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sich gegen alles, was Luft und Unlust hervorbringt, gleichgültig zu machen. Nicht die positive Lust, sondern die Schmerzlosigkeit müsse uns höchstes Ziel sein. Diese aber gewähre am sichersten der Tod. Man nannte ihn deshalb Πεισιθάνατος. Seine Vorträge sollen eine wahre Manie des Selbstmordes hervorgebracht haben.

Viertes Kapitel.

Plato.

39 Plato, der hochberühmte Begründer der älteren Akademie, (427-347) war durch Sokrates der Philosophie gewonnen worden, nachdem er als Jüngling anfänglich der Poesie ergeben gewesen war. Seine schriftstellerische Thätigkeit begann schon zu Lebzeiten des Sokrates und dauerte, unterbrochen allerdings durch Reisen nach Cyrene, Ägypten, Großgriechenland und Sicilien, bis in sein hohes Alter. ,,Scribens mortuus est", sagt Cicero von ihm. Die wichtigsten Lehren der vorhergehenden Philosophen, wenn man von der Atomenlehre absieht, finden sich in seiner Philosophie zu einer Einheit verschmolzen. Von einer alles andere überragenden Bedeutung aber war für ihn sein Umgang mit Sokrates. Wie so viele andere, bewunderte er die gefestigte Sittlichkeit und die zuverlässige Methode des Sofrates. Wenn er aber ein langes Leben hindurch nicht müde wurde, in so vielen Schriften diesen seinen Lehrer zum Interpreten seiner eigenen Ansichten zu machen, so berechtigt das zu der Annahme, daß er selbst seine Lehre der Hauptsache nach als die Entwickelung Sokratischer Keime betrachtete.

Die Bewunderung für Plato war zu allen Zeiten in gleicher Weise auf den Inhalt wie auf die Form seiner Schriften gerichtet. Schon für Cicero ist er ein summus et sentiendi et dicendi auctor. Seine Dialoge sind die Muster der attischen Prosa, formvollendet und doch natür

lich und durchaus frei von der sophistischen Redekünftelei, belebt zugleich durch die gute Laune der echt attischen Urbanität und durch einen Widerschein der Poesie, welche in Platos Seele angelegt war. Was die Richtung seines Denkens betrifft, so war in ihm die Neigung zum subtilen Scheiden und Definieren in einer seltenen und seltsamen Weise mit einem mystisch-poetischen Tiefsinn vereinigt.

Vor allem ist es wichtig, das Wesen der von ihm ge- 40 wählten Dialogform zu erfassen. Zunächst wollten diese Dialoge eine litterarische Nachahmung der Lehrweise des Sokrates sein, welcher ja nicht in zusammenhängender Rede, sondern gesprächsweise und durch Fragen zu lehren suchte. So, gemeinsam mit ihm suchend und den andern aus sich das Richtige finden lassend, meinte Sokrates, fördere man den Lernenden am besten, gelange man zu den sichersten Ergebnissen. Wenn Plato aber dieser Darstellungsform in der Folge treu blieb, so erklärt sich das daraus, daß er in ihr bald das Abbild des Denkens überhaupt erblickte, welches nichts anderes nach seiner Definition ist als ein lautloses Gespräch der Seele mit sich selbst. Einen großen Teil ihres Erfolgs aber haben die Dialoge Platos ihren poetischen Eigenschaften zu verdanken: in fast allen ist die Situation mit reichem Detail ausgestattet, und zu dieser sinnlichen Lebendigkeit gesellt sich meist jene Kunst des dramatischen Dichters, welcher jeden der Situation wie seinem Charakter gemäß sprechen läßt. Auch auf die Verschiedenheit der angeschlagenen Töne verlohnt es sich hinzuweisen. Die harmloseste Einfachheit erscheint hier in einem durchaus natürlichen Bunde mit der feinsten Grazie nicht bloß, sondern auch mit hochgesteigerter Erhabenheit. Als Würze ist in bewunderungswürdig diskreter Weise etwas von dem geistreichen Übermut des Aristophanes hinzugethan.

Die zuerst verfaßten Dialoge Platos sind diejenigen, 41 welche direkt dem Andenken und der Lehre des Sokrates ge= widmet sind. In diese Klasse gehören außer der Apologie, der Verteidigungsrede des Sokrates, vor allem der Kriton (über den Gehorsam, den man dem Staatsgeseze schuldig

ist), der Euthyphron (über die Frömmigkeit), der Lysis (über die Freundschaft), der Laches (über die Tapferkeit), der Charmides (über die Besonnenheit).

Für eine zweite Klasse von Dialogen kann man als gemeinsames Ziel die Bekämpfung der Sophistik angeben. Durch Belebtheit der Scenerie und Urbanität (dorecórns) zeichnet sich unter diesen der Protagoras aus, welcher von der Lehrbarkeit der Tugend handelt. Im Menon wird dasselbe Thema wieder aufgenommen und zu der eigentümlichen Platonischen Erkenntnistheorie in Beziehung gesezt. Mit einem Übermut, welcher bisweilen an Aristophanes erinnert, wird die sophistische Eristik (s. Einl. 27) im Euthydemus verspottet. Gegen die sophistische Rhetorik richtet sich der Gorgias, ein dramatisch gleichfalls sehr belebter Dialog, welcher sein Thema bis an die Wurzel verfolgt und der lügnerischen Schmeichelkunst der Sophisten ein auf Wahrheit und Gerechtigkeit gegründetes Lebensideal gegenüberstellt. Der Theätet schließlich sucht unter Bekämpfung des Sensualismus und der sophistischen Zweifeltheorie eine sichere Grundlage für das Erkennen zu gewinnen.

Der Blütezeit von Platos Lehrthätigkeit sind der Phädrus, das Symposion und die Republik zuzuweisen, an welche sich denn bald der Phädon und Philebus schlossen. Der Phädrus erörtert, vorwiegend allerdings in mythischer Einkleidung, die Platonische Lehre von der Seele und gewährt einen Ausblick in die der Wirklichkeit entgegengesette Ideeen= welt. Dem Inhalte nach ist diesem Dialoge vielfach verwandt das Symposion mit seinen „,erotischen Reden", in welchem sich die schriftstellerischen Vorzüge Platos zur schönsten Reife entwickelt zeigen. Mit einer unvergleichlichen Originalität wird hier der philosophische Trieb aus den geheimsten Tiefen der menschlichen Anlage abgeleitet. Das Ganze gipfelt dann in der berühmten Charakteristik des Sokrates, aus dem Munde des zulegt hinzugekommenen Alcibiades. Die Republik bietet nach einer vorbereitenden Erörterung über die Gerechtigkeit ein Bild des berühmten Platonischen Idealstaats, der nicht bloß eine staatsrechtliche Theorie aufstellen, sondern

die Idee des Guten und Gerechten selbst verwirklicht zeigen will. Offenbar zu verschiedenen Zeiten Entstandenes ist in diesem Werke zu einem Ganzen vereinigt; der lezte Teil mit seinen Erörterungen über die Idee des Guten berührt sich mit dem im Phädon und Philebus Vorgetragenen. Der berühmteste Dialog Platos ist der Phädon, welcher den Sokrates am Tage seines Todes vorführt, wie er im Kreise seiner Freunde, ruhig, klar und heiter, wie immer, die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele erörtert. Ein für das gründliche Erfassen der Platonischen Hauptgedanken sehr wichtiger, aber höchst schwieriger und abstrakter Dialog ist der Philebus, welcher, die weitesten Perspektiven eröffnend, die Frage nach dem höchsten Gut behandelt und zugleich die im Theätet begonnene Erkenntnistheorie zum Abschluß bringt. Ein Gegenstück zu der Republik sind die Geseze, das lezte Werk Platos, welches zum Zwecke der leichteren Verwirklichung von den hochgespannten Forderungen jener früheren und berühmteren Schrift ein beträchtliches nachläßt.

Alle Strahlen der Platonischen Philosophen schließen sich 42 zu der Ideenlehre zusammen, welche aus dem Widerspruch gegen den Pessimismus und die Skepsis, nicht bloß der Sophisten, sondern auch ernster Philosophen, wie des Heraklit, geboren ist. Heraklit hatte von dem ewigen Flusse der Dinge geredet. Nach der sophistischen Auffassung kann von einer objektiven Auffassung überhaupt nicht die Rede sein. Von dem Standpunkte des Sokrates aus, welcher in dem Begriffe das Wesentliche und Gemeinsame von dem Zufälligen gesondert zeigte, gelangte nun Plato, beflügelt durch seine poetische Begabung, zu jener tiefsinnigen Deutung des Wesens der Dinge, welcher die vielgebrauchten und doch von wenigen nur klar erfaßten Worte,,Ideal" und Idealismus" entsprossen sind. Der flüchtigen, wandelbaren Erscheinungswelt, welche ihm eine Welt des Scheins, der Schatten, der Unvollkommenheit ist, in welcher alles in stetem Wechsel und Werden begriffen ist, stellt Plato eine höhere Welt gegenüber als Welt des wahren. Seins, der wahren Wirklichkeit (tà övτws övta), von welcher jene erste nur ein schwacher

Wiederschein ist. Dies ist die Welt der ewigen und unveränderlichen Ideeen, welche nur durch das Denken (vónois) erfaßt werden, während die Erscheinungswelt Gegenstand der Sinnenerkenntnis (alovnois) ist Die Ideeen sind also jenes im steten Wechsel Beharrende, das stets in gleicher Weise Seiende und keinerlei Veränderung Zugängliche, welches erst eine Wissenschaft, eine wahre Erkenntnis, ja eine wahre Tugend erst möglich macht.

Das eigentümlich Tiefsinnige dieser Lehre liegt darin, daß die unsinnlichen Ideeen, welche der Mensch Neigung hat als traumartige Phantasiegebilde zu betrachten, als das allein Seiende gesezt und daß die Erscheinungswelt, welche sich mit ihrer ganzen Breite und Fülle ohne Unterlaß an unsere Sinne drängt, als etwas Nichtseiendes betrachtet wird. Eine stärkere Auflehnung gegen die natürliche Auffassungsweise ist nicht denkbar. Denn die Idee Platos ist nicht bloß jenes Gemeinsame, welches durch Abstraktion gefunden wird und den Inhalt des Begriffes bildet, sondern sie wird, wie auch das Wort sagt (eidos, idéa von idɛiv), von dem Geiste, wenn er sich von dem Sinnlichen freigemacht hat, schauend` erkannt. Diese intuitive Erkenntnis ist aber nicht ein nichtiges Träumen nach Plato, sondern die wahre und höhere. Erkenntnis, welche als iлiorýun von ihm der im Sinnlichen befangenen Meinung (dóğa) gegenübergestellt wird. Plato vergleicht deshalb die Menschen in der Republik mit Höhlenbewohnern, welche gefesselt dasigen, mit dem Rücken einem großen Feuer zugekehrt. Zwischen ihnen und dem Feuer werden allerhand Figuren vorbeigetragen, deren Schatten auf der gegenüberliegenden Wand sichtbar werden. Unfähig den Kopf den wirklichen Gegenständen zuzuwenden, sind sie fest überzeugt, daß jene vorbeieilenden Schatten Wirklichfeiten sind. Ja, wollte man einen von ihnen loslösen und sein Gesicht dem Feuer und den wahren Gegenständen hinter ihm zukehren, so würde er geblendet sein und lange Zeit brauchen, um von seinem Irrtum zurückzukommen. An das helle Sonnenlicht nun vollends würde man ihn nur allmählich durch vorsichtige Steigerungen gewöhnen können.

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