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Noch eine andere Art der Attraktion betrifft die Verwandlung des Dativs in den Genitiv in folgender Konstruktionsart: wenn nämlich eine Redensart gebildet ist mit einem Substantivum und einem Verbum, das Verbum aber 627an sich den Dativ eines Nomen annimmt, so kann dieses Nomen auch mit dem Substantivum konstruiert werden, welches zu der Redensart gehört, und dann entsteht der Genitiv statt des Dativs; z. B. fidem facere hat einen Dativ, wie orationi; aber es findet sich auch orationis, iudicii; s. Cic. de Or. III, 27, § 104. ad fidem orationis faciendam. al. 1. orationi.} Acadd. II, 7, § 19. multaque facimus usque eo, dum aspectus ipse fidem faciat sui iudicii. [vgl. das. Goerenz, der mit Unrecht causa ergänzen will; er führt noch an Plaut. Pers. V, 2, 8. fidem non habui argenti, i. e. nolui ei argentum credere.] So Cic. de Fin. II, 9, § 27. Qualis ista philosophia est, quae non interitum afferat pravitatis. [s. das. Goerenz {und Madvig} über den Unterschied.] das. 35, § 118. bene laudata virtus voluptatis aditus intercludat necesse est; und so Aesculapi barbam demere Cic. de N. D. III, 34, § 89. [Mehr dergl. Redensarten, wie animum reficere, iram acuere, terga caedere u. s. w. führt Drakenb. an zu Liv. XXI, 53, 2. vgl. zu I, 26, 11. V, 27, 4. IX, 27, 4. und vom Genitiv VII, 7, 4. Der Dativ steht dann nicht vom Subst. oder vom Verbum abhängig, sondern von beiden zugleich, indem beide in Einen Begriff zusammengefaßt sind.]

347. Unter die allgemeineren Gegenstände in betreff des eigentümlichen Gebrauchs der Kasus bei den Römern gehört auch eine kritische Untersuchung der Regeln

über die Konstruktion der Ortsnamen,

um zu bezeichnen, wo etwas sei. Es muß im höchsten Grade auffallend sein, wenn ein solcher Unterschied gemacht

Ziemer p. 71) sind bes. noch zu vergl. Verg. Aen. II, 283 quibus Hector ab oris exspectate venis? und ib. IX, 483 heu terra ignota canibus date praeda Latinis Alitibusque iaces (wo allerdings auch data gelesen wird); Tib. 1, 7, 53 ohne vorhergegangenen Vokativ sic venias hodierne. Noch eine Reihe von schönen Belegen giebt Schaefler, die synt. Gräcismen p. 56 f. Über macte bei Livius s. Kühnast p 188.}

ist, daß in der ersten und zweiten Deklination num. sing. der Genitiv, in der dritten aber und im Plural der Ablativ stattfinde. Der Begriff ist überall derselbe; die Deklination kann den Begriff des Kasus nicht ändern; höchst sonderbar und unbegreiflich ist es also, daß die Römer so gewechselt haben, und zwar so beharrlich. Es soll dargethan werden, daß, wenn man sagt sum Brundisii, dies ursprünglich ein Dativ ist, und ebenso sum Romae, wiewohl Cicero wirklich nicht mehr daran dachte, daß dies ein Dativ sein sollte.

Es ist oben gesagt, daß, ehe ein Ablativ in der lateinischen Sprache erfunden war, nach dem Vorbilde der Griechen der Dativ zugleich in dem Sinne des Ablativs angewendet wurde; also setzte man auch zur Bezeichnung des Ortes, wo, den Dativ, wie z. B. sum ruri, was sogar gebräuchlicher blieb, als sum rure, das man nach Erfindung des Ablativs sagte. So blieb auch in gewissen Nominibus propriis dieser Dativ häufiger, z. B. in denen auf ur, wie Tiburi, Anxuri, wofür Horaz [Epist. I, 8, 12.] nur des Metrums wegen Tibure sagte. Da Virg. Aen. IV, 224. Carthagine gebraucht628 hat, ho bemerkt dazu Servius, daß dies statt des Dativs Carthagini stehe, und wirklich findet sich dies z. B. bei Plaut. Cas. prol. 71. in Graecia et Carthagini. Cic. ad Att. XVI, 4. [wo Carthagine steht]; ferner Lacedaemoni bei Corn. praef. Nep. § 4. Acheronti Plaut. Capt. V, 4, 1. [s. das. Lindem. und III, 5, 31.] Sicyoni Pseud. IV, 2, 38. Sonach diente auch in der ersten und zweiten Deklination der Dativ zu solchem Zweck; sum Romae ist der Dativ; mit Brundisii aber als Dativ hat es folgende Bewandtnis. Schon im ersten Teile dieser Vorlesung [§ 55.] ist dargethan, daß der Dativ in der zweiten Deklination zuerst oi lautete, ehe das i verhallt war, wie im Griechischen oixot, médot; [nach anderen εdo oder nεdoί, worüber vgl. die Vorlesungen über griech. Gramm. in der Accentlehre.] Das o fiel aber hier bei solchen Beziehungen heraus, was einzeln sich schon bei griechischen Wörtern gewahren läßt, welche als Adverbia gebraucht werden, z. B. àudí, entstanden aus dem Dativ apodoí; s. Enarrat. zu Soph. Oed. Col. 1638. Da die Namen von Orten, wo jemand sich befinde, im geselligen Leben tagtäglich unzählige Male mußten genannt werden, so mochte dies die Ursache sein von der Verkürzung des oi in i,

vielleicht selbst noch ehe sich eine Form auf o gebildet hatte. Dasselbe bestätigt sich auch durch das Wort domi bei domi sum, was ein Dativ ist, entstanden durch Zusammenziehung aus domui, und so ist nun auch begreiflich, warum, wenn in anderem Zusammenhange ein Genitiv verlangt wird, nicht domi gebraucht werden kann, sondern domus; denn jenes ist kein Genitiv; für den Dativ hielt es auch schon Henr. Stephanus im Pseudo-Cicero p. 143. Dieselbe Wegwerfung eines Vokals vor dem i ist gezeigt worden bei der fünften Deklination [§ 73.], wo dasselbe zuweilen im Genitiv und Dativ vorherrscht. Es war also jener Gebrauch des i bei Ortsnamen der zweiten Deklination uralt, so daß die Römer zur Zeit des Plautus und Terenz gar nicht mehr das Bewußtsein hatten, daß es ein Dativ sei; sie hielten es also für einen Genitiv. Dies war der Grund, warum sie, da sie doch in der dritten Deklination einen Ablativ statt des Dativs anzuwenden anfingen, nicht ein Gleiches thaten bei der ersten und zweiten Deklination, da sie den Kasus nach der zweiten für einen Genitiv hielten, und den Genitiv wollten sie nicht mit dem Ablativ vertauschen. Sie bildeten ferner auch Redensarten im Genitiv fort, wie belli, foci; z. B. Ter. Eun. IV, 7, 45 domi focique. Wie aber gewisse Erscheinungen in der Sprache im Kreislauf herumgehen, lehrt die Geschichte der römischen Sprache 629in späterer Zeit, als sie gesunken war; da rief man statt des Ablativs der dritten Deklination wieder den Dativ hervor, und statt des Dativs in der ersten und zweiten setzte man den Ablativ; denn Sosip. Charisius de adverb. erwähnt, daß die Neueren Carthagini sum sagen, und in der ersten und zweiten Deklination sum Roma, Brundisio; über den letzteren Gebrauch s. Oudendorp zu Caes. B. G. VII, 32.520)

und

520) [Von jeher haben über den Kasus der Städte überhaupt Ortsnamen auf die Frage wo verschiedene Ansichten geherrscht; namentlich die Formen Tiburi, Carthagini u. s. w., über welche vgl. Gronov u. Drakenb. zu Liv. XXVIII, 26, 1. Schmid zu Hor. Epist. 1. p. 167. II. p. 164. wurden schon von Priscian XV. p. 1006. Servius a. a. O., von Donat, edit. sec. p. 1793. für Dative erklärt, was denn auch Neuere annahmen, wie Jo. Despauterius commentt. gramm. p. 399.

348. Wir gehen nun fort zu der Behandlung der630 einzelnen Kasus insbesondere.

ed. Lugdun. 1564. Linacer de emend. struct. VI. p. 500. Aus. Popma de usu ant. locut. II, 2. p. 122. u. a. Die meisten aber bielten diese Formen für alte Ablative, wie Sanctius Min. II, c. 7. a. E. das. Perizon zu IV, 6, n. 2. u. 4. Sciopp. Parad. litter. epist. III. a. E. Voss. de Constr. c. 46. Ruddim. II. p. 271. und hiernach denn unsere Schulgrammatiken, wie Zumpt § 63. Ramshorn § 28. Anm. 5. Den Genitiv Romae, Brundisii erklärte man durch eine Ellipse, wenn man dazu überhaupt einen Versuch machte, wie Ruddim. II. p. 270. Ramshorn § 148. Anm., die urbs ergänzten nach dem Vorgange von Sanctius u. Perizonius Min. IV, 4. die sich wegen domi, belli, humi u. s. w. mit verschiedenen Ellipsen quälen, wie tempore, (auch domi tempore, d. h. in Friedenszeiten) in loco, in terra, in rebus, in solo oder solum u. s. w. Dagegen hat die von Reisig gegebene Erklärung das unbestreitbare Verdienst, daß sie die wunderliche Mannigfaltigkeit des Gebrauchs auf Ein Prinzip zurückführt, wenngleich dabei von der unrichtigen Prämisse einer späteren Erfindung des Ablativs ausgegangen wird, worüber s. Anm. 47., und außerdem die lokale Bedeutung des Dativs im Lateinischen sich sonst nicht genügend glaublich machen läßt. Übrigens erwähnt diese Meinung schon Stallbaum zu Ruddim. II. p. 270. wo wahrscheinlich als ihr Urheber Reisig gemeint ist; doch hat sie schon längst, wenigstens in bezug auf die Städtenamen der ersten Deklination, Oudendorp zu Caes. B. Civ. II. 19. ausgesprochen; in weiterer Ausdehnung ist sie neuerlich angenommen von Düntzer in der Lehre von der lat. Wortbildung. Sie steht aber mit der neuesten Ansicht, welche von der vergleichenden Grammatik ausgegangen ist, in viel näherer Verbindung, als ihr Urheber ahnen konnte; von dieser ist nämlich ein neuer Kasus, der Lokativ aufgestellt worden, den manche für eine wahre Wohlthat ansehen, um dieser Richtung des grammatischen Studiums durch einen so unwidersprechlichen Beleg Anerkennung zu verschaffen; andere aber wollen dem indischen Kasus durchaus keinen Platz in der lat. Grammatik gönnen. Indes kann es nicht fehlen, daß eine umfassendere Kenntnis und ein freierer Überblick der Sprachenverwandtschaft diesem parvenu sein Recht sichern wird, zumal da hierdurch die Annahme eines näheren Verhältnisses des Lateinischen zum Griechischen keineswegs beeinträchtigt wird. Das Verdienst, den Lokativ zuerst nachgewiesen zu haben, hat Fr. Rosen in der prolusio cor

poris radicum sanscritarum (Berol. 1826.) pag. 12; vgl. Bopp, Vergleich. Gramm. Abt. I. p. 229 fgg. Benary, Röm. Laut lehre I, p. 57. Hartung, üb. die Kasus p. 191. 205. fg.; auch hat Weißenborn in seiner Syntax der lat. Spr. für obere Klassen gelehrter Schulen § 121 fg. den Lokativ wirklich mit den übrigen Casibus in Reihe und Glied gestellt, was doch bedenklich ist; denn will man es sich auch gefallen lassen, daß ein Kasus eingeführt wird, den die Alten selbst nicht kannten und mit anderen identifizierten, so ist doch ohne Zweifel das unrichtig, daß in der ersten und zweiten Deklin der Lokativ als verschieden vom Genitiv betrachtet wird, was gerade Rosen und Bopp a. a. O. entschieden leugnen, indem sie nachweisen, daß ein eigentümlicher Genitiv in diesen beiden Deklinationen überhaupt nicht vorhanden, sondern daß er von dem alten Lokativ entlehnt ist und durch diesen nach Form und Bedeutung vertreten wird. Zu bemerken ist noch, daß Präpositionen nur mit den gewöhnlichen Kasusformen, nie mit jenen alten Lokativformen verbunden werden, was Reisig unten § 401. irrtümlich annimmt. Übrigens vgl. Hoffmann in Jahns N. Jahrb. f. Philol. u. Päd. VII. 1. p. 18 fgg. Klotz in der Zeitschr. f. d. Altertumsw. 1835. Nr. 92. wo gegen den Lokativ gekämpft, übrigens aber das Material für die Einzelheiten des Gebrauchs zweckmäßig zusammengestellt ist; reiche Sammlungen in dieser Beziehung findet man auch in Alvarez institt. gramm. p. 343 fgg. Lagomarsini ad Pogiani epp. I. pag. 243 fg. abgedruckt in Seebodes Miscell. crit vol. II. p. 3. pag. 459 fgg. Wie humi, militiae u. s. w. werden seltener auch noch einige andere Wörter gebraucht, namentlich terrae, worüber s. Sanct. Min. IV, 4. v. solum; Heins. u. Burm. zu Ovid Amor. III, 2, 25. Drakenb. zu Liv. V, 51, 9. Corte zu Lucan IV, 647. Wagner zu Virg. Aen. VI, 84. wonach auch abstrusus terrae bei Vellej. II, 129. 3. gegen eine Konjektur von Bergk und gegen die Änderung von Cludius zu schützen. So steht ferner arenae bei Virg. Aen. XII, 382. Von anderen Appellativis kann nur etwa arbori suspendito in der alten Gesetzformel, wovon s. unten § 396. und die Ausleger zu Liv. I, 26, § 6 u. 11. als Lokativ gefaßt werden; vielleicht kann man eine Reminisceuz daran auch in den Dativen neci, morti, capiti u. a. anerkennen, welche § 367 a. E. und § 379 erwähnt sind; über carceri vgl. Anm. 572. Für die ähnliche Behandlung der Ländernamen finden sich selbst bei Cicero einige Belege, mehr bei Dichtern und den Prosaikern nach seiner Zeit; er selbst scheint das Graeciae de Rep. III, 9, 14. wie so vieles in diesen Büchern als etwas Altertümliches angewendet zu haben

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