Page images
PDF
EPUB
[ocr errors]

Chaos aufgelösten Gletscher dessen Firnregion sich in einer riesigen Mulde noch weit gegen Süd erstreckt unter sich hat (bei über 8000' Höhe), und überschreitet man denselben dann gerade von W. nach O. so gelangt man ohne Hinderniss zum Fusse des Madatschkegels.

Ich hatte diesen Weg bereits mehrmals zurückgelegt, machte aber keine Einwendung als Thöni vorschlug, den Gletscher diagonal zu überschreiten, dem Madatsch also geradlinig zuzusteuern, denn ich wähnte, dem umsichtigen und für das Ortlergebiet dermalen unersetzlichen Pinggera damit beweisen zu können, dass er seine Wege im Gebirge mit übertriebener Vorsicht zu wählen pflegt. Aber ich täuschte mich empfindlich, 212 Stunden lang irrten wir mit grossem Zeitverluste in dem zerborstenen Eismeere umher, sprangen über Klüfte, und riesige Schluchten nöthigten uns zu grossen Umwegen; es war ein beständiges Suchen, Umhertappen, oft in der Tiefe weiter Spalten unter gewaltigen, zaubervollen Eisfelsen und Klippen, durch und über welche wir uns mit der Axt in der Hand den Weg bahnen mussten, dabei Thöni einmal fast in einen finsteren Schlund gestürzt wäre. Endlich fanden wir durch ein flaches Eisgewölbe kriechend, und nach unsäglicher Mühe mittelst Stufenhauens an einer Wand emporklimmend den ersehnten Ausweg aus diesem Labyrinth, und betraten den felsigen Fuss des imposant aufragenden Madatsch; leider aber nicht an der gewünschten Stelle, denn hätten wir den Berg etwas südlicher betreten, so wäre die Besteigung unter weit geringeren Mühen gelungen.

Der Berg ist aus gestörten, verbogenen Dolomitschichten gebildet, hier treten diese mit ungemein steilen, glatten Tafeln und Platten heraus oder ziehen als schmale Terrassen neben prallen Felswänden hin, dort stürzen sie gleich Bänder und Schnüre (Localausdrücke) gerade in die Tiefe, kleine Eisfelder, so steil wie Kirchdächer, hängen dazwischen herab. Zuerst mussten wir (112 Uhr) einige solcher Platten überwinden, dann eine Partie der schlimmsten Dolomitbänder, zerrissene Felsschnüre emporsteigen, am Bug einer unendlich verwitterten Schichte, fast senkrecht herab, und auf dem Bauche kriechend am Rande tiefer Abgründe auf einem schmalen Steingesimse einem Felsüberhange ausweichen. Wir thaten wohl, weder Strick noch Steigeisen zu benützen. Die stundenlange Anspannung aller Kräfte erforderte Rast und Stärkung. Zwei Flaschen vortrefflicher Kalterer Seewein, Speck und Roggenbrot wirkten Wunder. Nach einer halben Stunde brachen wir wieder auf.

Die nun folgenden Eisstreifen, welche die sehr bedeutende Neigung von 50° erreichten, nöthigten uns beständig Stufen zu hauen, an 300' unterhalb des Gipfels hemmte eine lange Felsmauer unser Fortkommen. Nach einigem Studium, wie dieses grösste Hinderniss des Tages zu überwinden sei, fanden wir einen an 40' hohen kaminartigen Riss, welcher an der Wand gerade emporführte. Trotz der furchtbaren Steilheit von fast 70° ersahen wir in dieser Stelle die einzige Möglichkeit, unser Ziel zu erreichen.

Verwegen stieg Thöni die schlechten Steige empor, ich folgte dicht hinter ihm, nur der an einigen unebenen Plätzchen haftende Schnee, in welchem wir uns mit den Fingern krallenartig festhielten, schützte uns gegen die augenscheinliche Gefahr, beim Emporheben eines Fusses durch die entsetzliche Steilheit rücklings abzustürzen.

Vom oberen Felssaume der Wand an stiegen wir ein Schneedach mit hohem Winkel hinan, dann krochen wir auf einem schmalen Schichtenbande in horizontaler Richtung quer über eine Wand, endlich standen wir oben auf der kaum 2 Schuh breiten, zerrissenen Felsschneide des Madatschkammes, und gleich darauf neben dem 7' hohen Steinmanne auf der Spitze des Madatschkegels, 2 Uhr 1).

1) Der Madatschkamm gewinnt in seiner südlichen Fortsetzung an Höhe, der nächste Gipfel überragt den Kegel schon um 100'.

Entsetzliche Tiefe umgab uns von allen Seiten, denn wir standen auf einem gewaltigen Felsthurme, namentlich der nördliche Abfall des Berges stürzt mit furchtbaren Wänden ab, man blickt in einen über 5000' tiefen Abgrund. Es war empfindlich kalt auf dem frei dastehenden Gipfel (6 Quadratklafter Oberfläche), ein heftiger Wind blies von Nord her, nach einstündiger Arbeit war ich starr vor Kälte. Unsere Rufe hörte man bis nach Trafoi, Pinggera's Falkenauge sah uns von dort, trotzdem wir ihm nicht grösser als Punkte erscheinen konnten, auf der Franzenshöhe nahm die Besatzung (es war in der Zeit des Waffenstillstandes mit Italien) jede unserer Bewegungen wahr.

Eine grossartige Wildniss umgab uns, schimmernde Ferner, aus deren geborstener Hülle gewaltige Felszüge emporstarrten, lagen tief unterhalb, südwärts begrenzte eine Reihe hoher Schneegipfel 1) den Horizont, und gegen Nord sahen die Berge des Oetzthaler Gebirges zwischen den schönbewaldeten Thalwänden von Trafoi herein. Trafoi selbst mit seinen Hütten, die nicht grösser als Punkte erschienen, und dem von dunklen Forsten umsäumten Wiesenplane war eine freundliche Idylle inmitten dieser ernsten Hochgebirgswelt. Gegen das Massiv des Ortler erschienen alle anderen Spitzen wie Zwerge, auf den ersten Blick bemerkt man das Missverhältniss seines ungeheuren Umfanges zu seiner Höhe.

Eine Flasche, darin die Notiz unserer Besteigung, verwahrten wir im Steinmanne, und um 3 Uhr traten wir den Rückweg an.

Obgleich eine Erfahrungssache, dass das Herabsteigen von schroffen Bergen mit grösseren Schwierigkeiten verbunden ist, wie das Emporklimmen, habe ich mich doch stets vom Gegentheile überzeugt. So auch diessmal. Behutsam, doch mit grösster Sicherheit, legten wir den schon beschriebenen Weg zurück. Im Kamin stemmten wir uns mit den Füssen gegen die seitlichen Wände, da dem verwitterten Gestein mit aller Vorsicht begegnet werden musste, und liessen uns langsam herab. Auf den schlimmen Platten hielten wir uns südlich, um den Ferner an einer günstigeren Stelle wie vordem zu betreten, und nach deren Passirung beglückwünschten wir uns freudigst des gelungenen Unternehmens; 44 Uhr.

Alle Hindernisse waren überwunden, den Bergstock unter dem Arm schritten wir bequem und sorglos in westlicher Richtung über die schneebedeckten Wellen des Madatschgletschers. Um 42 Uhr erreichten wir das linke Fernerufer, fuhren in einer Schneerinne am Fusse des Monte Livrio (ein von den Naglerspitzen ausgehender kuppenartiger Vorsprung) herab, über Karrenfelder und die Matten des vorderen Grates gelangten wir zur Franzenshöhe (52 Uhr) und um 6 Uhr nach Trafoi, also nach eilfstündiger Abwesenheit. Julius Payer, Oberlt.

Besteigung des Monte Zebru. Diesen Gipfel hat Herr Dr. von Mojsisovics zur Unterscheidung von der Königsspitze (welche von ihm den Namen Grosser Zebru erhielt) den Kleinen Zebru getauft. Die Königsspitze besitzt aber ohnediess schon zwei Namen (Königswand im Sulden), daher es zweck dienlich erscheint, die Bezeichnung Gr. Zebru ganz fallen zu lassen, und ihren westlichen Nachbar einfach Monte Zebru zu nennen. Die absolute Höhe desselben beträgt nach dem Kataster 11.816', und nach meiner trigonometrischen Beobachtung von der Korspitze 11.823' (Horizontalabstand 4347o, Höhenwinkel 5° 36').

1) Die das Trafoier Gebiet einschliessenden Berge des Umfassungsbogens sind: FurkeleSpitze (ehemals Korspitze genannt), Tartscher Kopf, Korspitze, Röthelspitze, Breitkamm, StilfserJoch, Monte Scorluzzo, Naglerspitzen, Geisterspitze oder Monte Video, Tuckettspitze, Hinterste Madatschspitze, Schneeglocke, Trafoierspitze, Thurwieserspitze, Grosser Eiskogl, Ortler, Tabarettaspitze, Bärenkopf, Hochleitenspitze.

Der M. Zebru ist wie die Königsspitze eine grossartige Alpenspitze, beide Berge sind in mancher Beziehung gleichartig, ihre Höhe und Masse ist enorm, ihre Gestalt majestätisch, ihre Abstürze entsetzlich mit Eiswänden gen Norden, mit ungeheuren Felsstufen gen Süden. Gewiss steht der durch die drei Bergriesen Ortler, Zebru, Königswand gebildete Hochgebirgs-Circus einzig in den Ostalpen da. Ich übergehe geographische Details bezüglich des Zebru und seiner Umgebung, und erwähne nur, dass der Ortlerzweig nicht von ihm ausgeht, sondern sich zwischen demselben und dem Grossen Eiskogl (östlich der Thurwieserspitze) vom Hauptkamme ablöst.

Die vier, durch eine scharfe übergewehte Schneeschneide verbundenen Spitzen des Zebru (die zweite von W. nach O. ist die höchste) gleichen von Süd gesehen furchtbaren Felssäulen, die Ersteigbarkeit der östlichsten, welche 11.800 erreichen dürfte, ist sehr zweifelhaft. Eine riesige ungangbare Scharte trennt sie von der Königswand.

Gehen wir zur Besteigung des Berges über.

Am 20. September 1866 hatte ich von Trafoi aus mit Pinggera (dem tüchtigsten und wohlorientirten Führer der Ortleralpen) die Schneeglocke bestiegen, die Nacht im Val Zebru zugebracht. Am folgenden Tage zwangen uns, bei 11.200' Höhe, unüberwindliche Felsen von der Ersteigung des Berges von Süden aus abzustehen, und als wir dann auf einem mit tiefem Herabsteigen verbundenen Umwege die westliche Flanke des Zebru (Gletscherhang) betraten, nöthigte uns plötzlich eintretender dichter Nebel nachdem wir dem Gipfel noch näher gekommen waren, und nachdem Pinggera energisch jeden weiteren Schritt abgelehnt hatte von dem Unternehmen abzustehen und über den Ortlerpass nach Trafoi heimzukehren, was nebenbei gesagt ein ziemlich schwieriges Stück Arbeit ist.

[ocr errors]

Die Besteigung des Zebru von Trafoi aus ist mit grossem Zeitverbrauch verbunden, daher nur im Hochsommer angezeigt.

Aus diesem Grunde bestiegen wir am 28. September die kleine und hohe Cristallospitze, übernachteten abermals in Val Zebru, und brachen am 29., Morgens 52 Uhr, aus der letzten Malga des Thales auf, das am 21. missglückte Unternehmen zu erneuern. Ueber begraste Hänge stiegen wir über eine Stunde aufwärts, hielten uns dann an die linke Seitenmoräne der Vedretta del Zebru, überwanden ein steiles, dem Gletscher nahes Schneefeld und betraten gleich darauf diesen selbst in der Höhe der Firnregion. Ziemlich im Stromstrich des Gletschers, oft scharf ansteigend, doch ohne Schwierigkeiten erreichten wir 8 Uhr die Gegend des Ortlerpasses. Hier liess Pinggera das Gepäck zurück, da wir den Rückweg nach Trafoi beabsichtigten. Die sanften Firnwellen bis zum Hochjoch (zwischen Zebru und Ortler) legten wir in 3/4 Stunden zurück, dort blickten wir in einen schauerlichen Abgrund, in die Tiefe des Suldenferners.

In südöstlicher Richtung wandten wir uns nun dem M. Zebru zu. Mit dem Grade unseres Fortschreitens mehrte sich die Neigung der von ihn herabziehenden Eishalden, sie mochte an den steilsten Stellen 400 betragen, und nöthigte Pinggera dann zum Schlagen der Eisstufen. Als ihm aber die Axt entglitt, und pfeilschnell zum Hochjoch hinabfuhr, mussten wir uns auch ohne Stufen zurechtfinden. Wir betraten die schuhbreite Schneeschneide, welche die Zebrugipfel verbindet, zwischen der westlichen und der nächstfolgenden (höchsten) Spitze, stiegen auf ihr empor und standen 10 Minuten vor 10 Uhr auf dem höchsten Punkte.

Wir hatten seit unserem Aufbruche aus dem Val Zebru auch nicht einen Augenblick gerastet, nach der Weise der Aelpler das „Zeitlassen“ vorgezogen.

Der Himmel war völlig klar, aber ein Nebelmeer mit vollkommen gleichmässigen Niveau deckte die Alpen bis ungefähr 11.000' Höhe, daher nur die ausgezeichnetsten Spitzen der Ost- und Centralalpen daraus hervor

ragten; gewiss ein seltsamer Anblick, welchen ich diessmal dem Genusse einer umfassenden Fernsicht gleichstellte, umsomehr als die Ortlergruppe völlig unverhüllt vor uns lag.

Eine Stunde lang beschäftigten mich die Kartenzeichnung und landschaftlichen Skizzen auf der Spitze, um 10 Uhr verliessen wir dieselbe, nachdem die unsere Namen enthaltende Flasche deponirt worden war.

Während des Absteigens erklärte ich Pinggera den Rückweg über das Suldenthal nach Trafoi nehmen zu wollen, also über das höchst wahrscheinlich noch nie passirte Hochjoch zum Suldenferner hinabzusteigen. Pinggera rieth wegen der ungeheuren Steilheit der dabei zu überwältigenden Schneewand davon ab. Aber der Reiz dieser Passage war für mich zu gross, daher ich darauf bestand. Pinggera holte das Gepäck vom Ortlerpass; der Abstieg gelang, obgleich er mit unendlicher Anstrengung und Gefahr verbunden war, da die Neigung des Hanges im oberen Theile 50-55o, im unteren Theile 35-500 erreichte. Um 112 Uhr standen wir am Fusse dieser Schneewand liefen den Gletscher thalwärts, und erreichten 21/4 Uhr den hinteren Grat. Nachdem wir dort bis 3 Uhr gerastet, gelangten wir um 434 Uhr nach S. Gertrud, verliessen es 612 Uhr und trafen bei finsterer Nacht um 8 Uhr in Gomagoi ein. Julius Payer, Oberlt.

Das Alpenglühen. Die meisten Erklärungen des Alpenglühens betonen besonders die tiefe Stellung der Sonne gegenüber den Bergen, also den Winkel, unter welchem die, durch die dunstige und nur die rothen Farben durchlassende Atmosphäre gebrochenen Sonnenstrahlen die Bergspitzen treffen.

Allerdings besteht ein Causalnexus zwischen der Höhe der Berge und dem tiefen Stande der Sonne, aber jener Winkel scheint mir nur indirect die Ursache der genannten schönen Erscheinung zu sein, nämlich nur insoferne, als hohe Berge, von weiter Entfernung sichtbar, eine bedeutende Luftschichte bieten, durch welche die Strahlen der gegenüber sinkenden und gesunkenen Sonne dringen, um an den Bergmassen zurückgeworfen zu werden.

Wenn wir im Meere schwimmen, so sehen wir das Wellengekräusel (selbst mit Ferngläsern) nicht viel weiter als auf eine Meile; nicht sowohl der Undeutlichkeit der Ferne als der Kugelgestalt der Erde halber, wegen welcher die Gegenstände unter dem Gesichtskreis, je nach ihrem Hervorragen, früher oder später verschwinden. Steigen wir auf's Schiff, so sehen wir schon weiter, Schiffsmasten tauchen aus grösserer Entfernung vor uns auf, Berge natürlich aus noch bedeutenderer Ferne; von hohen Bergen eröffnet sich uns die Landschaft auf 20 Meilen und darüber. Hieraus folgt nun, dass in der Ebene oder im Thale zwischen der Sonne und unserem Auge nur ein geringes Luft-Medium, auf Bergen aber ein mit der Höhe wachsendes vorhanden ist. Bei sehr feuchter, nebliger Luft erscheint uns die Sonne selbst am Mittage als strahlenloser, rother Ball, weil die Wasserdunst-Bläschen die Sonnenstrahlen farbenzerstreuend brechen, nur die rothen Farben des Sonnenspectrums durchlassend, alle andern aber zurückhalten; je dichter die Luft mit Wasserdunst erfüllt oder, was dasselbe ist, je dicker die selbst weniger dunstige Luftschichte ist, desto reiner wird die rothe Farbe durchgehen. Vom Thal aus erscheint uns die sinkende Sonne bei mässigem Wasserdunst nur hochgelb, weil das Medium zu locker ist und noch ungebrochene Strahlen durchlässt; erheben wir uns aber auf einen Berg, dann erweitert sich unser Gesichtskreis, wir sehen durch eine viel breitere Luftschichte, die Wasserdünste summiren sich, und bewirken mit vereinten Kräften eine vollständigere Brechung und Durchlassung des reinen Roth, so dass scheinbar die Sonne ihre Strahlen verliert und eine rothe Kugel wird, dass sich auf ihr die rothen Farbenstrahlen zwischen uns und ihr projiciren. Kehren wir uns gegen eine nahe Bergwand, so sehen wir diese deutlich, weil die Wand uns nur

« PreviousContinue »