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Einige Aussichtspunkte in den Alpen.

Von C. von Sonklar, k. k. Oberst.

Wenn es sich um die Beantwortung der Frage handelt, welches schlechtweg die besten Aussichtspunkte im Gebirge seien, so kann jedermann, selbst der Ungelehrteste, mit der Antwort dienen, dass die höchsten Berge gewiss die weiteste Aussicht gewähren. Und mit diesem Bescheide werden sich selbst die Mathematiker einverstanden erklären, weil diese Menschensorte am Besten weiss, dass, je grösser die absolute Höhe eines Berges ist, desto entfernter die Tangirungspunkte der seinem Gipfel ausgehenden Sehlinien mit dem natürlichen Horizonte im Kreise herum liegen.

von

Aber es ist einerseits die weiteste Fernsicht nicht auch zugleich die schönste. Aëronauten haben oft genug erzählt, dass die Erde, aus grosser Höhe angesehen, einer dunklen düsteren Scheibe gleiche, auf der nur mehr grössere Landund Wassermassen, aber keine Details der Bodengestaltung sich weiter unterscheiden lassen. Freilich hat ein sehr grosser Gesichtskreis etwas Fascinirendes, was sich auf dem Meere am deutlichsten empfinden lässt, wo das furchtbare Geheimniss der Unermesslichkeit, in der Verkörperung als Wasser, vor das Auge tritt. Aehnliches gewährt wol auch der Umblick von einem sehr hohen Berge; aber was da die lichtverschlingenden Fernen bieten, das ist entweder das monotone, trübe und formlose Dunkelgrau der Ebene, oder es sind die nicht weniger umflorten, unentwirrbaren und immer dichter zusammenrückenden Wogen des Gebirges, aus denen höchstens hie und da eine etwas höhere Felsenspitze oder eine röthlichgelbe Schneemasse deutlicher hervortritt, welche für das Auge kein anderes Verdienst besitzt als ihre Sichtbarkeit.

Schön und herzerfreuend ist nur das Nahe, das sich in Form und Farbe deutlich unterscheiden lässt, und dieses bedarf der nebenan aufgeschlossenen Fernen nicht.

Dann ist es anderseits nicht jedem gegeben, ein Gipfelbändiger zu sein, wenn er auch an Gemüth und Natursinn so viel besitzt, um die Herrlichkeiten des Gebirges warm und tief genug zu fühlen. Der Ortler oder Grossglockner, die Königswand oder die Wildspitze u. dgl. gehören, bezüglich ihrer Ersteigung, nicht nur für die Meisten unter die sauern Trauben der Fabel, sondern sie sind auch für diejenigen, welche sie wirklich erreichen, oft nicht recht geniessbar, weil entweder Temperatur oder Witterung oder die überstandenen Mühen die Empfänglichkeit für den Genuss solcher Trauben beeinträchtigen. Es muss allerdings zugegeben werden, dass eine stolze und wohlthuende Empfindung in dem Bewusstsein liegt, diese oder jene, bisher nur von wenigen Auserwählten oder noch von Keinem betretene Hochzinne des Gebirges erstürmt und unter die eigenen Füsse gebracht zu haben. Aber an dem Streben nach einem Bewusstsein dieser Art hat die Pietät für die Wunder der Schöpfung oder das reine Interesse an der Wissenschaft und ihrer Förderung, nicht immer den grössten Antheil. Ich sage „nicht immer", weil es bei manchem Bergebezwinger doch schon der Fall war und noch sein wird. Bei Einigen ist es die rauhe Grösse und Wildheit des Hochgebirges, welche sie magisch anzieht; Andere erkennen in der waghalsigen Lust und in den Gefahren solcher Wanderungen das Element, in dem ihre Brust am freiesten athmet und das Gefühl des Lebens und der Kraft seinen vollständigsten Ausdruck gewinnt. Solche Regungen kommen unter den Hirten im Gebirge viel häufiger vor, als man vermuthen möchte. Bei der grösseren Zahl der Gipfelstürmer aber ist wohl der Ehrgeiz der Hauptbeweggrund ihrer Leistungen, abgesehen davon, dass sie die Ausmittlung von Weg und Steg, die dem homologen Streben Anderer zu derselben Befriedigung verhelfen kann, nicht selten als wissenschaftlichen Zweck ansehen, in welchem Falle aber eigentlich den Führern im Gebirge die Krone des Verdienstes zufällt.

Nun, es gibt wol viele Tausende von Naturfreunden der intensivsten Gattung, die keinen Durst nach jenem stolzen Bewusstsein in sich tragen und doch von den Reizen des Gebirges mehr zu sehen und zu geniessen wünschen, als sich auf den tiefen, wald-, fels- und bergumstandenen Pfaden im Thale erreichen lässt. Für derlei Leute muss es nun Berge geben, deren Höhen, mit weniger Anstrengung und geringerem Zeitverbrauch erreichbar, dennoch einen Umblick gestat

ten, der nicht bloss über die topischen Verhältnisse eines mehr oder minder ausgedehnten Gebirgsabschnittes zu belehren, sondern auch die Schönheit und Eigenthümlichkeit der Umgebung in einem für den Naturgenuss hinreichenden Maasse dem Auge vorzuführen im Stande ist. Solche Höhen sind es, die ich vornehmlich als Aussichtspunkte bezeichne, welchem Worte ich demnach eine technische Bedeutung zueignen möchte.

Man weiss, wie liebevoll die Natur oft Punkte von relativ geringer Höhe in der angegebenen Weise ausgestattet hat. Ich erinnere hier nur beispielsweise an die hohe Salve bei Hopfgarten in Tirol, die nur wenig über 5600 F. hoch und selbst für Damen ohne grosse Beschwerde erreichbar ist, dabei aber einen höchst reizenden Ausblick, sowohl auf das höhere Gebirge im Süden und in die Thäler nebenan, als auf die bayrische Ebene im Norden gewährt; ebenso an das Kitzbüchlerhorn, das zwar um einige hundert Fuss höher, doch ebenfalls sehr leicht erreichbar, fast die ganze Tauernkette und die Zillerthaler Alpen, dann das kleine Paradies zu seinen Füssen, und in allen übrigen Richtungen einen grossen, prachtvollen Gesichtskreis beherrscht. Aber auch mehr im Innern des Gebirges, neben den Sanctuarien der Hochwelt, neben ihren Riesengipfeln, silberschimmernden Eisteppichen und donnernden Wasserfällen gibt es oft glücklich gelegene Bergspitzen von mässiger relativer Höhe, die über eine zuweilen viel umfassende, häufiger aber über eine durch hohe und grossartige Schönheit ausgezeichnete Fernsicht gebieten.

Derlei Punkte werden daher, u. z. nach Maassgabe der Elevation des Ausgangspunktes bei ihrer Besteigung, die absolute Höhe von 10,000 Fuss nicht mehr übersteigen dürfen. Ja das genannte Niveau ist in der Regel schon ein ziemlich hohes und für gewöhnliche Bergwanderer nicht mehr ganz leicht erreichbares; denn es ist bekanntlich nicht einerlei, ob ein zu überwindender Höhenunterschied von 6000 F. z. B. zwischen den Niveaustufen von 1000 und 7000, oder zwischen jenen von 4000 und 10,000 F. liegt. Mit der grösseren, absoluten Höhe wächst die Rauhheit und Unwegsamkeit des Gebirges; Gletscher, kahler Fels und Schuttbedeckung nehmen überhand, die Temperatur wird geringer und die Luftverdünnung macht sich in dieser Höhenlage für Fremdlinge im Hochgebirge bereits merklich fühlbar.

Solche Berge waren es, die ich bei meinen nun schon so viele Jahre fortgesetzten Arbeiten in den Alpen mit Vorliebe aufgesucht und benützt habe, weil der geringere Zeitaufwand bei ihrer Ersteigung ein 4- bis 6 stündiges Verweilen

auf der Höhe und ihre Ausnützung in einem Zuge ermöglichte. Ich habe den Grossglockner und Grossvenediger erklommen und weiss, dass meine Kräfte auch für derlei Unternehmungen vollkommen ausreichen; ich kann aber auch nebenher versichern, dass oft die Erkletterung eines weit niedrigeren Felsgipfels die Steigkraft einer viel härteren Prüfung unterzieht, als manche jener Hochspitzen erster Ordnung. Die Erfahrung hat mich unter diesen Umständen gelehrt, dass der Gewinn eines 11000-12000 Fuss hohen Hauptgipfels meinen hypsometrischen und geographischen Zwecken nur wenig genützt haben würde, weil ich schon nach ein- oder höchstens zweistündigem Aufenthalte auf der Höhe an den Rückzug hätte denken und darum den Berg noch ein zweites oder drittes Mal ersteigen müssen.

So ist es gekommen, dass ich über eine ziemliche Zahl solcher Aussichtspunkte zu berichten weiss, deren Ersteigung viele unserer alpinen Heroen als unter ihrer Würde stehend erachten, oder darüber verächtlich schweigen, wenn sie selbe auch wirklich erstiegen haben. Bei ihrer Aufzählung will ich im Osten beginnen und gegen Westen vorschreiten.

Da ich mich jedoch bei solchen Gipfelexcursionen in den seltensten Fällen mit der für einen wissenschaftlichen Zweck und für den Naturgenuss gleich unfruchtbaren, minutiösen Ausmittlung der äussersten Grenzen des sichtbaren Horizontes befasst, und selbst wenn dies geschehen, das Gesehene nicht immer verzeichnet, mich dafür aber dem Naheliegenden und Erfassbaren, so wie Demjenigen, was Sinn und Herz zu erfreuen im Stande war, mit um so grösserer Sorgfalt und Vorliebe zugewendet habe, so kann der Leser in den nun folgenden Schilderungen keine schriftlich abgefassten Panoramen erwarten, die übrigens bei ihrer Wiederholung sehr bald langweilig würden und für welche überhaupt, ihrer Unverständlichkeit wegen, hier nicht der rechte Platz wäre.

1. Der Wechsel, der letzte Alpengipfel am östlichen Ende des Alpengebietes, 5500 W. F. hoch, und von Kirchberg über die Steiersberger und Kranichberger Schwaighütte in 4 Stunden leicht zu erreichen. Der Wechsel stellt eine breit hingelagerte, plateauartige Gneissmasse dar, deren höchster Gipfel der hohe Umschuss heisst und gegen Süd, Ost und Nord über eine unermessliche Fernsicht gebietet, während westlich der Blick bis zum Hochschwab und bis zum Oetscher reicht.

2. Der Schneeberg unweit Neunkirchen, auch der Wiener Schneeberg genannt, der östlichste Hochgipfel der nördlichen Kalkalpen, und sowol vom Thalhof bei Reichenau

und vom Kaiserbrunn, als auch von Buchberg über den Hengstberg für einen guten Bergsteiger in 4, vom Höhbauer oder vom Gschaid in 5 Stunden zu ersteigen. Der höhere unter den zwei Hauptgipfeln ist das Klosterwappen 6564, der niedrigere der Kaiserstein 6516 W. F. hoch. Ich darf wohl die Aussicht von dieser vielbesuchten Höhe als bekannt annehmen.

3. Die Heukuppe, der culminirende Gipfel der Raxalpe, 6300 W. F. ü. M. Die Ersteigung dieses Berges geschieht am Besten von dem Dorfe Prein und über den sogenannten Schlangenweg in 3 bis 4 Stunden. Die Aussicht ist schön und gegen Süden umfassender als vom Schneeberg, da auf letzterem die Rax einen grossen Theil des Gesichtskreises deckt.

4. Der Windberg auf der Schneealpe, 6200 W. F. hoch, wird vom Dorfe Kapellen oder von Neuberg im Mürzthale leicht in 4-4 Stunden erreicht. Die Rundsicht unterscheidet sich von jener auf der Heukuppe nicht wesentlich.

5. Der Hochschwab, bei Aflenz in Obersteiermark, ist, obgleich nur 7100 W. F. hoch, ein Aussichtspunkt von sehr hervorragender Bedeutung. Er kann von Weichselboden oder Gschöder in 5, von Seewiesen durch den Dulwitzgraben in 6 und von Aflenz über die Fölzeralpe oder von Tragöss über den Hochstein in 7 Stunden erstiegen werden. Die Aussicht ist weitumfassend und herrlich, umschliesst gegen Norden einen grossen Theil des österreichischen Donaubeckens, das wie eine schwarze Tafel sich ausspannt, reicht östlich bis nach Ungarn hinüber, lässt im Süden noch den Schöckel bei Gratz und die Koralpe erkennen, und greift westlich bis zu den Radstädter Tauern, zum Dachstein und grossen Priel, ja selbst bis zum Ankogel und sogar zum Glocknergipfel aus, der als ein kleines weisses Dreieck neben dem Hochgolling hervorleuchtet.

Unter den weiter westlich bis zum Meridian von Salzburg gelegenen Bergen sind noch der Oetscher, der grosse Priel und der Schafberg unfern Ischl, der Sarstein bei Hallstatt, die so beliebt gewordene Zwiesel-Alpe, der Lueggauer bei Hieflau, der Hochgolling bei Schladming und der Preberspitz bei Mauterndorf, dann der Speikkogel bei Leoben, die Hochalpe bei Kraubat, der Königsstuhl und der Eisenhut bei Tamsweg, unmittelbar jenseits des gedachten Meridians der Watzmann, das Sonntagshorn und das Kammerlinghorn als vorzügliche Aussichtspunkte bekannt. Ich habe mich bis jetzt mit einem speciellen Studium dieses Theiles der östlichen Alpen noch nicht befasst und demnach keinen dieser Berge erstiegen.

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