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handelt, tritt die Wirkung ein, dass nicht der Stellvertreter, sondern nur der dominus aus dem Geschäft berechtigt und verpflichtet wird. Das Rechtsgeschäft muss also im Namen des dominus geschlossen sein. Nur in diesem Fall, wo die Stellvertretung für den Vertragsgegner erkennbar ist (man pflegt solche Stellvertretung als offene Stellvertretung zu bezeichnen) finden die Rechtssätze über Stellvertretung Anwendung.

Dagegen tritt derjenige Beauftragte (oder Vormund), welcher zwar im Interesse, aber nicht im Namen seines dominus, sondern im eignen Namen handelt (sog. stiller oder geheimer Stellvertreter) überhaupt gar nicht als Stellvertreter auf, und finden daher in solchem Fall die Rechtssätze über Stellvertretung nach heutigem wie nach römischem Recht keine Anwendung. Die Wirkungen des von dem stillen Stellvertreter geschlossenen Rechtsgeschäfts treten nur zu Lasten und zu Gunsten des Handelnden ein, nicht zu Lasten noch zu Gunsten des dominus negotii. Erst durch ein zweites Rechtsgeschäft müssen die Wirkungen des ersten Rechtsgeschäfts, z. B. der Eigenthumserwerb, auf den dominus negotii übertragen werden.

Keine Stellvertretung ist die sog. unfreie Stellvertretung, d. h. der rechtsnothwendige Erwerb des Herrn durch seinen Sklaven, des paterfamilias durch den filiusfamilias (oben S. 75. 82). Das Rechtsgeschäft wirkt hier grundsätzlich nur zu Gunsten des dominus, nicht auch zu seinen Lasten (er wird grundsätzlich nicht verpflichtet aus dem Darlehn, obgleich er das Eigenthum an dem empfangenen Geld erwirbt). Es tritt also nur theilweise Stellvertretungseffect ein. Damit der dominus nicht blos berechtigt, sondern auch verpflichtet werde aus dem Rechtsgeschäft, müssen hier anderweitige besondere Voraussetzungen vorliegen (unten § 75). Und 'ferner: es ist für jenen rechtsnothwendigen Erwerb des Herrn gleichgültig, ob der servus, bezw. filiusfamilias im eignen Namen oder im Namen des Herrn, ob er bevollmächtigt oder unbevollmächtigt gehandelt hat. Die Rechtssätze über Stellvertretung finden auf dies Verhältniss keine Anwendung.

Paulus rec. sent. V, 2 § 2: Per liberas personas, quae in potestate nostra non sunt, adquiri nobis nihil potest; sed per procuratorem adquiri nobis possessionem posse, utilitatis causa receptum est.

II. Der Rechtsschutz.

§ 33. Einleitung.

Der Eigenthümer braucht sich nicht gefallen zu lassen, dass Jemand ihm seine Sachen eigenmächtig wegnimmt. Durch Abwehr des Angriffes schützt er sein Recht selber durch Eigenmacht. Diese Art der Eigenmacht (wir wollen sie Selbstvertheidigung nennen) ist gestattet: vim vi repellere licet. Sie stellt eine Art der Ausübung des vertheidigten Rechtes dar.

Anders dagegen liegt der Fall, wenn die Rechtsverletzung schon vollzogen ist, und es sich also nicht um Abwehr, sondern um Wiederaufhebung der schon geschehenen Rechtsverletzung handelt. Hier ist die Eigenmacht (die Selbsthülfe) ausgeschlossen. Hier würde die Eigenmacht nicht Ausübung des verletzten Privatrechts, sondern Ueberschreitung desselben sein, weil das Privatrecht immer nur Herrschaftsrechte in Bezug auf sachliche (unfreie) Objecte giebt (oben S. 10. 71), niemals aber directe Gewalt über einen freien, ebenbürtigen Willen. Die Ueberwindung des dem Recht widerstrebenden Willens (die Vollstreckung des Rechts) ist nach römischem wie nach heutigem Recht der Staatsgewalt vorbehalten. Der einzige Weg, um nach vollzogener Rechtsverletzung zur Vollstreckung des Rechts zu gelangen, ist daher die Anrufung der Staatsgewalt, die Klage (actio).

Die Forderungsrechte haben die Eigenthümlichkeit, dass hier der Gläubiger (vor Empfang der Zahlung) sich niemals in Ausübung seines Rechts befindet, dass er immer direct nicht einem sachlichen Object, sondern einer gegnerischen Person gegenüber steht, dass also die Eigenmacht des Gläubigers (um zu seiner Befriedigung zu gelangen) niemals Selbstvertheidigung, sondern stets Selbsthülfe bedeutet. Der Gläubiger ist also grundsätzlich immer an die gerichtliche Klage zum Zweck zwangsweiser Befriedigung seines Rechts gewiesen.

Die Selbsthülfe, welche wir nach dem Vorigen als eigenmächtige Rechtsvollstreckung definiren, ist nach römischem Recht in Folge eines decretum divi Marci (von Marc Aurel) als solche strafbar. Sie wird bestraft durch den Verlust des eigenmächtig exequirten Rechts, eventuell (falls der Handelnde das Recht in Wirklichkeit nicht einmal hatte) durch die Pflicht zur doppelten Erstattung des eigenmächtig Angeeigneten.

Es giebt jedoch Ausnahmen von dem Verbot der Selbsthülfe. So namentlich in dem wichtigen Fall, wo der gerichtliche Schutz thatsächlich nicht ausreicht, z. B. dem Schuldner gegenüber, welcher durch Flucht sich der Klage entziehen will. Dann ist schon nach römischem Recht die Selbsthülfe Recht, nicht Unrecht.

L. 13 D. quod met. causa (4, 2): Exstat enim decretum d. Marci in haec verba: OPTIMUM EST, UT SI QUAS PUTAS TE HABERE PETITIONES, ACTIONIBUS EXPERIARIS. Cum Marcianus diceret, 'vim nullam feci', Caesar dixit: TU VIM PUTAS ESSE SOLUM, SI HOMINES VULNERENTUR? VIS EST ET TUNC, QUOTIENS QUIS ID, QUOD DEBERI SIBI PUTAT, NON PER JUDICEM REPOSCIT. QUISQUIS IGITUR PROBATUS MIHI FUERIT, REM ULLAM DEBITORIS VEL PECUNIAM DEBITAM, NON

AB IPSO
SIBI SPONTE DATAM, SINE ULLO JUDICE TEMERE POSSIDERE
VEL ACCEPISSE, ISQUE SIBI JUS IN EAM REM DIXISSE, JUS CREDITI
NON HABEBIT.

$ 34.

Der römische Civilprocess 1).

Die Grundlage des klassischen römischen Civilprocesses ist die Zweitheilung des Verfahrens in zwei scharf von einander ge

1) Das klassische Werk über den römischen Civilprocess ist noch immer Keller, der römische Civilprocess und die Actionen, in 5. Aufl. von Wach (1876) vortrefflich bearbeitet. Unter den neueren Werken, denen eine wesentliche Förderung unserer Kenntniss auf diesem Gebiet zu danken ist, sind namentlich zu nennen Bekker, die Aktionen des römischen Privatrechts, 2 Bde. 1871. 1873. Karlowa, der römische Civilprocess zur Zeit der Legisactionen (1872). Baron, Abhandlungen aus dem röm. Civilprocess, 2 Bde. 1881. 1882. Neue, bedeutende, wenngleich nicht unanfechtbare Grundgedanken entwickelt Aug. Schultze, Privatrecht und Process in ihrer Wechselbeziehung (1883) S. 228 ff., ein Werk, welches ich durch die Güte des Verfassers bereits in den Aushängebogen benutzen durfte.

trennte Abschnitte: in das Verfahren in jure und das Verfahren in judicio.

Das Verfahren in jure ist das Verfahren vor dem Magistrat, d. h. vor der Gerichtsobrigkeit, der Verwalterin und Vertreterin der souveränen Staatsgewalt: seit Einführung der Prätur also in der Regel vor dem Prätor. Die Aufgabe des Verfahrens in jure ist, die Zulässigkeit des Anspruchs (ob überhaupt ein im Wege des Civilprocesses verfolgbarer Anspruch erhoben wird), den Inhalt des Anspruchs und zugleich die Bedingungen seiner Geltendmachung festzustellen. Das Verfahren in jure gipfelt und endigt in der sog. litis contestatio, d. h. mit der exacten Formulirung des Rechtsstreits, um dadurch die Grundlage für das judicium (die Entscheidung des Rechtsstreits) herzustellen. Die Gewährung der litis contestatio seitens des Magistrats bedeutet zugleich die magistratische Entscheidung (decretum), dass ein an sich zulässiger Anspruch vorliege und dass derselbe unter den aus dem Inhalt der litis contestatio hervorgehenden Bedingungen zu realisiren sei.

Aber das Verfahren in jure vermag nicht zu einem Urtheil im Rechtssinn (zu einer sententia) zu führen. Damit vielmehr der nunmehr (durch die litis contestatio) formulirte und für zulässig erklärte Rechtsstreit sein Urtheil finde, muss der Process aus der Hand des Magistrats in die Hand einer Privatperson (unter Umständen auch mehrerer collegialisch entscheidender Privatpersonen) übergehen. Nur der Privatmann, welcher nicht vermöge frei schaltender Staatsgewalt nach souveränem Ermessen, sondern (kraft seines Eides, welchen er schwört) lediglich nach Massgabe des wirklich bereits geltenden Rechts zu urtheilen im Stande ist 2), kann ein Urtheil im Rechtssinn (eine sententia) ab

2) Vgl. pr. I. de off. jud. (4, 17): Superest, ut de officio judicis dispiciamus, et quidem in primis illud observare debet judex, ne aliter judicet quam legibus aut constitutionibus aut moribus proditum est. Der judex ist, im Gegensatz zu dem Magistrat (vgl. oben S. 22), auch an das Gewohnheitsrecht schlechtweg gebunden. Nur eine ausdrückliche Anweisung des Magistrats (exceptio, actio in factum u. s. w.) kann den judex von der Beobachtung des Rechts entbinden, wobei dann der Magistrat, nicht aber der judex die Verantwortung trägt. Indem der Judex das Gewohnheitsrecht anwendet, wird er zugleich (unwillkürlich) zu einem Organ für die Fortbildung desselben,

geben; nur der Privatmann ist im Stande, ein wahrer judex, ein Organ des objectiven Rechts zu sein. Die Entscheidung des Magistrats ist auch in Civilsachen formell stets eine Handhabung des souveränen imperium (ein decretum oder interdictum), ist rechtlich ein Machtspruch, kein Wahrspruch 3). Nur die Entscheidung des geschwornen Privatmanns (des judex), dessen Wesen nicht das imperium, sondern das officium ausmacht, ist kein Befehl, sondern Urtheil, ist ein Wahrspruch (sententia), kein Machtspruch. Darum verlangt der römische Civilprocess, dass der Magistrat der Entscheidung des Rechtsstreits sich enthalte, dass er vielmehr die Entscheidung einer Privatperson übertrage (welche dadurch zum judex für den Process bestellt wird). Die Scheidung des Civilprocesses in diese zwei Stadien: Verfahren in jure und Verfahren in judicio, bedeutet grundsätzlich die Befreiung des Privatrechts von der magistratischen Gewalt.

Nachdem in jure der Rechtsstreit zugelassen und formulirt ist (litis contestatio), geht er demnach zu weiterer Verhandlung an einen privaten geschworenen judex über. Dies Verfahren vor dem judex ist das Verfahren in judicio. Seine Aufgabe ist, wie schon gesagt, die Entscheidung des Rechtsstreits durch das Urtheil (sententia) des judex. Der judex wird zunächst den Thatbestand constatiren, Beweis aufnehmen, soweit es ihm nöthig scheint. Dann giebt er nach bestem Wissen und Gewissen (ex animi sententia) seinen Wahrspruch über das Rechtsverhältniss, d. h. sein Urtheil, ab.

Während das Verfahren in judicio, soviel wir sehen können, von den Zeiten der zwölf Tafeln bis zum Abschluss der klassischen Epoche keine wesentliche Aenderung erfahren hat, war mit dem Verfahren in jure gegen Ende der Republik eine wichtige Um

eine Thatsache, auf welche Bekker, die Aktionen des röm. Privatrechts II, S. 145 ff. mit Recht hinweist, aber mit der irreführenden Formulirung, als ob dem judex eine „Berechtigung“, das objective Recht fortzubilden (dem Magistrat vergleichbar), zukäme.

3) Darum kann die obrigkeitliche Entscheidung auch in Civilsachen durch Intercession eines gleich- oder höherberechtigten Magistrats, d. h. durch einen entgegengesetzten Befehl von gleicher Befehlsgewalt (imperium), der eine Befehl also durch einen andern Befehl aufgehoben werden. Daraus hat sich dann die Appellation des römischen Rechts entwickelt.

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