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in Parallele mit den obigen Verhältnissen stellen können; ein favor usucapionis nach Mafsgabe des favor libertatis liegt durchaus fern; wer dem Usucapienten auf Kosten des Eigenthümers einen Tag schenken will, für den liegt kein Grund vor, nicht bei jeder anderen Frist dieselbe Milde walten zu lassen. Positive Zeugnisse gegen diese Milde sind aber die anderen über den Ablauf der Usucapion sprechenden Zeugnisse, deren wir drei haben, eins von Scaevola bei Gellius 3, 2 und zwei von Ulpian in 1. 6. 7 de usurp. (41, 3); in ihnen ist so klar, wie es nur lateinisch möglich ist, ausgesprochen, dass eine am 1. Januar begonnene Usucapion in der Mitternachtsstunde des 31. Decembers vollendet wird1).

Bachofen hat unter Anerkennung des Widerspruchs die Stelle von Venuleius geradezu aufgegeben, ich suchte sie unter Zweifeln und indem ich auf die Möglichkeit einer ungeschickten Interpolation hinwies, auf den Schlufs des 31. Decembers zu deuten. Letzteres läfst sich nicht halten; dagegen glaube ich eine sichere Spur für die Interpolation gefunden zu haben. Die 1. 15 ist aus Venuleius libro quinto interdictorum entnommen. Was hat aber mit einer Monographie über Interdicte die Berechnung der Usucapionsfrist zu thun. Die ganze 1. 15, die nachher nur von der accessio possessionis spricht und ebenso 1. 53 de acq. poss. (41, 2) aus demselben Buche, können sich, und das hat Rudorff bereits erkannt2), nur auf das interdictum Utrubi bezogen haben. Bei diesem gestaltet sich aber die Frage wegen der Zeitberechnung ganz anders als bei der Usucapion, hier ist kein fester Zeitraum gegeben,

1) Die Versuche, diese Stellen auf den Schluss des 30. Decembers zu deuten, gehen über die Grenzen erlaubter Interpretation hinaus. 2) De iurisdictione edictum § 268 n. 1.

sondern es wird nachgerechnet, wer im letzten Jahre am längsten Besitzer gewesen. Gerade für den letzten Tag, sei es derjenige, an welchem das Interdict erlassen, oder der, an welchem eine der Parteien den Besitz verloren, musste entschieden werden, ob er auch im kleinsten Bruchtheile als ganzer Tag zur Anrechnung komme. Aus dem Principe der Civilcomputation folgte die Bejahung der Frage, und so entschied Venuleius. Die Compilatoren aber haben, um das Fragment benutzen zu können, die Beziehung auf das interdictum Utrubi getilgt und an seine Stelle die Usucapion gesetzt, auf die dann ihrer Absicht nach auch die folgenden Abschnitte der 1. 15 gehen.

Ob es möglich ist annähernd den ursprünglichen Text herzustellen, ist kaum zu sagen. Venuleius mag gesagt haben, beim interdictum Utrubi werde es so gehalten, dass, wenn auch nur an einem ganz kleinen Theile des letzten Tages besessen sei, doch dieser Tag dem Besitzer angerechnet werde, dafs man die Rechnung nicht mit dem letzten ganzen Tage abschliefse.

Hiernach bedarf es kaum des Hinweises darauf, dafs uns 1. 15 weder an der Civilcomputation noch an dem Umfange Usucapionsfristen irre machen darf, dafs sie neben 1. 6. 7 de usurp. unberücksichtigt bleiben muss.

Ueber die deductio quae moribus fit und die vis im interdictum Uti possidetis.

Die Versuche, die Bedeutung der deductio quae moribus fit, wie wir sie aus Cicero's Reden pro Caecina und pro Tullio kennen, zu bestimmen sind seit der von Savigny gegebenen Anregung wiederholt erneuert worden, ohne dass man einer Einigung näher gerückt wäre; ja gerade eine der neuesten Arbeiten entfernt sich am weitesten von der Auffassung Savigny's. Es soll deshalb der Versuch gemacht werden durch eine nochmalige Prüfung der heute sich gegenüberstehenden Meinungen einen festeren Boden zu gewinnen.

Es sind im ganzen folgende Ansichten aufgestellt worden. Savigny1) bezieht die deductio quae moribus fit auf die rei vindicatio in Form der legis actio per sacramentum, in der sie zur Vorbereitung des manum conserere diente. Letzteres wäre einmal in der Weise vollzogen, wie es Gellius 20, 10 schildert, also dafs die Partheien nach begonnener legis actio ohne den Prätor nach dem Grundstücke gingen und von dort die dasselbe vertretende Scholle abholten; so bei nahe gelegenen Grundstücken. Bei entfernteren hingegen hätten

1) Zeitschrift für geschichtl. Rechtswissenschaft 3 (1817). S. 421 ff.

die Parteien, um eine zu grofse Unterbrechung der Verhandlungen, wie sie jene Formalität mit sich bringen musste, zu vermeiden, vor dem Beginn des Verfahrens in iure auf Verabredung die deductio auf dem Grundstücke vollzogen und die Scholle gleich mit nach Rom gebracht. Darauf beziehe sich die Beschreibung der legis actio bei Cicero pro Murena 12.

Der Auffassung Savigny's folgte zunächst Huschke1); er hob noch hervor, dass das vindicias dicere, welches nach der Savigny noch unbekannten Darstellung von Gaius 4, 16 stets den Schlufspunct der Vindication bildete, durch die deductio in keiner Weise beeinflusst wurde, dafs die Entscheidung über den einstweiligen Besitz ganz im Ermessen des Prätors lag, gleichviel wer der deducens gewesen sei.

Als Gegner Savigny's trat zuerst Keller auf2). Er machte geltend, dass, wenn die deductio q. m. f. weiter keine Bedeutung hätte, als die Erdscholle herbeizuschaffen, dazu besondere Förmlichkeiten abgesehen von der Zuziehung der Zeugen nicht recht passten, am wenigsten solche, wie sie in der deductio lagen; diese drückten etwas ganz anderes aus, nämlich eine Anmafsung des Besitzes und siegreiche Abwehr derselben mittelst gewaltsamer Abführung des Eindringlings durch den Besitzer.

Keller selbst hält an der Verbindung der deductio mit der rei vindicatio fest, erklärt sie aber für die Vorbereitung der actio in rem per sponsionem. Wie diese in ihrem Ausgang, der stipulatio pro praede litis et vindiciarum und der

1) In den Analecta litteraria, curante J. G. Huschke. 1826. S. 129 f. 2) Zeitschrift für geschichtl. Rechtswissenschaft 11 (1842). S. 287 ff.

sponsio dem Abschlufs der legis actio in den praedes litis et vindiciarum und dem sacramentum entspreche, so sei es wahrscheinlich, dass auch in den voraufgehenden Verhandlungen sich Anklänge an jene wiederfänden. Im Gegensatz zu Huschke schliefst Keller aus dem Hergang der deductio, dafs sie eine Anerkennung des gegenwärtigen Besitzes in der Person des deducens in sich schliefse1), so dafs also mit ihr und der sich anschliefsenden promissio vadimonii, wie sie von Tullius und Aebutius übernommen wird), das Verfahren gerade so weit gefördert wäre, als es in der legis actio durch die manus consertae gediehen war. Das vadimonium entspricht der in ius vocatio, die deductio dem Kampfe der Parteien und der Entscheidung des Prätor über die Vindicien. Dies Verfahren passt nun freilich nur auf den Fall, dafs die Parteien über den Besitz einig sind; wo dies nicht zutraf, wurde die Besitzfrage zunächst durch das interdictum Uti possidetis entschieden, welches somit gleichfalls das manus conserere und vindicias dicere ersetzte3).

Der Keller'schen Auffassung wurde sofort widersprochen

1) Dieser Gedanke findet sich schon bei Heffter, Institutionen des Civilprocesses (1825) S. 339.

2) Pro Tullio c. 20, pro Caecina c. 7.

3) Bei der hier gegebenen Auffassung ist Keller auch in dem Commentar zur Rede pro Caecina Semestria II (1843) S. 366 ff. stehen geblieben. Wenn er S. 372 die Wirkung der deductio auf die Besitzfrage nicht mehr in vollem Maßse anerkennt, so bezieht sich das nur darauf, dafs der deductus noch immer die rei vindicatio fallen lassen und auf die Geltendmachung seines Besitzes zurückgreifen kann nach 1. 12 § 1 de adquir. poss. (41, 2); in der rei vindicatio selbst soll er stets als Nichtbesitzer gelten. Deshalb ist der Einwand Karlowa's, Beiträge S. 26, nicht zutreffend.

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