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ker ließen sich's eifrig angelegen seyn, den Plato zu verkleinern. Und beide verfehlten ihren Zweck. Plato's Größe blieb stets eben so ungeschmälert, als die des Aristoteles. Es muß demnach, wenn Einsicht in dieser Beziehung ermöglicht werden soll, durchaus für alle Zukunft festgehalten werden, daß es absolut verkehrt und unverständig ist, die Würdigung und Anerkennung des Einen, ohne Hintansehung des Undern, für unmöglich zu halten. Zu dem richtigen Urtheil über beide kann man lediglich dadurch kommen, daß man von dem klaren Bewußtseyn der gleichen. Nothwendigkeit, und des gleichen Werthes beider

ausgeht.

Wie kommt man aber zu diesem Bewußtseyn?

Zunächst durch den Hinblick auf die gleich großartige und weit verbreitete Wirksamkeit beider Männer auf dem geistigen Gebiet des Lebens.

Plato und Aristoteles stehen im Alterthum wie die Säulen des Hercules da, über welche hinauszukommen dem Forschungsgeist der alten Welt nicht gegönnt und gegeben war; und fie werden für alle Zeit die Aren bleiben, um welche alle speculativen Kräfte und Interessen sich ewig sammeln und bewegen. Alles Philosophiren gehört seinem Sinn und Geist nach entweder mehr der platonischen, oder mehr der aristotelischen Schule an, und eine Philosophie, die beide Gegenfähe vollkommen ausge glichen in sich enthielte, dürfte wohl schwerlich je entstehn1).

Diese fortgehende, und in gleicher Kraft sich erhaltende Bedeutsamkeit beider Systeme läßt uns denn darauf schließen, daß eben beide dem großen Gang der Entwickelungsgeschichte des Geistes gleich nothwendig, gleich werth und theuer sind.

Dieß stellt sich, durch folgende Betrachtung, noch bestimmter heraus.

Bollen wir geistige Größen richtig beurtheilen und gegen einander abschåhen, so müssen wir von dem biblischen Princip,

1) vgl. dagegen Fichte Beitr. z. Charakt. D. neueren Philos. S. 386. 413 f

die Individualitäten zu beurtheilen, als dem entschieden richtigsten ausgehn; wir müssen, nach Analogie des Schöpfers,,,ein Jegliches in seiner Art“ (1 Mos. 1, 21.) auffassen und würdigen lernen. Demnach dürfen wir zur Beurtheilung Plato's nicht die alberne Prátension mitbringen, er solle aristotelisch denken und schreiben; und vom Aristoteles dürfen wir nicht ungeschickter Weise fordern, er solle platonische Ideen haben und vortragen. Lassen wir vielmehr jeden von Beiden, so wie er ist und seyn will, auf uns wirken, so kann es gar nicht fehlen, daß wir von einem jeden von Beiden den vollen Eindruck des in seiner Art Tüchtigen und Vortrefflichen empfangen. Räumen wir einem Jeden von Beiden dasselbe Recht ein, von seinem Standpunkt, und von seinen Principien aus sein philosophisches Wissen zu construiren, so müssen wir eben bekennen, daß Jeder in seiner Art das kaum Uebertreffliche gemacht und geleistet habe.

Aber diese Bezeichnung: Jeder in seiner Art, schließt schon eine gewisse Einseitigkeit eines Jeden, eine gewisse Beschränktheit auf das ihm Gemäßeste ein, und spricht dieselbe deutlich aus. Jeder von Beiden hat den Gipfel der Trefflichkeit nur dadurch erreicht, daß er mit ganzer Kraft nur das ergriff und verarbeitete, was seiner Eigenthümlichkeit am angemessensten war; keiner von Beiden wäre musterhaft groß geworden, wenn er nicht in seiner ihm natürlichsten Sphäre sich ausschließlich bewegt hätte. Diese Ausschließlichkeit ist mithin durchaus kein Vorwurf, sondern ein Lob. Denn bei allen creatürlichen Leistungen ist das Hervorbringen des Gediegnen und Vortrefflichen an diese Bedingung geknüpft. Vergebens zerarbeitet sich ein durch Eitelkeit irre geleiteter Trieb, das ihm nicht gesteckte Ziel der Vollkommenheit zu erreichen, an welches einen Andern der Genius ungezwungen führt.

Folglich ist klar, wie trefflich und tüchtig auch die platonische Philosophie, so wie die Philosophie des Aristoteles nicht minder ist, so ist es doch jede nur dadurch, daß sie nicht ist, und nicht hat, was die andre ist und hat; jede zeigt dem Beschauer eine eigenthümliche Vortrefflichkeit, die der andern fehlt. Da -nun beide nicht nur neben oder nach einander entstanden sind, und

sich fortwährend in gleichem Ansehn und Einfluß erhalten haben, sondern da auch jede, für sich betrachtet, auf den gleichen Grad der Anerkennung ihrer eigenthümlichen Größe gegründeten Anspruch macht, so ist es eben gewiß und factisch dargethan, daß sie für die Philosophie überhaupt von gleichem Werth und von gleicher Nothwendigkeit sind; oder, daß die aristotelische Philosophie gar nicht entstanden, und der platonischen an mächtiger Wirksamkeit gleich gekommen seyn würde, wenn die platonische als der vollste, umfassendste und absolut richtigste Ausdruck der Philosophie überhaupt betrachtet werden müßte. So aber stellt jede von beiden nur eine Seite und Richtung des allgemeinen philosophischen Wissens und Strebens dar; und weder im Aristotelismus, noch im Platonismus ist jenes Wissen vollständig aufgegangen, oder zur Vollendung und Herausbildung aller seiner Momente gekommen.

Aus diesem objectiven Verhältniß beider Philosophien zur Wissenschaft und zur Weltgeschichte erklärt sich nun auch das subjective Verhältniß am Besten, welches zwischen ihren Urhebern statt fand. Dieß war, wie wir bemerkt haben, keineswegs ein freundschaftliches. Wenn auch die meisten Anekdoten erdichtet sind, die sich auf ihre gegenseitige Feindseligkeit beziehn, so läßt sich doch nicht leugnen, daß beide auf einander mit einer gewissen Kälte und Ironie zu blicken pflegten 1). Dieß ist, nach dem Angeführten ganz begreiflich. Beide waren, wegen ihrer entgegengesezten Richtungen und Aufgaben, von Haus aus unfähig, einander zu würdigen im wahren Sinn des Worts. Aristoteles verstand den Plato nicht; und Plato würde schwerlich den Aristoteles verstanden haben, wenn er dessen Schriften gelesen håtte.

Diese Behauptung wird Vielen anstößig seyn. Wie reimt sich das zusammen, wird man fragen, daß Plato und Aristoteles die größten Philosophen genannt, und doch für unfähig erklärt werden, einander zu würdigen und zu verstehn? Und wie dürfte man besonders vom Aristoteles sagen, er habe aus bloßem Un

1) vgl. Ritter Gesch. d. Phil. 3, S. 5. 118. u. a. m.

verstand der platonischen Philosophie zu viel Böses nachgeredet ? von ihm, der doch anerkanntermaßen den schärfsten und eindringendsten Verstand besaß?

Dieser Einwand, oder dieses Bedenken wird sogleich verschwinden, sobald man die eben so einfache, als für die Geschichte der Wissenschaft höchst bedeutungsvolle Wahrheit anerkennt: daß ein jeglicher Geist nur dasjenige verstehen kann, im umfassendsten Sinn des Worts, was er organisch in sich zu produciren, oder zu reproduciren im Stande ist 1). Das lebendige Aufgehn und Aufleuchten eines fremden Ges danken im eignen, innersten Bewußtseyn ist das eigentliche Verstehn; alles andre ist nur ein Schatten- und Wortverständniß, keine Geistes empfindung der Sache, auf die es ankommt. Verstehen und verstehen ist zweierlei. Die Worte, die Paulus geschrieben hat, kann jeder Gelehrte überseßen und commentiren lernen; aber er kann und darf dann noch nicht sagen, daß er nun den Paulus verstanden hat; denn das kann Keiner, der nicht einen paulinischen Sinn und Geist in sich trägt. Es würde weit besser um unsre Eregese und Theologie bestellt seyn, wenn sich die Theologen überwinden könnten, dieser Wahrheit die Ehre zu geben!

Aristoteles sah und faßte immer nur zunächst das NichtAristotelische im Platonismus; das eigentlich Platonische blieb ihm geistig fremd und undurchdrungen; denn hätte es sich innerhalb seines Bewußtseyns lebendig hervorbilden sollen, so hätte ja dieß Bewußtseyn aufhören müssen, aristotelisch organisirt und bedingt zu seyn, und hätte ein dem platonischen ähnliches werden müssen. Ein platonifirender Denker konnte Aristoteles gar nicht werden, auch wenn er gewollt hätte. Er wollte es aber auch gar nicht, und durfte es auch gar nicht wollen. Denn er würde sich, wenn er es gewollt hätte, an sich selbst, und am Geist der Geschichte versündigt haben. Seine Aufgabe, die er für die Geschichte zu

1) Daß Urist. den Plato nicht recht verstanden, und einseitig aufgefaßt habe, sagt auch Ritter Gesch. d. Phil. 3, S. 10. 122. Verstand doch auch summus Arist. den Thales falsch! Siche phys. 1, 6. vgl. met. 1, 3.

löfen hatte, war eine ganz andre, als die des Plato; sein höchstes Streben durfte nur darauf gehn, seinem Beruf zu genügen, seine Aufgabe zu lösen. Je eifriger und treuer er nun in diesem Streben war, desto weiter mußte er sich ja vom Standpunkt und Streben Plato's entfernen, da der Geist der Wissenschaft in ihm und durch ihn gerade diejenige Seite der Philosophie herausarbeiten lassen wollte, von welcher Plato abstrahirt hatte. Indem er nun in seinem klaren Verstand erkannte, sowohl daß die Cultivirung der Philosophie von dieser Seite höchst wichtig und wesentlich, als auch daß diese Seite des Wissens im Platonismus nur angedeutet sey, und so zu sagen nur als ein nicht entwickeltes Rudiment erscheine, konnte es gar nicht fehlen, daß die Verabsäumung dessen, was ihm als das Wichtigste galt, ihn ein wenig verdroß, und daß er über Plato's philosophische Leistungen kein ganz günstiges Urtheil zu fållen sich genöthigt fühlte. Eine kleinliche Selbstgefälligkeit war es nicht allein, welche seine theilweis herbe Kritik des Platonismus in ihm erzeugte; es war vielmehr das richtige Gefühl der eignen Größe, Leistungsfähigkeit und Verpflichtung. Denn Jeder, der in seiner Art das Tüchtige leistet, kann eigentlich keine andre und höhere Idee des Tüchtigen haben, als die, nach welcher er selbst arbeitet und schafft; weil das, was er leistet, dann nicht tüchtig seyn würde, wenn es nach einem andern, und nicht nach seinem Begriff der Tüchtigkeit gebildet wäre. Daher denn auch jeder Meister von Allen, die etwas Vollkommnes machen wollen, stillschweigend erwarten oder verlangen wird, sie sollen es so machen, wie er es macht. Selbst Göthe und Schiller, so sehr sie sich auch Mühe gaben, einander gewähren, und sich gegenseitig Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, konnten doch die stillen Pråtensionen dieser Art nie ganz los werden; Schiller dachte: die Göthische Poesie würde herrlicher und vortrefflicher seyn, wenn sie ein wenig Schillerischer ware; und Göthe meinte seinerseits nicht minder: die Schillerischen Leistungen würden gediegner und besser ausfallen, wenn sie etwas mehr Göthisches in sich hätten; und der ganze Streit der Schillerianer und Göthianer ist nichts andres, als das starre

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