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§ 2.

gliederung des rhetorischen Organismus in seine einzelnen Bestandteile und zwar in systematischer Ordnung d. h. so, dass die Haupt- und Unterabteilungen, die Hauptstücke, Kapitel und Abschnitte des gesamten rhetorischen Systems in geordneter Aufeinanderfolge aufgeführt werden. Die Form, in welcher diess. geschieht, ist die von Frage und Antwort der Sohn fragt, der Vater antwortet sodass wir also eine Art rhetorischen Katechismus vor uns haben, in dem die Hauptstücke der Lehre von der Beredsamkeit nach Inhalt und Umfang möglichst vollständig in bestimmter, sachgemässer Reihenfolge übersichtlich und fasslich dargelegt sind.

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Die nächste Veranlassung zur Ausarbeitung eines solchen rhetorischen Katechismus lag für Cicero zunächst wol in dem Bestreben, seinem einzigen Sohne Marcus einen Leitfaden in die Hand zu geben, der ihm nicht nur das im früheren Unterricht gelernte leicht und sicher vergegenwärtigen 3), sondern ihm auch bei seinem etwaigen öffentlichen Auftreten von erheblichem praktischen Nutzen sein könnte. An griechischen Compendien der Art fehlte es allerdings nicht); dafür sorgten die zalreichen griechischen Rhetoren, die sich als Jugendlehrer in Rom aufzuhalten pflegten, in ausreichendem Masse. Aber ein kurzes in lateinischer Sprache abgefasstes Lehrbüchlein, das speciell die Theorie der römischen Beredsamkeit ins Auge fasste, mochte noch immer als ein fühlbares Bedürfnis erscheinen. Und wenn sich der Abfassung eines solchen Lehrbuchs ein Mann wie Cicero, unterzog, der frei von der mechanischen Manier der griechischen Lehrmeister, mit den erforderlichen theoretischen Kenntnissen zugleich eine reiche praktische Erfahrung verband, so konnte eine solche Schrift nicht bloss Ciceros Sohne, sondern auch noch andern jüngeren und älteren

tutelas, inscienter facias, si ullam praetermittas; at si stipulationum aut iudiciorum formulas partiare, non est vitiosum in re infinita praetermittere aliquid, quod idem in divisione vitiosum est; formarum enim certus est numerus, quae cuique generi subiiciantur; partium distributio saepe est infinitior, tamquam rivorum a fonte diductio. Itaque in oratoriis artibus quaestionis genere proposito quot eius formae sint, subiungitur absolute, at cum de ornamentis verborum sententiarumve praecipitur, quae vocant oxnuara, non fit idem; res est enim infinitior; ut ex hoc quoque intellegatur quid velimus inter partitionem et divisionem interesse; quamquam enim vocabula prope idem valere videbantur, tamen quia res dif

ferebant, nomina rerum distare voluerunt. Es ergibt sich übrigens aus dieser Begriffsbestimmung von selbst, dass die partitio recht wol in der Form der divisio auftreten kann, wo sie nämlich (wie diess eben in den part. or. meistenteils geschieht) die sämtlichen Glieder des rhetorischen Organismus in systematischer Ordnung und Reihenfolge nach Ober- und Unterabteilungen aufführt.

3) part. or. 1, 2 sic enim et ego te meminisse intellegam, quae accepisti et tu ordine audies, quae requires.

4) Darauf deutet gleich der Anfang der p. or. 1, 2 visne ut tu me Graece soles ordine interrogare, sic ego te vicissim eisdem de rebus Latine interrogem.

unter den gebildeten Römern immerhin sehr dankenswerte Dienste leisten. Daher entschloss sich denn Cicero, als ein brauchbares Hülfsmittel für seinen Sohn, wie für andere studierende junge Leute einen solchen Katechismus der Rhetorik in lateinischer Sprache, vom Standpunkt der römischen Beredsamkeit aufzustellen und so auch in dieser, wenn schon geringfügigeren Beziehung, doch immerhin einen weiteren Schritt zur Erreichung des höhern Gesamtzieles zu thun, das, wie wir wissen, von Seiten Ciceros darauf gerichtet war, der griechischen Prosaliteratur eine wo möglich völlig ebenbürtige römische gegenüberzustellen.

Das kleine Lehrbuch soll aber zugleich noch einen andern § 3. propädeutischen Zweck erfüllen. Wie die methodische Gliederung des oratorischen Systems selbst wieder auf der tieferen Grundlage der griechischen akademisch-peripatetischen Philosophie beruht"), die besonders die Kunst der Dialektik mit der schönen Form der Darstellung verbindet 6) und ausserdem die dem Redner unentbehrlichen ethischen Stoffe in reichem Masse darbietet 7), so sollen eben diese hier gegebenen partitiones oratoriae nichts anderes, als nur die Fingerzeige zu den eigentlichen Quellen, den philosophischen Wissenschaften der akademisch-peripatetischen Schule sein. Die partitiones oratoriae geben im Allgemeinen nur die Fundstätten an, wo das edle Metall zu finden ist, die Schätze selbst soll der junge Marcus bei Plato und Aristoteles suchen, denen Cicero selbst nach seinem eigenen Geständnis für seine rednerische Ausbildung so unendlich viel zu verdanken hat). Durch das Studium der philosophischen Wissenschaften werden die oratorischen Lehrstücke, die hier eigentlich nur aufgezeigt sind, erst mit dem rech. ten, lebendigen Inhalt erfüllt und überhaupt der geistige Gesichtskreis in dem Grade erweitert, wie es für den zukünftigen Redner nötig ist. Darauf soll nach des Vaters Willen das Streben des Sohnes gerichtet sein 9).

Zu dem Ende hat sich denn Cicero nicht bloss auf die streng § 4. rhetorischen Stoffe im engern Sinn beschränkt, sondern an rechter Stelle auch die andern, besonders die ethischen und juristischen Kategorieen hervorgehoben, die im weiteren Sinn ja gleichfalls in das Gebiet der Rhetorik gehören. Nicht bloss die eigentliche rhetorische Thätigkeit als solche, das invenire, collocare und eloqui, die actio und die memoria wird ins Auge gefasst; nicht bloss die Rede mit ihren Teilen, dem principium und der narratio, der argumentatio und peroratio, die Lehre von den status causae, die

5) p. or. 40, 139 expositae sunt tibi omnes oratoriae partitiones, quae quidem e media illa nostra Academia effloruerunt.

6) p. or. 1. 1. Brut. 31, 120 quorum in doctrina atque praeceptis disserendi

ratio coniungitur cum suavitate di-
cendi et copia.

7) p. or. 40, 140; Or. 4, 16; 33, 118;
de fin. V 3, 7.

8) Or. 3, 12.

9) p. or. 40, 140.

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rke reiht sich bekanntlich § 1. itel de partitione oratoria toriae1) führt.

ne Zerlegung und Zer

1 res, quae proposita est, quasi mbra discerpitur und hernach in partitione quasi membra sunt orporis caput, humeri, latera, . pedes et cetera. Von der diviwill Cicero die partitio insofern rschieden wissen, als partitio zuhst nur Zerlegung des Ganzen ín ne Bestandteile, des Organismus seine Glieder ist (ut si quis dicat, - civile id esse, quod in legibus, seatus consultis, rebus iudicatis, iurisritorum auctoritate, edictis magistratuum, more, aequitate consistat Top. 5, 28); die divisio dagegen Angabe der Arten oder species, in welche die Gattung, das genus, zerfällt Top. 1. 1. divisionum autem definitio formas omnes complectitur, quae sub eo genere sunt, quod definitur und weiter unten 7, 30 in divisione formae (sunt), quas Graeci sidn vocant, nostri, si qui haec forte tractant, species appellant (Quint. V 10, 63 Cicero do

cet

- divisionem differre a partitione, quod haec sit totius in partes, illa generis in formas). Die Aufzälung der zu einem bestimmten Gebiet gehörigen Stücke, die partitio, soll zwar möglichst vollständig sein; da aber zuweilen ein solches Gebiet unabsehbar und unerschöpflich ist, so kann man von der partitio nicht immer verlangen, dass sie absolut vollständig sei, während an die divisio allerdings diese Forderung absoluter Vollständigkeit zu stellen ist Top. 8, 33 partitione tum sic utendum est, nullam ut partem relinquas, ut si partiri velis

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Schriften Ciceros beruht, möchte nun die gegenwärtige Ausgabe sowol durch eine ausführlichere Einleitung, als auch durch eine möglichst vollständige und erschöpfende Erklärung an ihrem Teil zu fördern suchen.

Zu dem Ende ist der Text unter sorgfältiger Vergleichung der Erlanger Handschrift mit den Lesarten des Parisinus genau revidiert und, wo es nötig war, verbessert*), der Commentar aber (da es an einer irgend brauchbaren speciellen Vorarbeit fehlte) fast ganz selbständig und in ähnlicher Weise, wie früher meine Ausgaben der grösseren rhetorischen Schriften Ciceros, ausgearbeitet worden.

So darf ich denn wol die vorliegende Bearbeitung als die erste wenigstens genauere Specialausgabe der Partitiones oratoriae bezeichnen und damit zugleich den Wunsch aussprechen, dass sie als solche sich brauchbar erweisen und eine günstige Aufnahme finden möge.

Hanau, im Mai 1867.

Karl Wilhelm Piderit.

*) Vgl. m. Abh. zur Kritik von Ciceros Partitiones oratoriae P. I. Hanau 1866 und N. Jahrb. B. 95, H. 4. n. 36. S. 275 ff.

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