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Hora zens

Brief e

aus dem Lateinischen überfest

und mit

historischen Einleitungen und andern nöthigen
Erläuterungen versehen

von

C. M. Wieland.

Erster Theil.

Der neuen, verbesserten, mit dem Originale begleiteten Ausgabe
dritte Auflage.

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1722.

44-11

می جی

KE 32L12 (1-2)

BARVARD COLLEGE LIBRARY

Die Briefe des Horaz.

Erstes Buch.

Erster Brief.

An C. Cilnius

Cilnius Mȧcenas.

Einleitung..

Weber den Charakter des Mâcenas.

Mácenas, der Gönner und Beschüßer Virgils und Hoi

razens, der Mann, dem diese berühmten Dichter den Zutritt bey August, und die glückliche Muße, wovon ihre besten Werke die Früchte waren, zu danken hatten, hat sich dadurch in eine so allgemeine Achtung bey der neuern ges lehrten Welt, besonders unter uns Deutschen, gefeßt, daß fein Nahme, bevor er durch allzuhäufige und uncdle Ani wendung abgewürdigt worden, nicht anders als mit eis ner Art von religiöser Ehrerbietung ausgesprochen wurde. Die Litteratoren machten es mit ihm, wie die Klerisey mit Constantin dem Großen, und die Juristen mit ihrem Divus Justinianus: sie behandelten es ordentlich als Pflicht, den Mann, der den Virgilen und Horazen Landgüter geschenkt hatte, und dessen Haus und Tafel den Horaz. Briefe 1. Theil. Gelehr

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*

Gelehrten seiner Zeit offen gestanden, nicht nur als den Musarum Evergetem, Optimum Maximum (wie ihn sein andächtigster Verehrer Meibom nennt), sondern auch als ein Muster aller Regenten- und Minister - Tugenden abzuschildern, und gegen àlles, was etwa einen Schatten auf seinen Charakter werfen könnte, besonders gegen die Anschwärzungen des tadelsüchtigen Seneca, mit Faust und Ferse zu vertheidigen. Auch wo sie mit allem Krummen und Winden seine schwache Seite doch nicht ganz verbergen können, geben sie sich so viel Mühe, sie zu bemån» teln, und bringen so viele Entschuldigungen vor, warum fie ihn dennoch leider! nicht von allen den Fehlern und Gebrechen freysprechen können, ohne die er — nicht Må cenas gewesen wäre: daß man glauben sollte, es sey der Welt und den Wissenschaften unendlich daran gelegen, daß der große Musenwohlthåter durch alle Prådicamente einer Leichenrede ein Muster aller Tugenden gewesen seyn müßte. Wenn man bedenkt, daß diese Herren am Ende doch wohl keinen andern Beweggrund dazu gehabt haben, als ihm für Wohlthaten, welche nicht sie, sondern Leute, die schon viele hundert Jahre todt und verwest sind, von ihm em pfingen, ihre Dankbarkeit zu bezeugen: so kann man nicht umhin, zu gestehen, daß die Gelehrten eine sehr gutherzige Art von Menschen sind; und die lobbegierigen Großen unsrer Zeit haben alle Ursache, sich dieß zum Beweggrunde dienen zu lassen, dem guten Kaiser August und seinem tugendhaften Minister Måcen in ihrer Freygebigkeit und Achtung gegen so dankbare Seelen rühmlichst nachzuahmen.

Bey allem dem, und wiewohl man wenig berühmte Nahmen des Alterthums öfter und mit einem günstigern Vorurtheile genannt findet, scheint es doch, als ob die Vorstellung, die man sich gewöhnlich von seinem Charakter und von der Rolle, die er in Augusts merkwürdiger Re

gierung

gierung spielte, zu machen pflegt, nicht die richtigste sey. So ifts z. B. ganz irrig, wenn er (wie häufig geschieht) ein Minister, oder gar (wie ein gewisser Heinrich Salmuth in seinen Notis ad Panciroll. de Nov. Invent. gethan hat) ein Staats- Canzler Augufis genennt wird. Es ist wahr, daß er diesem Fürsten, ← dem es so schwer ist seinen wahren Nahmen zu geben, To lange er noch Cåsar Octavianus hieß, bis zum Jahr der Etadt Rom 727, wo ihm die Oberherrschaft unter gewif fen von ihm selbst klüglich vorgeschlagenen Modificationen übertragen wurde,

viele wichtige Dienste leistete. Er

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theilte in dieser Zeit mit Agrippa, dem nachmaligen Schwie. gersohn Augusts, das unumschränkteste Vertrauen des jungen Cåsars: er war ihm bey allen entscheidenden Gele genheiten zur Seite; und es ist mehr als wahrscheinlich, daß Octavianus ohne den Beystand dieser beyden Männer das Ziel seiner Wünsche nie erreicht hätte. August selbst fühlte so stark, wie unentbehrlich ihm ein Freund wie Må.. cenas war, daß er, einige Jahre nach dessen Tode, im Verdruß über die Folgen der heftigen Maaßregeln, zu welchen er sich gegen seine Tochter Julia hatte verleiten lassen, schmerzlich ausrief: das wäre mir nicht begegnet, wenn Mácenas noch lebte! Indeffen machen doch alle diese gu ten Dienste den Günstling Augusts so wenig zu seinem Minister, als ihn das Privatsiegel deffelben, welches ihm eine Zeitlang anvertraut war, zu seinem Canzler macht *). Er that in diesem Allem bloß, was ein Freund für einen Freund thut, dessen Partey er ergriffen hat, dem er persönlich ergeben und mit dessen Interesse sein eigenes aufs engste verbunden ist. Er blieb dabey immer im Privatstande, verwaltete nie eine öffentliche Staats

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1) Die Praefectura Urbis et İtaliae, die ihm Octavian nach dem Siege bey Actium auf einige Zeit übertrug, war eine bloße Prts vat - Commission, keine öffentliche Staatsbedienung.

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