio, unten § 76. Auch beim nexum muss es daher, wie bei der mancipatio, ein Mittel gegeben haben, das materielle Geschäft im Ritual hervortreten zu lassen, so dass der Schuldner nicht blos durch die Form des nexum verpflichtet wurde, gerade wie der Käufer nicht blos durch die Form der mancipatio Eigenthum erwarb.

seinen Leib theilen, und ein Versehen bei der Theilung soll ihren Rechten unschädlich sein.

XII tabb. III, 1-4. Aeris confessi rebusque jure judicatis XXX dies justi sunto. Post deinde manus injectio esto. In jus ducito. Ni judicatum facit aut quis endo eo in jure vindicit, secum ducito, vincito aut nervo aut compedibus XV pondo, ne minore, aut si volet majore vincito. Si volet, suo vivito. Ni suo vivit, qui eum vinctum habebit, libras farris endo dies dato, si volet plus dato. 6. Tertiis nundinis partis secanto. Si plus minusve secuerint, se fraude esto.

Der Strenge des Privatrechts entspricht die Strenge der Familiengewalt. In seinem Hause ist der paterfamilias souverän. Er übt die Gewalt über Leben und Freiheit seiner Hausangehörigen. Nicht das Recht, sondern nur die Sitte und die Religion setzen ihm eine äussere Schranke.

§ 11.

Die interpretatio.

In den zwölf Tafeln hatte das altrömische Recht die ihm entsprechende Form der Darstellung gefunden: die Form des Volksgesetzes.

Auch in Rom war das Recht ursprünglich von gewohnheitsrechtlicher Entwickelung ausgegangen. Aber das Gewohnheitsrecht galt den Römern immer als eine mindere Art des Rechts. Die verhältnissmässige Unfassbarkeit, Formlosigkeit, Unbeweisbarkeit desselben stand mit dem römischen Formensinn in Widerspruch. Es gab gewohnheitsrechtliche Rechtssätze, welche, altererbt und durch das Rechtsleben klar ausgearbeitet, volle Rechtskraft (legis vicem) besassen. Im Allgemeinen aber hielt man dafür, dass der rechtsprechende Magistrat an das blosse Gewohnheitsrecht nicht schlechtweg gebunden, dass er berechtigt sei, dem Gewohnheitsrecht gegenüber sein Ermessen in gewissem Grade walten zu lassen. Anders aber mit der lex, mit dem Rechtssatz, welcher durch feierliche Consenserklärung zwischen Magistrat und Bürgerschaft vereinbart war. Die lex war für den Magistrat unverbrüchliche Autorität.

Mit den zwölf Tafeln hatte das römische Recht zu einem erheblichen Theile die Form der lex angenommen 1). Darin lag der

1) Schon in der Königszeit waren Einzelgesetze gegeben worden; so

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