Page images
PDF
EPUB
[ocr errors]

stand, dass neben der regia sich ein festes Schlofs (castellum) befand. Eine dritte Stelle 1) endlich lässt es zweifelhaft, ob der Platz, worin Segestes von seinen Landsleuten belagert oder blokirt gehalten wurde, eine Stadt oder nur eine Burg gewesen sei. In einem unbefestigten Platz konnte sich doch Segestes unmöglich so lange halten, bis die erbetene römische Hülfe kam. Wie nimmt sich nun diesen Thatsachen gegenüber der in der Germania) geäusserte Zweifel aus, ob es nicht aus Ungeschicklichkeit im Fache der Baukunst herrühre, dafs die Germanen ihre Häuser nicht dicht an einander bauen, sondern jedes derselben mit einem Hofe umgeben ? Sollte übrigens noch ein weiterer Beweis erfordert werden, dafs es lange vor der Zeit des Geographen Ptolemaeus feste Plätze in Germanien gab, so würde derselbe bei dem Geschichtschreiber Cassius Dio gefunden werden können. Dieser hat eine Quelle über die Geschichte der gallischen Kriege Caesar's benützt, welche der Angabe des Letzteren, als hätten nach seinem ersten Rheinübergang die Sygambern sich aus ihrem Gebiete weg und in Wälder geflüchtet (o. S. 39, Not. 2), schroff entgegensteht. Dio (39, 48) sagt nämlich, die Sygambern hätten sich in die festen Plätze (kovμvá) zurückgezogen. Und feste Plätze, wo nicht Städte, scheinen auch diejenigen Orte im nördlichen Germanien gewesen zu sein, zu deren Behung, nach Dio's Zeugnifs (56, 19), der römische Statthalter Varus auf Ansuchen der Eingebornen Truppen detachirte. -Man hat, um die widersprechenden Schriftstellen einigermassen in Concordanz zu bringen, grofses Gewicht auf eine Bemerkung Caesar's 3) gelegt, wornach bei den Britannen ein durch Wall und Graben vertheidigungsfähig gemachter Platz im Walde oppidum genannt werde. Aber es ist doch gar zu klar, dafs Caesar, welcher dergleichen Waldbefestigungen nur als einen britannischen Gebrauch anführt, welcher von einem an die Sueven ergangenen Befehl ihrer

1) Tac. Ann. 1, 57: Legati a Segeste venerunt auxilium orantes adversus vim popularium, a quis circumsedebatur.

2) Germ. 16: Suam quisque domum spatio circumdat sive adversus casus ignis remedium sive inscitia aedificandi.

3) B. G. 5, 21: Oppidum autem Britanni vocant, quum silvas impeditas vallo atque fossa munierunt, quo incursionis hostium vitandae causa convenire consuerunt.

Obern spricht, „ex oppidis" auszuwandern und ihre Familien und Habseligkeiten in Wäldern zu bergen (s. o. S. 12, N. 1), durchaus keinen Anlafs gibt, ihm im Allgemeinen einen ganz absonderlichen Gebrauch des Wortes oppidum zu unterstellen. Mit seinem „Oppidum Britanni vocant" wollte er nicht sagen, dafs oppidum ein britannisches Wort sei, sondern offenbar nur so viel, dafs die Britannen mit dem nämlichen Wort ihrer Sprache, dessen gewöhnliche Bedeutung die von lat. oppidum war, auch einen in Wäldern angebrachten Verhau bezeichnen. Und befremden kann dieser Doppelsinn um so weniger, wenn man an das mit angels. tún (Stadt) identische ahd. zûn (Zaun) denkt oder wenn man sich erinnert, dass nicht nur goth. baurgs (Stadt), sondern auch goth, bibaurgeins (Tagɛußolń, befestigtes Lager) dem Verbum bairgan (bergen) seinen Ursprung verdankt.

Ich komme darauf zurück, dafs die regia, oder, wie Strabo sich ausdrückt, das Baoiλelov des Maroboduus eine Stadt war. Schon damit verträgt sich nicht die von Strabo geschilderte nomadische Lebensweise der Sueven, in deren Lande, diesem Schriftsteller zufolge, das Basileiov gewesen. Indessen könnte man annehmen, dafs die fragliche Stadt von den früheren, durch die Sueven vertriebenen Besitzern des Landes erbaut worden sei. Allein wie läfst sich glauben, dafs der Beherrscher eines Nomadenvolkes ein durch fortwährende Waffenübung fast auf die Höhe der römischen Disciplin gebrachtes stehendes Heer von 74000 Mann halten konnte, wie von Maroboduus dessen (und des Strabo) Zeitgenosse Vellejus 1) angibt? Entweder mufs diese Angabe oder es mufs die Sittenschilderung bei Strabo sehr ungenau sein. Städte hatte Deutschland auch im Mittelalter: aber damals fehlte es an ordentlichen Strafsen. Selbst Frauen vom höchsten Rang pflegten ihre Reisen nur reitend zu machen. Gemäfs den alterthümlichen Sittenschilderungen und der jetzigen gemeinen Meinung von der Lebensweise der Germanen mufs man nothwendig voraussetzen, dafs im Alterthum jener Mangel noch weit gröfser gewesen sei. Wie verträgt sich aber damit die Thatsache, dafs im Jahre 9 vor Chr. Tiberius vom Rhein ostwärts mit

1) 1, 109: Corpus suum custodia tutum et perpetuis armorum exercitiis ad Romanae disciplinae formam redactum (Maroboduus) brevi in eminens et nostro quoque imperio timendum perduxit fastigium &c.

drei Wagen vierzig Meilen weit eine bei Nacht wie bei Tage mit unterlegten Pferden fortgesetzte Eilfahrt in das innere Germanien (per modo devictam barbariem) machte, um seinen dort tödtlich erkrankten Bruder aufzusuchen? 1) Solches Reisen, auch wenn es, wie wir annehmen dürfen, einzig und allein durch die Gebiete solcher Staaten gieng, welche durch Drusus zur Anerkennung römischer Oberherrschaft genöthigt worden waren, wäre unmöglich zu vollführen oder wenigstens verständigerweise nicht zu wagen gewesen bei der von der gemeinen Meinung vorausgesetzten Beschaffenheit des Landes und Volkes. Dürfte man auch annehmen, dafs die Römer in solchen Theilen des mittleren Germaniens, wo ihre Kriegsheere vor kaum zwei Jahren zum erstenmal erblickt worden waren, innerhalb so kurzer Zeit nicht nur eine mit Relais versehene Strafse angelegt, sondern auch eine Bevölkerung von kriegs- und raublustigen Waldbewohnern dermassen gezähmt hätten, dafs der Stiefsohn des Augustus daselbst mit derselben Sicherheit eine Extrapostreise ausführen könnte, wie achtzehn Jahrhunderte später der Stiefsohn oder irgend ein Marschall Napoleons, so würde immerhin als Gegenbeweis wider die supponirte Beschaffenheit des Landes und Volkes eine andere Reise eines Römers dienen, wobei schlechterdings keine dieser Voraussetzungen Platz greift. Sie wurde, dem nicht anzuzweifelnden Zeugnisse des Plinius 2) zufolge, unter der Regierung des Kaisers Nero zum Zweck des Einkaufs von Bernstein von einem römischen Ritter vollführt von der pannonischen Stadt Carnuntum aus bis an die Ostsee, gieng also durch Gegenden, wohin zu keiner Zeit römische Heere gedrungen sind. Und doch kam der ungenannte Commis voyageur nicht nur zum Ziel seiner Reise, sondern er gelangte auch mit einer grofsen Fracht Bernstein nach Rom zu

1) Valer. Max. 5, 5, 3: Iter quoque quam rapidum et praeceps velut uno spiritu corripuerit (Tiberius), eo patet, quod Alpes Rhenumque transgressus die ac nocte mutato subinde equo ducenta millia passuum per modo devictam barbariem Antabagio duce solo comite contentus evasit. Plin. 7, 20: Cujus rei admiratio ita demum solida perveniet, si quis cogitet nocte ac die longissimum iter vehiculis tribus Tiberium Neronem emensum festinantem ad Drusum fratrem aegrotum in Germania: in eo fuerunt CCM pass.

2) Hist. nat. 37, 11.

rück. Es versteht sich von selbst, dafs die nur zufällig zu unserer Kenntnifs gelangten Reisen von Römern durch Germanien nicht die einzigen waren. Man darf aber noch weiter gehen und fragen, ob es denkbar sei, dafs die Römer Eroberungspläne auf Germanien gefafst und, wie besonders unter des Augustus Regierung geschah, mit solchem Kraftaufwande verfolgt hätten, wenn Land und Leute wirklich so gewesen wären, wie man sie sich vorzustellen pflegt? Beute und Abgaben wären den Wäldern und Sümpfen und ihren armseligen Bewohnern unmöglich so viel abzugewinnen gewesen, als die Eroberung und Bewachung des Landes kostete, und ebensowenig konnten die Römer eine gesichertere Gränze erwarten, als sie bereits am Rhein und an der Donau besafsen. In älterer Zeit hatten sie, wie Theophrast ) angibt, einen schon in Ausführung begriffenen Plan, die Insel Corsica mit einer Colonie zu besetzen, blos deshalb wieder aufgegeben, weil sie das Land zu dicht bewaldet fanden. Sollte etwa Germanien sie durch den Ruf seiner Sümpfe angelockt haben? Aber auch dann würde die Sendung von Kriegsheeren vom Rhein und der Donau bis zur Elbe und darüber hinaus mit ungeheuren Schwierigkeiten verbunden gewesen sein und eine besondere Art der Kriegführung erfordert haben. Davon melden jedoch die alten Schriftsteller nicht das Geringste. Erst von der Teutoburger Schlacht an, worin ein römisches Heer von drei Legionen vernichtet wurde, scheint es bei den Römern üblich geworden zu sein, über die Wälder und Sümpfe des Landes zu klagen, welches den römischen Füfsen keinen gesicherten Tritt mehr darbot. Bei Florus zeigt sich sogar eine rückwirkende Kraft dieser Darstellungsweise, sofern derselbe (3, 10) erzählt, Julius Caesar habe nach seinem ersten Rheinübergange den Feind in den herkynischen Wäldern aufgesucht, aber die ganze Raçe habe sich in Waldgebirge und Sümpfe geflüchtet aus Furcht vor der römischen Kraft. Hiernach versteht es sich von selbst, dafs Florus (4, 6) auch das Teutoburger Schlachtfeld zu Wald und Sumpf macht. In derselben Weise wird dasselbe von Vellejus (2, 119) geschildert. Allein Cassius Dio (56, 20), von dem wir die ausführlichste Beschreibung der Schlacht besitzen, spricht nur von Wäldern und schluchtenreichen Bergen, und Tacitus.

1) Hist. plant. 5, 8.

(Annal. 1, 61) erzählt, dass man, als sechs Jahre nachher Germanicus das Schlachtfeld besuchte, die gebleichten Gebeine der gefallenen Römer mitten in einer Ebene (medio campi) gefunden habe und in der Nähe die religiösen Haine (luci), wo gefangene Offiziere von den Barbaren geopfert worden seien. Einige Male werden indessen auch in der Taciteischen Erzählung von den Feldzügen des Germanicus sumpfige Localitäten erwähnt und zwar solche, die sich etwa in den Gegenden der untern Weser oder unweit der Lippe befanden. Von diesen Sümpfen hatte einer die bemerkenswerthe Eigenschaft, dafs er zugleich so flüssig war, dafs man die römischen Feldzeichen (die Adler) nicht darin feststecken konnte, und zugleich so fest, dafs darin die verwundeten Pferde auf ihrem eigenen Blut ausglitschten. ') Aus späterer Zeit wo freilich alle ausführlicheren Berichte über Vorgänge in germanischen Landen fehlen wird nur noch ein paarmal dortiger Sümpfe gedacht. In einem derselben man weifs nicht, in welcher Gegend soll Kaiser Maximin (der Thrake) in grofse Gefahr gerathen sein, und in einer Schlacht bei Solicinium soll Kaiser Valentinian sich fliehend durch einen Sumpf gerettet haben. Die Feldzüge, welche der Caesar Julian über den Rhein gegen die Alamannen unternahm, haben grofse Aehnlichkeit mit dem ersten überrheinischen Feldzuge Julius Caesars, wie Letzterer selbst ihn schildert. Nie kam es dabei zu einem Treffen. Die Römer verwüsteten das von den Einwohnern verlassene Land, wo sie, wie Ammian (17, 10. 1) angibt, Wohnungen, welche genau auf römische Weise gebaut waren, und Landhäuser (villas) mit starkem Viehstand und bedeutenden Fruchtvorräthen vorfanden. Der Feind hatte sich in oder hinter einen Wald wahrscheinlich den Odenwald zurückgezogen und Julian fand es nicht räthlich, weiter vorwärts zu gehen. Also auch hier erscheinen die Germanen nicht als Waldbewohner, sondern als solche, die, wenn ein Heer grausamer Feinde ihr Land überfällt, ohne dafs sie im Stande sind, letzteres zu vertheidigen, sich und ihre werth

[ocr errors]

1) Tac. Annal. 1, 65: Illi (equi) sanguine suo et lubrico paludum lapsantes excussis rectoribus disjicere obvios, proterere jacentes. Plurimus circa aquilas labor, quae neque ferri adversum ingruentia tela, neque figi limosa humo poterant.

« PreviousContinue »