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Eine seltsame Attraktion aber ist es, wenn zwei Sätze sind, und das Verbum im Hauptsatze oder in der Apodosis sich beziehen soll nicht eigentlich auf das grammatische Subjekt im Vordersatze, sondern auf den ganzen Satz als eine Einheit. Dann ist freilich eigentlich der Singular des Verbi im Hauptsatze zu setzen; z. B. wenn man sagt: haec qua celeritate gesta sint, praetereundum non est. Dafür kann die Form gewählt werden, daß im Hauptsatze ebenfalls der Plural gesetzt wird, wie ihn das grammatische Subjekt im Nebensatze verlangt für diesen; demnach sagt Cic. p. lege Man. 12, § 34. haec qua celeritate gesta sint, quamquam videtis, tamen a me in dicendo praetereunda non sunt. Vgl. das. Matthiä, welcher passende Beispiele beibringt, wie Cic. de Or. II, 30. a. E. sed illa quaerenda,

scher Sprache: Litterae thesaurum est. Etwas hart ist auch der Ausdruck bei Juvenal Sat. XIII, 25: Rari quippe_boni; numerus vix est totidem, quot Thebaram portae.] {Auch Draeger H. Synt. I, 181 wendet sich gegen Bachs Behauptung zu Ovid. Met. 1, 292 (nicht 1, 92) und meint vielmehr, daß in den meisten Fällen die Stellung werde entschieden haben. Bei Ter. Andr. 555 lesen Fleckeisen, Spengel u. Meißner integratiost, es wird also die Attraktion des Numerus im Altlat. gegen Draeger 1. 1. aufrecht zu erhalten sein. Loch im Bamberger Progr. 1870 (Materialien zu einer lat. Gramm. der Vulgata) sieht in Stellen wie Psal. 118, 24 u. 99 testimonia tua meditatio mea est mit Unrecht einen Gräcismus; (damit soll jedoch nicht geleugnet werden, daß in der Vulgata nach griechischer Weise bei dem neutr. plural. als Subjekt das Prädikat im Singular nicht selten steht, cfr. Koffmane Geschichte des Kirchenlateins, Breslau 1881 p. 120); ebenso faßt Guericke 1. 1. p. 50 Varr. Sat. Men. 475 B. hic enim omnia erat unrichtig; hic ist Subjekt, nicht omnia, und weil hic eine Person bezeichnet, richtet sich nach ihm das Prädikat im Numerus. Vgl. ferner Kühner lat. Gramm. II p. 26, Kühnast p. 68 Anm., Badstübner p. 6, der außer Krüger noch Schmidt Von den Haupterscheinungen der gramm. Attraktion" Progr. Quedlinburg 1858 citiert; Hoppe Zur Sprache des Philos. Seneca Lauban Progr. 1877 p. 15; Grasberger de usu Pliniano p. 104 citiert aus Plin. nat. h. 35, 10, 114 unde id genus picturae grylli vocantur. Bei Juvenal 13, 25 liest Weidner: rari quippe boni; numero vix sunt totidem quot Thebarum portae.}

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quae ab accusatore et defensore argumenta afferri. 343)

197. Zu diesem Kapitel gehört nun noch die

3) Konstruktion der Personen.

debeant

Die Lateiner setzen oft die zweite Person Singularis, ohne an eine bestimmte einzelne Person, die sie anreden möchten, zu denken; nur eine unbestimmte denken sie dabei, wie wir bei unserm man. Anstatt dieses ganz gewöhnlichen Gebrauchs wird aber auch die dritte Person Singularis gesetzt mit dem Gedanken einer unbestimmten Person, so daß, aliquis zu denken ist. Am gebräuchlichsten ist dies bei in-331 quit, sagt man; z. B. Cic. de Fin. I, 2, § 4. Quis enim tam inimicus paene nomini Romano est, qui Ennii Medeam aut Antiopam Pacuvii spernat aut reiciat, quod se iisdem Euripidis fabulis delectari dicat? Synephebos ego, inquit, potius Caecilii aut Andriam Terentii quam utramque Menandri legam? A quibus tantum dissentio. S. Ernesti clav. Cic. v. inquit, der als ein schwacher Grieche en damit verglich; das geht aber nicht, denn nur eine wird so gebraucht bei Aristaenetus; [jedoch auch noí; s. Bern

343) [Diese Klasse von Beispielen steht in der nächsten Verwandtschaft mit der Konstruktion des Nomin. c. inf., wovon s. unten § 450, und gehört also genau genommen nicht ganz bierber. Passender wären Stellen wie diese bei Cic. or. Phil. IV, 4. Quis igitur illum consulem nisi latrones putant? Von jener Art ist Sall. Jug. 49, 2. Quae ab imperatore decuerint, omnia suis provisa, zu welcher Stelle von Kritz zweckmäßige Nachweisungen gegeben sind.] (Über die Art der Attraktion, wie sie Cic. Phil. 4, 4 stattfindet, vgl. oben Anm. 331.- Über den Unterschied zwischen Stellen wie Cic. Lael. 56 constituendi autem sunt qui sint in amicitia fines und solchen, wo wie Cic. Pomp. 34 das Prädikat im abhängigen Satze nachfolgt, vgl. Seyffert-Müller zu Lael. p. 374 f.; cfr. ferner HofmannAndresen und Süpfle-Böckel zu Matius bei Cic. fam. 11, 28, 2; Madvig de fin. 383 u. 7073; Halm zu Cic. Pomp. 34; Fabri u. Jakobs-Wirz zu Sall. Jug. 49, 2. Bemerkt sei, daß Kühner lat. Gramm. II p. 521 diese Attraktion nach Haases Anweisung bei der Konstruktion des nom. c. inf. behandelt.}

hardy wissensch. Synt. pag. 414 fg. und 419.] Bentley [und Heindorf] zu Hor. Sat. I, 4, 79. Doch einzeln kann man auch andere Verba so konstruiert sehen bei Prosaikern und Dichtern; da es aber der seltnere Sprachgebrauch war und den Abschreibern fremd und lange Zeit auch den Editoren, so liegt noch manche bessere Lesart verborgen, welche ihn wiedergiebt; z. B. Cic. de Or. I, 8, § 30 steht zweimal velit, man will, was Ernesti änderte in velis: neque vero mihi quicquam inquit, praestabilius videtur, quam posse dicendo tenere hominum [coetus] mentis, allicere voluntates, impellere quo velit; unde autem velit, deducere. Tibull. I, 6, 53. Parcite quam custodit Amor violare puellam Attigeris, labentur opes; die meisten MSS. geben attigerit, rührt man an; doch in den Editionen steht: attigeris.344)

344) [Vgl. noch inquit bei Hor. Sat. I, 3, 126. Cic. p. Cluent. c. 34. p. Flacc. 23. Senec. controv. XXVII. Juven. Sat. 14, 153. Gronov. und Drakenb. zu Liv. XXXIV, 3, 9 von denen der erstere zeigt, daß es besonders häufig ist bei Seneca als Zeichen des Einwurfs; Burmann zu Phaedr. III, praef. v. 4. Davis. zu Cic. Tusc. I, 39. Buenemann zu Lactant. III, 28, 10. Spalding zu Quintil. V, 11, 21. Zumpt zu Cic. divin. in Caecil. 16, § 51. Man dachte sich dabei einen auditor calumnians, den Varro de L. L. 1, § 1. ausdrücklich bezeichnet. Über andere Verba s. Wopkens lectt. Tull. p. 2. Heusing. praef. ad Cic. Offic. p. XLV. Bremi zu Cic. de Fin. II, 7. Spalding zu Quintilian II, 15, 12. Bei Cic. de Rep. I, 36, 56. ut rex putaretur unus esse in caelo, qui nutu, ut ait totum olympum Homerus converteret liegt die Vermutung nahe, daß Homerus vom Rande in den Text geraten ist, (obgleich sich freilich für die so entstandene Wortstellung manche ähnliche Sonderbarkeiten beibringen ließen) und daß dann ait im allgemeineren Sinne zu nehmen.] {Bei Horaz vgl. noch sat. 1, 4, 79 wo Holder, Fritzsche u. a. inquit lesen (Krüger inquis, Schütz schwankt); vgl. ferner Draeger H. Synt. I § 50, Kühner lat. Gramm. II p. 4, Süpfle-Böckel zu Cic. Att. 14, 12, 2 (anders jedoch Manutius, welchen siehe), Kühner zu Cic. Tusc. 1, 39, 93; Richter zu Cic. Verr. 5, 148; du Mesnil zu Cic. p. Flacco p. 97 u. 144; für Quintilian Becher im Progr. Ilfeld 1879 p. 11, Bonnell lexic. Quint. p. XXXVIII p. 46. Bei Cic. de or. 1, 8, 30 liest Sorof: neque vero mihi quicquam, inquit, praestabilius videtur, quam posse dicendo

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Werden nun in einem Satze mehrere Personen verbunden, so ist bekannt, daß die erste der zweiten und dritten, und die zweite der dritten vorgezogen wird; also ego meique vescimur. Aber es kann zugleich auch das Verbum nach dem Numerus derjenigen Person konstruiert werden, welche den Vorzug hat, also ego meique vescor, d. h. ego vescor et mei vescuntur. S. Hor. Sat. II, 6, 66. O noctes cenaeque deum, quibus ipse meique ante larem proprium vescor332 vernasque procaces pasco libatis dapibus.345)

Aber daß der ersten Person vor der zweiten und dritten der Vorzug gegeben wäre in dem Verbum, kann man nur so weit behaupten, als jene Personalbezeichnungen nicht disjungiert sind, sondern verknüpft; sind sie indes disjungiert, z. B. durch aut, so kann das Verbum sich nach der dritten Person richten, wenn diese die nächste ist; so in dem Brief des Ser. Sulpicius bei Cic. ad fam. IV, 5, § 11. Quid est quod tu aut illa cum fortuna hoc nomine queri possit? [possitis liest Matthiä.] Doch sind dergleichen Beispiele selten.345b)

tenere hominum [coetus] mentis, adlicere voluntates, impellere quo velit, unde autem velit deducere, cfr. Piderit u. Sorof z. St. Bei Cic. de rep. 1, 36, 56 ist Homerus von Osann ausgeschieden worden, auch Baiter u Halm lassen es weg; dagegen liest Klotz mit Heinrich (praef. p. XXXIV) u. ebenso C. F. W. Müller (praef. p. XXVI) ut ait Homerus.}

345) [Beispiele von dieser und der gleich nachher erwähnten Art findet man einige bei Ramshorn § 96, 3. Zumpt § 378. Weißenborn § 54. a. E. Merkwürdig ist der ganz entsprechende Ausdruck in einer Gesetzformel bei Cic. p. Tull. § 44. Unde tu aut familia tua aut procurator tuus illum vi deiecisti]

345b) (Die Lesart possit bei Orelli I und Martyni - Laguna ist aufgegeben; jetzt lesen alle Ausgaben possitis; vgl. meine Abhandlung Zf GW 1881 p. 118. Dagegen ist ein sicheres Beispiel bei Caelius ad fam. 8, 10, 3 si bellum tantum erit, ut vos aut successores parvis additis copiis sustinere possint; ohne Konjunktion Cic. fam. 6, 3, 4 mihi tu, tui, tua omnia maximae curae sunt. Bei anaphorischem Satzbau ist beides möglich, je nachdem die Person hervorgehoben werden soll oder das Verbum in der Nähe der einen oder andern Personen. bezeichnung steht. So lesen wir neben einander bei Caelius apud Cic. fam. 8, 16, 2 (auch ad Att. 10, 9, A); qua re si tibi tu,

Endlich ist noch ein Sprachgebrauch zur Erörterung übrig. Wenn eine Person weiter beschrieben wird durch einen Relativsatz, so richtet sich die Person des Verbi in dem Relativsatze nach der Person, welche in dem vorigen Satze diejenige war, die beschrieben werden sollte; z. B. Non sum is, qui putem. Non es is, qui putes. Aber es ist wohl zu beachten, wie gesagt worden, wenn es eine Beschreibung der früher genannten Person sein soll; denn es ist ein Fall möglich, daß von der genannten Person schon im vorigen Satze eine attributive Bezeichnung in einem Substantivum gegeben ist und daß diese weiter beschrieben wird in dem Relativsatze; dann bezieht sich das Verbum desselben auf das attributive Substantivum, aber nicht auf die Person; z. B. sum canis qui non latret, ich bin einer von den Hunden, die nicht bellen; ferner aber non sum canis qui latret heißt: ich bin zwar ein Hund, aber keiner, der da bellt; endlich non sum canis qui latrem, ich bin kein Hund, daß ich bellen könnte, und darum belle ich nicht; weil da die Beschreibung auf die Person zurückgeht.346)

si filius unicus, si domus, si spes tuae reliquae tibi carae sunt; si aliquid apud te nos, si vir optimus, gener tuus, valemus (der cod. Med. zu Cic. fam. liest jedoch valet, cfr. Wesenberg p. 129, Hofmann zu Cic. epp. I p. 201).}

346) [Poetisch und bei den Lateinern viel seltener als bei den Griechen sind solche Abweichungen wie Tibull. I, 6, 39. Tunc procul absitis, quisquis colit arte capillos, wo Huschke noch einen von Scaliger zu Catull LXVIII, 6. citierten Vers anführt: Danai qui parent Atridae quam primum arma sumite.

Der Wechsel zwischen der dritten und zweiten Person, worüber Bernhardy wissensch. Synt. p. 424. für die Lateiner Broukhus. zu Propert. II, 24, 35. anführt, ist mehr rhetorischer als grammatischer Art. Eine Nachlässigkeit des Ausdrucks ist bei Varro de L. L. IX, 15. p. 465. Speng. Et hi, qui pueros in ludum mittunt, iidem barbatos non docebimus?] {Bei Tibull 1, 6, 39 liest L. Müller quisquis colis, cfr. auch Streifinger de synt. Tib. p. 23. Vgl. Draeger H. Synt. II p. 507, Kühner lat. Gramm. II p. 844 f., wo Ennius Ann. 3 fragm. 15 vosque lares tectum nostrum qui funditus curant citiert ist; zu letzterem Verse vgl. jetzt L. Müller Q. Ennius (St. Petersburg, Ricker 1884) p. 209, wonach das beigefügte Substantiv den Übergang zur dritten Person vermittelt.}

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