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Aneignung des Heiles in Christo wäre hiernach eine völlig pelagianische. Soferne hiemit die selbsteigene, auf den Willen des Subjects gestellte Thätigkeit gemeint ist, ist dies nun allerdings nicht Lehre des Apollinaris; er kann nicht diesen Pelagianismus in der Lehre von der Aneignung Christi geltend machen wollen. Nicht nur steht eine solche Annahme im Widerspruch mit seiner gegen den in Pelagianismus auslaufenden Arianismus aufgestellten und das religiöse Princip entschieden wahrenden Christologic, sondern sie hat auch eine reichliche Anzahl von Stellen gegen sich, welche ausdrücklich den Glauben, durch den nach Apollinaris Christus vom Menschen angeeignet wird, als Werk der Gnade bezeichnen; 1) und desgleichen ist ihm die Umwandlung eines steinernen, d. i. eines ungehorsamen Herzens in ein fleischernes, d. i. in ein gehorsames und williges, nicht blos Sache des Willens, sondern der Gnade des Geistes zugleich. 2) Allein trotz all' dem bleibt in seiner Ansicht von der Aneignung des Heiles in Christo ein bedeutendes pelagianisches Moment zurück, und anderseits ist der in der piunois als bloßer Nachahmung gelegene Vorwurf der Unmöglichkeit der Erlösung des Menschen auf Grund seiner Christologie jedenfalls aufrecht zu erhalten. Erweisen wir die erste Behauptung. Wenn, wie bereits gezeigt, nach Apollinaris die Sünde bezüglich ihrer Entstehung keinen vollkommenen Zustand des ersten Menschen zur Vorausseßung hat, sondern vermöge einer von der Schöpfung herrührenden Beschaffenheit der menschlichen Natur nothwendig hervorgebrochen ist, so kann ihm die Erlösung nicht in einer die rückwärts liegende Sündenschuld tilgenden, verföhnenden That, sondern nur in der Vollendung der ersten unvollkommenen Schöpfung bestehen. Objectiv aber ist nach seiner Christologie diese Erlösung schon durch die bloße Ankunft Christi vollzogen und einer erlösenden That bedarf es eigentlich nicht. Lehrt Apollinaris auch den Tod Christi, so thut er es eben auf Auctorität der Bibel, aber einen Sinn hat derselbe in seinem Systeme nicht. Der Teufel, sagt Athanasius hierüber, hat durch Verführung Adam's zur Sünde das Gesetz der Sünde und den durch das Werk der Sünde über ihn herrschenden Tod in die Natur des Menschen gelegt. Deßwegen nun kam der Sohn Gottes, um die Werke des Teufels zu zerstören. Dagegen ihr sagt: er löste sie, indem er nicht sündigte. Aber

πλανώμενοι βλασφημεῖτε. εἰ γὰρ τοῦ ἄγοντος τὴν σάρκα, δυνατὸν ἦν ἀνθρώποις τὴν καινότητα κατεργάσασθαι ἑαυτοῖς χωρίς Χριστοῦ, ἕπεται δὲ τῷ ἄγοντι τὸ ἀγόμενον, τίς ἦν χρεία τῆς Χριστοῦ ἐπιδημίας;

1) Dorner, a. a. D. I, 1023-1027 hat sie aus einer Catene zum Johannesevangelium mitgetheilt, worauf wir der Kürze halber verweisen.

2) Commentar. in Ezech. 36, 27 (bei Mai, Nov. Patr. biblioth. Rom. 1854 t VII p. II 89): Τοῦτο δὲ τῆς τοῦ πνεύματος χάριτος ἴδιον· αὐτὴ γὰρ συνεργοῦσα τῷ ἡμετέρῳ αὐτεξουσίῳ, κατορθούσθαι παρασκευάζει τὰ εἰρημένα.

das ist keine Lösung der Sünde. Denn nicht bewirkte in Adam der Teufel von Anfang die Sünde, so daß durch des Sohnes Kommen in die Welt und sein Nichtsündigen schon die Sünde aufgehoben worden wäre, sondern in die vernünftige und geistige Natur des Menschen brachte er den Samen der Sünde und bewirkte diese. Deßwegen war es der Natur, welche vernünftig ist und freiwillig gesündigt hat und der Strafe des Todes verfallen war, unmöglich, sich selbst in Freiheit zu versehen, wie der Apostel Röm. 8, 3 sagt: was dem Geseze unmöglich war wegen seiner Schwachheit. Deßhalb kam der Sohn Gottes selbst, um dieselbe in seiner eigenen Natur durch einen neuen Anfang und eine wunderbare Geburt wieder herzustellen. 1) Subjectiv kann aber dann bei dieser Vorstellung vom Werke Christi die Erlösung nicht, wie Athanasius mit vollem Rechte sagt, durch Wiedergeburt, sondern nur durch Nachahmung vermittelt werden. Apollinaris kennt sonach in der That nur den moralischen Begriff der Erlösung, 2) und es ist irrig dagegen zu behaupten, es trete bei ihm vielmehr das Ethische zurück hinter das Neligiöse. 3) Das gilt allerdings entschieden von seiner Christologie; aber sobald Apollinaris in das soteriologische Gebiet hinübertritt, schlägt das religiöse Princip um in's ethische: die Art seiner Christologie gestattet ihm nicht, das in ihr zur Geltung gebrachte religiöse Princip auch auf die Soteriologie anzuwenden. So unwahr ist sie, ungeachtet ihrer speculativen Bedeutung! Der Umstand, daß Apollinaris den Glauben von der Gnade gewirkt sein läßt, kann hieran nichts ändern.

Aber jene Nachahmung vermag ihr Ziel, selbst wenn der Glaube durch die Gnade unterstüßt wird, nicht zu erreichen, bleibt erfolglos und besteht daher in leerer Nachahmung. Möhler hatte nicht so Unrecht, wie man meint, *) wenn er sagte, das Nachahmen Christi habe keinen wahren Sinn im Munde der Apollinaristen; denn es sei ein Nachahmen, wie wenn der Affe den Menschen nachahmt, ein bloßes Nachmachen. ') Schon Athanastus hat kurz aber treffend von des Apollinaris Christologie in ihrer Bedeutung für die subjective Erlösung gesagt, daß nach ihr keine Gemeinschaft des Menschen mit dem Erlöser möglich sei. o). In der That, wie kann der Mensch mit seinem Erlöser in lebendige und wahre Einheit treten, wenn dessen menschliche Natur nicht eine der unsrigen. völlig gleiche, sondern nur ähnliche ist, ja wenn seinem Fleische nicht blos

1) Contra Apollinar. II, 6 p. 753.

2) Baur, a. a. D. S. 636.

3) Dorner, a. a. D. I, 1022.

4) Dorner, I, 1022. Voigt, a. a. D. S. 326.

5) Möhler, Athanasius der Große. Mainz 1827. II. S. 269.

6) Contra Apollinar. I, 4 p. 738: τίς γὰρ ἄκτιστον ἀκούων τὸ τοῦ κυρίου σῶμα, ἑαυτὸν δὲ ποιηθέντα καὶ κτισθέντα εἰδὼς, οὐκ ἐννοηθήσεται, ψευδεῖς μὲν εἶναι τὰς ἁγίας γραφάς, ἑαυτὸν δὲ μὴ ἔχειν πρὸς τὸν Χριστὸν κοινωνίαν;

Wörter, der Pelagianismus.

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die vernünftige Seele fehlt, sondern wenn er selbst himmlischer Mensch ist, d. i. sein vom göttlichen vous bewegtes Fleisch vom Himmel gebracht hat und sonach kein zu unserer Gattung gehöriger, sondern specifisch anderer Mensch ist? Nähert sich Christus durch das Fleisch auch unserer Natur, so entfernt er sich von ihr sofort wieder durch das es bewegende Princip des göttlichen vous. Nur wenn der Logos die volle Menschennatur angenommen hat, ist jene Einigung denkbar. Hiezu kömmt sodann noch des Apollinaris eigenthümliche ethische Ansicht von der menschlichen Natur. Wenn Christus sündelos ist nur dadurch, daß in ihm der göttliche vous die Stelle des menschlichen vertritt, wie kann alsdann der im Glauben an Christus diesen, wenn auch durch die Unterstützung der Gnade, nachahmende Mensch, dessen Wille nicht ohne Sünde sein kann, sündelos werden? Muß ihm die Sünde nicht vielmehr bleiben? Es ist unmöglich, sagt ihr, daß der einmal in die Knechtschaft der Sünde gerathene Mensch davon frei werde, so daß ihr Gott die Unmacht, die Macht aber dem Teufel zuschreibt, indem ihr (mit andern Häretikern) behauptet, es sei die in der Natur der Menschen vorhandene Sünde unauflösbar (ázatálvtov), und deßhalb sei die Gottheit, welche nie unter der Knechtschaft der Sünde gestanden, in der Aehnlichkeit des Fleisches und der Seele gekommen, damit sie selber von der Knechtschaft frei bleibe und so die Gerechtigkeit rein erscheine. 1) Nur durch Aufhebung der im Willen des Menschen von Hause aus gelegenen Inclination zur Sünde, zu welcher er mit Nothwendigkeit kommt, also durch Umwandlung der menschlichen Natur, könnte es zur wirklichen Erlösung kommen. So verfällt Apollinaris in der Soteriologie consequent gerade in die Fehler, zu deren Vermeidung er nebst andern Gründen seine Christologie aufstellen zu müssen glaubte. Die Einigung des ganzen Menschen mit der Gottheit in Christo, sagt Apollinaris, hebt die Freiheit der Engel und des Menschen auf; die Zerstörung der Freiheit, mit der ein Wesen ausgestattet ist, ist aber nur die Unfreiheit seines Seins; nun aber wird die Natur von ihrem Schöpfer nicht aufgehoben, also einigt sich auch nicht der (ganze) Mensch mit Gott. 2) Offenbar meint Apollinaris mit dieser Argumentation, welche Gregor von Nyssa eine bauchrednerische nennt, wenn der Logos mit dem ganzen Menschen, d. h. auch mit der vernünftigen Seele sich einigte, müßte die Freiheit der letzteren im göttlichen vous untergehen; und wäre nun die im Logos gegebene menschliche Natur identisch mit der unsrigen, so käme auch uns, überhaupt der rationalen Creatur, die Freiheit des Willens nicht mehr zu. Angenommen, diese Argumentation sei richtig, hebt dann nicht wieder die Erlösung, wie sie bei

1) Ibid. II, 11 p. 756.

2) Antirrhetic. c. 45 p. 561. 562.

einer solchen Christologie möglich ist, wenn man sie als wirkliche denkt, die Freiheit der Creatur auf? Denn wenn die Lehre des Apollinaris von der Person Christi die Freiheit der menschlichen Natur, nicht wie ihr Urheber meint, wahrt, sondern geradezu aufhebt, 1) und es so unerklärlich wird, wie in Christo der Mensch, der ohne vernünftige Seele ist, an der reinen Tugend, die doch nur Sache des freien Willens ist, participiren kann, 2) fo gilt ganz dasselbe auch von uns Menschen selber, die wir den Erlöser uns aneignen sollen. Wie dort, so kann auch hier die Participation an der Tugend nur in einer die Freiheit des Willens aufhebenden Weise, und aljo, da Apollinaris diese Consequenz nicht zugibt, gar nicht stattfinden. Was zur Annahme übrig bleibt, ist nur noch eine lediglich im Gedanken sich vollziehende, keineswegs aber ihr Object erreichende, reale Erlösung; und das Subject bleibt bei all' seiner Anstrengung innerlich dasselbe, was es vorher war, sündig. 3)

Achtes Kapitel.

Verhältniß des Pelagianismus zur Christologie des Theodorus von Mops veste.

Viel cher läßt sich eine innere Verwandtschaft der Lehre des Pelagius mit der Christologie der Antiochener in dem Haupte ihrer Schule, des Theodor von Mopsveste, erwarten. Je mehr nämlich Theodor diese

1) Contra Apollinar. II, 9 p. 735: πάλιν γὰρ λέγετε· εἰ ἡ ἁμαρτήσασα φύσις ἐν θεῷ γέγονεν ἁμαρτίαν μὴ ποιήσασα, ἀνάγκῃ τοίνυν κατέχεται· τὸ δὲ ἀνάγκῃ κατεχόμενον βίαιόν ἐστι. εἴπατε τοίνυν, εἰ τὸ μὴ ἁμαρτάνειν κατὰ ἀνάγ την γίνεται, τὸ ἁμαρτάνειν κατὰ φύσιν ἔσται· δώσετε οὖν τὸν τῆς φύσεως δημιουρ γὸν τῆς ἁμαρτίας εἶναι ἐνεργόν.

2) Ibid. c. 41 p. 556: πῶς δὲ συναρμόζεται τῷ Θεῷ σάρξ, ὥς φησιν, ἀβιάστως, ἡ μεταλαμβάνουσα τῆς καθαρᾶς ἀρετῆς; τίς γὰρ οὐκ οἶδεν ὅτι ἀρετὴ προαιρέσεως ἐστι κατόρθωμα; ἡ δὲ σάρξ ὄργανόν ἐστι τῆς προαιρέσεως, τῇ ὁρμῇ τῆς διανοίας ἐγκείμενον, πρὸς ὅπερ ἂν ὁ κινῶν ἄγῃ, πρὸς τοῦτο μετατιθέμενον· ἡ δὲ προαίρεσις οὐδὲν ἕτερον εἰ μὴ νοῦς τίς ἐστι, καὶ πρός τι διάθεσις. εἰ οὖν μεταλαμβάνειν φήσει τὸν ἄνθρωπον καθαρᾶς ἀρετῆς, ἐν ᾧ νοῦς οὐκ ἔστι, τὸ τὴν ἀρετὴν ἑκουσίως ὑποδεχόμενον τι ἂν εἴη; εἰ μὴ ἄρα τὸ βεβιασμένον ἀβίαστον ὁ λογογράφος νοεῖ.

3) Ob die Consequenz hieraus, daß die Rechtfertigung des Menschen nur in einer Imputation der Gerechtigkeit Christi bestehen könne, wirkliche Lehre der Apollinaristen gewesen sei, möchten wir mit Obigem doch nicht gesagt haben. Bei aller Achn= lichkeit des Apollinarismus mit dem Protestantismus in manchen Punkten scheint uns diese von Möhler, Athanas. II, 267. 268 aufgestellte Behauptung keineswegs Lehre des Apollinaris zu sein, wiewohl sie aus seiner Doctrin deducirt werden kann.

seine Lehre im Gegensaße zur Anschauung des Apollinaris, welche den Accent auf das Göttliche in Christo in der Weise legte, daß sie das Menschliche in ihm verkümmerte, entwickelte und demgemäß die menschliche Natur im Erlöser hervorhob, desto mehr konnte er in eine pelagianisirende Christologie gerathen. Indessen hängt Theodors Christologie so enge mit seiner Lehre vom Heile zusammen, daß sie sich ohne diese nicht darstellen läßt.

Den Uebergang von der schon mitgetheilten Lehre von der Sünde zur Soteriologie vermittelt Theodor durch Darlegung der Bedeutung und Wirksamkeit des Gesezes. Hierüber sagt er: Da Adam's Nachkommen, wiewohl sie wegen der Sünde eine größere Neigung zum Sündigen haben als ihr Stammvater, doch sonst unter denselben Verhältnissen wie dieser sich befinden, so bedürfen sie auch aus denselben Gründen des Gesetzes. Zunächst verlangt der freie Wille, der dem Menschen auch nach der Sünde wie vor ihr eigen ist, ein Geseß, weil ihm ohne dasselbe die für die Verwirklichung des Guten nothwendige Kenntniß des Guten und Bösen fehlte und es weder zum Guten noch Bösen kommen könnte. Die Sünde, sagt Paulus Röm. 5, 13, wird nicht angerechnet, wo kein Gesez ist. Denn so wenig hält das Gesetz vom Sündigen ab, daß die Sünde nicht entstände, wenn das Gesetz nicht existirte. Unter dem Geseze aber versteht er hier das sittliche Urtheil, sei es von Natur oder positiv vermittelt. Denn wo kein sittliches Urtheil (diánguis) stattfindet, kann man von Keinem sagen, er thue Sünde, da er ja nach dem wirklichen Bösen nur im Unterschiede von dem Guten strebt. 1) Zu Röm. 7, 7 wird von ihm bemerkt: Der Apostel sage, daß er ohne das Gesetz die Sünde nicht gekannt hätte, weil das Gesetz durch die Unterscheidung des Guten und Bösen uns lehre, was man thuen und was man lassen solle. 2) Sodann bedürfen wir aber auch wegen des Hanges unserer sinnlichen Natur zum Sündigen eines Geseßes, das uns vom Schlechten abhält und zum Guten auffordert. 3) Was ist nun aber die Wirkung des Geseßes beim Menschen? Unstreitig ist das Geseß ein bedeutendes und wirksames Förderungsmittel des sittlichen Lebens; wir haben durch es eine sichere Erkenntniß des Guten in der Seele und keinen Menschen gibt es, der nicht durchaus wüßte, was das Bessere in diesem Leben ist. So gewährt es uns einen irrthumslosen und festen Unterricht in der Tugend für das gegenwärtige Leben, aber wir vermögen das Gute nicht eben so leicht, wie wir es wissen, auch zu

1) Bei Fritsche S. 51. 52. Spicileg. Roman. t. IV p. 503.
2) Fritsche S. 60. Spicileg. Roman. 1. c. p. 515.

3) Röm. 7, 6 bei Fritsche p. 60. Spicileg. Roman. p. 514. Röm. 8, 1 p. 67. Spicileg. rom. p. 522. Galat. 2, 15. 16. Spicileg. Solesm. t. I p. 61 seqq.

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