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frühere meinung, erst die Fränkischen könige hätten ihr reich in gaue eingetheilt, indem sie eine anzahl zenten zu einem größeren ganzen verbanden und diesem einen grafen vorsetzten 1, und Karl der Große habe diese einrichtung auf Sachsen ausgedehnt 2, läßt sich fortan nicht mehr aufrecht erhalten. Gerade von den Sachsen steht es fest, daß sie vor ihrer unterwerfung durch Karl sich nicht nur in drei große abtheilungen, Westfalen, Engern und Ostfalen schieden, sondern auch noch in weitere größere gaugemeinden. So wie nun der zu Westfalen gerechnete Boroctragau, und die Ostfälischen gaue Bardengau und Hardagau gebiete ehemals selbständiger völker sind, so läßt sich dies auch von vielen andern vermuthen. 4 Als durchgehende regel freilich darf man es nicht hinstellen. Auch zu Caesars und Tacitus zeit gab es bereits größere volksstaaten, die sich wahrscheinlich in mehrere gaue abtheilten, ohne diese gaue damit zum völlig selbständigen staat werden zu lassen. So wie die 4 Helvetischen gaue eine civitas ausmachten, so bildeten auch die 100 gaue der

1 Weiske, 11, 26, 65, 69 u. 86; v. Maurer, einl. 59. Hierauf konnte allerdings die betrachtung führen, daß sich die gaueintheilung nicht blos in Deutschland, sondern auch in den übrigen provinzen des Frän kischen reichs, in der Lombardei, in Burgund, in Spanien, ja in Gallien findet. Allein sie erklärt sich hier aus der überfluthung und unterwerfung dieser Länder durch Germanische völker. Die Gallischen stadtgebiete ferner sind, wie Waitz, 2, 277-279 darthut, im ganzen genommen ebenfalls nichts anderes als die gebiete der alten Keltischen völkerschaften, deren zahl ja unendlich groß war.

2 Wenck, 2, 954 und die bei Waitz, 3, 320 angeführten.

3 z. b. werden bei der erzählung von Karls kriegszügen genannt : pagus Draigni an der Lippe, Huettagoe am zusammenfluß der Weser und Werne (Pertz, scr. 1, 167); Bardengoo, ibid. 16 u. 167; Wihmuodi, 37 u. 191; Hostinga, Rosoga, 307.

4 Eichhorn, zeitschr. f. gesch. rechtsw. 1, 171 u. staats- u. rechtsgesch. §. 83; besonders aber Waitz, 1, 48; 2. einl. XVI und s. 279: „Die Deutschen gaue stehen in einem unmittelbaren zusammenhang

Semnonen, die gaue der Frisen, Cherusken, Chauken1, Hermunduren eine staatliche einheit. Gemeinschaftliche abstammung, sprache, sitte und gemeinsamer götterdienst verhinderte die allzugroße vereinzelung. Die gaue genoßen einer weitgehenden selbständigkeit, aber sie waren der gemeinschaftlichen bundesbehörde, wohl einer aus abgeordneten aller gaue bestehenden gesammtvertretung untergeordnet. Um in beispielen zu reden, wir glauben daß die großen gaue (seelande) Frieslands, wie sie noch das mittelalter kannte, bereits im alterthum bestanden, aber wir bezweifeln daß sie damals völlig selbständige staaten waren; eine bundesverfassung wie sie sieben solcher seelande noch im mittelalter umschlang 2, ist in irgend einer weise gewiß schon im alterthum vorhanden gewesen. 3

mit der zertheilung der alten stämme in selbständige unter sich volksthümlich verschiedene gemeinden, welche früher als besondere staaten erschienen."

1 Die Chauken, Friesen und Bructern schieden sich aber noch einmal in zwei größere volksganze. Plinius, 4, 14 und 16, 1 : visae nobis Chaucorum gentes, quae majores minoresque appellantur. Tac. Ann. 11, 19 majores Chauci. Vellej. Paterc. 2, c. 106: Cauchorum nationes. vgl. Grimm, gesch. d. D. spr. 672 u. 676. Tac. Germ. cap.

34 majoribus minoribusque Frisiis vocabulum est ex modo virium; utraeque nationes etc. Die großen und kleinen Bructern erwähnen Ptolemäus und Strabo (Grimm, 531). Vellejus Paterculus 2, 105 redet auch von Cherusci gentes (wo das wort gentes keineswegs mit Lipsius getilgt werden darf).

2 Eichhorn, §. 285b u. 285 c. Walter (1. ausg.) §. 277.

3 Waitz, der dies bereits bd. 1, 56 u. 62 und 2, 279 in abrede stellte, gibt auch jetzt in bd. 3, 110 nur so viel zu, daß eine solche bundesverfassung im 8. jahrh. bereits bestanden haben möge. Unserer meinung günstig sind die worte Grimms, gesch. d. D. spr. 677 : „Die kleinen Friesen, Chauken und Bructerer wird man also für solche halten dürfen, die nach der ersten niederlassung des volks sich über einen fluß hinaus verbreiteten und, zwar noch im bund mit den großen, für sich selbst einen eigenen verein nach besonderer verfassung bildeten".

Auch die Hessen schieden sich nicht blos im mittelalter, sondern schon in ältester zeit in mehrere gaugemeinden, wie sich klar aus der angabe ergibt, die Bataven seien vordem eine „völkerschaft“ der Hessen, nicht also eine blose partei unter denselben gewesen. Tacit. Germ. 29: Chattorum quondam populus et seditione domestica in eas sedes transgressus. Histor. 4, 12: Batavi, donec trans Rhenum agebant, pars Chattorum, seditione domestica pulsi. Vielleicht war der Oberlahngau, welcher auch später zur provincia Hassiae gerechnet war, und in welchem ein Battenberg, Battenfeld und Battenhausen liegen, die von ihnen bewohnte landschaft. 1 Zu Mattium (Maden) aber werden sich die abgeordneten der 2 oder 3 gaugemeinden als bundesrath versammelt und religiöse feste begangen haben. Auch den gauen der Alamannen, den gauen der Baiern, der Langobarden, der Burgunden wird irgend eine verbindung nicht gemangelt haben. Man hat bei diesen volksnamen immer an wirkliche staatsverbindungen zu denken, die sich mit blosen bündnissen, wie sie Deutsche völker allerdings auch häufig mit einander eingingen 3, nicht auf eine linie stellen lassen. Den letzteren fehlte die dauernde organisation, die feste unterordnung unter eine gemeinsame vollzugsbehörde; sie waren höchstens

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1 Grimm, gesch. d. D. spr. 581 u. 584.

2 Wenn im j. 16 nach Christo der Römische feldherr Silius mit 30,000 fußsoldaten und 3000 reitern gegen die Chatten auszieht, so läßt dieses einen schluß zu auf die größe des volks. Grimm, gesch. d. D. spr. 572. Der einzige Hessengau kann dasselbe, zumal in den damaligen zeiten der uncultur, unmöglich gefaßt haben.

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Z.

b. Tac. Ann. 2, 45: Cherusci sociique eorum; vgl. Grimm, gesch. d. D. spr. 617. Auch mit den Sueven waren zu Caesars zeit verschiedene völkerschaften verbündet, standen unter ihrer anführerschaft. Caesar, 6, 10.

eidgenossenschaften wie die Schweizerische im mittelalter; aber sie erstarkten zuweilen mit der zeit zu wahren vereinigungen, was z. b. mit den Sachsen geschah. 1

1 Die nachricht Hucbalds, daß abgeordnete aller Sächsischen gaue jährlich zu Marklo an der Weser zusammengekommen seien, hält Waitz, 3, 114 nicht für sicher glaubwürdig. Es spricht für sie aber doch vielleicht das verbot Karl's v. j. 791 interdiximus ut omnes Saxones generaliter conventus publicos nec faciant, da es sich nur auf solche nationalversammlungen beziehen läßt.

Die volksversammlungen.

In Germ. c. 11 setzt Tacitus auseinander, in allen wichtigeren angelegenheiten habe dem gemeinen volk (plebs), nämlich allen freien männern (omnibus) das entscheidungsrecht zugestanden; sache der vorsteher sei es gewesen als ausschuß vorher darüber zu berathen, geringere geschäfte auch selbständig abzumachen. Zu diesem zweck sei man an bestimmten tagen zusammengekommen, und zwar, weil dies als besonders glückverheißende zeit1 gegolten habe, entweder bei neulicht oder vollmond. Daß bei jedem neulicht und jedem vollmond eine versammlung stattfand, und daß gar alle freien männer so oft zusammenkamen, ist nirgends ausdrücklich ausgesprochen. Ueberhaupt hat Tacitus zunächst noch keine bestimmte art von versammlungen im auge, sondern er schildert was ihnen allen, sowohl denjenigen der nation, als des gaus, der hundertschaft und der vorsteher allein, gemeinsam ist. Nichts hindert also anzunehmen, daß die hundertschaft

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1 Auch für schlachten. Caesar, 1, 50.

2 Wie v. Sybel 78, und weniger bestimmt auch Waitz, 1, 57 annehmen.

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3 Es würde dann statt cum aut incohatur luna aut impletur" heißen müssen et incohante et plena luna.

So auch Waitz, 1, 57 und v. Bethmann-Hollweg 27.

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