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den formlosen Widerruf der Testamente.

Als Kanon des römischen Erbrechts gilt der Satz, dass ein Testament durch Vernichtung der Urkunde, Zerstörung der äufseren Zeichen seiner Solennisirung oder Durchstreichung des Inhalts seitens des Erblassers ipso iure aufgehoben. werde. Sind nur einzelne Bestimmungen durchstrichen, so sollen auch nur diese, aber gleichfalls nach ius civile, in Wegfall kommen.

Dieser Satz enthält eine Abweichung von der sonst für Formalgeschäfte aufgestellten Regel des ius civile. Wie für die Begründung derselben eine feierliche, den Willen unverkennbar kund gebende Handlung erfordert wird, so soll auch die Aufhebung derselben, soweit sie nicht durch den normalen. Verlauf des beabsichtigten Rechtsverhältnisses herbeigeführt wird, in einem entsprechenden feierlichen Acte vor sich gehen1). Beim Testament kennt das ius civile als contrarius actus nur die Errichtung eines neuen Testaments; die bezeichneten Handlungen dagegen sind formlos, sie haben nicht einmal in

1) L. 35 de r. i. (50, 17): Nihil tam naturale est, quam eo genere quidque dissolvere, quo colligatum est. Ideo verborum obligatio verbis tollitur, nudi consensus obligatio contrario consensu dissolvitur; vgl. 1. 153 eod. Ihering, Geist des Röm. Rechts 2 § 473.

sofern eine äufserliche Beglaubigung, als sie in derselben Weise von jedem anderen als dem Testator vorgenommen sein können; und selbst wenn darüber kein Zweifel obwaltet, dass sie von letzterem ausgegangen, so bleibt immer noch die Möglichkeit offen, dafs dabei Zufall oder Versehen mitgespielt habe, die den Willen, die frühere Verfügung aufzuheben, ausschliefsen. Wie sehr alles dies dem Charakter des ius civile widerspricht, wird schon mancher gefühlt haben'); trotzdem ist gegen die Regel nie Widerspruch erhoben; man glaubte klare Quellenaussprüche für sich zu haben.

Die Hauptstelle ist 1. 1 § 8 D. si tabulae test. nullae extabunt (38, 6) Ulp.: Si heres institutus non habeat voluntatem, vel quia incisae sunt tabulae vel quia cancellatae vel quia alia ratione voluntatem testator mutavit voluitque intestato decedere, dicendum est ab intestato rem habituros eos qui bonorum possessionem acceperunt.

Schon diese giebt zu grofsem Bedenken Anlass. Anstatt zu sagen: wenn der Testator sein Testament in der Absicht die Intestaterbfolge herbeizuführen zerstört hat, legt Ulpian allein den Nachdruck auf die Willensänderung (si heres institutus non habeat voluntatem), gleichviel ob sie auf diese oder eine andere Weise an den Tag gelegt worden.

Uebereinstimmend damit äufsert sich derselbe Jurist in 1. 4 § 10 de doli mali exc. (44, 4): Praeterea sciendum est, si quis quid ex testamento contra voluntatem petat, exceptione

1) Sintenis, Civilrecht § 179, 36 erklärt die Aufhebung durch Errichtung eines neuen Testaments für die ursprünglich einzige, die Rumpirung durch Zerstörung des Testaments für einen später hinzugetretenen Aufhebungsmodus; als Quelle desselben wird nach der ganzen Darstellung das ius civile vorausgesetzt.

eum doli mali repelli solere; et ideo heres, qui non habet voluntatem, per exceptionem doli repellitur.

Indefs die Frage, ob jedwede Willensäufserung genüge, um das Testament zu entkräften, berührt uns hier noch nicht; die gröfsere Schwierigkeit, welche in den Schlufsworten beider Stellen liegt, scheint allgemein übersehen zu sein. Nach der gemeinen Lehre haben die in einem vernichteten Testament eingesetzten Erben gar kein Recht, es ist eben iure civili die Intestaterbfolge eröffnet. Warum sagt also Ulpian in der ersten Stelle, dafs die Intestaterben, welche die bonorum possessio agnoscirt haben, die Erbschaft haben würden? Klingt das nicht so, als hätten sie ohne bonorum possessio kein Recht, als seien die instituti die civilen Erben? Und nun gar die exceptio doli gegen den institutus in der zweiten Stelle! Gegen welche Klage soll sich diese richten, wenn der Testamentserbe weder mit der hereditatis petitio noch mit dem interdictum Quorum bonorum klagen kann1)?

Mit beiden Stellen vergleiche man das, was über den vorliegenden Fall im Titel de his quae in testamento delentur inducuntur vel inscribuntur (28, 4) gesagt wird. Zunächst gehört hierher 1. 1 § 3 von Ulpian:

Sed consulto quidem deleta petentes exceptione (exc. pet. Flor.) repelluntur, inconsulto vero non repelluntur, sive legi

1) Mühlenbruch 38 S. 324 und Savigny System 3 S. 379 wollen die 1. 4 § 10 auf den Fall beziehen, wenn der Erbe eine Erbschaftsforderung gegen den Willen des Erblassers einklagt. Wie man das aus den Worten heres qui non habet voluntatem' herauslesen soll, wäre selbst dann unbegreiflich, wenn nicht der Zusammenhang sagte, dafs sie den vorhergehenden 'si quis quid ex testamento contra voluntatem petat' entsprechen. Dafs aber letzteres nur auf den Honorirten, also den Schuldner, nicht auf den Onerirten gehen kann, liegt auf der Hand.

possunt sive non possunt, quoniam, si totum testamentum non extet, constat valere omnia quae in eo scripta sunt: et si quidem illud concidit testator, denegabuntur actiones, si vero alius invito testatore, non denegabuntur.

Nach dem Zusammhang würde die Stelle nicht auf unseren Fall sich beziehen, sondern vielmehr auf den, wenn der Testator vor Beendigung des Testamentsactes Aenderungen vornimmt; davon handeln nämlich sowohl die voraufgehenden als der nächstfolgende Paragraph. Dennoch ist eine solche Beziehung deswegen unmöglich, weil dann § 3 mit dem principium in Widerspruch treten würde. Was der Testator absichtlich vor Solennisirung der Urkunde streicht, gilt als nicht geschrieben, daraus kann also nie eine Klage und deshalb auch keine exceptio dagegen gewährt werden1). Man erwartet daher mit Beziehung auf die Schlufsworte von § 2 'sed hoc ita demum, si ante consummationem testamenti factum est' hinter sed ein postea; ob aber Ulpian so geschrieben, bleibt zweifelhaft; es könnte zwischen beiden Paragraphen einiges gestrichen sein, was ich um so mehr glaube, als auch § 4 sich nicht so unvermittelt an das Voraufgehende anschliefsen konnte. Eine weitere Schwierigkeit bietet das Folgende; der Satz, dafs, selbst wenn das ganze Testament zu Grunde gegangen, doch sein Inhalt in Kraft bleibe, kann nicht als Bestärkung des anderen Satzes angeführt werden, dafs es

1) Ganz abweichend fafst Mühlenbruch 39 S. 108 ff. obige Stelle auf. Er bezieht sie, indem er § 2 ganz übergeht, durchgängig auf den Fall der Streichung nach vollendetem Testament und löst den gerügten Widerspruch damit, dafs Ulpian in den Worten des pr.: legi autem sic accipiendum ... legi posse' nur eine Interpretation der voraufgehenden Worte des Sabinus gebe, ohne damit behaupten zu wollen, dafs ein anderweitiger Beweis ausgeschlossen sei.

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für die Aufrechterhaltung des durchstrichenen darauf ankomme, ob absichtliche oder zufällige Streichung vorliegt. Man wird quin etiam für quoniam lesen müssen1).

Ulpian sagt also wiederum, die ausgestrichenen Verfügungen würden durch exceptio entkräftet, beständen also ipso iure zu Recht, und in diesem Zusammenhange kann auch das actiones denegare für den Fall, dafs das ganze Testament vernichtet ist, nur auf diejenigen bezogen werden, welche ipso iure eine actio hatten 2).

In demselben Sinne spricht Ulpian auch in der nächstfolgenden Stelle vom denegare actiones. Sie lautet:

1) Dafs der überlieferte Text auch der justinianische ist, beweist trotz der gründlichen Verworrenheit der Basilikenauszug der Synopsis (Zachariae Jus Gr. R. 5 p. 224): Τὰ περιχαραγέντα ἢ περισφραγισθέντα ἢ ἀναλειφθέντα, εἰ μὲν κατὰ πρόνοιαν ἢ εἴδησιν τοῦ διατιθεμένου, ἄκυρά ἐστιν, εἰ δὲ ἄλλως, ἔρρωται, κἂν ἔν τινι μέρει τῆς διαθήκης εἶπεν αὐτὸς ταῦτα πεποιηκέναι (= pr. § 1). τότε δὲ ἀπαιτοῦνται, ὅτε θεωρεῖσθαι καὶ ἀναγινώσκεσθαι δύνανται, ἢ ἀποδειχθῆναι δύνανται, κἂν μὴ ἀναγινώσκονται (= § 2 sed si legi non possunt § 3 sive legi possunt sive non possunt) ἐπειδὴ καὶ ἡ διαθήκη εἰ καὶ μὴ φαίνεται, ἔρρωται τὰ ἐν αὐτῇ ἑτέqwdi Seixvóμeva (= quoniam, si totum testamentum non extet, constat valere omnia quae in eo scripta sunt). ἀλλὰ τοῦτο τὸ εἰπεῖν ὅτι αὐτὸς ταῦτα πεποίηκα χώραν ἔχει, ὅτε πρὸ τοῦ πληρωθῆναι τὴν διαθήκην τὰ Lexdévτa yέyovs (= § 1 sed hoc ita demum, si ante consummationem testamenti factum est).

...

2) Exceptio doli und denegare actiones gehen neben einander her; jene stellt der bonorum possessor entgegen, dieses bezieht sich auf die Singularklagen gegen dritte analog der Klagenverweigerung gegenüber dem Fiduciar nach Restitution des Universalfideicommisses, nicht etwa auf die Möglichkeit, dafs der Prätor es deshalb nicht zur Klage kommen lässt, weil die Bedingungen der exceptio doli schon vor der Litiscontestation sich als vorhanden herausgestellt haben.

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