Page images
PDF
EPUB

XI.

Ueber die Stellung des Contradictors im Concurs

prozesse.

Von

dem Herrn Justizrath Reak

in Darmstadt.

[ocr errors]

Ueber den Contradictor im heutigen Concursprozesse sind die Ansichten sehr verschieden" sagt Bayer Theorie des Concursprozesses S. 42; indem er anführt, daß es zwei Ansichten über die Frage: Wen der Contradictor vertrete? gebe. Er wis derlegt zunächst die Ansicht derjenigen, welche den Contradictor für den Vertreter der Gesammtheit der Gläubiger halten; und spricht dann sich dahin aus, daß demnach" der Contradictor Stellvertreter des Cridars sey.

Diesen zwei Ansichten läßt sich eine dritte 1) an die Seite segen, welche den Contradictor, je nach Umständen, bald für jenen bald für diesen hält.

[ocr errors]

Die Frage ist von erheblicher practischer Wichtigkeit, weil in Ermangelung positiver Bestimmungen - aus der Stellung

1) Linde, Civ. Prozeß §. 436.

Zeitschr. f. Civilr. u. Proz. Neue Folge. IV. Bd. 3. Heft. 22

des Contradictors die Folgen seines Handelns abgeleitet werden müssen. Es scheint mir, daß die oben erwähnten Ansichten sämmtlich unrichtig sind; und daß durch sie die Praxis auf Irrwege gerathen ist, welche zu auffallenden Rechtsverlegungen führen. Es wird wohl genügen, einige derselben hervorzuheben :

I. Der Contradictor wird, darüber sind Alle einig, vom Richter bestellt. Mag man nun den Contradictor als Vertreter des Cridars oder der Gläubiger betrachten, so wird man diese Stellung nicht mit seiner Ernennung in Einklang bringen können. Ich will zugeben, daß der Richter jemanden, der sich selbst nicht vertheidigen kann, einen Vertheidiger bestellen kann und muß; allein weder Cridar noch Gläubiger-Gesammtheit sind in diesem Zustande; und sonach würde diese Bestellung durch den Richter eine unzeitige Bevormundung des Cridars oder der Gläubiger enthalten, welche sich mit unseren Gesezen nicht verträgt. Die Vertheidiger jener Ansichten haben sich deshalb genöthigt gesehen, zu Gründen ihre Zuflucht zu nehmen, welche wohl nicht haltbar erscheinen. So z. B. hat man den Criðar mit dem prodigus verglichen, welchem der Richter ebenfalls einen Curator bestelle 2). Allein der Cridar kann der beste Hausvater und durch Unglücksfälle in Concurs gerathen seyn! Dann sagt man: dem Cridar sey nicht zu trauen, weil er einzelne Gläubiger vor andern begünstigen könne 3). Allein auch dieser Grund widerspricht der allgemeinen geseglichen Präsumtion, und würde, wäre er richtig, dahin führen, daß man alle Handlungen des Cridars, welche ihn bezüglich seines Vermögens verpflichten, von der Zeit des s. g. materiellen Concurses, für unwirksam erklären müßte.

II. Der Contradictor, als Stellvertreter des Cridars gedacht, wäre eine Person, welche denjenigen repräsentirte, dem der Richter, durch das decretum de aperiundo concursu, die Dispo

2) BAYER I. c. §. 43 not. 2.

") BAYER 1. c.

sitionsbefugniß über das zur Concursmasse gehörende Vermögen entzogen hat. Und da es sich im Concurse nur um die Repartition dieses Vermögens handelt; so würde der Contradictor der Stellvertreter desjenigen seyn, der selbst nichts mehr gültig vornehmen kann. Er würde, da es sich im Concurse um die Fest= stellung der Ansprüche der Gläubiger handelt, als Stellvertreter des Cridars, die Rechte einzelner Gläubiger dadurch veräußern können, daß er die Ansprüche anderer Gläubiger als liquid zugestände; was offenbar Widersprüche enthält.

III. Denkt man sich den Contradictor als Vertreter der Gläubiger-Gesammtheit; so würde er in der Lage seyn, gegen diejenigen, welche er vertritt, also gegen sich selbst - Prozesse zu führen. Der Contradictor würde überflüssig seyn, wenn die Gläubiger sich ihre Ansprüche wechselseitig zugeständen. Allein dies würde zu einer Ungerechtigkeit führen, weil der Cridar noch an dem Ueberschusse der Concursmasse betheiligt ist und wegen. der nicht befriedigten Forderungen verhaftet bleibt; und weil sich ein Concurs denken läßt, ohne daß die vom Cridar als liquid anerkannten Ansprüche den Betrag des Vermögens übersteigen. Man unterstelle den Fall, daß einzelne Ansprüche gemacht werden, welche nicht richtig sind und daß durch diese auf einen Theil der begründeten Ansprüche zu wenig oder nichts kömmt!

Es scheint mir dieses genügend, um darzuthun, daß die hervorgehobenen Ansichten nicht die richtigen seyn können. Sie verdanken ihren Ursprung dem Umstande, daß man die Stellung des Richters in unserem Concursprozesse nicht genau genug gewürdigt hat. Der deutsche Concursprozeß weicht von dem römischen Verfahren gegen Verschuldete in mehreren Stücken ab. Hauptsächlich leuchtet hervor : daß der Richter die Erkennung des Concurses auch ohne die von den Römern zur bonorum vinditio erforderten Vorausseßungen, vornimmt; daß er die Veräußerung der Activmasse unmittelbar leitet; und daß er alle Gläubiger zur Concursmasse zuzieht. Im Allgemeinen entwickelt sonach unser Richter mehr Thätigkeit, als der römische. Er erläßt ins

besondere das decretum de aperiundo concursu ganz unabhängig von dem Antrage der Gläubiger 4); und, wie ich glaube, sobald ihm die Ueberzeugung der Ueberschuldung vorliegt, und er überhaupt um Rechtshülfe angesprochen wird. Man muß hier ins Auge fassen, daß der Richter die Execution seiner Urtheile selbst vornimmt; den Verkauf der Pfänder leitet und den Sieger befriedigt. Die Klage bezweckt nicht blos den Ausspruch des Richters darüber, daß der Kläger Recht habe; fie verlangt wirkliche Befriedigung der Ansprüche durch den Richter. Der Prozeß ist sonach eigentlich nur ein präparatorisches Verfahren, in welchem der Richter sich überzeugen will, ob fenes Verlangen des Klägers rechtlich statthaft ist. Sehr natürlich ist daher, daß der Richter sich bei Ueberreichung der Klage die Frage vorlegt, ob er diesem Verlangen, ohne die Verlegung der Rechte Dritter, stattgeben könne. Eine solche Rechtsverlegung würde dann vorhanden seyn, wenn der Richter Sentenzen zum Vortheile Einzelner vollstrecken wollte, während er aus andern Acten, oder

[ocr errors]

*) Man ftreitet darüber, ob zur Concurserkennung der Antrag der Gläubiger erforderlich sey? Ich glaube, daß dieses nicht der Fall ist; denn die aufgetretenen Gläubiger haben (in der Regel) kein Interesse und sonach kein Recht, den Concurs herbeizuführen. Jeder der aufgetretenen Gläubiger verlangt nur Befriedigung aus dem vorhandenen Vermögen. Die Concurserkennung kann nur Zeitverlust und das Auftreten noch anderer Gläubiger veranlassen, was beides mit den Zwecken der aufgetretenen Gläubiger nicht übereinstimmt. Diese könnten durch den Antrag auf Concurserkennung höchstens bezwecken, daß dem Schuldner die Befugniß, über sein Vermögen zu disponiren, entzogen werde, was durch Arrestgesuche zu erreichen ist. Nur für den Fall, deß kein Gläubiger in der Lage seyn sollte, den Verkauf des schuldnerschen Vermögens jezt schon zu verlangen, könnte die Concurserkennung den Vortheil haben, daß der Schulder des Besißes entsegt würde. Allein dieser Fall, welcher vorausseßt, daß die Ueberschuldung conftatirt sey, ohne daß rechtskräftige Urtheile oder Geständnisse des Cridars über die erhobenen Ansprüche vorliegen, wird wohl selten vorkommen.

die

durch Hypothekenbücher, oder durch die Notorietät 2. Ueberzeugung hat, daß der Beklagte überschuldet ist. Denn wenn der Richter Vermögenstheile des Beklagten verkauft, um einen einzelnen Gläubiger zu befriedigen, während er weiß, daß die andern Gläubiger hierdurch verkürzt werden, so handelt er so gut in fraudem creditorum, als der Schuldner, welcher im Zustande der Insolvenz, einzelne Gläubiger begünstigt. Eine solche Procedur läßt sich vom Richter nicht verlangen.

Wenn aber der Richter, was ihm die Praxis einräumt, berechtigt erscheint, gegen den Willen des Schuldners den Concursprozeß zu erkennen, ehe die liquiden Ansprüche das Vermögen übersteigen; dann muß ihm auch die Verpflichtung obliegen, die Ansprüche an das Vermögen des Schuldners genau zu prüfen. Er kann die Liquidität dieser nicht lediglich von den Verhandlun«, gen der Gläubiger unter sich abhängig machen: und ebensowenig kann er den Criðar als Parthie hierbei zulassen, weil er diesem die Dispositionsbefugniß über das Vermögen entzogen hat, die Prozeßführung aber diese nothwendig bedingt. Es bleibt ihm also nur die Möglichkeit, ein Officialverfahren über diese Liquidität einzuleiten. Die Stellung des Richters gestattet indessen nicht wohl, Einreden, Beweismittel 2c. selbst zu sammeln, und sie dem aufgetretenen Gläubiger entgegen zu halten. Dieses Bestreben könnte seine partheilosc Stellung beeinträchtigen oder wenigstens verdächtigen. Er wählt sich daher einen Gehilfen, welcher jene Obliegenheit erfüllen hilft, und dieser Gehilfe ist der Contradictor. Ich betrachte sonach den Contradictor weder als Stellvertreter des Cridars, noch als Anwalt oder Stellvertreter der Gläubiger. Der Prozeß mit ihm ist also weder für jenen, noch für diese von verpflichtender Wirkung, mit Ausnahme des Falles, wenn der aufgetretene Gläubiger mit seinen Ansprüchen rechtskräftig abgewiesen wird. In diesem Falle kann der Richter dem Gläubiger keinen Anspruch an die Concursmasse zugeftchen. Die Folgen, welche sich aus dieser Stellung ergeben, sind zwar zum Theile abweichend von der gemeinen Ansicht und der Praxis; sie stimmen

« PreviousContinue »