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solches alles zur Erhaltung ihres Rechts dienlich und nothwendig sey. Der Zweck dieser Vorschrift war demnach der, den Mißbrauch des bestehenden beneficium novorum durch die Furcht vor dem Eide zu verhindern. Nach der bisherigen Ausführung besteht das beneficium novorum im praktischen gemeinen Recht in folgender Begrenzung: 1) Das Urtheil muß schon nach der Actenlage beschwerend seyn, und das neue Vorbringen nur zur Unterstügung, nähern Feststellung und Bestimmung der an sich begründeten Beschwerden benugt werden "). Durch neues Vorbringen allein können dagegen die gegen das Urtheil vorgebrachten Beschwerden nicht begründet werden 12). 2) Unter Einhaltung dieser Beschränkung können nicht bloß die in den bisherigen Verhandlungen liegenden Momente zusammengestellt werden, um aus denselben durch eine Deduction das Begründetseyn der Beschwerden darzuthun, sondern es dürfen auch neue Thatsachen, sofern dieselben zur Begründung neuer Angriffs- oder Vertheidigungsmittel nicht dienen 13), und neue Beweise, soweit

11) Cf. c. 37. i. f. C. de appell. (7.62), c. 4 C. de tempor. et reparat. appell. (7. 63).

12) Dieser Sag ist im deutschen Recht noch dadurch besonders anerkannt worden, daß die Wiedereinsegung in den vorigen Stand für den Fall für nothwendig erklärt wurde, wenn eine Partei bloß durch neues Vorbringen das Urtheil anzugreifen beabsichtigte. 13) Diese Beschränkung ergiebt sich theils aus den über die Unzulässig= keit einer mutatio actionis, theils aus den über die Präclusion der Einreden geltenden Grundsägen, und ist auch im positiven Recht bestimmt anerkannt, c. 4 C. de tempor. et reparat. appell. (7. 63): "licentia pateat novis etiam assertionibus utendi, vel exceptionibus, quae non ad novum capitulum pertinent, sed ex illis oriuntur et illis conjunctae sunt, quae apud anteriorem judicem noscuntur propositae"; K. G. D. v. 1555, III. 33, §. 5 : «Und soll in solchen Sachen, da von End- oder Beyurtheilen, so Kraft einer Endurtheil haben, ap. pellirt, solche Beweisung so viel deren zu Justification und Vollführung der Appellation dienlich, nicht allein aus den Acten ri

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dieselben zur Bewahrheitung der in der Appellationsinstanz zulässigen neuen Thatsachen benugt werden 14), oder überhaupt in

ser Instanz, sondern auch aus neuen Ursachen zu schöpfen zugelassen; Doch daß die neue Articul der Klage, in erster Instanz eingebracht, gemäß, und aus derselben gezogen seyn, und nicht auf andere Klagen oder Sachen, darum nicht geklagt, gestellt werden», vgl. K. G. D., a. a. D., §. 4. : «Dergleichen so die andere Partei peremptorias, oder andere Exceptiones von neuem einbringen und beweisen wollte, u. s. w.». Aus diesem lehten Geseze geht nämlich hervor, daß nur solche Einreden, welche bereits in der vorigen Instanz vorgebracht worden sind, in der Appellationsinstanz wieders holt vorgebracht werden dürfen, indem hier nur gestattet wird, Einreden von neuem, nicht aber neue Einreden, einzubringen. Gönner, Handb., III, 60, §. 18, S. 278 und 279, vertheidigt in Betreff der Einreden eine entgegengesette Ansicht, indem er es zwar für consequent anerkennt, Einreden, welche in einer Instanz präcludirt sind, nicht mehr als Novum in höherer Instanz zuzulaffen, dabei aber behauptet, der J. R. A. habe sich hier eine Inconsequenz zu Schulden kommen lassen; denn wenn eine Partei beschwören könne, daß sie das neue Vorbringen in voriger Instanz entweder nicht gewußt, oder es anzuführen nicht für dienlich oder nöthig erachtet habe, so stehe ihr keine Präclusivkraft mehr im Wege. Dieser von Gönner aufgestellten Ansicht können wir uns aber beizutreten aus dem Grunde nicht veranlaßt finden, weil, wie schon bemerkt, der J. R. U. das beneficium novorum nicht erweis terte, sondern nur in seinem bestehenden Umfange anerkannte, dieser aber nach römischem Rechte eine solche Ausdehnung nicht hatte, cf. c. 4 C. de tempor. et reparat. appell. (7. 63.) : "exceptionibus, quae non ad novum capitulum pertinent, sed ex illis oriuntur et illis conjunctae sunt, quae apud anteriorem judicem noscuntur propositae«. Auch ist durch die im J. R. A. vorgeschriebene Richtung des Appellationseides auf das neue Vorbringen dieser nicht in einen Restitutionscid verwandelt worden, und die eingetretene Präclusion kann ihrem Wesen nach nur durch Restitution, und nicht im Wege der Appellation, aufgehoben werden.

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14) Sonst nämlich würden ja die in Folge des beneficium novorum zulässigen neuen Thatsachen durch bloßes Leugnen des Gegners wirkungslos gemacht werden können.

Beitschr. f. Civilr. u. Proz. Neue Folge. IV. Bd. 1. Heft. 3

der vorigen Instanz nicht präcludirt worden sind 15), gebraucht werden. Das im praktischen gemeinen Recht in dem bisher dargestellten Umfang bestehende beneficium novorum in der Appellationsinstanz fann eine Beschränkung des Sages, daß der Oberrichter bei der Abfaffung des Appellationserkenntnisses an die Grenzen der Parteianträge nicht gebunden sey, nicht begründen. Wenn nämlich aus demselben eine solche Beschränkung sich ergeben sollte, so müßten in der Appellationsinstanz neue Angriffêoder Vertheidigungsmittel gebraucht, und dadurch neue Beschwer= den begründet werden dürfen, weil nur dadurch in Beziehung auf diese Rechtsverfolgungsmittel der Oberrichter in die Stellung des Richters erster Instanz kommen, und wie dieser, und aus gleichen Gründen, an die Grenzen der Verhandlungsmarime gebunden seyn würde. Da nun aber dem gemeinrechtlichen beneficium novorum in der Appellationsinstanz ein solcher Umfang nicht beigelegt worden ist, so wird durch taffelbe der Zweck unserer Appellationsinstanz, bloß die Richtigkeit der von dem judex a quo gegebenen Entscheidung zu prüfen, nicht verändert, und der Sah, daß der Appellationsrichter bei seinem Erkenntnisse über die Richtigkeit des angefochtenen Urtheils an die Beschwerden der Parteien nicht gebunden sey, von dieser Seite nicht berührt.

13) Auch hier wird es von Gönner, a. a. D., u. A., zwar für consequent gehalten, durch die Präclusivkraft der Beweisfrist ausgeschlossene Beweismittel als Nova in der höhern Instanz nicht mehr zuzulassen, weil sie wegen jener Präclusion für alle Instanzen verloren seyen, daneben aber behauptet, daß dennoch nach den Be= stimmungen d. J. R. X., §. 73, dann, wenn eine Partei be= schwören könne, daß sie das neuc Vorbringen in voriger Instanz entweder nicht gewußt, oder es anzuführen nicht für dienlich oder nöthig geachtet habe, ihr keine Präclusivkraft mehr im Wege stehe. Allein auch hiergegen spricht entschieden der Umstand, daß die eingetretene Präclusion ihrem Wesen nach nur durch Restitution, nicht aber durch Appellation, gehoben werden kann, und die vom J. R. U. angeordnete Richtung des Appellationseides denselben, in einen Restitutionseid nicht verwandelt.

Bisher haben wir die hier vorliegende Frage nach der Stellung und dem Zweck der ersten und der Appellationsinstanz behandelt, und die Gründe dargelegt, welche von diesem Gesichtspunkte aus dem Sage, mit welchem diese Uutersuchung überschrieben ist, das Wort reden. Ob aber nun dieser mit dem Zweck der Appellationsinstanz in Einklang stehende Sah im gemeinen Recht wirklich anerkannt ist, ist die Frage, mit deren Erledigung sich nachfolgende Erörterung beschäftigt.

Eine Voruntersuchung erfordert aber die hier präjudicielle Frage, ob die angefochtene Sentenz durch die Einwendung und Einführung der Appellation in ihrem ganzen Inhalte, oder nur so weit, als die von dem Appellanten speciell angegebenen Beschwerden reichen, an dem Eintritt in die Rechtskraft verhindert werde. Muß nämlich lezteres angenommen werden, so fällt dadurch die Frage, ob der Oberrichter über iene. Beschwerden ex officio hinaus gehen dürfe, wegen der Rechtskraft des nicht in dem Bereiche der erhobenen Beschwerden liegenden Theils der Sentenz von selbst weg, oder reducirt sich wenigstens auf die, ob und inwiefern der Oberrichter auf die bei der Einführung angegebenen, bei der Nechtfertigung aber nicht durchgeführten, Beschwerden Rücksicht nehmen darf. In Betreff der aufgeworfenen Frage behaupten nun Gönner 1) und Martin "), daß die von dem Appellationsrichter anzustellende nochmalige. Prüfung des angefochtenen richterlichen Verfahrens oder Ausspruchs auf die bei der Introduction aufgestellten Beschwerden beschränkt sey; denn ein aus mehreren Punkten bestehendes Urtheil erlange in Ansehung der übrigen, völlig verschiedenen, wogegen keine Beschwerden aufgestellt seyen, auch während des Rechtsmittels schon die Rechtskraft, weil in Betreff dieser kein Rechtsmittel existire, also auch

10) Handbuch, III, 60, §. 3, S. 246.

17) Lehrbuch, §. 278, not. d.

feine Devolution an den Oberrichter, und keine Suspension Ter Gerichtsbarkeit des Unterrichters gedacht werden könne, diese vielmehr nur rücksichtlich derjenigen Punkte eintrete, gegen welche die Appellation entweder unmittelbar gerichtet sey, oder welche mit den durch die Appellation angefochtenen Punkten in einer unzertrennbaren Verbindung stehen; und weil auch das positive Recht 18) denselben Grundsay befolge. Wir können dieser Ansicht nicht beitreten, glauben vielmehr annehmen zu dürfen, daß die Einwendung und Einführung der Appellation in einer bestimmten Rechtssache die in dieser erlassene, und durch jenes Rechtsmittel angefochtene, Sentenz nicht bloß im Bereiche der aufgestellten Beschwerden, sondern ihrem ganzen Inhalte nach, an dem Eintritt in die Rechtskraft verhindert; und zwar halten wir diese Annähme dadurch für gerechtfertigt, daß das gemeine Prozeßrecht die Aufstellung specieller Beschwerden bei der Einwendung oder der Einführung nicht fordert, und auch an die wirkliche Angabe solcher Beschwerden keineswegs die Wirkung knüpft, daß dadurch eine Abänderung derselben, und die Geltendmachung neuer Beschwerden bei der Rechtfertigung der Appellation unstatthaft wird. Aus demselben Gründe läßt sich auch aus dem Aufstellen bestimmter Beschwerden eine stillschweigende Anerkennung des dadurch nicht berührten Theils der Sentenz von Seiten des Appellanten, die übrigens auch für den Appellaten, als solchen, nicht einmal bindend seyn würde, nicht folgern. Wenn wir zur Rechtfertigung des obigen Sazes zunächst das römische Recht in's Auge fassen, so ist in mehreren Gesezen :

1. 2 D. de appell. (49. 1.),

>>Sed si apud acta quis appellaverit, satis erit, si dicat: "Appello.<

1. 3 §. 3 D. eodem,

18) L. 17 pr. D. de appell. (49. 1.), l. un. §. 5 D. nihil. innov. appell. interposita (49. 7.), l, 29 §. 1 D. de minorib. (4. 4.).

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