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ihr die custodia legum atque morum untergeordnet, dadurch aber zugleich gezeigt, dass ihm der innere und nothwendige Zusammenhang der Interpretatio juris divini und humani nicht unbekannt war. Wenn nun Dionysius in II. 14 alle königlichen Prärogativen, wenn auch nicht immer mit zutreffenden Worten, so doch dem Sinne nach in ihrem inneren Zusammenhang und ihrer natürlichen Aufeinanderfolge (interpretatio juris divini und humani, die Bestimmung der Formen der Rechtsgeschäfte und des Processes) richtig angibt, so können wir auch an der Richtigkeit seiner am nämlichen Orte gemachten Angabe, dass dem Volke das Recht zustand, die Gesetze zu genehmigen, um so weniger zweifeln, als diese seine Nachricht auch anderweitige Bestätigung findet. Ich muss mich also dafür aussprechen, dass das römische Königthum eine beschränkte Wahlmonarchie war, dass aber die Art ihrer Beschränkung mit den beschränkten Monarchien der Gegenwart keine Analogie hat, sondern sich als eine davon völlig verschiedene darstellt. Ich brauche hier wohl nicht mehr auszuführen, welchen Ansichten der neueren Forscher die hier geltend gemachte Anschauung nahe oder am nächsten steht, und worin sie sich von allen unterscheidet.

Der ständige Beirath des römischen Königs.

§. 4. Wie so eben dargelegt wurde, stand dem Könige nicht bloss die ganze Vollziehung, sondern auch die ganze praktische Justizgesetzgebung zu, wesshalb es von selbst einleuchtet, dass die Lösung einer so schwierigen Aufgabe die Kräfte eines einzigen Mannes überstieg, und dass der König namentlich für das Gebiet der Interpretation eines ständigen Beirathes bedurfte, um die Bedürfnisse des Lebens wahrzunehmen und ihnen Befriedigung zu verschaffen. Es ist also von vornherein wahrscheinlich, dass der römische König, wie der Hohe Priester der Juden, und die Könige Aegyptens, einen ständigen Beirath hatte, welcher als solcher allein die Fähigkeit besass, beim Wechsel der Personen im königlichen Amte die Rechtspflege ohne Störung auf den bereits gewonnenen Grundlagen fortzuleiten. Einen solchen Beirath hatte nun schon der zweite König Roms, Numa Pompilius eingesetzt1), welchen Livius (I. 18) als vir omnis divini et humani juris consultissimus, und als Begründer einer geordneten Rechtspflege bezeichnet *). In dem ständigen Beirath des Numa sassen die drei Flamines, maiores

1) A. W. Zumpt, Crim. R. I, 1. S. 420 Note 61.

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2) Livius I. 19: Regno potitus urbem novam - jure legibus ac moribus de integro condere parat. vgl. Cicero de republ. II. 14, 26 de orat. I. 43.

der Dialis, Martialis, Quirinalis und ein Pontifex; der König war als fünfter der Vorstand des Collegiums, und wurde ohne Zweifel in den Fällen seiner Verhinderung vom Pontifex vertreten (vergl. Festus s. v. ordo sacerd. p. 185 M.). Es ist dies wohl jener Pontifex, welcher später nach Beseitigung des Königthums Vorstand des Collegiums wurde, und dann Pontifex Maximus hiess 3). Dass diesem Stellvertreter des Königs die Interpretatio juris divini zustand, hebt Livius ausdrücklich an der Stelle hervor, wo er die Begründung des römischen Sacralrechts und des römischen Götter - Cultus erwähnt); allein dass diesem Pontifex und dem Collegium auch die Interpretatio juris humani zukam, das folgt nicht nur aus der in dieser Zeit noch untrennbaren Verbindung des jus divinum mit dem jus humanum, sondern auch daraus, dass die Pontifices dem Könige in der Rechtspflege zur Seite standen, die Verzeichnisse der Gerichtstage führten 5), und dass ihnen das Archiv der leges regiae ebenso anvertraut war), wie der Hohe Priester der Juden über die Aufbewahrung und Erhaltung der Lex Dei Sorge zu tragen hatte1).

Der oberste Grundsatz für die Rechtspflege in der

Königszeit.

§. 5. Wie die bisherigen Ergebnisse zeigen, bekundet das römische Volk schon in der Zeit der Könige die Eigenschaft in hervorragender Weise, welche es befähigte für die kommenden Geschlechter sichere Grundlagen der Rechtsordnung zu legen. Das ganze Leben beherrschend und den König bindend sollten nur jene Rechtsgrundsätze sein, welche der sittlichen Anschauung des gesammten Volkes entsprachen. Die concreten Lebensverhältnisse hingegen sollten durch die Formen des Rechtes nicht früher ihre Regelung und Fixirung erhalten, als die Erfahrung die wirklichen Bedürfnisse des Lebens gelehrt hätte. Dadurch aber wird deutlich

3) A. W. Zumpt a. a. O. I. 1. S. 241.

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4) Livius I. 20: Pontificem deinde Numam Marcium, Marci filium, ex patribus legit --- Cetera quoque omnia publica privataque sacra pontificis scitis subjecit, ut esset, quo consultum plebes veniret.

5) Mommsen, Chronolog. S. 16; W. S. Teuffel, Röm. Lit. I. S. 85.

6) Cicero, de republ. II. 14, 16; de orat. I. 43.

7) Hiermit ist zu vergl., was Rudorff in seinem Berichte über Theodor Mommsen's Corpus Inscript., Zeitschr. für RG. IH. Bd. 1864 S. 160-188 namentlich S. 187 u. 188 über den ältesten römischen Kalender, den Numaischen und seine Gerichtstage bemerkt, an welchen der König auf dem Richterstuhle sitzend den Rechtsuchenden Gehör zu geben hatte, z. vgl. jetzt auch Bruns, Fontes Jur. Rom. p. 9. et 26. edit. 2.

ausgesprochen, dass das römische Volk das Leben selbst als die recht bildende, den König aber nur als die rechtsetzende Macht betrachtete, dass also das wechselnde Leben als die eigentliche unmittelbare Quelle des Rechtes galt, der König als die rechtsetzende Macht aber nur die Aufgabe haben sollte, die Bedürfnisse des Lebens wahrzunehmen, unmittelbar daraus die Rechtsregeln abzuleiten, die Existenz der Rechte durch gesetzlich bestimmte Formen zu sichern, und ihnen dadurch eine rasche Realisirbarkeit zu verschaffen. Diese Bedingtheit der rechtsetzenden Macht war ohne Zweifel der entscheidende Grund, warum die potestas legum interpretandarum mit dem Richteramte in der Person des Königs unmittelbar vereinigt blieb, indem es einleuchtet, dass das staatsrechtliche Institut der Interpretation eine völlige Trennung des rechtsetzenden Organs vom Richteramte nicht gestattete und dass eine solche Trennung die Lahmlegung nicht nur nur des rechtsetzenden Organs, sondern auch des Richteramtes zur nothwendigen Folge gehabt hätte.

Nicht minder wichtig ist ein anderes Moment, welches ebenfalls die bisherigen Untersuchungen ergeben: die frühe Erkenntniss der Römer, dass die organische Entwicklung des Rechtes auch eines ständigen Organs bedarf, welches als solches allein befähigt ist, die Erfahrungen der Vergangenheit den kommenden Generationen zu überliefern, und die neuen Rechtssätze aus den vorhandenen zu entwickeln, wie ja auch ein Lebensbedürfniss das andere erzeugt, das erzeugende und erzeugte also als Ursache und Wirkung in einem inneren Zusammenhange stehen. Wenn ferner dieses Organ sogar ein Collegium war, dessen Mitglieder die Rechtskunde sich zur Lebensaufgabe gewählt hatten, und die besten Kräfte des Volkes darstellten, so ist dies eine Erscheinung, welche, wie keine andere, jenen Sinn der Römer für Ordnung und Recht zum Ausdruck bringt, durch welchen dieses Volk sich als Herrscher über die Völker des Alterthums legitimirt hat.

II. Capitel.

Die Veränderungen in der Rechtspflege in Folge des Sturzes des Königthums und die neue Stellung des Pontifical-Collegiums in der Civilrechtspflege.

§. 6. In Folge des Sturzes des Königthums traten in der Rechtspflege folgende Veränderungen ein: 1) die zwei Consuln erhielten : a) die criminalrechtliche Gerichtsbarkeit und potestas legum inter

pretandarum; b) die civilrechtliche Gerichtsbarkeit; 2) die sacrale Hoheit des Königs ging auf den neuen Vorstand des Pontifical-Collegium's über, welcher von nun an Pontifex. Maximus hiess; dieser Uebergang hatte aber auch die Uebertragung der civilrechtlichen potestas legum interpretandarum auf den Pontifex Maximus zur nothwendigen Folge; 3) an die Stelle der unmittelbaren Verbindung der civilrechtlichen potestas legum interpretandarum mit der civilrechtlichen Gerichtsbarkeit trat eine mittelbare, welche darin bestand, dass das Pontifical- Collegium jährlich ein anderes Mitglied für die Civilgerichte delegirte Ich habe nun diese Angaben zu begründen.

Es ist sicher bezeugt, dass die Gewalten, welche der König in sich vereinigte, beim Sturze des Königthums nicht untergingen, sondern in unveränderter Wesenheit nur andere Träger erhielten. So sagt Livius II. 1: Libertatis autem originem inde magis, quia annuum imperium consulare factum est, quam quod deminutum quidquam sit ex regia potestate, numeres. Omnia jura, omnia insignia primi consules tenuere. Hier spricht Livius von dem Uebergange der königlichen Machtfülle auf die ersten Consuln zwar so allgemein, dass man meinen könnte, die Consuln hätten alle königlichen Gewalten erhalten; allein eine solche Concentrirung aller königlichen Gewalten in jedem der beiden Consuln widersprach den Interessen der siegreichen patricischen Partei, weil diese die Früchte ihres Sieges unter möglichst Viele ihrer Partei zu vertheilen hatte. Wenn man jedoch die Worte des Livius näher erwägt, so zeigt es sich, dass er auch an dieser Stelle nur das Imperium des Königs im Auge hat. Weil er nämlich hier von ,,annuum imperium" spricht, der Pontifex Maximus aber weder ein Imperium hatte, noch jährlich gewählt wurde, so muss aus jenen Gewalten des Königs, welche auf die Consuln übergingen, die sacrale Hoheit und die damit in dieser Zeit noch untrennbar verbundene civilrechtliche potestas legum interpretandarum ausgeschieden werden. Weil aber auch die übrigen Stellen, welche den Consuln die königliche Machtfülle zusprechen, nur von dem Imperium reden, so sind auch sie unter der gleichen Beschränkung aufzufassen '). Darum berichtet Livius an mehreren Stellen,

1) Livius IV, 3: Consules in locum regum successisse? nec aut juris aut majestatis quidquam habere, quod non in regibus ante fuerit? - Cicero de republ. II. 32, 56: Consules potestatem habebant tempore duntaxat annuam, genere ipso ac jure regiam, und de legibus III. 3, 2: Regio imperio duo sunto.

Puntschart, Civilrecht der Römer.

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dass die oberste Entscheidung in sacralen Angelegenheiten nicht den Consuln, sondern dem Pontifex Maximus zustand 2). Dass die criminalrechtliche Gerichtsbarkeit des Königs auf die Consuln überging, ist nicht bestritten, und eben so wenig Widerspruch habe ich zu befürchten, wenn ich ihnen auch die criminalrechtliche potestas legum interpretandarum des Königs zutheile: die strafrechtliche Gewalt ist ein wesentlicher Bestandtheil des Imperium, sie kann also nur auf die Träger des königlichen Imperium übergegangen sein. Die Fasces und die Beile, welche sich die Consuln vorantragen liessen, geben dafür einen unwiderleglichen Beweis. Ebenso wenig ist bestritten, dass die sacrale Hoheit des Königs auf den Pontifex Maximus überging, und dass dessen Ansehen nun nicht nur nicht verringert, sondern sogar erhöht wurde 3). Der Pontifex Maximus bezieht jetzt die Burg der Könige (regia), wo sich auch sein Collegium zu versammeln hat '), und bleibt bei allen das jus sacrum betreffenden Entscheidungen, welche er de sententia collegii trifft, von allem Einflusse der Consuln, des Senates und der Volksversammlung unabhängig. Da ich nun auch den Uebergang der civilrechtlichen Gerichtsbarkeit auf die Consuln annehme, welche sowohl von Livius (III, 55) als auch von Varro (L. L. V, 160) judices genannt werden, so beschränkt sich meine Abweichung von der heutigen Doktrin auf die Behauptung, dass die civilrechtliche potestas legum interpretandarum des Königs auf den Pontifex Maximus übergegangen sei. Diese Frage hat für mich eine besondere Bedeutung, ich bin also genöthigt, meine Behauptung noch tiefer zu begründen, als dies bisher durch die Verweisung auf die Untrennbarkeit des jus divinum vom jus humanum in dieser Zeit, und durch die Besprechung jener Stellen geschehen ist, welche scheinbar von der Uebertragung der ganzen Machtfülle des Königs auf die Consuln sprechen.

Um nun die Rechtfertigung meiner Behauptung mit der Betrachtung der Natur der Sache zu beginnen, so erscheint es mir sehr unwahrscheinlich, dass jenem ständigen Organ für die Rechtsentwicklung, welches schon Numa eingesetzt hatte, sein wichtiger und hoher Beruf entzogen worden sei in einer Zeit, da an die Stelle

2) Z. B. II. 2: Rerum deinde divinarum habita cura, et quia quaedam publica sacra per ipsos reges factitata erant, ne ubiubi regum desiderium esset, regem sacrificulum creant. Id sacerdotium pontifici subjecere, ne additus nomine honos aliquid libertati officeret. Vgl. Kuntze, Excurse S. 73. 3) Vgl. Mommsen, Röm. Gesch. I. S. 255.

4) Marquardt, Röm. Alterth. IV. S. 205.

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