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d) Die Imperative außer der 2. Person des sogenannten präsentischen Imperativs libera: also

im Aktiv: liber-ato, liber-ato, liber-atote, liber-anto, im Passiv: liber-ator, liber-amini, liber-antor.

Nach der ersten Averboform libero kann man ohne Weiteres nur die Verba der sogenannten „,1. Konjugation" konjugieren. Für die übrigen,,Konjugationen" und für die sogenannten „,unregelmäßigen Verba sind besondere Präsensreihen zu lernen.

Was dagegen die zweite, dritte und vierte Averboform betrifft, so braucht man für sämtliche regelmäßigen und unregelmäßigen Konjugationen kein anderes Muster als liberav-i, liberav-isti, liberav-it usw., liberat-us sum, liberat-us es usw.

2. Liberav-i ist die erste Person vom Indicativus § 123. Perfecti Activi. Davon bildet man (nach Abwerfung des i) das ganze aktivische Perfekt (Indikativ und Konjunktiv und Infinitiv), Plusquamperfekt, Futurum exactum; vom Passivum gar nichts. Also

nur im Activum: liberav-i, libera v-isti, liberav-it usw.
cum liberav-erim, cum libera v-eris usw.
liberav-eram, liberav-eras usw.

cum liberav-issem, cum liberav-isses usw.

si libera v-ero wenn ich befreit haben werde usw.
liberavisse befreit haben.

Zusatz: Statt der Perfektendung der 3. Person des Plural -ērunt sagte man auch zuweilen ere, z. B. statt liberavērunt: liberavĕre.

3. Liberat-um ist das sogenannte Supinum, d. h. der § 124. nur von verhältnismäßig wenigen Verben in der wirklichen Praxis vorkommende Akkusativ eines Substantivs der vierten Deklination auf us; liberatum heißt zum Befreien. Man bildet diese Hauptform, bloß der Uebung wegen, auch von solchen Zeitwörtern, von denen sie nie gebraucht wurde. Sie ist zur Erlernung des Verbums unentbehrlich 1).

Man bildet davon a) zunächst das Participium Perfecti Passivi, indem man statt -um die Endung -us (-a, -um) anhängt : liberat-us befreit (homo liberatus, ancilla liberata, aedificium liberatum); mit diesem Participium werden sodann alle Formen des passivischen Perfekts, Plusquamperfects und zweiten Futurs gebildet: liberatus sum, ut liberatus sim, liberatus eram, cum liberatus essem, liberatus ero.

b) Direkt mit dem Supinum wird der Infinitiv Futuri Passivi gebildet: liberatum iri (in der alten Handschrift der Digesten in der Regel als ein Wort geschrieben liberat uiri) 2).

1) Man hat den Versuch gemacht als dritte Hauptform das Partizip vom passiven Perfectum einzusetzen, also liberatus, a, um befreit. Leider sind aber sehr viele Verba intransitiv, so daß sie ganz unmöglich ein solches passivisches Partizip haben können, z. B. ambulare.

2) Caveo ancillam liberatum iri heißt, wie wir später sehen werden, Ich leiste Sicherheit dafür, daß die Sklavin wird befreit werden wörtlich daß gegangen wird zum Befreien die Sklavin. Vgl. frz. aller chercher quelque chose.

c) Das Participium des aktivischen Futurums, indem man statt -um die Endung -urus (-ura, -urum usw.) ansetzt: liberat-urus.

Gaius filium suum emancipaturus ami- Der seinen Sohn emanzipieren wollende cos invitavit Gaius lud Freunde ein.

4. Liberare, der Infinitiv des Präsens, ist, wovon $125. manche Schulgrammatiken nichts wissen, ebenfalls eine sehr wichtige Grundform. Man bildet davon, und zwar in allen Konjugationen: a) durch Ansetzung von m usw. und r usw. den Konjunktiv Imperfecti im Aktiv und Passiv, wobei das Schluß-ě in vielen Formen verlängt wird: cum liberárě-m, cum liberare-s, liberare-t, cum liberare - mus, liberare-tis, liberá re-nt, cum liberare-r, liberaré- ris, liberare-tur, liberare-mur, liberare-mini, libe- raré-ntur.

b) Durch Ansetzen von is statt e die zweite Person Indicativi Präsentis Passivi:

liberár(e)-is du wirst befreit

tenér(e)-is du wirst festgehalten.

c) Durch Streichung der zwei letzten Buchstaben die zweite Person vom sogenannten präsentischen Imperativ im Aktiv: libera (re) Befreie! Coërce (re) halte in Schranken! und ohne jede Aenderung die entsprechende zweite Person vom Passiv liberáre! werde befreit! (Diese kommt natürlich sehr selten vor.)

Zusatz 1: Man merke sich also als abzuleiten von liberare: liberarem, liberaris und libera (re). Ferre ist Inf. Präs. und heißt tragen. Was heißt du wirst getragen? Trage! Als ich trug? Es gibt nur fünf Infinitive in der ganzen lateinischen Sprache, die nicht durchweg dieser Regel folgen: dicere, ducere, fácere, nolle, fieri, bei welchen einzelne Formen nicht nach dem Muster von liberare gebildet werden, worüber später.

Zusatz 2: Vom Inf. Praes. des Aktivs wird zwar auch der Inf. Praes. des Passivs gebildet (amare-amari, liberare-liberari); aber da er in der sog. 3. Konjugation in anderer Weise von diesem Inf. Act. abgeleitet wird, haben wir ihn hier ganz unerwähnt gelassen.

Es sind also bei der folgenden Aufzählung der Hauptformen (Averbo-Formen) eines Verbums immer vier zu nennen, wenn sie selbst oder doch Ableitungen davon vorhanden sind. Wenn sie weder im Ciceronianischen Latein noch auch bei den Juristen in Verwendung treten teils aus Gründen der Logik, teils um Mißverständnisse zu vermeiden, vielleicht auch dem Wohllaut zuliebe wurden manche Formen nicht gebildet, werden sie bei der Aufzählung der Hauptformen weggelassen. Statt des fehlenden Supinums setzen wir zuweilen das vorhandene Participium Futuri Activi auf -urus; neben das Supinum setzen wir auch noch das Participium Futuri auf -urus, wenn es nicht einfach vom Supinum gebildet wird.

Also z. B.

comparo, comparavi, comparatum, comparare kaufen. sum, fui, futurus, esse sein.

praesto, praestiti, praestitum, praestaturus, praestare leisten usw.

II. Die vier Konjugationen.

§ 126.

Man hat vier Hauptgruppen von Verbis unterschieden, die man als,,die vier Konjugationen" zu bezeichnen pflegt; ihnen schließen sich noch sogenante,,unregelmäßige" Verba an.

Die vier (Haupt-) Konjugationen unterscheiden sich am deutlichsten in den Infinitivis des aktivischen Präsens.

Die erste Deklination endet im

Inf. Praes. Act. auf are (z. B. portare frz. porter),

die zweite auf ere (z. B. valere frz. valoir, tacere taire), die dritte auf -ĕre (z. B. prehéndere frz. prendre),

die vierte auf īre (z. B. punire frz. punir).

Man nennt sie zuweilen auch nach dem letzten Buchstaben des eigentlichen Verbalstammes:

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3. konsonantische Konjugation (d. h. der Verbalstamm lautet auf einen Konsonanten aus; das e der Endung ĕre (wie einige andere Vokale dieser Konjugation) ist nur durch das Sprechen hereingekommen und hat ursprünglich gefehlt).

4. i Konjugation.

=

Die vier Paradigmen oder Musterbeispiele, welche man demgemäß für die vier Deklinationen in den Grammatiken findet, beziehen sich jedoch nur auf den Präsensstamm, einschließlich des Infinitivstammes, also nur auf die von vindico und vindicare abgeleiteten Formen, nicht auf den Perfekt- und Supinstamm.

III. Die Bildung des aktivischen Perfekts in sämtlichen

Konjugationen.

$127.

Das Perfekt des Aktivs hat in der lateinischen Sprache drei Bildungen.

Die Verba setzen entweder -ui(-vi) an den unverkürzten oder verkürzten Stamm an oder sie setzen si an den unverkürzten oder verkürzten Stamm an oder sie haben Reduplikation, d. h. sie verdoppeln die erste Silbe mit mehr oder weniger starken Veränderungen und setzen an diesen Perfektstamm die Perfektendung -i.

1. ui tritt teils an den reinen Präsensstamm 1), z. B. porta-ui

1) Den Präsensstamm findet man bei der sog. ersten Konjugation aus der 2. Person Sing. Präsentis unter Weglassung des Endungs-s, bei der zweiten, dritten und vierten Konjugation aus der 1. Person Präsentis unter Weglassung des Endungs-o.

(geschrieben meist portavi), teils an den um den Schlußvokal verkürzten Präsensstamm, z. B. bei tacere (schweigen): tac(e)-ui

2. si tritt nie zu einem auf einen Vokal auslautenden Präsensstamm, wenn dieser nicht zuerst um seinen Schlußvokal gekürzt ist. Ein T-Laut vor s fällt immer aus.

3. Die Reduplikation kann ebenfalls nie vor einen vokalisch auslautenden Präsensstamm treten ohne daß dieser verkürzt wird. Oft wird auch der auf einen Konsonanten auslautende Stamm noch verkürzt. Die Reduplikation ist nicht immer so deutlich 1) zu erkennen wie bei mordeo beiße momórdi. Bald sind die Vokale verändert, z. B. von pango verkürzter (reiner) Stamm pag, redupliziert pepig-i; bald sind die zwei Reduplikationssilben in eine zusammengezogen, z. B. bei video sehe *ví-vid-i in viidi, geschrieben vīdi; seltener fällt die erste Silbe ganz fort z. B. von findo (reiner Stamm fid) Perfekt nicht *fífidi = *fidi, sondern fidi.

Es sind hier also viele einzelne Formen einzuprägen.

Weniger Schwierigkeit macht die Erlernung des Supinums, das entweder auf -tum oder -sum endigt, letzteres besonders, wenn der Endkonsonant des Wortes ein T-Laut ist.

IV. Die wichtigsten Vorsilben vor Verbis.

§ 128. Vor lateinische Verben treten ebenso wie vor deutsche (und französische) oft Vorsilben, durch welche die Bedeutung des Verbums mehr oder weniger verändert wird.

Diese Vorsilben lauten jedoch im Gegensatz zum Deutschen nicht vor allen Verbis gleich; sie richten sich nach dem Buchstaben, der das Stammwort beginnt. Es gibt hier zwar die größte Mannigfaltigkeit, aber diese ist von einem gemeinsamen Gesetz beherrscht: vor dem gleichen Anfangsbuchstaben sind alle gleichen Vorsilben fast immer gleich gestaltet, so daß deutsche Fremd- und Lehnwörter oft den Weg weisen; vgl. für die Vorsilbe ad: Affekt, Allokution, Apportieren, Arrondieren, Adspirant oder Aspirant.

Für die Bedeutung der Vorsilben bieten neben deutschen Lehnwörtern auch französische Wörter einen Anhalt.

a oder ab (au vor f, abs vor c und t): weg-, z. B. avolare wegfliegen, auferre wegtragen, ablegare wegsenden, abstinere (sich) fernehalten.

ad (das d gleicht sich gerne dem folgenden Konsonanten an): acc-, add-, adf- oder aff-, adl- oder all-, adm- oder amm-, adn- oder ann-, adp- oder app-, adr- oder arr-, ads- oder ass- (vor Vokalen) und as- (vor Konsonanten), adt- oder att-, adv-) herzu-, hinzu-, anusw. z. B. advolare herbeifliegen, addere hinzufügen.

con (das n gleicht sich gerne dem nächsten Konsonanten an):

1) Auch dem deutschen starken Präteritum sieht man es nicht sofort an, daß es aus Reduplikation entstanden ist: gotisch haita heiße bildete das Prateritum haíhait; althochdeutsch hiaz, mittelhochdeutsch hiez.

Kalb, Lateinische Spezialgrammatik.

7

Tabelle für die vier Konjugationen im sog. Praesensstamm.

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1. Kjug. 2. Kjug. 3. Kjug. 4. Kjug. 1. Kjug. 2. Kjug. 3. Kjug. 4. Kjug.

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