Page images
PDF
EPUB

Der angebliche adel.

Daß die alten Deutschen einen adel gekannt kätten ist eine ebenso herkömmliche als bis auf diesen tag sich behauptende annahme. Darüber freilich, worin das wesen dieses adels bestanden, wie lange er fortgedauert habe, ob unser hoher adel oder auch unsere ritterschaft ein überrest davon sei, gibt es ebensoviele meinungen als schriftsteller. Unrichtige vorstellungen über die verhältnisse der späteren zeit, insbesondere über die bedeutung der s. g. freien herrn, gaben veranlassung auch die berichte des Tacitus miszuverstehen, so wie umgekehrt diese misverständnisse wieder auf die beurtheilung der späteren zustände zurückwirkten. Seitdem es als erwiesen angesehen werden darf, daß Franken, Alamannen und Baiern zur zeit der aufzeichnung der volksrechte einen adel nicht gekannt haben, und seitdem sich die entstehung und natur des adelsstandes bei den alten Sachsen (Cherusken) unserer erkenntnis mehr erschließt, muß sich nach und nach auch eine unbefangenere betrachtung der nachrichten des Tacitus bahn brechen. Ziemlich allgemein ist man schon darin einig, daß in den „principes" eine adelsklasse nicht erblickt werden dürfe; dagegen macht sich die umgekehrte meinung noch bezüglich der bezeichnungen „proceres"

"

und „primores" geltend 1, obwohl ohne ausreichenden grund, da sie wörtlich ebenfalls nichts anderes als vorderste", „erste", „oberste" besagen. Eine betrachtung der hauptsächlichsten stellen wird dies bestätigen. Segestes rieth dem Varus ihn selbst (zum schein), den Arminius et ceteros proceres binden zu lassen; nihil ausuram plebem principibus amotis. Annal. 1, 55. Hier sind proceres und principes völlig in einem sinn genommen. Annal. 2, 9 ejus in ripa cum ceteris primoribus Arminius adstitit. Annal. 2, 15 Arminius aut ceteri Germanorum proceres. In der letzten stelle sind unter proceres die anführer der verschiedenen mit den Cherusken verbündeten Germanischen völkerschaften (vgl. c. 12) verstanden; in der ersten können damit Cheruskische oberste gemeint sein. Annal. 2, 19: plebes, primores, juventus, senes agmen Romanum repente incursant, turbant. Es liegt auf der hand, daß die primores hier nicht leute von adeligem stand sind, da es sich von selbst verstünde, daß die etwa im heer vorhandenen adeligen nicht zurückbleiben, wenn es zum angriff geht. Aber daß alle anführer am handgemenge theil nehmen, sich vielleicht an die spitze ihrer leute stellen, daß alles was waffen tragen kann, selbst das ehrwürdige alter, auf den feind einstürmt, ist für die heftigkeit des angriffs bemerkenswerth; die primores werden den plebes entgegengesetzt, wie in c. 11 der Germania die principes der plebs. Hist. 4, 14: Claudius Civilis berief die ersten des Batavischen volks und die entschlossensten aus der menge (primores gentis et promptissimos vulgi) unter dem schein eines mahles in einen heiligen hain. Die primores sind die angesehensten, weisesten, vorzüglich aber auch die vorsteher, die dem vulgus wie oben die principes der plebs entge

[ocr errors]

So glaubt namentlich Roth, 9 u. 10, daß damit ein adel bezeichnet werde.

gengestellt werden 1, wie ähnlich auch bei Dio Cassius 56, 18 geschieht: oi te лowroxaì và nhŋ. In Germ. καὶ πλήθη. c. 10: non solum apud plebem sed apud proceres, apud sacerdotes geht das wort proceres vielleicht in mehr allgemeinen sinn auf die gebildeteren, angeseheneren; es kann sich aber ebensogut streng nur auf den kurz vorher genannten rex und princeps civitatis beziehen. Enger scheint in Annal. 4, 33 primores genommen zu sein: „nam cunctas nationes et urbes populus aut primores aut singuli regunt"; es bezeichnet eine aristocratie, aber eine solche, welche mit obrigkeitlicher gewalt ausgerüstet ist, der regierung vorsteht, sodaß also auch hier noch der ursprüngliche sinn der politischen führerschaft hervortritt.

So bleiben denn für die begründung eines adels bei den Germanen nur noch die ausdrücke „nobiles“, „nobilitas" übrig, die nunmehr einer näheren prüfung zu unterwerfen sind. Germ. c. 13: insignis nobilitas aut magna patrum merita etc. Hier wird denen, deren eltern und vorfahren sich um den staat sehr verdient gemacht, also obrigkeitliche ämter bekleidet oder, als heerführer, gesandte, vermittler dienste geleistet haben, ein anderer vorzug entgegengesetzt, die insignis nobilitas. 2 Schon der zusatz „insignis" deutet an, daß darunter nicht adeliger stand gemeint sein kann, da, wo einmal geburtsadel anerkannt ist, der adel jedes zu dieser klasse gehörigen gleich gut und ausgezeichnet ist, wenn man nicht in unpassendster weise viel jüngere unterscheidungen in hohen und niederen adel, neuen und alten adel hereinziehen will. Insignis nobilitas

1 Die gegenüberstellung von vulgus und proceres auch Hist. 5, 25. Wenn bei Pertz, scr. 1, 157 Widichind „unus ex primoribus Westfalaorum" genannt wird, so soll er damit offenbar als einer der heerführer, obersten bezeichnet werden, nicht als einer aus dem adel.

* Cap. 11 prout aetas cuique, prout nobilitas, prout decus bellorum, prout facundia est, audiuntur.

drückt nur die abstammung von einer vornehmen, reichen, weitberühmten und einflußreichen familie 1 aus. Germ. c.

8:

captivitate, quam longe impatientius feminarum suarum nomine timent, adeo ut efficacius obligentur animi civitatum quibus inter obsides puellae quoque nobiles imperantur. Vgl. dazu Hist. 4, 28: societate nobilissimis obsidum firmata. Es versteht sich von selbst, daß der staat, welcher geiseln gibt, sich nur dann um das leben derselben kümmert, wenn diese den einflußreichen familien angehören; diese werden ihren ganzen einfluß aufbieten, einen bruch des vertrags oder der gelobten treue zu verhindern, weil die rache des feindes ihre angehörigen treffen würde. Daß aber der adel vorwiegend oder ganz allein einen solchen einfluß gehabt habe, läßt sich in keiner weise annehmen. In gleichem sinne ist das wort nobilis noch an sehr vielen anderen auf Deutschland bezüglichen stellen gebraucht. 2 Es ist dies nicht mehr als natürlich, weil eben den Römern nobilis zunächst nur bekannt, ausgezeichnet, hervorragend, angesehen, vornehm bedeutet, einerlei ob diese eigenschaft auf abkunft, einflußreicher stellung, verdienst (tapferkeit, wissenschaft) oder lastern beruht 3;

1 So läßt sich auch aus Caesars' worten, B. G. 1, 2: „apud Helvetios longe nobilissimus et ditissimus fuit Orgetorix“, nicht folgern, daß Orgetorix von besserem adel gewesen sei als die übrigen edlen; er war nur der reichste und aus einer besonders alten, vornehmen familie. Uebrigens mögen die nobiles der Helvetier (Caesar 1, 2 coniurationem nobilitatis fecit) und der übrigen Gallen eine art wirklichen adels gewesen sein, da sie auch einen besonderen namen (equites, ritter) führen, und den staat allein regierten, laut Caesar 6, 13. Von den Aeduen heißt es bei Caesar 1, 31: omnem nobilitatem, omnem senatum, omnem equitatum amisisse: vgl. 6, 12; ferner von den Treviren 5, 3 : ne omnis nobilitatis discessu plebs propter imprudentiam laberetur.

2 Eine aufzählung derselben bei Waitz 1, 67.

3 Caesar 8, 45 vom Aeduen Surus: qui et virtutis et generis summam nobilitatem habebat. Quint. Cic. de pet. cons. 10 insignes

und in der nämlichen bedeutung gebrauchen die Franzosen das verwandte wort notable" noch jetzt. 1

In einem mehr technischen sinn, im gegensatz zu „homines novi“, hießen dann zu Rom auch noch solche leute homines nobiles", deren vorfahren einmal eines der höchsten staatsämter bekleidet hatten. 2 Ob sie von geburt Patricier oder Plebejer waren, machte dabei keinen unterschied, daher auch von plebeji nobiles die rede ist. 3 Einen mit vorrechten begabten geburtsstand machten aber zu Rom diese nobiles in keiner weise aus.

Nur in zwei stellen der Germania deutet das wort nobilis einen wirklichen standesunterschied an, da dem nobilis der ingenuus gegenübergestellt wird. Es ist zunächst c. 25: Liberti non multum supra servos sunt, raro aliquod momentum in domo, nunquam in civitate, exceptis dumtaxat iis gentibus quae regnantur. Ibi enim et super ingenuos et nobiles ascendunt: apud ceteros impares libertini 4

[ocr errors]

genere nequaquam sunt tam, quam vitiis nobiles. Cicero pro Flacco, c. 22 homines apud nos noti, inter suos nobiles (bei uns bekannt, in ihrem lande angesehen); in demselben sinn steht kurz vorher „viri boni gravesque homines", und zwar beides im gegensatz zu einem homo egens, sordidus, sine honore, sine existimatione, sine censu. Vellej. Paterc. 2, 117: Varus Quinctilius nobili magis quam illustri ortus familia; 2, 112: nobilior animo quam gente.

1 Daß zur zeit des alten Fränkischen reichs nobilis regelmäßig nur den angesehenen freien mann bezeichnete, lehren die von Waitz, 2, 247 n. 2 u. 4, 279 gesammelten stellen.

2 Die angabe Eichhorn's §. 14b note o, daß zu Tacitus zeiten „nobilis gar keine andere bedeutung zu Rom gehabt und Tacitus es ausschließlich in diesem sinn gebraucht habe, ist entschieden unrichtig. Auch die daraus gezogene folgerung, nämlich daß die in der Germania genannten nobiles die „erblichen" principes seien, ist ganz verfehlt, da ja die Römischen nobiles nicht die ämter ihrer vorfahren erbten. 3 Livius 22, 34.

* Gajus instit. 1, 11 definirt: libertini (sunt) qui ex justa servitute manu missi sunt. Sueton. Claudius c. 24: ignarus temporibus Appii

« PreviousContinue »