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Einundfunfzigstes Capitel.

Poëtik.

§. 654. Mit den Sprachen entstand auch Poesie oder Dichtkunst, die sowol in der Rede wie als literarisches Erzeugniss älter ist als die Prosa, was sich aus dem Wesen des Naturmenschen erklärt. Dichterisches Leben und dichterische Begeisterung. Wie sich das Wesen der Dichtkunst bei den verschiedenen Völkern verschieden gestaltete und ausbildete, ist bereits im zweiten Buche und übersichtlich in den §§. 58, 138, 307 und 308 nachgewiesen.

HERDER, Geist der hebräischen Poesie, (3. Aufl. von JUSTI) 1825. ULRICI, Geschichte der hellenischen Dichtkunst, 1835, ebenso BODE 1838 40. BERNHARDY, Geschichte der griechischen Poesie, 1845. F. v. SCHLEGEL, Geschichte der griechischen und römischen Poesie, 1798. HARTMANN, Versuch einer allgemeinen Geschichte der Poesie, 1797. F. K. ROSENKRANZ, Handbuch einer allgemeinen Geschichte der Poesie, 1832. BOUTERWEK, Geschichte der neuern Poesie und Beredtsamkeit, 1804-19. Andere Schriften sind Buch II bei den Poesien der einzelnen Völker citirt. ROSENKRANZ, Die Poesie und ihre Geschichte. Eine Entwickelung der poetischen Ideale der Völker, 1855.

§. 655. Die Poëtik als Theorie der Dichtkunst gehört, insofern das Princip der schönen Kunst auf Poesie angewandt wird, der angewandten Aesthetik, insofern sie aber Theorie des schönen Stils und eigentliche Technik der Poesie ist (Metrik und Theorie des Reims mit eingeschlossen), den praktischen Sprachwissenschaften an. Die älteste, uns erhaltene Poëtik ist die des Aristoteles. Horaz',Ars poetica". In neuerer Zeit Vida, Gravina, Boileau, Jul. Cäs. Scaliger, Gh. Voss, Racine, d'Alembert, Marmontel, Baumgarten, J. Adf. Schlegel, Gottsched, Breitinger, Sulzer (,Theorie der Dichtkunst'), Engel (,Anfangsgründe einer Theorie der Dichtungsarten'), Jean P. F. Richter (,Vorschule der Aesthetik'), Pölitz (Gesammtgebiet der deutschen Sprache', Bd. 3), Winter (,Dichtlehre', 1840). Einzelne Gegenstände derselben bearbeiteten besonders Sturz, Lessing, Klopstock, Delbrück, W. v. Humboldt, Herder, Schiller, Goethe, die Gebrüder Schlegel, Tieck, Falk u. A. Kritiken lieferten Müllner, Wenzel, Börne u. A.

§. 656. Dichtungsarten nach Verschiedenheit der darzustellenden Bilder und Erscheinungen des Lebens. Subjective (Gefühls-) und objective Poesie. Die Gefühls

poesie oder Lyrik mit der Didaktik. Die Erscheinungen, welche der Dichter als ihm äussere darstellt, werden als vergangen oder gegenwärtig zur Anschauung gebracht, und daraus ergibt sich die Epik und Dramatik. Gemischte Formen der Poesie sind die Idylle, poetische Epistel, Heroide, Satire, Parodie, Travestie, Epigramm, Räthsel, Charade, Logogriph u. s. w.

Zur Lyrik rechnet man gewöhnlich das Lied, die Ode, Hymne, Dithyrambe, Rhapsodie, Elegie, Heroide, Cantate, das Sonett, Madrigal, Rondeau und Triolet; zur Epik das ernste und komische Heldengedicht, die Romanze und Ballade, Legende, poetische Erzählung und Fabel; zur Dramatik das Trauer-, Lust-, Schau- und Singspiel (Melodram, Oper, Operette); zur Ergänzungsclasse der vier Hauptformen der Dichtkunst gehören die Idylle, poetische Epistel, dichterische Schilderung, Parabel und Paramythie, der Dialog und Monolog, die Satire, Parodie und Travestie, der Roman, das Märchen, die Novelle, das Sinngedicht und Epigramm, das Räthsel, die Charade, der Logogriph und das Anagramm; für die Didaktik gibt es keine solchen Unterabtheilungen, höchstens könnte das ausführliche Lehrgedicht von dem kürzern dem äussern Umfange nach unterschieden werden.

1) Die Lyrik.

§. 657. Sie soll geeignet sein, sich mit der Musik, als der dem Gefühlsleben entsprechendsten Kunst, eng zu verbinden. Strophische Form. Refrain. Eintheilung nach dem Ausdruck allgemein menschlicher und besonderer persönlicher (Gelegenheitsgedicht) Gefühle, oder nach Form, Tiefe und Schwung.

§. 658. Hymne (Hymnologie): Dithyrambus (Arion, 620 v. Chr.), Päan (Terpander, Archilochos, Pindar, Aristoteles an die Tugend), das sogenannte Lied Mosis, der Deborah, viele Psalmen der Hebräer, Homer, Kleanthes, Kallimachos; die ersten Hymnen in der morgenländischen Kirche von Hierotheos, in der abendländischen vom heiligen Hilarius, † 368, Ambrosius, † 397, Gelasius, Gregor d. Gr. (600), Urban VIII.; ihren Gebrauch in der Kirche bestätigte das vierte Concil zu Toledo, 633; der sogenannte Ambrosianische Lobgesang (Te deum laudamus), der Lobgesang

der Engel (Luc. 2, 14; Doxologie: Gloria in excelsis Deo) und der Marianische Lobgesang (Magnificat, nach Luc. 1, 46-55).

MONE, Lateinische Hymnen des Mittelalters (Marienlieder), 1854.

§. 659. Ode: Chorgesänge griechischer Dramen, Pindar, Sappho, Alkäos, Anakreon, Horaz. Skolien: Stesichoros, Simonides, Aristoteles, Praxilla, Kallistratos auf die Tyrannociden (Harmodios und Aristogeiton) 1. Religiöse Ode oder Hymne: Rousseau, Gray, Akenside, Thomson, Cowley, Prior, Cramer, Denis, Kretschmann, Haller, Klopstock, Herder, Lavater, Maler Müller, Stolberg. Heroische Ode: Pindar, Horaz, Dryden, Gleim, Ramler, Goethe, Schiller. Didaktische Ode: Horaz und neuere lateinische Dichter: Balde, Lotichius, J. Secundus; Chiabrera, Garcilaso de la Vega, Quevedo, Gongora; Rousseau, Racine, Gresset, Chénier, Lebrun; Weckherlin, Opitz, Flemming, Haller, Hagedorn, Uz, Lavater, Ramler. Stolberg, Voss, Kosegarten, Schubart, Herder, Arndt, Platen u. s. w.

1 ILGEN 1798, SCHNEIDEWIN 1839. ZELL, Ueber die Volkslieder der alten Griechen, 1826.

§. 660. Lied. Die alte Welt hat von Dichtungen der Art nur Weniges, desto bedeutender war die Entwickelung sowol des geistlichen als besonders des weltlichen Liedes (der Liebes-, Trink- und Kriegslieder) in Deutschland in der Zeit des Minnegesangs, im 13. Jahrh. Das 16. und 17. Jahrh. brachten nur Kirchenlieder von Werth hervor. Neue Belebung des weltlichen Liedes durch Lessing und Bürger, Goethe, Schiller, Uhland, Hebel, Chamisso, W. Müller. Das politische Lied1 durch Körner, Arndt, Rückert, Schenkendorf, Hoffmann von Fallersleben, Herwegh, Dingelstedt, Freiligrath.

Volkslieder (Volkspoesie: Lied, Sage, Märchen) mit Einfachheit der rhythmischen und metrischen Formen: Hildebrands- und Ludwigslied, Nibelungen, Gudrun, Reineke Fuchs, das Heldenbuch; Bürger, Herder, Claudius, Langbein, Schubart, Usteri, Hebel, Körner, Arndt, Holtei u. A. 2.

Kirchenlieder (Petrus Dresdensis: In dulci jubilo) infolge des Einflusses der Reformation, oben §. 459; in neuern Zeiten: Demme, Dietrich, Eschenburg, Funke, Gleim, Hermes, Mahlmann, Niemeyer, Elise von der Recke, Spalding, Starke, Teller, Uz, Wagner 3.

1 Marggraff, Politische Gedichte aus Deutschlands Vorzeit, 1843. 2 Sammlungen deutscher Lieder von BRENTANO und ARNIM, 1806 (3. A. 1846), BÜSCHING und V. D. HAGEN, 1807, HOFFMANN V. FALLERSLEBFN, 1844, Erlach, 1834, Kretschmar, 1840, UHLAND, 4844 — 45, Wolff, 1830, Soltau, 1836, KÖRNER, 1840. Ebenso sind mehre andere Völker, zum Theil früher als die Deutschen, darauf bedacht gewesen, die Reste alten Volksgesangs zu sammeln und zu erhalten. PERCY, Sammlung englischer und schottischer Lieder, 1765. In dem Hausschatz der Volkspoesie hat WOLFF, 1846, Uebersetzungen von Volksliedern verschiedener Länder und Zeiten zusammengestellt. TALVJ, Versuch einer Charakteristik der Volkslieder germanischer Nationen mit einer Uebersicht der Lieder aussereuropäischer Völkerschaften, 1840. W. MENZEL, Die Gesänge der Völker, 4850. ERK, Liederhort, 1855. 3 Zur Geschichte des Kirchenliedes LANGBECKER, WACKERNagel, Lange, HOFFMANN 1832. Sammlungen von BUNSEN, KNAPP, Raumer, Mützell, der berliner Liederschatz, BACHMANN (Zur Geschichte der berliner Gesangbücher, 1856), RAMBACH (Anthologie, 1816-22). Ob es vor Luther's Reformation ein deutsches Gesangbuch gegeben habe, ist zweifelhaft. Luther's Gesangbuch erschien 1524. MOSER'S Sammlung von 250 Gesangbüchern, 1751. ZOLLIKOFER ist Bahnbrecher für Verfertigung und Einführung neuer Gesangbücher seit 1766. Geschichte des evangelischen Kirchenliedes für Schule und Haus, 1855.

§. 661. Seit der Mitte des 18. Jahrh. Aufnahme der Ballade und Romanze, die bis dahin der epischen Poesie ausschliessend angehörten, in die Lyrik. Die italienische Ballata seit dem 12. Jahrh. war ein kleines lyrisches Gedicht, verwandt mit dem Sonett und Madrigal: Dante; Molière gegen die französischen Balladen; in England und Schottland seit dem 14. Jahrh. Bürger ist Schöpfer der deutschen Kunstballade: Leonore; Schiller, Goethe, Uhland, die beiden Schlegel, Tieck, Schwab, Chamisso, Zedlitz, Lenau, Heine u. A.

Die Romances sind lyrisch-epische Volkslieder. Die spanischen Ritter- und Schäferromanzen, in Uebertragungen von Herder, Diez, Beauregard - Pandin, Regis, Geibel. Romanzendichter: Stolberg, Schiller, Goethe, Tieck, beide Schlegel, Schwab, Uhland, Rückert, Chamisso, Zedlitz, Lenau u. A. Die französischen Lais, die englischen Romances und Ballads.

§. 662. Die Elegie in Distichen: Kriegslieder von Kallinos und Tyrtäos; Gnomen von Theognis und Solon; Epigramme, Klagelieder der Alexandriner; erotische Elegie von Tibull, Catull, Ovid, Properz; bei den Neuern (Hölty, Matthisson) in trochäischem Versmass. Vgl. oben §. 162.

Das Sonett (Quadernarien und Terzinen oder Terzette) ging in Italien hervor: Fra Guittone von Arezzo, † 1295, Petrarca; in Frankreich seit dem 16. Jahrh. die Bouts-rimés; das Klaggedicht von Weckherlin und Opitz; Erneuerung

durch Bürger, A. W. Schlegel, Tieck, Novalis, Graf von Löben, Rückert, Graf Platen. Rassmann,,Sonette der Deutschen', 1817. Greger, ,Sonette von bairischen Dichtern', 4831-34.

Madrigal von Petrarca und Tasso; Montreuil, Lainez und Moncrif; Kp. Ziegler (geb. 1621), Hagedorn, Götz, Gotter, Voss, Manso, Goethe, A. W. Schlegel (,Blumensträusse'). Luca Marenzio († 1599) componirte weltliche, Palestrina geistliche Madrigale.

Das Rondeau (Ringelgedicht) ist französischer Erfindung; Benserade, 1612-91. Auch das Triolett ist französischen Ursprungs, auf deutschen Boden durch Hagedorn verpflanzt; Gleim, A. W. Schlegel. Rassmann gab eine Auswahl 1815.

Die Idylle (eldúλov), bukolisches Gedicht, Ekloge (des Horaz?): das Buch Ruth, das Hohe Lied, die Sakuntala; Stesichoros, Theokritos, Bion, Moschos; Virgil, Calpurnius, Nemesianus; Ausonius; Tasso, Guarini, Sannazaro, Alamanni; Spenser; die spanischen Romane; Gessner, F. Müller, Voss, Goethe u. A.

2) Die Didaktik.

§. 663. Was ist von der didaktischen Poesie zu halten? Es gibt fast keinen so unpoetischen Gegenstand, den man nicht in Lehrgedichten behandelt hätte. Lucrez',De rerum natura, Virgil's ,Georgica', Ovid's ,Ars amandi', Horaz' ,Ars poetica', Schiller's,Glocke',,Hoffnung. Davies, Dyer, Akenside, Dryden, Pope, Young, Darwin; Racine, Boileau, Dorat, Lacombe, Delille; Opitz, Haller, Hagedorn, Cronegk, Uz, Dusch, Lichtwer, Tiedge, Neubeck. Ausser dem grössern Lehrgedichte auch die beschreibenden Gedichte, poetische Epistel, die sogenannte Aesopische Fabel, Parabel, Satire, Arten des Epigramms.

§. 664. Der poetische Brief oder die poetische Epistel ist bald erzählend (episch), bald lyrisch, gewöhnlich didaktisch. Horaz',Epistola ad Pisones', Ovid's,Epistolae ex Ponto'. Voltaire, Göckingk, Jacobi, Gleim, Klamer Schmidt.

Die Heroide von Ovid erfunden; Pope; Colardeau, Dorat, Pezay und Laharpe. Dagegen Herder in der,Adrastea', Bd. 3.

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