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Manche, wie Möser, Osnabr. gesch. 1, §. 5, Hanssen, in Falcks neuem staatsbürgerlichem magazin bd. 6, s. 8 haben die worte „arva per annos mutant" auf den wechsel zwischen den verschiedenen gemeinden bezogen; sie finden also darin die genauere angabe, daß dieser wechsel jährlich geschehe, als wenn es hieße et per annos quidem arva mutant." 1 Allein so genommen würde doch immerhin etwas schon gesagtes wiederholt werden, und zwar nachdem der gegenstand bereits verlassen ist; denn der satz „arva per annos mutant“ hängt mit dem vorhergehenden, namentlich dem „in vices occupantur" in keiner weise mehr zusammen. Vorzüglich aber spricht dagegen der gebrauch des wortes „arva", was bestimmt auf einen wechsel der fruchtgattungen oder des saatlands, nicht des ackerlands überhaupt, geht. Eine andere auslegung versucht Roscher 2; die stelle scheint ihm zu besagen, daß die Germanen eine strecke lands immer nur eine anzahl von jahren in bau genommen, nach erschöpfung des bodens in ganz andere noch unbenutzte striche weitergerückt seien, wie es noch jetzt bei den stämmen an der mittleren und untern Wolga und im südwestlichen Sibirien üblich sei. Allein per annos "läßt sich nicht „von zeit zu zeit“ übersetzen, sondern heißt: jährlich, jahr um jahr; und dann war Deutschland, wo nicht urwald sich über es lagerte, viel zu bevölkert, als daß ein solches völliges weiterziehen allgemeine sitte hätte sein können. Verwandt mit der zuletzt angegebenen erklärung ist eine andere, welche in den worten des Tacitus nicht eine wiederkehrende besitzergreifung des ackerlands durch die markgemeinde, und jedesmal auf's neue vorgenommene theilung angedeutet fin

Auch v. Sybel in Schmidt's zeitschr. 3, 308-311 versteht die worte in ziemlich ähnlicher weise.

2 Berichte über die verhandlungen der k. Sächsischen gesellschaft d. wissensch. zu Leipzig. 1858. s. 67.

det, sondern eine beschreibung der art, wie die Germanen fremdes land erobert und ein für allemal unter sich zu eigenthum vertheilt hätten. Diese ansicht wird vertreten von Weiske, 5, Waitz, 1, 28, Lappenberg, 570, Gemeiner, 12, Kritz, 67 u. a. m.; ich habe außer den oben vorgetragenen noch folgende gründe gegen dieselbe geltend zu machen. Vor allem hat sie den zusammenhang völlig gegen sich. Tacitus hat eben erzählt, daß das ausleihen von capitalien gegen zins und der zinswucher bei den Deutschen unbekannt sei; darauf geht er zur genauen schilderung der art und weise über, wie die Germanen ackerbau trieben. Da läßt sich doch nicht an die, eine ausnahme bildende eroberung von fremdem land denken; es hätte schon die angabe etwas sehr triviales, daß die gesammtheit die von ihr eroberte landstrecke unter die einzelnen miterobernden getheilt hätte; das wäre nicht eben eine auffallende Germanische sitte gewesen. Aber es erheben sich noch ganz andere schwierigkeiten. Vor allem müste doch erst erwiesen sein daß die agri fremde agri und nicht vielmehr die der gesammtheit bereits zustehenden waren; aus dem einzigen wort occupantur läßt sich dies doch unmöglich folgern; und warum wäre auch blos von einer eroberung von ackerland die rede, nicht auch von wäldern und weiden, welche doch den Germanen nicht weniger wichtig waren? Ferner ist mit dieser auslegung aber auch das in vices" völlig unvereinbar; Waitz, 1, 23 sieht sich deshalb genöthigt, gegen alle handschriften welche hier überhaupt in betracht kommen können „ab universis vicis" zu lesen; dies würde dann so viel sein wie ,ab omnibus vicis" (von sämmtlichen dörfern), freilich ein seltsamer ausdruck, weil man nicht einsieht, warum Tacitus die vici hervorhebt und nicht einfacher sagt ab universis“, oder ab universa gente. Und was heißt dann „pro numero cultorum?" man erobert doch nicht so daß man auf den kopf ausmißt wieviel man nehmen will; und warum

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nicht pro numero militum? Man zieht es daher gewöhnlich vor ab universis vicis zu übersetzen: von den ganzen dörfern, d. i. immer von einem ganzen dorf, nicht von einzelnen leuten. Aber abgesehen davon, ob dies sprachlich möglich erscheint, macht doch ein einzelnes dorf keine eroberung. Leidlicher schon ist es, die stelle auf neurodungen zu beziehen wodurch ein bis dahin ödes land nun ebenfalls bewohner erhielt, die den wald lichteten und das feld urbar machten."1 Allein auch hiergegen finden die meisten eben erhobenen gegengründe anwendung; Tacitus redet gerade von vorhandenem gerodetem ackerfeld, nicht von solchem land was erst zu ackerfeld umgewandelt werden soll. Was sollte dann auch die bemerkung, daß der raum der felder die vertheilung erleichtere? Sie hat bei einer einmaligen nicht wiederkehrenden theilung keinen sinn, da es sehr gleichgültig wäre, ob diese theilung einige schwierigkeiten böte oder nicht, während dies bei einer jährlichen neutheilung allerdings in's gewicht fällt. Waitz, 1, 28 anm. macht zwar noch geltend, das „mox partiuntur" bezeichne jedenfalls eine einmalige handlung, nicht etwas regelmäßig wiederkehrendes; und damit hat es seine volle richtigkeit, die theilung gesschah nur einmal nach jeder occupation; allein dagegen fand die occupation wiederkehrend statt, wenn man nur der handschriftlichen lesart in vices, und nicht der conjectur ab universis vicis folgt.

Gemeinsamer besitz von grund und boden muß eine der ursprünglichen einrichtungen der menschheit gewesen sein, da man sie bei so vielen völkern der verschiedenen welttheile antrifft, entweder noch vollständig erhalten, oder in deutlichen resten erkennbar, oder wenigstens in der sage überliefert. Sie gehörte zu dem ideal des goldenen zeit

1 Waitz, 1, 28.

alters, wie es sich die Römer dachten. Virgil, Landbau 1, 125-129:

Nie vor Jupiter bauten der ackerer hände das

fruchtfeld;

Auch nicht mal noch theilung durchschnitt die große gemeinheit:

Alle erwarben für alle zugleich; und die erde, da

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Auch die erde, zuvor wie luft und sonne ge

meinsam,

Zeichnete jetzt vorsichtig mit langer grenze der

messer.

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Bis auf späte zeiten aber wurde die erinnerung an diesen ursprünglichen gemeinbesitz, und die ursprüngliche gleichheit und freiheit aller menschen in dem fest der Saturnalien fortgepflanzt. Justin, 43, 1: Italiae cultores primi aborigines fuere : quorum rex Saturnus tantae iustitiae fuisse traditur, ut neque servierit sub illo quisquam, neque quicquam privatae rei habuerit: sed omnia communia et indivisa omnibus fuerint, veluti unum omnibus patrimonium esset. Ob cuius exempli memoriam cautum est, ut Saturnalibus, exaequato omnium iure, passim in conviviis servi cum dominis recumbant. Auch das von Mose den Israeliten vorgeschriebene jubeljahr (Mose 3, 25), in welchem

1 Ante Jovem nulli subigebant arva coloni;
Nec signare quidem aut partiri limite campum
Fas erat: in medium quaerebant; ipsaque tellus
Omnia liberius, nullo poscente, ferebat

2 Communemque prius, ceu lumina solis et auras,
Cautus humus longo signavit limite mensor.
vgl. Voss, Virgils ländl. ged. 3, erkl. s. 84.

alles verkaufte land wieder an seinen alten eigenthümer und dessen geschlecht zurückfallen sollte, ist eine erinnerung an längst vergangene zeiten.

Gänzliches fehlen des sondereigenthums an land kannte das alterthum aber auch noch bei vielen völkern Europa's als lebendig fortdauernden rechtszustand. Diodor von Sicilien berichtet von den Vaccäern, einem Hispanischen volk: „Am artigsten unter den ihnen nahe wohnenden völkern ist das system der Vakkäer; diese nämlich bauen ihr land, indem sie jedes jahr theilen, und von den gemeinschaftlich gewonnenen früchten geben sie jedem seinen antheil ab; und den ackerleuten, welche etwas entwenden, haben sie den tod zur strafe gesetzt." 1 Hiernach erhielt etwa jedes dorf jährlich ein neues stück ackerfeld, und bebaute dieses gemeinschaftlich. 2 Bei den Dalmatiern wurde das ackerland alle acht jahre von neuem getheilt. 3 - Von den Geten singt Horatius, carm. 3, 24: Besser leben die flächenbewohnenden Scythen, deren wagen nach gewohnheit unstäte häuser ziehen, und die rauhen Geten, denen die unabgemessenen jucharte freie früchte und getreide bringen, und ein mehr als jähriger anbau nicht behagt; und wer die arbeit verrichtet hat, findet erholung durch den, der ihn im gleichen loose ersetzt.“ 4 Bei den Geten

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1 Diodori Siculi 5, 34 (ed. J. Bekkeri, 1, s. 448): xaçıéótatov de tav πλησιοχώρων ἐθνῶν ἀὐτοῖς ἐστὶ τὸ τῶν Οὐακκαίων ὀνομαζομένων σύστημα. οὗτοι γὰρ καθ ̓ ἕκαστον ἔτος διαιρούμενοι τὴν χώραν γεωργοῦσι, καὶ τοὺς καρποὺς κοινοποιούμενοι μεταδιδόασιν ἑκάστῳ τὸ μέρος, καὶ τοῖς νοσφισαμένοις τι γεωργοῖς θάνατον τὸ πρόστιμον τεθείκασι.

2 Der diebstahl war hier staatsverbrechen.

3 Strabon 7, c. 5 : ἴδιον δὲ τῶν Δαλματέων τὸ διὰ ὀκταετηρίδος χώρας ἀναδασμον ποιεῖσθαι·

Campestres melius Scythae,

(Quorum plaustra vagas rite trahunt domos)

Viuunt, et rigidi Getae,

Immetata quibus iugera liberas

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