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Erwerbstitels verlangt, daß er vielmehr den bloßen Befiß von vierzig Jahren für ausreichend hält, um ungestörtes Eigenthum zu begründen.

Dierter Beitrag.

Ob Irrthum über ungeschriebenes und particuläres Recht in den Bereich des error juris oder des error facti gehört. Puchta Gewohnheitsrecht. Th. L S. 218 ff.

Die aufgestellte Frage hat den Juristen seit alter Zeit vielfach zu schaffen gemacht. Die gemeine Ansicht der Rechtslehrer bis in die neuere Zeit hat sich dafür entschieden, daß ein Irrthum der bezeichneten Art in die Sphäre des error facti gehöre. Diese Ansicht wird in Betreff des Gewohnheitsrechts verworfen durch Volkmar 1), und dagegen die Theorie aufgestellt, nur Unkenntniß der rechtlichen Bedingungen für die Gültigkeit des Gewohnheitsrechts dürfe für juris ignorantia gelten, während das Nichtwissen solcher Thatsachen, welche das Daseyn einer bestimmten Gewohnheitsrechtsnorm beweisen oder begründen, unter die Kategorie des factischen Irrthums zu seßen sey. Wider diese Lehre hat Puchta mit Recht bemerkt 32), daß sie den Punct, auf welchen es wahrhaft ankommt, gar nicht berührt, weil das Gewohnheitsrecht, für sich genommen, ganz eben so, wie das jus scriptum, nicht weniger von den Bedingungen seiner Gültigfeit, als von den Quellen verschieden ist, aus welchen es hervorgeht, oder von den Thatsachen, welche seine Existenz darthun.

31) Beiträge zur Theorie des G. R. (Braunschw. 1806.) S. 83. ff. 32) U. a. D. S. 219.

Puchta entscheidet sich, im vollkommenen Gegensatz zu der älteren Ansicht, dafür, daß ein Irrthum über Gewohnheitsrecht zum error juris gehöre.

Nun wird es allerdings theils durch die herrschenden Terminologie, theils durch die unleugbarsten speciellen Zeugnisse bestätigt, daß die Römer, und zwar längst vor Justinian, unter dem Begriffe des jus auch das jus non scriptum, insbe sondere das Gewohnheitsrecht, mit umfaßten :

Cic. de invent, 2, 22.

Consuetudinis jus esse putatur, quod voluntate omnium sine lege vetustas comprobavit.

Ibid. 54.

--, quod in morem vetustas vulgi approbatione perduxit.

S. 3. L. de J. N. G. et C. 1. 2.

Constat autem jus nostrum aut ex scripto, aut ex non scripto, ut apud Graecos τῶν νόμων οἱ μὲν ἔγγραφοι, οἱ δὲ ἄγραφοι.

S. 10. eod.

Ex non scripto jus venit, quod usus comprobavit. Nam diuturni mores, consensu utentium comprobati, legem imitantur.

fr. 36. de legib. 1, 3. PAUL. ad Sabin.

Immo magnae autoritatis hoc jus habetur, quod in tantum comprebatum est, ut non fuerit necesse, scripto id comprehendere.

Auf Grund dieser Aussprüche kann man unbedenklich den Irrthum über ungeschriebenes Recht allerdings in die Kategorie des Rechtsirrthums überhaupt verseßen.

Allein, da dem Gegensaße zwischen error juris und facti eine bestimmte technische Bedeutung zukommt, woran sich wichtige praktische Folgen knüpfen; so entsteht dessenungeachtet die Frage, ob nicht der Begriff des error juris in jenem Gegensage

Eigenthümlichkeiten habe, wodurch der error juris non scripti von ihm ausgeschlossen wird.

Um über diesen Punct Gewißheit zu erlangen, muß man von folgenden Stellen ausgehen :

fr. 2. de jur. et fact. ignor. 22, 6. Nerat. MEMBRAN. In omni parte error in jure non eodem loco, quo facti ignorantia, haberi debebit; quum jus finitum et possit esse et debeat, facti interpretatio plerumque etiam prudentissimos fallat.

Das Recht umfaßt einen abgeschloffenen Kreis gleichartiger Gegenstände, die sich von dem Kundigen im Einzelnen, wie im Ganzen sehr wohl übersehen, nach bestimmten Regeln beherrschen und anwenden lassen. Es giebt ferner im Staate eine Klasse von Personen, welche sich der Wissenschaft des Rechts vorzugsweise gewidmet, dessen Kenntniß im Ganzen oder in Betreff bestimmter Theile angeeignet, und zugleich zur Aufgabe ihres Wirkens gemacht haben, mit ihrem Wissen Jedermann nach Bedürfniß zu dienen. Wer nicht zu dieser Klasse gehört, jeder Laie der Rechtskunde, jeder Nichtjurist, bedarf deshalb blos eines solchen Grades der Rechtsbildung, welcher ihn befähigt, die im Volke allgemein bekannten, gültigen Rechtsnormen in den Kreis seines Wissens aufzunehmen und anzuwenden, für sonstige Fälle aber den Rath eines Juristen zu suchen und zu verstehen.

fr. 2. §. 5. quis ordo. 38, 15. ULP. ad Edict.

Scientiam eam observandam, POMPONIUS aït, non quae cadit in jurisprudentes, sed quam quis aut per se aut per alios assequi potuit, scilicet prudentiores, ut diligentiorem patrem familias consulere dignum est.

fr. 10. de B. P. 37, 1. PAUL. ad Sabin.

Scientiam enim non hanc accipimus, quae jurisprudenti– bus sit, sed eam, quam quis aut per se habeat, aut consulendo prudentiores assequi possit,

Mit diesen Vorschriften hängt es zusammen, wenn der Rechtsirrthum nur in so weit für die Folge grober Nachlässigkeit angesehen und von jeder Berücksichtigung ausgeschlossen werden soll, als weder die Consultation eines Rechtsgelehrten durch die Umstände zur Unmöglichkeit gemacht wird, noch das Nichtwissen einen Rechtssag betrifft, welcher für allgemein bekannt gelten darf, d. h. deffen Kenntniß sich bei jedem auf der Höhe der Volksbildung befindlichen Individuum voraussegen und fordern läßt. fr. 9. de jur. et fact. ignor. PAUL.

Sed juris ignorantiam non prodesse, LABEO ita accipiendum existimat, si juris consulti copiam ha beret, vel suâ prudentiâ instructus sit, ut, cui facile sit scire, ei detrimento sit juris ignorantia 33). Aus allem Diesen geht Folgendes hervor. Der Begriff des error juris in dem technischen Sinne, welcher hier zur Sprache kommt, wird erstens durch jenen des juris consultus bestimmt, umfaßt also Alles, was ein Jurist an mittelbar oder unmittelbar praktischer Rechtskenntniß innehaben muß. Zweitens gehört unter diesen Begriff jedes Nichtwissen in Betreff solcher Rechtsnormen, deren Kenntniß im Volke überhaupt oder dem Theile deffelben, welchem der Irrende angehört, so allgemein verbreitet ist, daß jedes Uebersehen derselben den Vorwurf grober Nachläffigkeit zuziehen muß, weil Niemand Etwas ignoriren darf, womit die Bekanntschaft von Jedem gefordert werden kann. Nur innerhalb dieser Grenzen kann Nichtwissen oder Mißverständniß von Rechtssägen zu grober Schuld gereichen, weil allein innerhalb des so bezeichneten Terrains die Möglichkeit besteht, sich jeder Zeit die erforderliche Kenntniß zu verschaffen.

Wenn man Dies festhält, so wird man zu dem Resultate

**) Der Zusah : Quod raro accipiendum est, erklärt sich am angemessensten durch eine Nachlässigkeit in der Sagverbindung, wodurch es gekommen ist, daß der Jurist das Gegentheil von Dem behauptet, was er in Wahrheit behaupten wollte.

gelangen, daß weder alle Theile des ungeschriebenen Rechtes, noch alle Statuten in die Kategorie des jus gezogen werden dürfen, dessen error nicht verziehen wird.

Beim Juristen als solchen darf man eben so wenig eine Kenntniß aller einzelnen Normen des ungeschriebenen, als des particularen Rechtes vorausseßen. Seine Kenntniß erstreckt sich, abgesehen von dem wahrhaft positiven geschriebenen Rechte und dem technischen Theil der Jurisprudenz 84), meist nur auf solche Ansichten, welche neben dem geschriebenen Rechte zunächst durch Ueber. einstimmung der Rechtslehrer entstanden, sodann unter Autorität der Wissenschaft zu allgemeinem Ansehen und praktischer Gültigkeit gelangt sind. Dahin gehört namentlich Alles, was man als communis doctorum opinio bezeichnen kann 35), und solche Normen, welche aus dem aequum et bonum im Sinne der Römer, der aequitas justitiae maxime propria, wie sie Cicero bezeichnet 3), mit Nothwendigkeit hervorgegangen ist. Jedoch hat daneben zu allen Zeiten und besonders in der neuesten auch ein Compler von Volksgewohnheiten zum Eigenthume der Rechtswissenschaft gehört, mag sich auch eine Zeit lang gelehrter Stolz und Beschränktheit gegen die Anerkennung jener gesträubt haben.

34) Auch den technischen Theil der Wissenschaft und sogar die praktische Fertigkeit, sich seiner zu bedienen, bezeichnen die Römer als jus. Man vergl. fr. 1. pr. de J. et J. ULP. Instit. Jus est ars aequi et boni. fr. 10. §. 2. eod. U. Regul. Jurisprudentia est divinarum atque humanarum rerum notitia, justi atque injusti scientia. CIC. de offic. I. 43.

35) Damit soll jedoch durchaus nicht gesagt werden, als müsse ein Jurist als solcher die communis opinio stets für wahr und verbindlich anerkennen.

36) De off. I. 3. Vgl. ibid. II. 12. Welder System S. 624630. Not. 485-494. Heut zu Tage zeigt man allerdings vielfache Neigung, die dahin gehörigen allgemeinen Aussprüche für Gemeinpläke ohne praktische Bedeutsamkeit zu erklären. Daß die Römer anders urtheilten, davon zeugen unter Anderen so manche Seiten des corpus juris.

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