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Almeinde und ackerbau.

Wir sind nun an der für das Deutsche alterthum wie nicht minder für alle folgezeit höchst wichtigen frage angelangt, ob unsere vorfahren bereits eigenthumsrecht einzelner an grund und boden gekannt haben, oder blos gesammtbesitz von gemeinden. Ich glaube, daß man durch das ableugnen der bestimmtesten zeugnisse so großer gewährsmänner wie Caesar und Tacitus den eigentlichen schlüssel zum verständnis der entwicklung der Deutschen rechtszustände aus der hand gelassen hat, und beginne es, nach dem vorgange anderer, für ihre glaubwürdigkeit nochmals in die schranken zu treten, nicht ohne hoffnung manchen gegner auf freundesseite herüberzuziehen.

Caesar sagt 4, 1 zunächst von den Sueven: „Das volk der Sueven ist bei weitem das größeste und streitbarste von allen Germanen. Sie sollen hundert gaue haben, aus

:

Sic neque agri

1 Suevorum gens est longe maxima et bellicosissima Germanorum omnium. Hi centum pagos habere dicuntur ex quibus quotannis singula milia armatorum, bellandi caussa, ex finibus educunt. reliqui, qui domi manserint, se atque illos alunt. Hi rursus in vicem anno post in armis sunt illi domi remanent. cultura, nec ratio atque usus belli intermittitur: sed privati ac separati agri apud eos nihil est neque longius anno remanere uno in loco, incolendi caussa, licet: neque multum frumento, sed maximam partem lacte atque pecore vivunt, multumque sunt in venationibus : etc.

welchen sie alljährlich einzelne tausende von bewaffneten zum zweck der kriegsführung außer lands führen; die übrigen, welche zu hause geblieben sind, ernähren sich und jene. Umgekehrt sind im jahr darauf wieder diese unter den waffen jene bleiben zu hause. So wird weder der ackerbau, noch kunst und übung des kriegs unterbrochen. Aber sondereigenes und getrenntes ackerfeld gibt es nicht bei ihnen; noch ist es verstattet wohnens halber an einem und demselben orte länger als ein jahr zu verbleiben 2; auch leben sie nicht viel von getreide, sondern größtentheils von milch und vieh, und sind viel auf der jagd; was denn durch die art der speise, und durch die tägliche übung, und durch die freiheit des lebens (weil sie von kind auf an keinerlei pflicht oder zucht gewöhnt durchaus nichts gegen ihren willen thun) die kräfte nährt, und menschen von ungeheuerer körpergröße hervorbringt. Und sie haben es zu der gewöhnung gebracht, daß sie, wo es auch noch so kalt ist, von kleidung nichts außer fellen haben, wegen deren kleinheit ein großer theil des körpers offen bleibt, und daß sie sich in flüssen baden." Ziemlich gleichlautend meldet Caesar dann 6, 22 von den Germanen überhaupt : „Des ackerbaues befleißigen sie sich

3

1 ratio steht im nämlichen sinn auch Tac. Germ. 45.

2 oder angesiedelt zu bleiben, den wohnsitz zu behalten, d. i. mit eigenem rauch angesessen zu sein.

3 Agriculturae non student, majorque pars victus eorum in lacte, caseo, carne consistit: neque quisquam agri modum certum, aut fines habet proprios; sed magistratus ac principes in annos singulos gentibus, cognationibusque hominum qui una coierint, quantum et quo loco visum est, agri adtribuunt, atque in anno post alio transire cogunt. Ejus rei multas adferunt caussas: ne adsidua consuetudine capti studium belli gerundi agricultura commutent; ne latos fines parare studeant, potentioresque humiliores possessionibus expellant; ne adcuratius, ad frigora atque aestus vitandos, aedificent; ne qua oriatur pecuniae cupidi

nicht und ihre nahrung besteht größeren theils in milch, käse und fleisch; auch hat keiner ein gewisses maß ackerland oder eigene gränzen, sondern die beamten und obersten weisen immer auf ein jahr den geschlechtern und verwandtschaften derjenigen leute welche zu einander getreten sind, an ackerfeld zu, so viel und wo es für gut befunden worden ist1, und nöthigen sie im jahre nachher anderswohin überzuziehen. Hiefür bringen sie viele gründe bei Damit sie nicht von der anhaltenden gewohnheit eingenommen die neigung zum kriegführen mit dem ackerbau vertauschten; damit sie nicht ausgedehnte gränzen zu erwerben trachteten und die mächtigeren die geringeren aus ihren besitzungen vertrieben; damit sie nicht, um frost und hitze zu entgehen, sorgfältiger bauten; damit keine sucht nach vermögen aufkomme, woraus parteiungen und zerwürfnisse entspringen; damit sie das gemeine volk bei ruhigem gemüthe erhielten, indem jeder sein vermögen dem der mächtigsten gleichgemacht sehe."

Die worte gentibus cognationibusque hominum qui una coierint" erheischen schon hier eine nähere betrachtung. Homines qui una coeunt sind solche die sich an einen und denselben ort zusammenthun, bei einander wohnen, eine gemeinschaft eingehen. Diese gemeinschaft besteht nach Caesars worten nicht aus blos einer gens, einer

tas, qua ex re factiones, dissensionesque nascuntur : ut animi aequitate plebem contineant, quum suas quisque opes cum potentissimis aequari videat.

1,Quantum et quo loco visum est" darf nicht mit Horkel s. 214 übersetzt werden, so viel und wo es ihnen" gut dünkt; denn diese einschiebung eines dem text fremden worts legt den obersten eine gewalt bei, welche ihnen schwerlich zugekommen ist. Noch in späteren zeiten beschließen nicht die markbeamten sondern das ganze märkerding über gebrauch der almeinden; und auch bei Tacitus Germ. c. 26 heißt es, daß alle zusammen das land winter se", also durch gemeinschaftlichen beschluß theilen.

cognatio, sondern sie kann aus mehreren derselben zusammengesetzt sein. Je nachdem man sie sich also größer oder kleiner denkt, wird man auch unter gens ein weiteres oder engeres verstehen. v. Sybel, s. 6, 15, 30 und 39 nimmt das wort für gleichbedeutend mit dorf, bauerschaft (vicus), und folgert aus unserer stelle, daß bei den Germanen geschlecht und politische gemeinde eins und dasselbe gewesen seien. 1 Andere, wie Walter, Tac. op. 4, 61 und Gemeiner 15, haben unter gens die natürliche familie, unter cognatio deren verwandtschaft verstanden, und hier denselben gegensatz wiedergefunden, wie in Germ. c. 7: non casus neque fortuita conglobatio turmam aut cuneum facit, sed familiae et propinquitates. 2 Das wort gens an sich verträgt sich mit beiden auslegungen; allein sie scheinen mir doch nicht ganz das richtige zu treffen. Ich nehme an, daß zu Caesars zeit jede zentgemeinde unveränderlich in ihrem gaue, ihrer mark sitzen blieb3, insofern nicht etwa das ganze volk zu einer eroberung anderer länder aufbrach. Caesar redet nicht von einem wechsel der pagi, von einem räumen der ganzen mark; sondern er sagt nur das ackerland wird jährlich neu vertheilt, und zwar so, daß die gentes das ihrige nie zweimal am nämlichen ort erhalten. Dieser vorgang ist vollkommen gut

1 Aehnlich v. Bethmann-Hollweg 29.

2 Familia, wo es im gegensatz zu propinquitas steht, ist das engere verhältnis der verwandtschaft, propinquitas das weitere. Germ. c. 18: intersunt parentes et propinqui; c. 21: inimicitias seu patris seu propinqui. Die propinqui sind aber noch blutsverwandte laut c. 20 : quanto plus propinquorum, quo maior affinium numerus, tanto gratiosior senectus. Vgl. auch v. Bethmann-Hollweg, 36.

3 Dahlmann, gesch. v. Dänemark 1, 132 scheint hingegen einen völligen wechsel zwischen allen abtheilungen des staats anzunehmen. Ebenso v. Sybel, 56 und in Schmidt's zeitschr. f. geschichtswissensch. 3, 305 (1845).

innerhalb der zentmark möglich. Ich habe anderwärts 1 nachgewiesen, daß die Deutschen marken, da sie mit zent und gau übereintrafen, von ziemlich großem umfang waren, und viele dorfgemeinden umfaßten. Während jedes dorf seine eigene feldmark hatte, waren wälder, wiesen, weiden, gewässer, stein- und erdgruben, jagd und fischerei eigenthum der großen markgemeinde. Denke man sich nun einmal die einzelnen feldmarken, also das ganze ackerland, ebenfalls noch im eigenthum der märkerschaft, welcher es vordem gewiß gehörte, und lasse die gewählten markvorsteher nach markbeschluß oder loos järlich den einzelnen dörfern oder bauerschaften ihre feldmark anweisen, so hat man ein bild, auf welches die worte des Caesar auf's genaueste passen, und das die macht der historischen wirklichkeit für sich hat. Die homines qui una coierint sind die dorfgemeinde; das dorf, die bauerschaft, bauersame, ist gerade eine örtliche vereinigung, eine gemeinde, eine genossami, die zusammen wohnt (baut). Sie besteht aus einer anzahl von gentes oder cognationes, also gruppen verwandter familien. Es ist vielleicht nicht nöthig gens für etwas anderes als cognatio zu nehmen 2; letzteres könnte als ein gleichbedeutender aber erklärender ausdruck beigefügt sein so wie ja kurz vorher auch „magistratus ac principes" nebeneinander steht, ohne daß beide worte verschiedene behörden anzeigen sollten. 3

1 Vgl. meine gau- und markverfassung 131 und 135.

2 Im alten Rom hießen wahrscheinlich 10 durch verwandtschaft verbundene familien oder häuser gens; vgl. oben s. 36.

3. V.

Sybel 49 zwar hält die magistratus für eine höhere obrigkeit als die principes, weil auch bei dem folgenden begriff „gentibus cognationibusque ein herabsteigen vom größeren zum kleineren stattfinde. Allein auch wenn letzteres richtig wäre, würde es doch noch keinen genügenden grund für das erstere abgeben.''

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