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III. Laelius de amicitia.

Kurz nach dem Cato maior verfaßte Cicero die nachfolgende Schrift über die Freundschaft und widmete sie gleichfalls dem T. Pomponius Atticus, seinem um wenige Jahre. älteren Freunde (f. die Vorbemerkungen zum Cato maior). Auch von dieser Schrift kann man sagen, daß sie, ohne sich an ein einzelnes griechisches Vorbild eng anzuschließen, doch ganz durchtränkt ist mit griechischer Philosophie. Cicero behandelt hier ein Thema, welches schon früh die Aufmerksamkeit der Philosophen auf sich gezogen hatte. Schon Pythagoras (f. Einl. 26) war ein Lobredner der Freundschaft gewesen; schon Heraklit (s. Einl. 22) und Empedokles (f. Einl. 23) hatten sie in einen geheimnisvollen Zusammenhang mit dem allgemeinen Bildungsgeseße des Als gebracht. Ihnen folgend, forschte später Plato im Lysis nach dem Wesen der Freundschaft. Er findet ihren Grund in der Unvollkommenheit unseres Wesens, welches sich der Vollkommenheit entgegensehnt. Dasselbe Thema wird später von ihm in eigentümlich poetischer und schwungvoller und doch nur vom Standpunkte seiner Philosophie verständlicher Weise im Phädrus und im Symposion behandelt. Nüchterner und dem allgemeinen Denken zugänglicher und dabei doch voll Weihe und Wärme ist, was Aristoteles über die Freundschaft sagt. Auch sein Schüler Theophrast hatte dieses Thema eingehend in einer besonderen Schrift behandelt, von welcher aber nur Bruchstücke erhalten sind. Wir wissen, daß diese Schrift, welche mit dem achten und neunten Buche der Nikomachischen Ethik vielfach übereinstimmte, von Cicero frei benugt worden ist. Aber auch die Stoiker, deren Weißenfels, Cic. philosoph. Schriften.

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strenge Lehre sonst dem Herzen keinerlei Zugeständnisse machte, haben vieles zum Lobe der Freundschaft gesagt: ihrem Weisen rühmen sie auch dieses nach, daß er allein für wahre Liebe und Freundschaft empfänglich sei. In wärmeren Worten jedoch als irgend ein anderer Philosoph hat Epikur die Freundschaft verherrlicht (f. Einl. 86), obgleich er ihren Ursprung aus dem Nußen herleitete.

Man kann den Alten überhaupt nachrühmen, daß die Freundschaft in ihrem Leben eine wichtigere Rolle spielte, als in dem Leben der modernen Völker. Es erklärt sich aus der untergeordneten Stellung des Weibes im Altertum, daß für sie nicht, wie für uns, die Liebe, sondern die Freundschaft die Hauptform der sympathischen Empfindungen war. Kein Ausdruck scheint ihnen demnach zu stark, um die Seligkeit einer wahren und innigen Freundschaft zu schildern. An die Reinheit dieser scheint ihnen die Liebe nicht heranzureichen, und es ist für das Altertum überhaupt charakte ristisch, wenn Seneca sagt, die Liebe sei eine insana amicitia.

Cicero hat in der nachfolgenden Schrift nicht eine streng disponierte philosophische Erörterung über das Wesen der Freundschaft bieten wollen, sondern in Gesprächsform Gedanken über die Freundschaft. Freilich ist es, wenn man von der Einleitung und einigen wenig bedeutenden Unterbrechungen absieht, ein einzelner, der das Wort führt. Der Hinweis auf die Dialoge des Aristoteles genügt nicht ganz, um diese Einkleidung zu erklären. Man stelle sich vielmehr einen vornehmen Römer vor, wie ihn Cicero gelegentlich schildert, umgeben von Jünglingen, die an seinen Lippen hängen und mit Andacht den Worten seiner gereiften Erfahrung lauschen. Zwischen einer solchen Rede und einem schulmäßigen, die Sache methodisch entwickelnden Vortrage ist ein großer Unterschied. Das eigentliche Lehren galt eines edlen Römers nicht für würdig; aber gesprächsweise sein Wissen und seine Erfahrung in die unfertigen Seelen lernbegieriger Jünglinge hinüberzuleiten, wurde als eine Ehrenpflicht des Alters betrachtet. Betrachtet man die Schrift aus diesem Gesichtspunkte, so wird man es weniger ver

wunderlich finden, wenn hier und da ein angefangener Gedanke fallen gelassen wird und erst nach einer Abschweifung wiedererscheint. Auch dadurch charakterisiert sich die Schrift als eine römische, daß sich politische Betrachtungen und patriotische Ermahnungen so häufig in diese Erörterungen über die Freundschaft mischen. Dieser freieren Behandlung verdankt die Schrift ihre glückliche Urbanität. Was man auch an der Anordnung auszusehen haben mag, matte und frostige Stellen wird man keine darin nachweisen können. Die Wärme der ganzen Behandlung ist eine so wohlthuende, hinreißende und dabei so natürliche, daß man sich förmlich mit Übelwollen wappnen müßte, um dagegen unempfindlich zu bleiben. Cicero besaß in seltenem Grade die Fähigkeit fich für das Gute zu enthusiasmieren. Bei welchem Gegenstande aber hätte er sie schöner entfalten können? Dazu hatte er die Wonne der Freundschaft so reich an sich selbst erfahren. Daher die warme, aus dem Herzen kommende Beredsamkeit, mit welcher er hier die Freundschaft als die Krone des Lebens feiert und als das schönste Geschenk der Götter. Dem Glücke verleiht sie erst Glanz, sie erleichtert die Laft des Unglücks. Solem e mundo tollunt, qui amicitiam e vita tollunt. Auch das Glück des Glücklichsten würde sich in Bitterkeit verkehren, wenn er es allein genießen sollte. Giebt es doch keine dem Menschen natürlichere Empfindung. Wo dieses echt menschliche sympathische Bedürfnis demnach keine Befriedigung findet, fann von Glück keine Rede sein. Erst durch die Freundschaft wird unser Leben zu einem wahrhaft menschlichen. Ihr voller Wert aber wird erst dadurch in das rechte Licht gesezt, wenn wir in ihr den natürlichen Lohn der Tugend erkennen. Bonos boni diligunt. Hic est amicitiae fons a natura constitutus. Nur zwischen Guten ist Freundschaft demnach möglich. So hatte schon Aristoteles gelehrt. Um den Segen der Freundschaft nicht auf die verschwindend kleine Zahl der im Sinne der strengen Philosophie vollkommen Guten beschränken zu müssen, fügt Cicero hinzu, daß zur Freundschaft schon jene Güte zweiten Ranges (secundae notae) genüge, welche

den gewöhnlich als gut Gepriesenen innewohne. Mit besonderem Eifer wird von ihm die Ansicht bekämpft, daß Freundschaften um des Nußens willen geschlossen werden oder daß sie der Bedürftigkeit unserer Natur entspringen. Die Freundschaft sei kein Handel, und gerade die Selbst= ständigsten, nicht die Schwächsten, fühlten in sich den stärksten Trieb, sich anderen, ihnen Ähnlichen zu verbinden (cap. 9).

Die Anlage der ganzen Schrift ist folgende. Vorangeschickt ist eine Anrede an den Atticus (cap. 1), als Widmung, zugleich um die Absichten des Verfassers zu erklären und die gewählte Form zu rechtfertigen. Hieran schließt sich die Einleitung eines Gesprächs über die Freundschaft, welches in das Todesjahr des jüngeren Africanus (129 v. Chr.) gesezt wird. Laelius, der überlebende Freund, wird von Fannius und Scaevola, seinen Schwiegersöhnen, gefragt, wie er den Tod des Africanus ertrage. Das wird die Veranlassung zu der eingehenden Erörterung des Laelius über den Wert und das Wesen der Freundschaft (cap. 2—4). Eine streng philosophische Erörterung lehnt er ausdrücklich ab. Das Nachfolgende sondert sich durch die Unterbrechungen des Fannius und Scaevola in drei Teile.

Im ersten Teile (cap. 5-7) wird zunächst betont, daß Freundschaft nur unter Guten möglich sei (§§ 16-21). Darauf wird ihre hohe Bedeutung für das Gedeihen des Einzellebens, für das Gedeihen der Familie und des Staates, für die Gestaltung und Erhaltung des Alls (im Sinne des Empedokles, s. Einl. 23) gepriesen.

Der zweite Teil (cap. 8 und 9) forscht nach dem Ursprung der Freundschaft. Nicht der Nußen, nicht die Bedürftigkeit ist die Quelle der wahren Freundschaft, sondern jene Liebe, welche sich bei der Wahrnehmung sittlicher Trefflichkeit in uns regt. Nur eine solche Freundschaft ist unwandelbar.

Der dritte Teil (cap. 11-26) giebt Vorschriften über die Freundschaft; namentlich in der zweiten Hälfte (cap. 21 bis 26) steigt die Betrachtung von der Höhe des Ideals zu den gewöhnlichen Freundschaften herab. Zunächst wird ge

fragt, wie weit die Liebe in der Freundschaft gehen dürfe (cap. 11-17, 61). Daran schließen sich Regeln über die Wahl der Freunde (cap. 17, 62-18). Es wird sodann davor gewarnt, durch den Reiz der Neuheit verführt, alte, bewährte, mit uns verwachsene Freunde gemütlos hintenanzusehen (cap. 19, 67 und 68). Eine ganz besondere Kunst erfordert es, die bei aller sonstigen Gleichheit zwischen Freunden vorhandenen Ungleichheiten des Alters, des Ranges, der Begabung vorsichtig auszugleichen und dem Freunde nicht durch charakterlose Nachgiebigkeit zu schaden (cap. 19, 69-20). Tritt es aber zu Tage, daß die Freundschaft nicht erhalten werden kann, so soll man sie in schonender Weise auflösen. Besser freilich ist es, zu prüfen, ehe man sich bindet, und die dem Menschen in allen Lebenslagen gleich notwendige Freundschaft von Anfang an als eine des ernstesten Nachdenkens würdige Angelegenheit anzusehen (cap. 21-23). Nach einer Gegenüberstellung des wahrhaften Freundes und des heuchlerischen Schmeichlers (cap. 24-26) schließt die Schrift mit der schwungvollen Verherrlichung der Tugend als der Grundlage aller wahren und dauernden Freundschaft.

Zum Wortführer in einer philosophischen Schrift über die Freundschaft war C. Laelius aus einem doppelten Grunde geeignet. Erstens war er der berühmte Freund des jüngeren Africanus; sodann war in ihm die Würde des Römers auf das natürlichste mit der feinen Bildung der Griechen vereinigt gewesen. Kam er dem Africanus an Kriegsruhm nicht gleich, so übertraf er ihn doch noch durch seine milde Weisheit (Horaz, Sat. II, 1, 72). Wie er, war auch sein Schwiegersohn C. Fannius ein Schüler des Panätius (s. Einl. 54). D. Mucius Scaevola augur, der andere Zwischenredner, war durch umfassende Rechtskenntnis ausgezeichnet. Dem jungen Cicero war er ein bewundertes Vorbild. Höher freilich stellte dieser noch den Scaevola pontifex, den Verwandten jenes, an welchen er sich nach dem Tode des Scaevola augur (88) anschloß und welcher nach seinem Urteile iuris peritorum eloquentissimus, eloquentium iuris peritissimus war.

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