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einander identificirt. Dennoch sind Eigenthum und Besitz begrifflich von einander zu trennen. Das Eigenthum kann man haben ohne den Besitz, den Besitz kann man haben ohne das Eigenthum (z. B. im Fall des Diebstahls). Der Besitz ist begrifflich das Gegentheil des Eigenthums, wie das factum begrifflich das Gegentheil des jus.

Nun ist aber klar, dass der Besitz, die thatsächliche Herrschaft über die Sache, sehr verschiedener Art sein kann.

Entweder: ich habe die Sache zwar in meinen Händen und habe sie vielleicht in meinem eigenen Interesse (z. B. das Buch, welches ich geliehen habe), aber ich erkenne einen Anderen als den eigentlichen Herren der Sache an (den Verleiher des Buchs), und will, indem ich die Sache aufbewahre, oder sonst auf sie einwirke, nicht blos mir, sondern zugleich dem Andern die Sache erhalten. In diesem Fall habe ich blos das corpus des Besitzes, d. h. das Aeusserliche des Besitzes. Es fehlt mir der animus des Besitzes, nämlich der mit dem körperlichen Verhältniss sich deckende Wille. Ich will, obgleich ich die Sache in meinen Händen habe, sie doch nicht für mich allein haben, sondern sie in letzter Instanz für einen Andern haben. Es fehlt hier dem Inhaber der animus rem sibi habendi. Er hat vielmehr den animus rem alteri habendi. In diesem Fall spricht man von blosser Detention. Der Detentor (z. B. der Leiher, Miether, Pächter, Depositar, Mandatar) besitzt die Sache in Unterordnung unter einen Anderen. Er ist der Stellvertreter dieses Anderen im Besitz: dieser Andere (der Verleiher, Vermiether u. s. w.) besitzt durch den Detentor.

Oder: ich habe die Sache in meinen Händen, und will sie zugleich für mich allein haben, z. B. weil ich Eigenthümer bin oder mich wenigstens für den Eigenthümer halte, oder auch etwa obgleich ich weiss, dass ich nicht Eigenthümer bin, weil ich nämlich den entschiedenen Willen habe, die Sache dennoch für mich allein zu haben, (so der Dieb, welcher in Bezug auf sein thatsächliches Verhalten zur Sache vom Eigenthümer nicht zu unterscheiden ist). In diesem Fall habe ich nicht blos das corpus, sondern auch den animus des Besitzes, nämlich den mit dem körperlichen Verhältniss sich deckenden Willen. Ich habe die Sache nicht blos in Händen, sondern will sie auch für

mich allein haben (animus rem sibi habendi, von den Neueren animus domini genannt). Ich habe die Sache wie ein Eigenthümer (Alleinherrscher) der Sache, mag ich nun wirklich Eigenthum haben oder nicht, und mag ich im letzteren Fall von meinem Nichteigenthum Kenntniss haben (Dieb) oder nicht (bonae fidei possessor, Usucapionsbesitzer).

Die zuletzt geschilderte Art des Besitzes wird technisch juristischer Besitz genannt. Den juristischen Besitz machen also zwei Momente aus: 1) corpus (Detention), die thatsächliche Herrschaft über die Sache (sei es, dass man das corpus in eigener Person habe, oder durch das Mittel eines Detentors, z. B. des Entleihers, Pächters u. s. w.); 2) animus (domini), der Wille, die Sache für sich allein zu haben. Ist die Sache einem Anderen zu blosser Detention übergeben (z. B. Leihe, Pacht, Mandat u. s. w.), so hat der directe Inhaber des corpus (der Entleiher u. s. w.) blos Detention, der indirecte Inhaber des corpus aber (Verleiher, Verpächter, Mandant u. s. w.) den juristischen Besitz.

Der juristische Besitz erzeugt bestimmte Rechtsmittel (und daher führt er seinen Namen), welche um seines Schutzes willen gegeben werden: die sog. possessorischen Interdicte, nämlich (nach justinianischem Recht)

1) Das interdictum uti possidetis, ein interdictum retinendae possessionis, welches zur Erhaltung des gegenwärtigen juristischen Besitzes dient. Der juristische Besitzer bedient sich desselben im Fall einer blossen Störung seines Besitzes. Als juristischer Besitzer gilt aber für dies Interdict nur, wer seinen juristischen Besitz nec vi nec clam nec precario ab adversario erworben hat1). Wer gewaltthätig (vi) oder heimlich

1) Nach vorjustinianischem Recht galt das interdictum uti possidetis nur für Immobilien; für Mobilien galt ein anderes interdictum retinendae possessionis: das interdictum utrubi. Mit dem interdictum uti possidetis (Immobilien) siegte, wer gegenwärtig (im Moment der litis contestatio) nec vi nec clam nec precario ab adversario besass; mit dem interdictum utrubi (Mobilien) dagegen siegte, wer im Lauf des letzten Jahres (vor der litis contestatio) am längsten nec vi nec clam nec precario ab adversario besessen hatte (dabei war man berechtigt, die Besitzzeit seines Auctors sich anzurechnen, sog. accessio possessionis, vgl. oben S. 174). Justinian hat das interdictum utrubi aufgehoben, und das interdictum uti possidetis auch auf Mobilien er

(clam, den Widerspruch des Gegners voraussehend und durch Heimlichkeit ihm entgehend) oder bittweise (precario, auf beliebigen Widerruf, ohne Rechtsgeschäft mit dem Verleiher) den juristischen Besitz von dem Processgegner erworben hat, wird in diesem Besitzprocess nicht als juristischer Besitzer geachtet, vielmehr gilt sein Processgegner (von welchem er vi, clam, precario erwarb) als juristischer Besitzer, und dem Letzteren muss der Besitz der Sache herausgegeben werden. So kann also (wenn der besitzende Kläger wegen Besitzstörung mit dem interdictum uti possidetis gegen denjenigen klagt, von welchem er den juristischen Besitz vi, clam oder precario erworben hatte) der Kläger zur Herausgabe des Besitzes an den Beklagten verurtheilt werden. In diesem Sinne sagt man, dass das interdictum uti possidetis zu den judicia duplicia (den zweischneidigen Klagen) gehöre: nicht blos der Beklagte, sondern auch der Kläger kann verurtheilt werden (beide Theile haben zugleich Kläger- und Beklagtenrolle) 2).

2) Das interdictum unde vi und das interdictum de precario. Diese beiden Rechtsmittel sind interdicta recuperandae possessionis. Sie dienen zur Wiedererlangung eines verloren gegangenen juristischen Besitzes, und zwar das interdictum unde vi im Fall gewaltthätiger Besitzentziehung (durch körperliche Gewalt, Dejection), das interdictum de precario im Fall der Besitzentziehung durch Gebrauchsüberlassung ohne Restitutionsberedung, d. h. ohne Rechtsgeschäft. Das interdictum unde vi geht gegen den Dejicienten als solchen, ohne Rücksicht darauf, ob er noch besitzt oder nicht, ob er in eigner Person oder durch Andere die Dejection bewirkt hatte, ob der Kläger selber vi, clam oder precario von ihm erworben hatte oder nicht. Während also bei dem interdictum uti possidetis der Beklagte antworten kann: Du (Kläger) hast aber vi, clam oder precario von mir erworben (sog. exceptio vitiosae possessionis), wodurch dann, wie soeben ausgeführt ist, die Verurtheilung des Klägers herbeigeführt werden kann, ist bei dem interdictum unde vi diese exceptio vitiosae possessionis ausge

streckt, so dass also jetzt auch für den Besitzstreit um bewegliche Sachen lediglich der Besitzstand im Moment der Litiscontestation entscheidet.

2) Judicia duplicia sind ausserdem die Theilungsklagen, unten § 70.

schlossen. Das interdictum de precario geht ebenso gegen den Empfänger des precarium als solchen.

Die genannten possessorischen Interdicte (retinendae und recuperandae possessionis) sind dem juristischen Besitzer als solchem zuständig, ohne Rücksicht darauf, ob er wirklich an der Sache ein Recht hat oder nicht. Es wird ihm ein Rechtsschutz zu Theil um seines Besitzes willen (daher die Bezeichnung der Interdicte als possessorischer Rechtsmittel) ohne Rücksicht auf sein Recht. Ja, die Rechtsfrage ist geradezu ausgeschlossen. Der Beklagte kann sich nicht durch Berufung auf sein Recht an der Sache vertheidigen.

Dennoch bedeuten diese possessorischen Rechtsmittel, welche formell nur den Besitz schützen, im praktischen Erfolg regelmässig einen Schutz des Eigenthums. In weitaus der Mehrzahl der Fälle ist es der Eigenthümer, welcher zugleich den juristischen Besitz hat. Folglich hat der Eigenthümer folgende Wahl:

1) er kann petitorisch klagen (d. h. auf Grund seines Rechts an der Sache) unter Nachweis seines Eigenthums (§ 52).

2) er kann petitorisch klagen, unter Nachweis blos seines Usucapionsbesitzes (actio Publiciana). Er abstrahirt davon, dass er Eigenthümer ist; er macht geltend, dass die Erfordernisse des Ersitzungsbesitzes in seiner Person erfüllt sind (§ 53).

3) er kann possessorisch klagen unter Nachweis blos seines juristischen Besitzes (die possessorischen Interdicte). Er abstrahirt davon, dass er Eigenthümer oder doch Ersitzungsbesitzer ist; er macht nur geltend, dass die Erfordernisse des juristischen Besitzes (thatsächliche Gewalt über die Sache mit animus domini) in seiner Person erfüllt sind 3).

Die eminente wirthschaftliche Bedeutung des Eigenthums kommt in der reichen Entfaltung der ihm zu Gebote stehenden Schutzmittel zum Ausdruck.

L. 12 § 1 D. de adq. poss. (41, 2) (ULPIAN.): Nihil commune habet proprietas cum possessione.

L. 1 § 2 D. uti possid. (43, 17) (ULPIAN.): Separata esse debet possessio a proprietate; fieri enim potest, ut alter possessor

3) Vgl. Jhering, Jahrb. f. Dogmatik des heutigen römischen Rechts, Bd. 9, S. 44 ff.

sit, dominus non sit, alter dominus quidem sit, possessor vero non sit; fieri potest, ut et possessor idem et dominus sit.

L. 3 § 1 D. de adq. poss. (41, 2) (PAULUS): Et adipiscimur possessionem corpore et animo, neque per se animo, aut per se corpore.

§ 2 I. de interdictis (4, 15): Sequens divisio interdictorum haec est, quod quaedam adipiscendae possessionis causa comparata sunt, quaedam retinendae, quaedam recuperandae.

§ 4 eod. Retinendae possessionis causa comparata sunt interdicta UTI POSSIDETIS et UTRUBI, cum ab utraque parte de proprietate alicujus rei controversia fit, et ante quaeritur, uter ex litigatoribus possidere, uter petere debeat. Sed interdicto quidem UTI POSSIDETIS de fundi vel aedium possessione contenditur, UTRUBI vero interdicto de rerum mobilium possessione.

§ 6 eod. Recuperandae possessionis causa solet interdici, si quis ex possessione fundi, vel aedium vi dejectus fuerit. Nam ei proponitur interdictum UNDE VI, per quod is, qui dejecit, cogitur ei restituere possessionem, licet is ab eo, qui vi dejecit, vi vel clam vel precario possidebat.

II. Die Rechte an fremder Sache.

§ 55.

Im Allgemeinen.

Das Eigenthum allein vermag auf die Dauer den Interessen des Verkehrs nicht zu genügen. Es muss möglich sein, dass man in Form Rechtens auch auf fremde Sachen einzuwirken befugt ist.

Diesem Bedürfniss der Ergänzung der eignen Wirthschaft durch fremde Sachen (ohne das Eigenthum an denselben erwerben zu müssen) kann das obligatorische Rechtsgeschäft mit dem Eigenthümer dienen, z. B. der Pacht- oder Miethvertrag. Dann hat der Berechtigte aber immer nur (weil er ein blosses Forderungsrecht erworben hat, vgl. § 60) ein Recht gegen die Person des anderen Contrahenten. Wird der Pächter von einem Anderen als seinem Verpächter in dem Besitz und Genuss des Pachtgutes gestört, so hat er gegen diesen Dritten aus seinem Pachtrecht keine Klage; er muss sich erst an seinen Verpächter

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