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EINLEITUNG.

An Ciceros grössere rhetorische Werke reiht sich bekanntlich § 1. noch eine kleine Schrift an, die den Titel de partitione oratoria dialogus oder genauer partitiones oratoriae1) führt.

Es ist, wie dieser Titel anzeigt2), eine Zerlegung und Zer

1) Quintilian citiert die Schrift nur unter diesem Titel, partitiones oratoriae oder kurz partitiones (diaigéσεs) III 3, 7 (Cicero) in partitionibus oratoriis ad easdem quinque per

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venit partes; III 11, 10 idque et in rhetoricis Cicero et in partitionibus dicit; III 11, 19 at in partitionibus oratoriis etc. IV 2, 107 (Cicero) in partitionibus praecipit. Darauf führt auch Cicero selbst part. or. 40, 139 expositae sunt tibi omnes oratoriae partitiones. Der Plural weist auf die verschiedenen Ober- und Unterabteilungen hin, in welche das rhetorische Lehrgebiet zerfällt, vgl. Brut. 88, 302 attuleratque (sc. Hortensius) minime vulgare genus dicendi, duas quidem res, quas nemo alius: partitiones, de quibus dicturus esset et collectiones eorum, quae essent dicta contra quaeque ipse dixisset (die jedesmalige Vorausangabe oder Aufzälung der Hauptstücke und das jedesmalige Resumé).

2) vgl. part. or. 19, 67 atque haec fere est partitio consultationum — damit schliesst Cic. die systematischgegliederte Angabe der einzelnen Abteilungen des genus infinitum ab; 32, 110 atque ipsa quidem partitio causarum (die Gliederung des genus finitum) paullo ante in suasionis locos distributa est; de or. II 61, 248; Brut. 53, 198; de fin. I 13, 45; Quint. I 2, 13. So definiert Cicero selbst den Begriff der partitio Top. 5, 28 atque etiam definitiones aliae sunt partitionum, aliae divisionum: partitionum,

CIC. PARTITIONES.

cum ea res, quae proposita est, quasi in membra discerpitur und hernach 6, 30 in partitione quasi membra sunt ut corporis caput, humeri, latera, crura, pedes et cetera. Von der divisio will Cicero die partitio insofern unterschieden wissen, als partitio zunächst nur Zerlegung des Ganzen in seine Bestandteile, des Organismus in seine Glieder ist (ut si quis dicat, ius civile id esse, quod in legibus, senatus consultis, rebus iudicatis, iurisperitorum auctoritate, edictis magistratuum, more, aequitate consistat Top. 5, 28); die divisio dagegen Angabe der Arten oder species, in welche die Gattung, das genus, zerfällt Top. 1. 1. divisionum autem definitio formas omnes complectitur, quae sub eo genere sunt, quod definitur und weiter unten 7, 30 in divisione formae (sunt), quas Graeci ɛidŋ vocant, nostri, si qui haec forte tractant, species appellant (Quint. V 10, 63 Cicero docet-divisionem differre a partitione, quod haec sit totius in partes, illa generis in formas). Die Aufzälung der zu einem bestimmten Gebiet gehörigen Stücke, die partitio, soll zwar möglichst vollständig sein; da aber zuweilen ein solches Gebiet unabsehbar und unerschöpflich ist, so kann man von der partitio nicht immer verlangen, dass sie absolut vollständig sei, während an die divisio allerdings diese Forderung absoluter Vollständigkeit zu stellen ist Top. 8, 33 partitione tum sic utendum est, nullam ut partem relinquas, ut si partiri velis

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§ 2.

gliederung des rhetorischen Organismus in seine einzelnen Bestandteile und zwar in systematischer Ordnung d. h. so, dass die Haupt- und Unterabteilungen, die Hauptstücke, Kapitel und Abschnitte des gesamten rhetorischen Systems in geordneter Aufeinanderfolge aufgeführt werden. Die Form, in welcher diess geschieht, ist die von Frage und Antwort der Sohn fragt, der Vater antwortet sodass wir also eine Art rhetorischen Katechismus vor uns haben, in dem die Hauptstücke der Lehre von der Beredsamkeit nach Inhalt und Umfang möglichst vollständig in bestimmter, sachgemässer Reihenfolge übersichtlich und fasslich dargelegt sind.

Die nächste Veranlassung zur Ausarbeitung eines solchen rhetorischen Katechismus lag für Cicero zunächst wol in dem Bestreben, seinem einzigen Sohne Marcus einen Leitfaden in die Hand zu geben, der ihm nicht nur das im früheren Unterricht gelernte leicht und sicher vergegenwärtigen 3), sondern ihm auch bei seinem etwaigen öffentlichen Auftreten von erheblichem praktischen Nutzen sein könnte. An griechischen Compendien der Art fehlte es allerdings nicht); dafür sorgten die zalreichen griechischen Rhetoren, die sich als Jugendlehrer in Rom aufzuhalten pflegten, in ausreichendem Masse. Aber ein kurzes in lateinischer Sprache abgefasstes Lehrbüchlein, das speciell die Theorie der römischen Beredsamkeit ins Auge fasste, mochte noch immer als ein fühlbares Bedürfnis erscheinen. Und wenn sich der Abfassung eines solchen Lehrbuchs ein Mann wie Cicero, unterzog, der frei von der mechanischen Manier der griechischen Lehrmeister, mit den erforderlichen theoretischen Kenntnissen zugleich eine reiche praktische Erfahrung verband, so konnte eine solche Schrift nicht bloss Ciceros Sohne, sondern auch noch andern jüngeren und älteren

tutelas, inscienter facias, si ullam praetermittas; at si stipulationum aut iudiciorum formulas partiare, non est vitiosum in re infinita praetermittere aliquid, quod idem in divisione vitiosum est; formarum enim certus est numerus, quae cuique generi subiiciantur; partium distributio saepe est infinitior, tamquam rivorum a fonte diductio. Itaque in oratoriis artibus quaestionis genere proposito quot eius formae sint, subiungitur absolute, at cum de ornamentis verborum sententiarumve praecipitur, quae vocant oxnuata, non fit idem; res est enim infinitior; ut ex hoc quoque intellegatur quid velimus inter partitionem et divisionem interesse; quamquam enim vocabula prope idem valere videbantur, tamen quia res dif

ferebant, nomina rerum distare voluerunt. Es ergibt sich übrigens aus dieser Begriffsbestimmung von selbst, dass die partitio recht wol in der Form der divisio auftreten kann, wo sie nämlich (wie diess eben in den part. or. meistenteils geschieht) die sämtlichen Glieder des rhetorischen Organismus in systematischer Ordnung und Reihenfolge nach Ober- und Unterabteilungen aufführt.

3) part. or. 1, 2 sic enim et ego te meminisse intellegam, quae accepisti et tu ordine audies, quae requires.

4) Darauf deutet gleich der Anfang der p. or. 1, 2 visne ut tu me Graece soles ordine interrogare, sic ego te vicissim eisdem de rebus Latine interrogem.

unter den gebildeten Römern immerhin sehr dankenswerte Dienste leisten. Daher entschloss sich denn Cicero, als ein brauchbares Hülfsmittel für seinen Sohn, wie für andere studierende junge Leute einen solchen Katechismus der Rhetorik in lateinischer Sprache, vom Standpunkt der römischen Beredsamkeit aufzustellen und so auch in dieser, wenn schon geringfügigeren Beziehung, doch immerhin einen weiteren Schritt zur Erreichung des höhern Gesamtzieles zu thun, das, wie wir wissen, von Seiten Ciceros darauf gerichtet war, der griechischen Prosaliteratur eine wo möglich völlig ebenbürtige römische gegenüberzustellen.

Das kleine Lehrbuch soll aber zugleich noch einen andern § 3. propädeutischen Zweck erfüllen. Wie die methodische Gliederung des oratorischen Systems selbst wieder auf der tieferen Grundlage der griechischen akademisch-peripatetischen Philosophie beruht), die besonders die Kunst der Dialektik mit der schönen Form der Darstellung verbindet 6) und ausserdem die dem Redner unentbehrlichen ethischen Stoffe in reichem Masse darbietet 7), so sollen eben diese hier gegebenen partitiones oratoriae nichts anderes, als nur die Fingerzeige zu den eigentlichen Quellen, den philosophischen Wissenschaften der akademisch-peripatetischen Schule sein. Die partitiones oratoriae geben im Allgemeinen nur die Fundstätten an, wo das edle Metall zu finden ist, die Schätze selbst soll der junge Marcus bei Plato und Aristoteles suchen, denen Cicero selbst nach seinem eigenen Geständnis für seine rednerische Ausbildung so unendlich viel zu verdanken hat). Durch das Studium der philosophischen Wissenschaften werden die oratorischen Lehrstücke, die hier eigentlich nur aufgezeigt sind, erst mit dem rech. ten, lebendigen Inhalt erfüllt und überhaupt der geistige Gesichtskreis in dem Grade erweitert, wie es für den zukünftigen Redner nötig ist. Darauf soll nach des Vaters Willen das Streben des Sohnes gerichtet sein 9).

Zu dem Ende hat sich denn Cicero nicht bloss auf die streng § 4. rhetorischen Stoffe im engern Sinn beschränkt, sondern an rechter Stelle auch die andern, besonders die ethischen und juristischen Kategorieen hervorgehoben, die im weiteren Sinn ja gleichfalls in das Gebiet der Rhetorik gehören. Nicht bloss die eigentliche rbetorische Thätigkeit als solche, das invenire, collocare und eloqui, die actio und die memoria wird ins Auge gefasst; nicht bloss die Rede mit ihren Teilen, dem principium und der narratio, der argumentatio und peroratio, die Lehre von den status causae, die

5) p. or. 40, 139 expositae sunt tibi omnes oratoriae partitiones, quae quidem e media illa nostra Academia effloruerunt.

6) p. or. 1. 1. Brut. 31, 120 quorum in doctrina atque praeceptis disserendi

ratio coniungitur cum suavitate di-
cendi et copia.

7) p. or. 40, 140; Or. 4, 16; 33, 118;
de fin. V 3, 7.

8) Or. 3, 12.

9) p. or. 40, 140.

§ 5.

bekannte Unterscheidung zwischen allgemeinen und besonderen Fragen (propositum und causa) und die drei Hauptredegattungen, das genus demonstrativum, deliberativum und iudiciale bilden den Gegenstand der theoretischen Erörterung, sondern Cicero versäumt es auch nicht, sowol beim genus demonstrativum eine kurze Uebersicht des Hauptteils der Ethik zu geben 10) und beim genus deliberativum auf die hier geltenden ethischen Kategorieen sorgfältig hinzuweisen 11), als auch beim status qualitatis ein besonderes Schema über die verschiedenen Hauptabteilungen des gesamten Rechtsgebiets aufzustellen 12) und überhaupt die Gesichtspunkte möglichst genau und vollständig zu bezeichnen, die der accusator oder der defensor, der suasor oder der dissuasor zu nehmen hat 13). Ist doch an éiner Stelle 14) zur Erläuterung des status definitivus absichtlich gerade ein sehr specielles Beispiel aus dem römischen Recht, die Begriffsbestimmung des praevaricator, gewält worden. Es waren das lauter Winke, worauf sich die Aufmerksamkeit und das weitere Studium des jungen Marcus Cicero für die Zukunft zu richten habe; ein brauchbares Vademecum, sowol um an das bereits gelernte immer wieder von neuem erinnert, als auch um auf das noch zu studierende zweckmässig hingewiesen zu werden.

Diese höhere Anlage des Schriftchens, die sich weit über den Standpunkt des rhetorischen Elementarunterrichts erhebt und in manchen Partieen, wie z. B. der eben erwähnten praevaricatio, eine schon gereiftere Auffassungsfähigkeit voraussetzt, legt nämlich die Vermutung sehr nahe, dass zur Zeit der Abfassung der Schrift Ciceros Sohn gleichfalls schon in einem etwas vorgerückteren Jünglingsalter stand, etwa in der Periode des Uebergangs aus den mehr vorbereitenden Privatstudien zu dem Studium der höheren philosophischen Wissenschaften auf der von den jungen vornehmen Römern fast allgemein besuchten Universität zu Athen 15).

Marcus Tullius Cicero, Ciceros und der Terentia einziger Sohn, geboren im Jahr 65 v. Ch. (689 a. u.) 16) etwa 13 Jahre später, als seine Schwester Tullia hatte in seinem neunten Lebensjahre den ersten eigentlichen Elementarunterricht gemeinschaftlich mit seinem etwas älteren Vetter Quintus Tullius Cicero im elterlichen Hause zu Rom erhalten, teils vom Vater selbst, teils

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24, 85; 27, 95 f; 34, 117 f und 35, 119 f; 35, 121; 36, 124 ff.

14) p. or. 36, 123 ff.

15) Darauf scheinen auch die Schlussworte der p. or. 40, 140 hinzudeuten: ad quos (sc. fontes) si nobis ducibus aliisve perveneris etc.

16) ad Att. I 2, 1 L. Iulio Caesare C. Marcio Figulo consulibus (sc. designatis) filiolo me auctum scito, salva Terentia.

unter der Aufsicht des Vaters 17) von bewährten griechischen Lehrern, wie Tyrannio 18), Päonius und dem gelehrten Freigelassenen des Atticus, Dionysius 19). Diesen letzteren und seinen eigenen Freigelassenen nahm Cicero im Jahr 51 mit nach Cilicien, wohin ihn sein Sohn Marcus, der eben 14 Jahr alt geworden, und sein Neffe Quintus Cicero begleiteten 20). Von hier besuchten die beiden Knaben zusammen den König Dejotarus in Galatien 21) und verweilten darnach, unter der Leitung des strengen Dionysius zu Ende des Jahrs in Laodicea 22). Auf seiner Rückreise aus der Provinz im Jahre 50 schickte Cicero die Knaben nach Rhodus, das damals vornehmlich durch seine Rhetorenschule hervorragte und nahm sie von da über Ephesus mit nach Athen 23) und von da nach Italien, welches Cicero bekanntlich im November des Jahres 50 erreichte.

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Bis dahin das wird Niemand in Abrede stellen wollen 24) – können doch die partitiones oratoriae nicht geschrieben sein. Aber die Abfassungszeit derselben kann auch noch nicht in die nächstfolgende Zeit nach Ciceros Rückkehr fallen. Denn wie aus dem kurzen Proömium der partitiones hervorgeht 25), Cicero hatte sich, als er das Büchlein schrieb, bereits wieder eine Zeit lang in der Stadt Rom aufgehalten und dann erst Zeit gefunden, sich von Neuem wissenschaftlichen Beschäftigungen hinzugeben. Nun steht es aber fest, dass Cicero um seine Ansprüche auf einen Triumph nicht zu verwirken, nach seiner Rückkehr aus Cilicien, bis Ende 47 erst da entliess er bekanntlich seine 6 Lictoren mit ihren Lorbeerfasces die Stadt nicht wieder betrat. Vor diesen

17) ad Quint. fr. II 14, 2 (a. u. 700) maximae mihi vero curae erit, ut Ciceronem tuum nostrumque videam, scilicet quotidie, sed inspiciam quid discat quam saepissime, et nisi ille contemnet, etiam magistrum me ei profitebor, cuius rei nonnullam consuetudinem nactus sum in hoc horum dierum otio, Cicerone nostro minore producendo.

18) ad Quint. fr. II 4, 2 (a. u. 698) Quintus tuus, puer optimus, eruditur egregie; hoc nunc magis animadverto, quod Tyrannio docet apud me.

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rex ab senatu appellatus est, secum in regnum. Dum in aestivis nos essemus, illum pueris locum esse bellissimum duximus.

22) ad Att. VI 1, 12 (a. u. 704) Cicerones pueri amant inter se, discunt, exercentur; sed alter, uti dixit Isocrates in Ephoro et Theopompo, frenis eget, alter calcaribus - Dionysius mihi quidem in amoribus est; pueri autem aiunt eum furenter irasci.

23) ad fam. XIV 5, 1 (a. u. 704) pridie Idus Octobres Athenas venimus.

24) Das gibt selbst Hand zu, der in der Allgem. Encyklop. der W. u. K. von Ersch u. Gruber B. XVII S. 211 als frühesten Termin der Abfassung (aber irrtümlich) das Jahr 704 a. u. c. (50 v. Ch.) bestimmt.

25) p. or. 1, 1 otium autem primum est summum, quoniam aliquando Roma exeundi potestas data est.

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