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Freude war, sie in vollen Zügen zu athmen. Ich habe nicht leicht in einem so hoch gelegenen Thale den Charakter des Lieblichen, Warmen und Wilden so ausgeprägt gefunden.

Auch das Allgäu mit seinen grünen Thalflächen, grösstentheils bewaldeten und bewachsenen Höhen und freundlichen, wohlhabenden Ortschaften ist ein schönes Stück deutscher Erde.

Von Oberstaufen aus besuchten wir den Bregenzer Wald in Vorarlberg, das weit und lang gedehnte Gebiet der Bregenzer Ache, indem wir über Hüttisau, Lingenau, Andelsbuch, Begau nach Schwarzenberg gingen. Es ist diess der sogenannte vordere Wald. Der hintere Wald zieht sich von Begau über Mellau, Schnepfau, Schoppernau nach dem hochgelegenen, wilden Oertchen Schröcken, und steht dann über Waat mit dem obersten Theile des tirolischen Lechthales in Verbindung. Dieser Theil des Bregenzer Waldes ist der interessantere, hat wilde, romantische Thalschluchten, imposante Gebirge, schöne Wasserfälle. Der vordere Wald bietet in landschaftlicher Beziehung wenig Schönes; die Strassen, welche ihn vielfach durchziehen, steigen in ermüdendem Einerlei ziemlich bedeutende Höhen hinauf und dann wieder in tiefe Tobel hinab. Einzig in seiner Art aber dürfte der Wald durch seine schönen Ortschaften, die eigenthümliche Bauart, der stattlichen Häuser und ihre innere Einrichtung, sowie durch die seltsame Tracht und den Charakter seiner Bewohner sein. Ich habe noch nirgends in unseren Alpen so schöne, man kann mit Recht sagen, imposante Bauernhäuser gesehen, meist zweistöckig, gross, geräumig, die Wetterseite über und über mit abgerundeten Schindeln, wie mit einem Schuppenpanzer bekleidet. Eine zweiflügelige, steinerne Freitreppe führt auf eine Terrasse, welche durch den weitvorspringenden Giebel des Hauses theilweise wenigstens gegen Regen geschützt ist, von wo man das Innere des Hauses betritt. Nichts von den engen, dumpfen Stuben mit den kleinen Luftlöchern, Fenster genannt, und der erstickenden Luft, wie man sie häufig in Dörfern findet, sondern grosse Räume mit hohen Fenstern, die Wände schön mit Holz getäfelt, was die Zimmer so wohnlich macht, solid, in manchen Gasthäusern, wie z. B. in Hüttisau, Schwarzenberg, geradezu reich eingerichtet mit Möbeln und Betten, wie man sie nur in ersten Hôtels grösserer Orte findet, wenn auch die Art der Einrichtung, namentlich der Gastzimmer, mit den grossen zweitheiligen Credenzkästen, in der Mitte eine grosse Stockuhr, etwas ganz Eigenthümliches hat. Charakteristisch ist auch die Tracht der Leute, namentlich der Frauen. Der schwarze Rock mit Hunderten von Falten reicht bis auf die Knöchel und weit auf die Brust hinauf, so dass von einer Taille keine Spur zu bemerken ist, und an ihn schliesst sich ein gesticktes Mieder von schwarzem Sammt. Den Kopf bedeckt eine wahrhaft komische, kegelähnliche Haube von Filz. Das Ganze verleiht auch dem jüngsten, blühendsten Mädchen etwas Ernstes, fast Düsteres. Die Wäldler sind bekannt durch Ernst des Charakters, Schärfe des Verstandes; gar mancher kennt das bürgerliche Gesetzbuch so gut als der Richter. Viehzucht und Holzhandel sind die Haupterwerbsquellen, und diese scheinen reichlich zu fliessen, da man nicht leicht wieder den Anstrich von Wohlhabenheit findet, wie hier.

Von Schwarzenberg, bekannt als Geburtsort der berühmten Malerin Angelika Kaufmann, machten wir die sehr schöne Tour über das sogenannte Hochalpele (4300') nach Dornbirn im Rheinthale. Trotz der geringen Höhe ist dieser Punkt gewiss einer der lohnendsten und reizendsten, und rivalisirt vollkommen mit dem vielgerühmten Pfänder bei Bregenz. Gegen Osten liegt der ganze Bregenzer Wald wie eine Karte ausgebreitet mit seinen Ortschaften, Wiesen, Wäldern und Bergen, einige von diesen durch ihre Formen interessant, wie die Mittagsspitze, die Kanisfluhe, im Hintergrund der gewaltige Hochvogel, schon zum Lechthal gehörig. Gegen Westen sieht man in das breite, schöne Rheinthal hinab, auf die Berge von St. Gallen und Appenzell, den Säntis, Kamor etc., und auf die herrliche, scheinbar endlose Fläche des

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C. Pühringer. Uebergang über das Ramoljoch.

Bodensee's mit seinen bedeutenden Ortschaften, Lindau, Langenargen, Friedrichshafen etc. Im Süden und Südwesten taucht die gewaltige Kette des Rhätikon auf und erheben sich andere Gebirge Graubündtens, der Kalanda, die Kurfirsten u. s. f. Leider war uns das Wetter nicht ganz hold, die Spitzen der Berge waren grossentheils von Wolken umhüllt, und nur momentan blitzte das Eisfeld der Scesaplana aus dem Nebel auf. Gegen Norden endlich zieht sich die unabsehbare bairische Ebene hin.

Von Dornbirn fuhren wir nach dem lieblichen Bregenz, dieser Perle des Bodensee's, besuchten alle bedeutenderen Orte dieses grossartigen See's, und kehrten endlich über den Arlberg nach Innsbruck zurück.

Später machten wir noch eine Fusstour durch das reizende Berchtesgadnerländchen, übernachteten am Hirschbühl, und ich bestieg mit einem Freunde das Kammerlinghorn. Niemand sollte die nicht sehr beschwerliche Besteigung dieses Berges versäumen, denn es dürfte wahrlich nicht viele Punkte geben, die so günstig gelegen sind, und eine so herrliche und so umfassende Rundschau bieten. Indessen hat der leider viel zu früh der Menschheit und der Wissenschaft entrissene Dr. Tetzer bereits im vorjährigen Jahrbuche des Alpenvereins eine so gediegene Abhandlung über diesen Berg geliefert, dass eine nähere Beschreibung vom Ueberfluss wäre.

Dr. Khuen.

Der Uebergang über das Ramoljoch. Am 6. August 1863 brachen wir bei zwar nebligem, aber immerhin gut Wetter kündendem Morgen von Obergurgl im Oetzthale auf, überschritten nach einer Stunde mit leichter Mühe den Ausgang des Rothmoos-Gletschers und erreichten nach weiteren 24 Stunden das Langthaler Eck. Uns zu Füssen lag der berühmte Gurgleroder eigentlich Langthalersee, der, wenngleich schon zum Theil entleert, noch immer einen höchst interessanten Anblick bot. Wir stiegen nun zu dem Gurglergletscher hinab, dessen zahlreiche Risse und Klüfte wir theils überschreiten, theils umgehen mussten. Doch bald war auch dieses Hinderniss überwunden und nun ging's den steilen Berg hinan, wobei wir manches Murmelthier in seiner behaglichen Ruhe aufschreckten. Nach 23/4stündigem mühsamen Steigen erreichten wir den Ramolgletscher und nach siebenstündigem Wandern von Gurgl aus, den Sattel des 10.100 Fuss hohen Ramoljoches, wo wir rasteten, um den Mittagsimbiss zu uns zu nehmen. Herrlich war der Ausblick von diesem Punkte. Südlich und uns zu Füssen lag das winterliche Gurglerthal mit dem Rothmoos-, Langthaler-, Schwarze- und Gurglergletscher, dann dem Langthalersee. Uns zur Linken erblickten wir die nahe Anichspitze, östlich den Granatkogl, Hochfürst, den Rothmooskopf und südlich das Langthalerjoch. Ausser diesen Punkten unterschieden wir noch die Hochwildspitze, die Karlespitze, den Firmian, Stotter und zur Rechten das Steinmandl. Die hohe Wildspitze und der Weisskopf lagen in unserem Rücken. In weiter Ferne glaubten wir die Marmolata und im Osten den Gross-Glockner nebst dem Venediger zu erspähen. Endlich brachen wir auf und zogen jenseits des Joches nordwestlich über den Spiegelgletscher ziemlich steil bergab in's Fenderthal. Nach 31stündigem Marsche, also 10 Stunden nach unserem Abgange von Obergurgl, langten wir in dem romantisch gelegenen Fend an. Dieser Jochübergang, erst seit neuerer Zeit bekannt geworden, ist allen Touristen besonders zu empfehlen, nicht seiner herrlichen Fern- und Rundsicht wegen, sondern auch seiner Nähe halber, da man auf dem gewöhnlichen Wege über Zwieselstein um einen vollen Tag mehr Zeit bedarf, um vom Gurgler in das Fenderthal zu gelangen.

Carl Pühringer.

Ersteigung des Madatschberges. Mit der Absicht, das weitläufige Gebirgssystem des Ortler (im Maassstabe 1" 5000) kartographisch

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aufzunehmen, und durch möglichst zahlreiche trigonometrische Höhenmessungen und physikalische Untersuchungen zur Aufschliessung dieses herrlichen Bergreviers beizutragen, begann ich 1865 mit dem Studium des Suldenthales; die Resultate dieses Unternehmens sind vor Kurzem in den geographischen Mittheilungen Petermann's publicirt worden.

Im vergangenen Jahre, gleich nach Beendigung des Krieges in Italien, reiste ich eilig nach Trafoi meine Arbeiten fortzusetzen, d. h. die Section Trafoi, welche sich an jene von Sulden westlich anschliesst, zu bereisen. Ein 40tägiger, wohlbenützter Aufenthalt machte mich mit diesem Abschnitte des Ortlergebirges vollständig vertraut, ich vermochte das reichste Detail zu entwickeln, mehr als 200 Höhen- und Tiefenwinkel 1) zu messen, 15 Höhen zu besteigen 2) und 4 Tage der südlichen Abdachung des Hauptkammes zu widmen.

In diesem kleinen Beitrage zur Kenntniss der Ortler-Alpen will ich mich ausschliesslich auf das Touristische beschränken; — meine Monographie des Trafoier Gebietes wird im Laufe des Jahres in einem Ergänzungsheft der geographischen Mittheilungen erscheinen").

Verlassen wir das obere Vintschgau und wandern wir die Stilfser Kunststrasse aufwärts, so gelangen wir nach 22 Stunden zu der kleinen Thalweitung des Weilers Trafoi (4898'). Wir befinden uns in der Heimat des Ortler, dieses Eisriesen, dessen gewaltiger Felsleib aus dem reichbewaldeten Circus des Thalschlusses aufragt, und an dessen Scheitel schon so Mancher sein Auge sehnsüchtig haften liess, jene glücklich preisend, welche von diesem erhabenen Standpunkte aus die Majestät der Alpennatur bewundern durften.

Versenkt in tiefste Bergeseinsamkeit umstarren den schluchtähnlichen Thalkessel riesige Felskolosse und schimmernde Schneegipfel, zwischen gewaltigen Kegeln und hohen Klippen ziehen steile, zerborstene Ferner thalwärts, im Dolomit, welcher den Osten und Süden bildet, sind die Hänge mauerartig, von brüchigen Eiswänden gekrönt, von scharfgeneigten Schutthalden umlagert; unsägliche Rauhheit zeichnet die Formen, weite Spalten und hohe Rinnen durchbrechen die Massen, unendlich gezähnt und geklippt ziehen die verwitterten Steinkämme herab mit thurmartigen Profilen abstürzend; die Thäler und Risse enden meist ohne Mündung; an langen Felsterrassen abbrechend, fallen sie in zerrissenen Steilhängen zur Tiefe.

Auf der linken Thalseite erhebt sich der Schiefer; seine Erhebungen sind breite, massige Kuppen oder sanfte Pyramiden, seine Gräte flacher, oft mit Plateaus wechselnd (z. B. Breitkamm, nördlich vom Stilfserjoch bis 150 Schritte breite, kleine Hochebene); die Seitenzüge und Aeste sind gewölbt und platt, die Felsen spärlich, von Schutt überlagert, die Gliederung fehlt fast ganz, Bäche und Risse ziehen ohne Absätze aber mit stetiger grosser Neigung in die Tiefe, die ausserordentliche Verwitterung des Gesteins schafft den Totaleindruck: breitbasiger, wallartiger Ketten. Von meinen Wande

1) Einmal 21/2 Stunden lang bei empfindlicher Kälte am 9830' hohen mittleren Madatsch. Leider fand ich noch keine Zeit, die Winkel zu berechnen, daher ich bei den meisten Gipfeln nur ihre beiläufige Höhe notiren werde.

2) 1865 bestieg ich: 23. Aug. Suldenspitze 10.711' - 28. Aug Vertainspitze 11.204' 1. Sept. Schöntaufspitze 10.504'4. Sept. Ortler 12.356-6. Sept. Königsspitze 12.1947. Sept. die Cevedalespitzen 12.000 und 11.800', dann 1866: 7. Sept. Schwarze Wand 7000'-11. Sept. Monte Scorluzzo 9891' und Stilfserjoch 8602' --- 12. Sept. Tuckettspitze 10.900' 19. Sept. nochmals Schwarze Wand 7000-20. Sept. Schneeglocke 10.700-21. Sept. Ortlerjoch 10.400-25. Sept. Vordere Madatschspitze 10.000-27. Sept. Geisterspitze oder M. Video 10.955 und die Naglerspitzen 10.305'-28. Sept. Cristallospitzen 10.963'29. Sept. Monte Zebru 11.815' (herab auf den Suldengletscher) - 2. Oct. Hochleitenspitze 8835-6. Oct. Grosser Eiskogl 11.2008. Oct. Korspitze 9261' und Röthelspitze 9500'.

3) Die zugehörige Karte wurde in der Vereinsversammlung am 20. März 1867 vorgelegt und steht den früheren Arbeiten des hochverdienten Verfassers würdig zur Seite. (Anm. d. Red.)

rungen im Trafoier Gebiete will ich hier nur die Besteigung des Madatschberges (Vorderer Madatsch, auch Mondatsch und Mundatsch) schildern, jenes gewaltigen Felskegels, welcher durch seine Höhe (9830'), noch mehr aber durch die Kühnheit seiner Form, und durch seine furchtbare Steilheit imponirt. Selbst die Gemsen scheuen den auch für sie kaum gangbaren Koloss und lieben es tief herabzusteigen zu den klaren Wassern der Balkenquellen 1). Von allen Seiten von weit höheren Spitzen umgeben, dominirt er von Trafoi aus gesehen selbst im Vergleiche zum Ortler seine Umgebung, denn er erhebt sich mit über 5000' relativer Höhe, und scheinbar isolirt als thurmartiger Felsblock.

Am 25. September 1866 verliess ich bei klarem Himmel mit Georg Thöni statt des von mir sonst ausschliesslich benützten, ausgezeichneten Ortlerführers Johann Pinggera aus Sulden, welcher diessmal zu spät in Trafoi eintraf das Wirthshaus der Frau Barbara Ortler daselbst (717 Uhr), den Madatsch zu besteigen.

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Thōni, ehemals Führer im Kaiserjäger-Regiment, und nicht zu verwechseln mit seinem Bruder, dem Ortlerführer Hans Thöni, war bei der Errichtung des trigonometrischen Signals am Madatsch der einzig bekannten Besteigung dieses Berges und erwies sich als gefälliger, unterhaltender Begleiter, und als ausserordentlich verwegener Bergsteiger.

Bis nahe der Cantoniera del bosco benützten wir die Stilfser Jochstrasse und deren Abkürzungen. Der gütige Leser möge mir gestatten, einige Augenblicke bei diesem Gegenstande zu verweilen. Nahe der Grenze des Schiefers und Dolomits ersteigt diese Strasse in 46 Windungen das geschartete Joch (8602'), der Bau ist weltberühmt und flösst Staunen ein, wie immer die Ueberwindung aussergewöhnlicher Hindernisse, aber diess schliesst keineswegs aus, dass an der Anlage dieses Strassenwunders nichts auszusetzen wäre, und zum Theil sind es eben bei der Anlage verschuldete Mängel, welche den Verfall dieses herrlichen Werkes herbeiführten. Die Strasse führt nämlich besonders im oberen Theile im ärgsten Lavinenstrich, welcher in den flachen Mulden weiter nördlich ganz gut vermieden worden wäre; jeder Winter zerstört sie von neuem 2). Die ungeheure Steilheit, welche mit enormen Kosten namentlich im oberen Drittel zu überwinden war, derzufolge sich dort 13 Windungen dicht über einander erheben, bewirkte, dass die Strasse durch die sich beständig ablösenden Steine beträchtlich von ihrer ursprünglichen Breite verlor (jetzt noch gegen 111⁄2 Klafter). Auch dieser Uebelstand wäre in den flachen, muldenartigen Berghängen weiter nördlich weggefallen, der Staat aber hätte grosse Summen erspart, welche die Erhaltung und der theilweise Neubau der Strasse verursachten.

Bei dem allem versicherte mich der sehr verständige Postmeister von Mals und die Wirthin von Trafoi, dass 1000 Gulden vollkommen hinreichen würden, die Strasse vom Joche bis herab nach Trafoi für den Sommer fahrbar zu erhalten, das Aerar aber verausgabte unendlich mehr!!! Die Strasse wurde darum aufgelassen, aber ihr Verfall auf eine unbegreifliche Weise beschleunigt durch die Beseitigung des letzten Bollwerks gegen Lavinen, die herrlichen Gallerien wurden (mit 800 Fl. Kosten!!) abgetragen und verfaulen schön aufgeschichtet in Trafoi!

Doch zurück zu unserer Bergfahrt. Noch etwas unterhalb der Cantoniera del bosco überschritten wir den vom Joche kommenden Bach, und stiegen eine Zeit lang an dem wüsten linken Ufer des Madatschferners aufwärts. Behält man diese Richtung so lange bei, bis man den in ein wildes

1) Wasserfälle, welche dem unteren Theile des Berges entspringen, und im Winter versiegen, höchst wahrscheinlich Abflüsse des Madatschferners, die sich durch die ungeheure Kalkmasse einen Weg gebahnt haben.

2) Einmal fegte eine Lavine das Posthaus unter dem Joch weg, alle Anwesenden kamen um; erst das neue Posthaus (die Casetta) ward an geschützter Stelle erbaut.

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Beilage 7 Jahrbuch öst. Alnen-Vereines. 3. Band. S. 350.

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