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Beitrag zur Lehre von der Civilcomputation.

Es ist eine mifsliche Aufgabe eine Ansicht von neuem dem juristischen Publicum zur Prüfung vorzulegen, die vor fast 30 Jahren zum ersten Mal aufgestellt worden, ohne bei den vielen Bearbeitern derselben Lehre Anerkennung zu finden. Ich meine die Auffassung der civilen Zeitrechnung, welche Bachofen in der Zeitschrift für Civilrecht und Process 18. Seite 38-80, 335-375 geltend gemacht hat, auf die ich dann. auch, ehe ich seinen Aufsatz gelesen hatte, geführt wurde und die ich deshalb glaubte noch einmal in allen Einzelheiten vertheidigen zu dürfen, um so mehr, als sie bisher nicht nur keine Widerlegung, sondern nicht einmal ein Verständniss gefunden hatte. Denn was ist es anders, wenn Bachofen von den späteren durchgängig unter die Vertreter der bis dahin aufgestellten Theorieen eingereiht wird, während er doch diese alle über den Haufen zu werfen beabsichtigt hatte. Dass mein Versuch seine Ansicht zur Geltung zu bringen1) erfolglos gewesen, darf ich zunächst wohl aus der geringen Verbreitung, wie sie regelmässig der Inauguraldissertation zu Theil wird, erklären. Ich will trotzdem den Versuch hier nicht erneuern, sondern nur durch Besprechung einer Stelle,

1) De temporum computatione Romanorum. Berolini 1861. 8.

welche, und zwar nicht uns allein, die gröfsten Schwierigkeiten für eine befriedigende Lösung der anscheinenden Widersprüche unserer Quellen bereitete, einen Stein des Anstofses aus dem Wege zu räumen suchen.

Bachofens Ansicht über die Berechnung der Zeiträume ist in Kurzem folgende. Die Römer kennen abgesehen von dem vereinzelten Falle der 1. 3 § 3 de minoribus (4, 4) nur eine Art und Weise gegebene Zeiträume für den vorliegenden Fall zu berechnen, nämlich die, dafs sie nur nach Kalendertagen rechnen und die Rechnung mit demselben Tage beginnen lassen, in welchen das Ereignifs fällt, das den Ausgangspunct der betreffenden Frist bildet. Dafs diese Berechnungsweise die natürlichste und einfachste ist, die sich denken lässt, wird kaum Jemand in Abrede stellen; dafs die volle Einrechnung des ersten Tags die Frist um den Bruchtheil eines Tags verkürzt, ist eine Ungenauigkeit, die bei der practischen Unmöglichkeit, eine genauere Rechnung durchzuführen, gar nicht in Betracht kommen kann; die Länge der Fristen oder aber die Anwendung des utile tempus müssen jedes Bedenken wegen Benachtheiligung ausschliefsen.

Dieselbe Berechnungsweise wird nun auch theilweise von allen heutigen Juristen als die römische anerkannt; man behauptet aber ganz allgemein, dafs daneben noch eine andere bestehe, nämlich die, den Ablauf der Frist schon mit dem Beginn des letzten Tages anzunehmen, also die Frist noch weiter um einen ganzen Tag zu kürzen. Einen inneren Grund für eine so wunderliche und rein willkürliche Methode aufzusuchen wäre ein vergebliches Bemühen; sie wird auf folgende Stellen zurückgeführt: 1. 5 qui test. fac. poss. (28, 1), 1. 1 de manumiss. (40, 1), l. 132. 134 de v. s. (50, 16).

Bachofen hat dagegen geltend gemacht, dafs in diesen Stellen durchaus nicht die Frage entschieden werde, wie ein gegebener Zeitraum zu berechnen sei. Sie setzen zunächst civile Berechnung als selbstverständlich voraus, indem sie in den aufgestellten Beispielen das Ende der Frist in den Schlufs des Kalendertags verlegen. Principaliter aber behandeln sie eine Interpretationsfrage, nämlich wie gewisse Ausdrücke zu verstehen seien.

So handelt es sich in 1. 5 darum, ob man demjenigen, der zwar noch nicht das fünfzehnte Lebensjahr erreicht hat, der aber im letzten Tage des vierzehnten steht, testamenti factio zuerkennen darf. Ulpian erkennt ausdrücklich an, dass erst mit dem Anbruch des Geburtstages das vierzehnte Jahr überschritten sei, meint aber, der Ausdruck complere quartum decimum annum brauche nicht so streng genommen zu werden, dass er mit dem excedere zusammentreffe; man könne, auch wenn erst 364 Tage des letzten Jahres verflossen sind, von einem complere XIV annum sprechen.

Nicht minder unzweideutig spricht sich Ulpian in l. 1 de manum. aus; schon am letzten Tage des 20. Jahres soll die Fähigkeit zur Freilassung eintreten, gerade als wäre damit das 20. Lebensjahr überschritten. Dafs es in Wahrheit nicht der Fall sei, deutet Ulpian nicht nur durch das 'quasi annum vicesimum compleverit' an; er sagt am Ende der Stelle, obgleich es der letzte Tag des 20. Jahres, also nicht der erste des 21. sei, so könne man den Betreffenden doch nicht gut mehr minor nennen. Wie oben das Wort complere, so wird hier das Wort minor in laxer Weise gedeutet.

In den beiden Stellen aus dem Titel de verborum significatione behandelt Paulus die Frage, wie der Ausdruck

anniculus zu verstehen, ob dazu erst ein ganzes Jahr verflossen sein müsse, oder ob schon am 365. Tage das Kind als anniculus gelten dürfe. Paulus denkt nicht im mindesten daran zu behaupten, ein Jahr sei schon mit Ablauf des 364. Tages beendet1).

In allen diesen Stellen also steht nicht in Frage, wie der fragliche Zeitraum von einem gegebenen Zeitpunkt ab zu rechnen sei, sondern wie grofs die Frist sei, die in den betreffenden Gesetzen gefordert werde). Dafs man sich in den

1) Die Herbeiziehung der consuetudo loquendi in l. 132 und der Civilcomputation in 1. 134 sind freilich recht widersinnig. Ersteres erklärt man zwar so, dafs wie die Ausdrücke ante diem X, post diem X den 10. Tag selbst, nicht den 11. meinen, so auch beim anniculus nicht ein Ueberschreiten der Frist gefordert zu werden brauche; danach hätte sich Paulus zunächst gedacht, anniculus sei man post diem CCCLXV, und sich dann eingeredet, das stände mit den obigen Ausdrücken auf gleicher Stufe. Eher schlimmer als besser steht es mit der Beweisführung in 1. 134. Paulus sagt wörtlich, schon mit Beginn des 365. Tages, nicht erst am Ende desselben könne man von anniculus sprechen, weil die juristische Berechnung nach Tagen, nicht nach Monaten rechne. Man sollte erwarten, dass Paulus sage incipiente plane die, non exacto momento quo natus est', und Savigny System 4 S. 350 meint deshalb, 'exacto die' sei eine müssige Parenthese, während Bachofen S. 75 ganz muthig so übersetzt, als bedeute exacto die' den Ablauf des Tags nach der Zeitrechnung a momento ad momentum. Ebenso wenig, wie wir aber mit Bachofen annehmen dürfen, dafs 'dies' in einem Athem für ganz verschiedene Dinge gebraucht sei, können wir Paulus zumuthen, dafs er eine müfsige Einschiebung an einer Stelle macht, wo sie nothwendig den Sinn des Satzes in heillose Verwirrung bringen mufs; das wird wohl jeder zugeben, dafs ein vernünftiger Mensch nicht so schreiben konnte, wenn er das sagen wollte, was Savigny annimmt. Die einfachste Aushülfe möchte sein 'non exacto die' als Glosse zu streichen.

2) Ueber 1.49 de c. et d. (35, 1), die auch noch von vielen als

vorliegenden Abweichungen von einer stricten Interpretation nur durch die Rücksicht auf die in Betracht kommenden Fälle hat leiten lassen und dafs wir kein gemeinsames, auch auf andere Fälle anwendbares Princip daraus ableiten dürfen, diese Ansicht scheint heutzutage an Boden zu gewinnen1). Damit kommt man denn freilich, auch wenn man in den obigen Stellen Anwendungen einer besonderen Civilcomputation sieht, practisch zu demselben Resultat, wie mit der hier vertretenen Ansicht.

Zu den besprochenen Stellen gesellt sich aber noch 1. 15 pr. de div. temp. praescr. (44, 3), die auch für die Usucapion eine Berechnung anzuerkennen scheint, welche die gesetzliche Frist um einen Tag kürzt. Die Stelle lautet so:

In usucapione ita servatur, ut, etiamsi minimo momento novissimi diei possessa sit res, nihilo minus repleatur usucapio, nec totus dies exigitur ad explendum constitutum tempus.

Auch hier eine laxe Interpretation des vom Gesetz gebrauchten Ausdrucks anzunehmen, dazu bietet weder die Stelle selbst einen Anhalt, noch lässt es sich mit dem Wortlaut der 12 Tafeln vereinigen, die als Fristen für die Usacapion annus und biennium hinstellen 2). Konnte jemand vernünftiger Weise behaupten, ein Jahr sei mit dem 364. Tage beendet? Ausserdem wird man doch auch die Usucapion nicht

Beweis der zwiefachen Civilcomputation angeführt wird, verweise ich auf Bachofen S. 61 und § 17 der angeführten Dissertation.

1) Wächter, Handbuch des Württemberg. Privatrechts II § 121; Unger, System des österreich. Privatrechts II S. 300 f.; Windscheid, Pandecten § 103, 16.

2) Cic. Top. 4, 23 pro Caec. 19, 54.

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