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V.

Beitrag zur Lehre von den Wirkungen der bonorum possessio furiosi nomine.

Von

Herrn Hofrath und Profeffor Dr. Frit
zu Freiburg.

S. 1.

Die von dem Curator eines Wahnsinnigen zu agnoscirende bonorum possessio furiosi nomine ist für den Fall eingeführt, wenn dem Wahnsinnigen eine directe Erbfolge deferirt ist, in welche er nicht als necessarius heres ipso jure eintritt 1), und die er doch, weil er keine lichte Zwischenzeiten hat, nicht antreten oder ausschlagen kann 2).

1 Ueber diesen Eintritt s. fr. 63. D. de acquir. vel omitt. hered. (29.2.). §. 3. J. de hered. quae ab intest. (3. 1.) c. 7. §. 2. C. de curatore furiosi (5. 70.). Daß derselbe auf die im Texte angegebe= nen Fälle beschränkt ist, darüber s. namentlich v. Löhr im Archiv f. d. civ. Praxis V. S. 116., Mühlenbruch in der Forts. des Glück'schen Commentars Bd. 42. S. 454., v. Vangerow in dem cit. Archiv XXX. S. 2.

*) Fr. 63. cit. c. 7. cit. pr. §. 2. 3. sqq.

Zeitschr. f. Civilr. u. Proz. Neue Folge. IV. Bd. 2. Heft.

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Durch die Agnition derselben ist das fünftige Schicksal der fraglichen Erbschaft oder Erbportion nicht entschieden.

Wird der Wahnsinnige nachher wieder gesund, so kann er die Erbschaft nach Belieben antreten oder ausschlagen 3). Thut er das Leztere, oder stirbt er, ohne gesund geworden zu seyn, oder wenigstens ohne sich erklärt zu haben, so wird die Erbschaft oder Erbportion denjenigen Erben des Erblassers deferirt, die bisher durch den Wahnsinnigen davon ausgeschlossen waren 4).

So drücken die civilistischen Schriftsteller sich gewöhnlich aus, ohne näher anzugeben, wer diese Erben des Erblassers seyen 5). Sie wollen damit sagen: es seyen dieselben Personen, welche auch gerufen seyn würden, wenn der zunächst Gerufene ohne vorherige Agnition der bonorum possessio furiosi nomine durch Ausschlagen oder Tod hinweg gefallen wäre.

In der neuesten Zeit ist aber die Behauptung aufgestellt worden diese Regel erleide eine Ausnahme; die Agnition der bonorum possessio furiosi nomine entziehe nämlich den testamentarischen Miterben des Wahnsinnigen jedenfalls das ihnen sonst zustehende Accrescenzrecht ®). Es ist mit anderen Worten be

3) C. 7. cit. §. 7.

4) C. 7. cit. §. 8. Offenbar irrig ist es, wenn einige Schriftsteller, z. B. Valett Lehrb. §. 1065. und v. Hartigsch Erbrecht §. 268. in dem zweiten Falle, wenn der Wahnsinnige ohne Erklärung ftirbt, seine Erben eintreten lassen wollen. Valett beruft sich auf c. 7. cit. §. 9. Dieser §. handelt aber nicht von der directen Erbfolge, sondern von Legaten und andern Successionen auf den Todesfall. S. unten. 3-5. S. auch v. Löhr a. a. D. S. 118 fg., Mühlenbruch a. a. D. S. 453 und 454 und v. Vangerow a. a. D. S. 3 nm. 6. Ob es Fälle gibt, in welchen die Erben des Wahnsinnigen nach allgemeinen Grundfägen ein Transmissions= recht haben, ist eine andere Frage.

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3) Eine Ausnahme macht z. B. FREHSE (praes. BECMANN) de acquis. hereditatis dementi delatae. Goett. 1772. §. 31. p.

80 sqq. *) Das Gegentheil, daß nämlich auch hier die angegebene Regel Anwendung leide, und folglich das Accrescenzrecht eintrete, sagt ein Gutachten der Juristenfacultät zu Göttingen aus dem Jahre 1788,

hauptet worden: wenn ein Wahnsinniger neben andern Personen zur testamentarischen directen Erbfolge berufen sey, so habe die Agnition der bonorum possessio furiosi nomine die Wirkung, daß, falls jener auf die angegebene Weise hinwegfällt und keinen Substituten hat, der Teftator, auch ohne die Privilegien eines Soldaten zu genießen, in Beziehung auf die dem Wahnsinnigen deferirt gewesene Portion als intestatus zu beerben sey.

Die äußere Veranlassung hiezu gab ein bei den Gerichten in D. anhängiger Rechtsstreit. Nachdem nämlich das von dem testamentarischen Miterben des im Hospital H. verstorbenen wahnsinnigen Balthasar B. aus D.') für sich in Anspruch genommene Accrescenzrecht in zwei Instanzen 8) als rechtlich begründet anerkannt worden war und der unterliegende Theil das Rechtsmittel der Oberappellation ergriffen hatte, stellte diesem der Herr Geheime Hofrath von Vangerow im August 1846 ein Gutachten aus, worin die so eben erwähnte neue Theorie aufgestellt und zu begründen versucht wird.

Der Verfasser des gegenwärtigen Aufsages stellte den testas mentarischen Miterben im December 1846 ein Gegengutachten aus, worin er die bisherige allgemeine Ansicht auf eine überzeugende Weise begründet und die Vangerow'schen Angriffe gegen dieselbe widerlegt zu haben glaubt o).

Bevor v. Vangerow mein Gutachten kennen lernte, also ohne Rücksicht darauf, brachte derselbe den Inhalt des seinigen in dem Archiv für die civilistische Praris 1o) zur Kenntniß des grö

mitgetheilt von G. L. Böhmer in den auserlesenen Rechtsfällen Bd. 2. S. 298.

") Es handelt sich um die Portion, auf welche der Wahnsinnige von seiner Mutter zum directen Erben eingeseht worden war, und welche sein Curator in seine Obhut genommen hatte.

*) Nämlich durch Urtheil des Stadtgerichts zu D. vom 20. Mai 1844 und durch Urtheil des Hofgerichts daselbst vom 24. Januar 1846. *) Ein Urtheil des Oberappellationsgerichts ist noch nicht erfolgt. 10) Bd. 30. H. 1. Nr. 1. S. 1-42. Die Ueberschrift ist :,,3ur Lehre von der bonorum possessio furiosi nomine“.

ßeren juristischen Publicums, um dadurch eine Lücke in der juris stischen Literatur auszufüllen, in welcher unsere Frage bisher nirgends eine nur einigermaßen tiefer eingehende Untersuchung gefunden habe.

In dem gegenwärtigen Auffage sollen nun die Gründe dargelegt werden, aus welchen ich die bisherige communis opinio doctorum für vollkommen begründet und die neue Theorie für unrichtig ansehe.

Die Ordnung, in welcher dieses geschehen soll, ist folgende. Zuerst (S. 2-5.) werde ich ohne Rücksicht auf die Vangerow'sche Deduction eine motivirte Auslegung der entscheidenden Gesezesstellen geben, und dann (vom §. 6 an) die Gründe, auf welche v. Vangerow seine neue Ansicht stüßt, der Reihe nach prüfen und widerlegen.

$. 2.

Vor Justinian war über die Frage, wie es mit der Antretung einer einem Menschen, der kein Kind mehr und ununterbrochen wahnsinnig ist, deferirten Erbschaft stehe, großer Streit. Diesen Streit entscheidet nun Juftinian in der c. 7. C. de curatore furiosi vel prodigi (5. 70.).

Der wesentliche Inhalt der Entscheidung ist: eine solche Erbschaft solle, falls sie nicht ipso jure erworben werde, während des Wahnsinns nicht erworben werden können; der Curator soll sie aber, falls sie vortheilhaft sey, provisorisch in seine Obhut nehmen, und dieses Provisorium solle, wenn der Wahnfinnige wieder zum Gebrauche seines Verstandes komme und die Erbschaft annehme, mit der Ablieferung derselben an ihn, wenn er aber nach erfolgter Genesung fie ausschlage, oder im Wahnsinne sterbe, mit einer weitern Delation der Erbschaft endigen.

Ist das Gesagte richtig, so versteht es sich von selbst, daß die Frage, wem in den legten Fällen die Erbschaft weiter deferirt werde, gerade eben so beantwortet werden muß, wie über

haupt, wenn die erste Delation durch Ausschlagen oder durch den Tod des Berufenen wieder aufhört, oder mit anderen Worten, gerade ebenso, wie wenn der Curator die Erbschaft nicht vorher in seine Obhut genommen hätte, daß sie also deferirt wird :

I. wenn der Wahnsinnige durch ein Testament gerufen war,

1) zunächst seinem Vulgarsubstituten,

2) sodann, falls das Testament nicht die Privilegien eines militärischen genießt, vermöge des Anwachsungsrechtes seinen Miterben, welche ihren Antheil erworben haben oder noch erwerben,

3) hierauf den Intestaterben, und

4) zulegt als erbloser Nachlaß dem Fiscus oder derjenigen Person, die in dieser Beziehung an die Stelle des Fiscus zu treten berechtigt ist;

II. wenn der Wahnsinnige ab intestato gerufen war, 1) zunächst vermöge des Anwachsungsrechtes seinen Miterben, welche die Erbschaft erworben haben oder noch erwerben,

2) sodann den entfernteren Inteftaterben des Erblassers, und

3) zulegt dem Fiscus, oder wer sonst den erblosen Nachlaß in Anspruch nehmen darf.

Die Beantwortung der den Gegenstand dieser Abhandlung bildenden speciellen Frage ergibt sich alsdann von selbst.

Daß aber der wesentliche Inhalt der Entscheidung Justinian's fein anderer als der angegebene ist, und daß die in Frage stehende Verordnung keine Verfügung enthält, die der Anwendung der aus dieser Entscheidung zu zichenden Folgerung im Wege steht, das wird sich zeigen, wenn ich zuerst in den §§. 3 und 4 den ganzen Inhalt der Verordnung übersichtlich angebe, und dann (im §. 5) die Stellen derselben, auf welche es hier zunächst ankommt, sorgfältig interpretire.

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