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zehnten abgeben, einen fremden in ihrer flur jagen lassen müssen, und sich mit keiner waffe öffentlich zeigen dürfen;

mit solchen würde der altdeutsche freistaat nicht haben bestehen können. Es waren vielmehr freie kriegsleute, denen waffenehre als das höchste galt, die sich an rechten und besitzthum gleich standen, die nur selbstgegebenen gesetzen, nur selbstgewählten obersten gehorchten, nur selbstbewilligte steuern zahlten, und die eher in den entgegengesetzten fehler allzustarker eigenwilligkeit und unbotmäßigkeit verfielen. Auch faßte die menge ihre beschlüsse nicht in den tag hinein; alle maßregeln wurden zuvor von den obersten der hundertschaften und dörfer berathen, der versammlung durch sie oder durch den könig, wo es einen solchen gab, bestimmte vorschläge gemacht, darüber verhandelt und schließlich abgestimmt. Daß nur oberste das recht gehabt hätten in der versammlung zu reden, nicht auch jeder freie, dem volk also lediglich ein verwerfungsrecht zugekommen sei 1, läßt sich aus den worten des Tacitus nicht folgern.

Es ist bereits s. 41 ausgeführt worden, daß es schon in alter zeit manche an zahl stärkere völker gegeben habe, welche zwar einen eigentlichen staat (civitas) bildeten, aber sich doch vermuthlich in mehrere große gaugemeinden schieden. Es fragt sich, wie hier die versammlungen beschaffen waren? Ich denke mir, daß jede große gaugemeinde für sich jährlich einmal oder wenn nöthig öfters versammlungen aller freien hielt, in welchen die vorsteher der hundertschaften und dörfer gewählt, gesetze beschlossen, rechtssachen entschieden wurden. Daneben bestand dann wohl eine allgemeine landesversammlung, wo nicht alle freien, sondern etwa gewählte abgeordnete aller bezirke (vielleicht deren vorsteher) erschienen (vgl. oben s. 43),

1 Wie in Sparta. vgl. M. Duncker, gesch. d. alterth. 3, 365.

und wobei die verhältnisse nach außen geordnet, und der kriegsausschuß gewählt wurde. Andere, wie Weiske 11 und v. Sybel 37 nehmen an, jeder volksstamm habe eine nationalversammlung (concilium) gehabt; zwischen dieser und den hundertschafts-dingen habe es kein mittelglied, keine gauversammlung gegeben; denn die großen gaue seien erst später gebildet worden. Hiernach würden also die Semnonen 100 zentversammlungen und außerdem nur noch eine nationalversammlung des ganzen volks gehabt haben. Allein es ist doch einleuchtender, daß diese nationalversammlung nicht eine riesenversammlung aller freien war, sondern eine aus vertretern bestehende, und daß die freien aus je 10 oder 12 hundertschaften zu besonderen gauversammlungen zusammenkamen.

Bereits anderwärts1 habe ich ausgeführt daß seit der herrschaft der Fränkischen könige große gauversammlungen aller freien nicht mehr bestanden haben, daß sich ihre fortdauer wenigstens mit nichts erweisen läßt. Ohne zweifel haben die könige, als sie die volksgewalt in ihren höchsten ausflüssen an sich brachten und grafen über die großen gaue setzten, diese republikanischen versammlungen ebenso wie auch die aus abgeordneten bestehenden landesversammlungen abgeschafft. Ein schwacher nachklang davon waren vielleicht noch die blos von zentgrafen und scheffen besuchten dinge der königlichen sendboten.

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Während wir uns nun, mit einigen einschränkungen, der namentlich von Waitz vertretenen ansicht anschließen,

1 Gau- und markverfassung 82 u. f.

2 Die meinung, daß die landtage der prälaten, ritter und städte oder gar die reichstage ein überrest davon seien, entbehrt ebensosehr alles grundes wie die vermuthung, daß das Englische parlament mit den alten volk versammlungen zusammenhänge. R. Pauli, bilder aus AltEngland. 66.

8 So that Karl der Große mit Sachsen.

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daß die gaue ihren ursprung alten volkseintheilungen verdanken und gemeinden mit besonderen versammlungen bildeten, so können wir uns, wie bereits angedeutet, nicht davon überzeugen, daß jeder große gau schon ursprünglich einen einzigen mann durch wahl an seine spitze gestellt habe. Zu dieser annahme hat gewiß vorzugsweise eine betrachtung späterer zustände geführt. Der graf, der zur zeit des Fränkischen reiches dem gaue vorstand, schien lediglich an die stelle der alten gauvorsteher getreten zu sein1; die von den königen getroffene änderung sollte nur darin bestanden haben, daß sie das wahlrecht der gaue aufhoben, und den grafen frei zu ernennen anfingen. Allein vollkommen ebenso gut können die grafen eine ganz neue schöpfung sein; sobald sich ein starkes königthum ausbildete, schuf sich dasselbe organe seines willens, setzte über ganze landschaften beamte deren händen alle wichtigen obrigkeitlichen gewalten anvertraut wurden. 3 Die nähere betrachtung lehrt, daß die befugnisse des grafen überall diejenigen des alten zentgrafen und gografen absorbiren; der graf allein hält die zent- oder goversammlungen ab, oder läßt sie durch seinen unterbeamten (missus) abhalten; er allein hat befehl über die bewaffnete macht; der zent- oder gograf ist zu einem niederen beamten herabgedrückt, der der bestätigung durch den königlichen grafen bedarf, und dem nur die besorgung der befehle des letzteren und der vorsitz in den kleinen gerichten obliegt.

1 Eichhorn, zeitschr. f. gesch. rechtsw. 1, 171. Waitz, 1, 49 und 2, 320.

2 Nach Eichhorn a. a. 0. soll dies wahrscheinlicherweise im 6. jahrh. eingetreten sein.

3 Dasselbe geschah in Alemannien und Baiern, deren herzoge sich in nichts als im namen von königen unterschieden. Merkel, lex Alam. s. 15 ist der ansicht, erst die Fränkischen könige hätten den Alamannischen centenarien grafen vorgesetzt.

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Gerade die ausstattung der königlichen grafen mit gewalten die ursprünglich offenbar den zent- und gografen zukamen, und die sich so wenig für einen einzigen mann schicken daß er stellvertretender boten bedarf, scheint ein nicht unverächtlicher beweisgrund für die spätere einsetzung des grafenamts zu sein. Eine wichtige bestätigung geben auch die Sachsen ab, weil diese bis auf Karl den Großen einen freistaat bildeten; gewählter vorsteher über große gaue wird bei ihnen nirgends gedacht, vielmehr geschieht ihrer zahlreichen vorsteher erwähnung. 3 Karl der Große nahm im j. 782 eine veränderung vor, die im Frankenland längst vollzogen war; er setzte grafen ein, und zwar nahm er dazu eingeborne Sachsen aus den edelsten geschlechtern, womit die kleinen gografen zu einer ähnlichen stellung herabsanken wie die Fränkischen zentgrafen.

1 Aehnlich hat sich schon früher Weiske, s. 64-66 erklärt. 2 Das nimmt auch Walter, rechtsgesch. §. 115 (1. ausg.) an. Waitz, 3, 113 u. 320, vertritt die entgegengesetzte meinung wenigstens nicht mit aller bestimmtheit.

3 Beda, 5, 11 habent satrapas plurimos.

4 Annales Lauresham. bei Pertz, script. 1, 32 constituit super eam (Saxoniam) ex nobilissimis Saxones genere comites.

Die heerführer und könige.

Die stelle Germ. 7: „könige nehmen sie nach der vornehmen geburt, heerführer 1 nach der tüchtigkeit an“, hat wie viele andere das schicksal gehabt regelmäßig misverstanden zu werden; auch wo es könige gab, meint man, habe das volk den oberbefehlshaber gewählt, der könig sei nicht der anführer des heers gewesen. 2 Dies ist aber sicher unrichtig 3, da ein königthum ohne befehl über die bewaffnete macht historisch nirgends nachzuweisen und an sich selbst undenkbar ist. Tacitus will, wie auch anderwärts wo er rex vel princeps, regi vel civitati, verbindet, die beiden bei den Germanen vorfindlichen verfassungsformen einander entgegensetzen. Eine wahl des heer

führers und nach keinen andern rücksichten als denen der persönlichen auszeichnung, kommt blos im freistaat vor, und auch hier nur bei eintretendem kriegsfall. Sagt dies Caesar, 6, 23 ausdrücklich, so folgt es nicht minder aus

"Herzog zu übersetzen ist nicht rathsam, weil man damit gewöhnlich den begriff einer ständigen und wohl auch erblichen würde verbindet, obgleich es noch im mittelalter nicht erbliche herzoge gab. 2 Rühs, 240 erblickt dagegen in den duces nur unteranführer, die das volk wählte, während er dem könig den oberbefehl zuschreibt.

3 Dies bemerken auch Grimm, R. A. 752 note und Eichhorn S. 14b note p.

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