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des kaiserlichen Willens geltende) Edict ganz ebenso gebunden wie der judex. Die Reform Hadrians hatte dem Prätor sein altes imperium genommen. Der Prätor ward zu einem blossen Werkzeug der Rechtsanwendung gerade wie der judex, und zwar um so mehr je mehr auf der einen Seite die Wissenschaft den Inhalt des geltenden Rechts entfaltete und klarstellte, auf der andern Seite das Kaiserthum als Träger der Rechtsentwickelung alle übrigen Factoren verdrängte 1).

So ward der judex zu einem Beamten und Stellvertreter des Prätors, und ebenso der Prätor zu einem Beamten und Stellvertreter des Kaisers. Die Grundlagen des alten Processes waren aufgehoben. Die nothwendige Consequenz ward von Diocletian, dem Schöpfer der monarchisch-kaiserlichen Gewalt gezogen. Er verordnete, dass der Praetor und der praeses provinciae grundsätzlich selber die Sachen nicht bloss instruiren, sondern auch entscheiden solle (1. 2 C. de pedaneis judic. 3, 3). Die alte judicis datio fiel weg. Konnte der Prätor (oder praeses) wegen Ueberhäufung die Sache nicht erledigen, so gab er einen sog. judex pedaneus, d. h. einen stellvertretenden Richter, welcher wiederum die ganze Verhandlung der Sache (also nicht blos das judicium alten Styls, sondern auch das Verfahren in jure) hatte. Sicher war diese letzte Art des Verfahrens gewohnheitsmässig bereits vorher ausgebildet worden.

So war denn formell jetzt der ganze Process ein Verfahren in jure (vor dem Magistrat oder seinem Stellvertreter) geworden, und stellte formell das Verfahren extra ordinem jetzt das ordentliche Verfahren dar. Materiell aber war ein Process geschaffen worden, welcher ausschliesslich der Rechtsanwendung diente, insofern also die Züge des alten judicium an sich trug.

Die Ertheilung der formula fiel weg (1. 1 C. de form. 2, 58); als Litiscontestation galt jetzt der Act, wo beide Parteien dem Magistrat ihre Sache vorgetragen hatten (1. un. C. de lit. cont. 3, 9). Mit der formula ward die Nothwendigkeit der Geldcondemnation und die damit zusammenhängende Enge noch des klassischen Processverfahrens wegfällig (vergl. oben S. 136 ff.). Das Urtheil konnte auf Naturalbefriedigung lauten, und weil der

1) Schultze, Privatr. u. Proc. S. 533 ff.

Magistrat jetzt urtheilte, konnte solchem Urtheil auch die Naturalexecution (kraft magistratischer Gewalt) nachfolgen. Mit der Naturalexecution entwickelte sich überhaupt die Specialexecution durch pignoris capio, welche nicht jedesmal den Umweg durch das ganze Vermögen des Schuldners machte, um den einzelnen Gläubiger zu befriedigen (oben S. 151). Andererseits ward durch die Thatsache, dass der Magistrat urtheilte, jetzt auch das Appellations verfahren ausgebildet, welches gegen die Entscheidung des Magistrats die Intercession des anderen Magistrats (in höchster Instanz des Kaisers) anrief.

Also eine grössere Formfreiheit und Beweglichkeit des Processes, insbesondere des Urtheils- und Vollstreckungsverfahrens. Zugleich die Tendenz, durch das Mittel der Appellation an die kaiserliche Gewalt eine einheitliche Rechtsprechung für das ganze ungeheure Reich herbeizuführen.

Mit der formula war zugleich das letzte formale Element alten Styls, und die letzte Erinnerung an die alte Selbstherrlichkeit der Magistratur hinweggefallen. Der Magistrat ward zu einem richterlichen Beamten in unserem Sinne, der Process zu einem Verfahren blos der Rechts anwendung, das Urtheil zu einem Urtheil in des Kaisers Namen, der Centralgewalt dienend und von der Centralgewalt controllirt. Mit einem Wort: mit dem spätkaiserlichen Process hatte der moderne Process seinen Anfang genommen 2).

Zweites Kapitel.

Sachenrecht.

§ 45.

Begriff der Sache.

Die Römer nannten res alles, was Vermögensbestandtheil sein kann, und unterschieden in diesem Sinne zwischen res corporales, d. h. körperlichen Vermögensbestandtheilen (Sachen in unserem

2) Vgl. Schultze a. a. O. S. 562 ff.

Sinne) und res incorporales, d. h. unkörperlichen Vermögensbestandtheilen (z. B. Erbrecht, Recht an fremden Sachen, Forderungsrechte, Schulden). Wir gebrauchen das Wort „Sache" nur im engeren, technischen Sinn (für res corporales), und nennen im Rechtssinn Sachen die der menschlichen Herrschaft erreichbaren, als Ganzes selbständig existirenden körperlichen Dinge. Damit ist zugleich das Gebiet der Sachenrechte umschrieben. Der Sache ist wesentlich, Object des Privatrechts zu sein. An Nicht-Sachen (z. B. blossen Sachtheilen) giebt es kein Sachenrecht.

pr. I. de reb. corp. (2, 2): Quaedam res corporales sunt, quaedam incorporales. § 1. Corporales hae sunt, quae tangi possunt, veluti fundus, homo, vestis, aurum, argentum, et denique aliae res innumerabiles. § 2. Incorporales autem sunt, quae tangi non possunt: qualia sunt ea, quae in jure consistunt: sicut hereditas, ususfructus, usus et obligationes quoquo modo contractae. Nec ad rem pertinet, quod in hereditate res corporales continentur, nam et fructus, qui ex fundo percipiuntur, corporales sunt, et id, quod ex aliqua obligatione nobis debetur, plerumque corporale est (veluti fundus, homo, pecunia), nam ipsum jus hereditatis et ipsum jus utendi fruendi et ipsum jus obligationis incorporale est. § 3. Eodem numero sunt jura praediorum urbanorum et rusticorum, quae etiam servitutes vocantur.

$ 46.

Arten der Sachen.

I. Gewisse Sachen sind durch Rechtssatz von der Fähigkeit, Object von Privatrechten zu sein, ausgeschlossen: die res extra commercium, nämlich:

a) Die res divini juris: die res sacrae (den Göttern geweihte Sachen, z. B. Tempel, Altar), die res sanctae (von den Göttern befriedete Sachen z. B. die Stadtmauern Roms), die res religiosae (die den diis manibus geweihten Sachen, d. h. die Begräbnissplätze).

b) Die res publicae, die öffentlichen Sachen, z. B. öffentliche Wege, öffentliche Flüsse.

c) Die res omnium communes: die freie Luft, die frei fliessende Wasserwelle, das Meer mit seinem Bett.

Gaj. Inst. II § 3: Divini juris sunt veluti res sacrae et religiosae. § 4. Sacrae sunt, quae diis superis consecratae sunt; religiosae, quae diis Manibus relictae sunt. § 5. Sed sacrum quidem hoc solum existimatur, quod ex auctoritate populi Romani consecratum est, veluti lege de ea re lata aut senatusconsulto facto. § 6. Religiosum vero nostra voluntate facimus, mortuum inferentes in locum nostrum, si modo ejus mortui funus ad nos pertineat. § 8. Sanctae quoque res, velut muri et portae, quodammodo divini juris sunt. § 9. Quod autem divini juris est, id nullius in bonis est.

§ 1 I. de rer. div. (2,1): Et quidem naturali jure communia sunt omnium haec: aër, aqua profluens, mare et per hoc littora maris. Nemo igitur ad littus maris accedere prohibetur: dum tamen a villis et monumentis et aedificiis abstineat. § 2. Flumina autem omnia et portus publica sunt, ideoque jus piscandi omnibus commune est in portu fluminibusque. § 3. Est autem littus maris, quatenus hibernus fluctus maxime excurrit. § 4. Riparum quoque usus publicus est jure gentium, sicut ipsius fluminis; itaque naves ad eas appellere, funes arboribus ibi natis religare, onus aliquod in his reponere cuilibet liberum est, sicut per ipsum flumen navigare; sed proprietas earum illorum est, quorum praediis haerent: qua de causa arbores quoque in iisdem natae eorundem sunt.

II. Unter den res in commercio, welche also sämmtlich gleichermassen fähig sind, im Eigenthum zu stehen, treten folgende Unterschiede als rechtlich bedeutend hervor:

a) Res nullius sind Sachen, welche thatsächlich in Niemandes Eigenthum stehen, z. B. das Wild im Walde. Sie werden durch Occupation (unten § 51) zu Eigenthum erworben.

b) Consumtible Sachen (res, quae usu minuuntur vel consumuntur) sind solche Sachen, welche durch Verbrauch gebraucht werden, z. B. Nahrungsmittel, Geld. An solchen Sachen ist kein Niessbrauchsrecht möglich (vgl. unten § 56), weil der Niessbraucher nur berechtigt ist, die Sache unter Erhaltung ihrer Substanz (salva rei substantia) zu gebrauchen.

c) Fungible Sachen (res, quae pondere, numero, mensurave constant), auch vertretbare Sachen genannt, sind solche Sachen, welche im Verkehr nicht als Individuen, sondern nur nach Quantität und Qualität auftreten, z. B. Geld, Wein, Getreide. Wo fungible Sachen geschuldet werden, wird im Zweifel nicht die Leistung einer bestimmten Species (individuell bestimmter

Sohm, Institutionen.

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Sachen), sondern nur die Leistung bestimmter Quantität und Qualität (generell bestimmter Sachen) geschuldet, weil für fungible Sachen der Satz gilt: tantundem ejusdem generis est idem. Ein Darlehn kann nur durch Hingabe von fungiblen Sachen contrahirt werden (unten § 66). Die fungiblen Sachen, welche man gewöhnlich als „vertretbare" Sachen zu verdeutschen pflegt, könnten besser als darlehnsfähige Sachen bezeichnet werden.

d) Theilbare Sachen sind solche Sachen, welche ohne Werthminderung in mehrere Sachen zerlegt werden können. So z. B. regelmässig Grundstücke, ein Stück Tuch (nicht aber der Rock), ein Quantum Wein, u. s. w. Die theilbare Sache wird im Theilungsprocess vom Richter reell getheilt, d. h. in mehrere Sachen zerlegt, während bei untheilbaren Sachen zum Zweck der Aufhebung der Gemeinschaft anderweitig verfahren werden muss (unten S. 169).

Keine Sachtheilung ist die sog. ideelle Theilung, welche vielmehr Theilung des Rechtes an der Sache ist ohne Theilung der Sache. So z. B. beim Miteigenthum.

III. Geschichtlich von hervorragender Bedeutung war die römische Eintheilung der Sachen in res mancipi (mancipii) und res nec mancipi (mancipii) 1), d. h. in mancipationsfähige und mancipationsunfähige Sachen. Nur res mancipi können durch das solenne Verkaufsgeschäft des alten Rechts (die mancipatio, vgl. § 10) mit den besonderen Wirkungen, welche ihm anhaften (Erwerb des vollen römischen, des sog. quiritarischen Eigenthums einerseits, Begründung der Gewährleistungspflicht, der actio auctoritatis gegen den mancipio dans andrerseits) veräussert werden, und umgekehrt: die res mancipi kann nur solenn, durch einen Rechtsact juris civilis (die mancipatio oder was ihr gleichsteht, vgl. unten § 49), nicht unfeierlich (durch einen blossen formlosen Rechtsact juris gentium) erworben werden. Die res mancipi sind die privilegirten Sachen des altrömischen Rechts, die Sachen, welche als der Grundstock des bäuerlichen Vermögens und zugleich des Nationalvermögens gelten, deren Veräusserung und Erwerb deshalb (weil den Staat in

1) Mancipium bedeutet Mancipation, oben S. 25; res mancipii also wörtlich Mancipationssachen".

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