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Zweites Kapitel.

Entstehung der Obligationen.

§. 51.

Einleitung.

Die Entstehung der Obligationen erscheint in zwei ver

schiedenen Gestalten: entweder als ursprüngliche Entstehung, oder als Umwandlung (Metamorphose), in welchem lezten Fall die Fortdauer einer und derselben Obligation (nur in veränderter Gestalt) vorausgesezt wird. Dieser Gegensaz ist an sich auch auf andere Arten der Rechtsverhältnisse anwendbar; die häufigste und wichtigste Anwendung aber findet er gerade bei den Obligationen (a). Beide Arten der Entstehung sind hier besonders zu be rachten.

1. Bei der ursprünglichen Entstehung kommt olgende verschiedene Ausdrucksweise der Römischen Juristen n Betracht, die leicht als eine Verschiedenheit der Meinungen ufgefaßt werden könnte.

A. Zuweilen wird gesagt, es gebe nur zwei Entehungsarten: ex contractu und ex delicto, so daß

(a) Vgl. System Bd. 1 § 59 S. 393, B. 3 § 104 S. 4.

alle Obligationen auf eine derselben zurückgeführt werden

müßten (b).

B. In mehreren Stellen dagegen werden diesen beiden Entstehungsarten zwei andere hinzu gesellt, wodurch vier Arten hervorgehen.

Es soll nämlich Obligationen geben, die non proprie ex contractu entstehen, wohl aber quasi ex contractu (c). Eben so auch andere, die non proprie ex maleficio entstehen, wohl aber quasi ex maleficio (d), oder quasi-ex delicto (e).

Anderwärts werden diese vier Entstehungsarten geradezu aufgezählt (f).

C. Endlich werden einmal scheinbar dreierlei Entstehungen angegeben: ex contractu, ex maleficio, aut proprio quodam jure, ex variis causarum figuris (g). Diese lezte Ausdrucksweise ist jedoch augenscheinlich von der vorhergehenden nicht wesentlich verschieden, indem sie blos die zwei lezten Entstehungsarten in einen einfachen, unbestimm teren Ausdruck zusammen faßt.

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Eher könnte man bei der ersten Ausdrucksweise an eine wirkliche Meinungsverschiedenheit denken, indem man dieselbe so auffaßte, als sollte das Dasein der Obligationen quasi ex contractu und quasi ex delicto verneint werden. So ist es aber in der That nicht, sondern der Unterschied liegt nur darin, daß einige Stellen, der Kürze wegen, nur die zwei wichtigsten Arten angeben, anstatt daß andere Stellen, vollständiger, noch zwei Arten hinzufügen, die nach der Analogie der beiden ersten gebildet sind, welches eben durch die Partikel quasi bezeichnet wird. Könnte hieran noch irgend ein Zweifel übrig bleiben, so müßte derselbe vor der Erwägung verschwinden, daß alle hier angeführte Stellen ursprünglich von Gajus herrühren.

Betrachten wir nunmehr genauer die zwei wichtigsten Entstehungsarten (contractus und delictum), so scheinen sie auf den ersten Blick zusammen zu fallen mit den sehr abstracten Begriffen von Vertrag und Rechtsverlegung. In der That aber werden sie von den Römischen Juristen in einem engeren Sinne gemeint. Jene Ausdrücke werden nämlich von ihren Urhebern in der geschichtlichen Beschränfung gebraucht, daß sie nur auf die klagbaren Verträge und Verlegungen angewendet werden, ja sogar nur auf die, welche schon im alten Civilrecht als klagbar anerkannt

waren.

Ferner ist zu erwägen die Bedeutung oder Benußung dieser Gegensäge, also der zwei, oder drei, oder vier Claffen, die wir etwa für die Entstehungsarten der Obligationen

gelten lassen wollen. Es läßt sich davon ein zweifacher, ganz verschiedener Gebrauch machen.

Der erste Gebrauch steht im Zusammenhang mit der Aufgabe des allgemeinen Theils des Obligationenrechts. Er zweckt darauf ab, die gemeinsamen Begriffe und Rechtsregeln darzustellen, welche sich auf die Contracte, und eben so die, welche sich auf die Delicte, als die wichtigsten Entstehungsgründe der Obligationen, beziehen. Diese Darstellung wird den Inhalt des gegenwärtigen Bandes bilden. Dabei aber können wir uns der oben erwähnten geschichtlichen Beschränkung der Begriffe von contractus und delictum nicht unterwerfen. Vielmehr müssen wir ausgehen von den abstracten Begriffen des Vertrags und der Verlegung, in aller Ausdehnung, deren diese Begriffe empfänglich sind. Es werden sich dann von selbst die Anknüßfungspunkte finden, welche nöthig sind, um jenen geschichtlich beschränkten Begriffen ihr Recht widerfahren zu lassen.

Ein zweiter Gebrauch jener Gegenfäße würde darin bestehen, daß man sie als Grundlage gelten ließe für die Gliederung der einzelnen Obligationen, also für die Darstellung des besonderen Theils des Obligationenrechts. Dieses Verfahren findet sich in den Institutionen des Gajus, und noch vollständiger entwickelt in Juftinian's Institutionen, in welchen die einzelnen Obligationen nach den vier oben dargestellten Claffen abgehandelt werden (h).

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contractu). IV. 1-4 (delicta).—IV. 5 (quasi ex delicto).

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