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Lebensweise der Sueven 1) und für das Vorgeben der Germania bezüglich der Berathung über Staatsangelegenheiten erst im trunkenen und dann im nüchternen Zustande 2). So wie die Germanenschilderungen moderner Schriftsteller gewöhnlich ein Cento aus Caesar und Tacitus, so sind diese Schilderungen bei römischen und griechischen Autoren wieder ihrerseits gewöhnlich aus älteren, die verschiedensten Barbarenvölker betreffenden Sagen zusammengestoppelt 3). In der Zeit der Caesaren war die Erfindungsgabe der Südländer schon zu sehr erschöpft, als dafs sie Neues von einiger Bedeutung aufzubringen vermocht hätte.

Ein in Rom übliches Wirthshausschild, welches ein Fratzengesicht mit aufgeblasenen Backen und ausgereckter Zunge vorstellte, wurde scutum Cimbricum genannt. In dieser Caricatur zeichnete sich der Schrecken und die Furcht ab, welche einst jenes Volk den Römern eingeflöfst hatte. Und seitdem konnten, trotz allen Siegesfesten und Triumphen, welche von Zeit zu Zeit in Rom gefeiert wurden, die Machthaber und Bürger des grofsen Weltreichs nie mehr gänzlich eines gewissen unbehaglichen Gefühls los werden, des Gefühls, dafs die dunkle Wetterwolke, welche am nördlichen Saume des italienischen Horizonts aufgegangen war, noch vorhanden sei und noch mehr und wohl noch stärkere Schläge aussenden könne, als zur Zeit eines Brennus oder eines Bojorix *). Und diese Wolke,

1) Herodot. 4, 46; vgl. o. S. 33.

2) Ders. 1, 133; vgl. Germ. 22. (welche Stelle der nächste Abschnitt bringen wird).

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3) Aehnlicher Unfug wurde im Fach der ältesten römischen Geschichte, oder dessen, was man dafür auszugeben pflegte, getrieben. Die theils von Livius theils von Dionysius Halic. überlieferte Jugendgeschichte des Romulus und Remus und die Geschichte des Tarquinius Superbus mit Einschluss der Debatte, welche nach der Absetzung dieses Königs gepflogen worden sein soll über die beste in Rom einzuführende Regierungsform sind gefüllt mit Nachahmungen von Stellen älterer griechischer Autoren, nämlich mit Uebertragung des dort Berichteten auf römische Begebenheiten. Dafs die Angabe des Livius (5, 43) über die Theilung der gallischen Heeresmacht nach Niederbrennung der Stadt Rom eine Nachbildung einer von Thukydides (1,11) bezüglich der Belagerung Troja's aufgestellten Hypothese ist, hat bereits Lewis (Enquiry into the credibility of the early Roman history, Cap. 12, § 78, Not. 147) bemerkt.

4) M. vgl. Tacit. Germ. 33, wo in Bezug auf die Germanen gesagt

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konnte sie von den Südländern anders gemalt werden als mit düsteren Farben? Mit der Literatur, worin es aufgetragen war, gieng das Gemälde auf das Mittelalter über. Nicht genug, dafs in diesem die historische Kritik noch in den Windeln lag: die Stellung der römischen Kirche, welche auf den Ruinen des ehemaligen römischen Weltreichs gegründet war, trug wesentlich dazu bei, dafs die antike römische Anschauungsweise sich in der mittelalterlichen Literatur fortsetzte. Letztere befand sich viele Jahrhunderte lang so gut wie ausschliesslich in den Händen des Klerus. Dieser betrachtete einerseits die heidnischen Völker und zu diesen gehörte vor dem achten Jahrhundert die grofse Mehrzahl der im Norden der Donau wohnenden in einem ganz ähnlichen Licht, worin man einst in Rom die aufserhalb der Romana pax lebenden Völker erblickt hatte, und andererseits stellte er sich, als den Stand der Bildung und zwar römischer Bildung, den Laien gegenüber, welche aus Ursachen, die ich erst weiter unten (im XV. Abschnitte) darlegen kann, beträchtliche Rückschritte in der Civilisation gemacht hatten. In den romanisirten Ländern betheiligten sich aber auch die Laien an dem alten Vorurtheil gegen die nicht romanisch redenden Völker; in ihm fanden sie einen Hebel für ihr Nationalgefühl. Noch die neuesten italienischen Schriftsteller pflegen die Zerstörung der bedeutendsten alterthümlichen Prachtbauten und Denkmale in Rom den gothischen und vandalischen Barbaren zur Last zu legen, obgleich die Geschichte bezeugt, dafs diese Zerstörungen erst nach den Zeiten Alarich's und Genserich's und Totila's, zum Theil erst lange nachher und fast durchgehends durch Römer selbst bewirkt worden sind '). Sogar noch heutzutage, ungeachtet der vielfachen Verbindungen, welche das moderne Deutschland mit Italien verknüpfen, hat in letzterem Lande der grofse Haufe eine Meinung von den Tedeschi barbari, welche kaum sehr verschieden sein wird von den Ansichten der Römer aus der Zeit eines Tiberius, eines Trajan oder eines Marcus Aurelius. Die Lügen z. B., welche im Frühjahr 1859 nach

ist: urgentibus imperii fatis nihil jam praestare fortuna majus potest, quam hostium discordiam.

1) Nähere Nachweise hierüber finden sich in Gregorovius' Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, deren Verfasser übrigens noch sehr in dem alten Vorurtheil von germanischer Barbarei befangen ist.

dem Einrücken der Oesterreicher in die piemontesische Provinz Lomellina durch ganz Italien verbreitet und daselbst geglaubt wurden und welche diesen „Tedeschi" die abscheulichsten Roheiten und Grausamkeiten zur Last legten, sind aus keinem andern Holze geschnitzt, denn die römischen Schilderungen des Verhaltens der Kimbern und der später in der Geschichte aufgetretenen, d. i. mit Rom in Berührung gekommenen, Germanenvölker. Im modernen Deutschland aber, wo nähere Bekanntschaft mit der sogenannten classischen Literatur im fünfzehnten, sechzehnten Jahrhundert hauptsächlich durch Italiener und Franzosen vermittelt wurde, war der Kritik ein zu starker Riegel durch diese Lehrmeister vorgeschoben, als dafs dieselbe an das bezeichnete Vorurtheil sich hätte wagen können. Zudem hatte die überkommene Schilderung aus dem Grunde nichts Befremdendes, weil man Menschen von gleichen Sitten, wie die den alten Germanen zugeschriebenen, in Deutschland vielfältig vor Augen hatte. Wenn man sich von den Raubrittern, deren Geschlecht damals noch nicht ausgestorben war, die Eisenrüstung und sonstige stattliche Bekleidung, dann das Wohnen in festen Burgen hinwegdachte, wenn man dieselben als nur nothdürftig bekleidet und als in elenden Hütten wohnend sich vorstellte, was fehlte dann noch von dem Bilde Taciteischer Germanen? Wäre der Eifer der älteren deutschen Humanisten für das classische Alterthum weniger enthusiastisch und somit auch weniger blind gewesen, so würde diesen Männern nicht die Unmöglichkeit entgangen sein, dafs eine ganze Nation, dafs die Mehrheit der männlichen Gesamtbevölkerung eines grofsen Landes eine Lebensweise wie Raubritter und Landsknechte geführt, so würden die vielen Widersprüche und Ungenauigkeiten, womit die classischen Autoren sich bezüglich germanischer Zustände ausdrücken, ihre Aufmerksamkeit in höherem Mafse, als geschehen ist, in Anspruch genommen haben. Die Auffassungsweise der Humanisten aber gieng wie ein feststehendes Dogma auf die gelehrten Schulmänner, auf die Philologen, über und wurde von diesen fortgepflanzt von Generation zu Generation mit derselben Zähigkeit, vermöge deren noch jetzt in vielen deutschen Gymnasien die älteste römische Geschichte ganz so vorgetragen und der Jugend eingeprägt wird, wie vor dreihundert Jahren. In neuerer Zeit hat man zwar gelernt oder bemüht man sich wenigstens, die Standpunkte der Griechen und Römer als historisch gewordene Standpunkte, also nicht als

Zielpunkte der Bildung überhaupt, aufzufassen. Aber Aufklärung und Romantik, die vor einem halben Jahrhundert einander so stark angefeindet, beide haben zusammengewirkt, eine ernstliche Kritik der antiken Germanenschilderungen zu hintertreiben. Während die letztere an dem mystischen Dunkel des germanischen Urwaldes ihr Ergötzen fand, benützten die Männer der Aufklärung die hergebrachte Vorstellung von reckenhafter Ungeschlachtheit unserer Vorältern recht gerne als dunkeln Hintergrund, auf welchem sich besser die moderne Cultur abhob. In einer ganz gleichen aufklärungsfrohen Ansicht und Stimmung haben sich ja auch die von griechischer Cultur beleckten Römer zu Cicero's Zeit befunden, wo sie wie mitleidig auf ihre noch uncivilisirten Vorältern hinabblickten, wo der Dichter Porcius Licinius 1) sein

Poenico bello secundo Musa pinnato gradu

Intulit se bellicosam in Romuli gentem feram"

und der Geschichtschreiber Sallustius 2) sein,,Aborigines genus hominum agreste, sine legibus, sine imperio, liberum atque solutum" schrieb. Aus der nämlichen Anschauungsweise war auch der den erdichteten Nachkommen des Aeneas, als albanischen Königen, gegebene Name oder Beiname Silvii, d. i. Waldmenschen, hervorgegangen, dieses Seitenstück zu der in den jüngsten Jahrhunderten geschehenen Auslegung des Volksnamens Germani mit Kriegs(guerre-) oder Speer- (gêr-) Mannen.

Aber noch werden die wenigsten meiner Leser geneigt sein, die antiken Germanenschilderungen in dieselbe Kategorie von unhistorischen Abstractionen zu stellen, wohin die so eben mitgetheilte Vorstellung der Römer von den sogenannten Aborigines gehört. Die Mehrzahl wird eine genauere Berücksichtigung der beiden Hauptstützen der gemeinen Meinung verlangen, als die im ersten und zweiten Abschnitt gegebene ist; man wird Aufschlufs erwarten über die Art und Weise, wie gerade ein Julius Caesar, ein Cornelius Tacitus dazu gekommen sein sollten, ihren Landsleuten je eine in wesentlichen Dingen unrichtige und die Wahrheit verdrehende Beschreibung germanischer Lebensweise darzubieten. Solchem Wunsche sollen

die beiden nächsten Abschnitte gewidmet sein.

1) bei A. Gellius 17, 21, 45.

2) in Catil. 6.

Sechster Abschnitt.

Julius Caesar als Ethnograph.

Wenn ein grofser Feldherr und Staatsmann sich herbeilässt, über seine Thaten oder einen Theil derselben Bericht vor dem Publikum zu erstatten, so wird Letzteres stets dafür dankbar und dem Berichterstatter manche Nachsicht zu gewähren geneigt sein, die es einem gewöhnlichen Schriftsteller, einem Erzähler fremder Thaten, versagen würde. Ueberdiefs hat das Schicksal es gewollt, dafs Caesars Commentarien über den gallischen Krieg, worin ein Volk beschrieben und als handelnd aufgeführt ist, das späterhin eine so bedeutende Rolle in der Weltgeschichte spielte, zur ersten und ältesten einigermafsen ergiebigen Quelle der Geschichte und Ethnographie dieses Volkes geworden sind und eben dadurch einen Anspruch auf Pietät erlangt haben, welcher historischer Kritik nicht eben günstig ist. Am Meisten muss man einem Manne wie Caesar, auf welchem, während er die fragliche Schrift verfafste, ungeheure Kriegs- und Staatsgeschäfte lasteten, Nachlässigkeiten in der Form verzeihen. Der Imperator schrieb auf, was, wann und wie es ihm gerade erwähnenswerth und zu erwähnen zweckmäfsig schien. Hätte er ein regelmässiges historisches Werk zu Tage fördern wollen, so würde er in der Einleitung, wo nicht das Land, auf welchem doch die daselbst wohnenden Völker, gegen welche er so lange Zeit Krieg führte, etwas genauer, als geschehen, beschrieben, so würde er von diesen bei Beginn seines Werkes mehr gesagt haben, als dafs die Galli oder Celtae von den Belgen durch die Seine und Marne, von den Aquitanen durch die Garonne geschieden und dafs

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