Page images
PDF
EPUB

Die obersten.

Der auslegung von Caesars und Tacitus' berichten über die altdeutsche verfassung ist von jeher in bedenklicher weise vorgegriffen worden durch eine ungenaue oder unrichtige übersetzung einzelner für die gesammtanschauung wichtigen bezeichnungen. Dahin gehört vor allen das wort princeps." Obgleich dasselbe weiter nichts als den ersten, obersten, vordersten meint 1, so pflegt man es doch fast allgemein mit „fürst“, oder gar mit „häuptling" wiederzugeben, ausdrücke, unter denen sich heutzutage niemand leicht einen auf kurze zeit gewählten volksbeamten mit ganz beschränkten befugnissen denkt, sondern vielmehr ein erbliches oder wenigstens lebenslängliches staatsoberhaupt, oder gar einen unumschränkten gebieter. 2 Gewiß hat man sich nach einem solchen Deutschen wort umzusehen, welchem eine ebenso allgemeine bedeutung wie dem worte princeps 3 zukommt, und das zugleich den befug

1 Gerade wie das Römische "magister", wovon „magistratus" abgeleitet ist, und das mittellateinische „major“, wovon „maire".

2 Fürst, ahd. fúristo, fursto, ist zwar wörtlich vorderster"; aber selbst im mittelalter hatte es niemals eine ganz allgemeine bedeutung; grafen und freie herren waren keine fürsten.

Daß princeps“ bei Caesar und Tacitus nicht übersetzung eines bestimmten Deutschen ausdrucks ist, folgt daraus, daß beide auch die

nissen, welche den principes beigelegt werden, entspricht. Als solches würde das noch jetzt in Deutschland gangbare vorsteher" gelten können; allein es scheint uns ein anderes, das kürzer und kräftiger lautet, den vorzug zu verdienen, das wort „oberster. Schon Möser, Osnabr. gesch. 1, §. 5 übersetzte magistratus ac principes bei Caesar 6, 22: „ihre obern und vorsteher", und in Luthers bibelübersetzung kommen „oberste" und richter des volks, „oberste" der gemeinde, der schule, mehrfach vor; z. b. Apostelgesch. 16, v. 19. Wenn auch heutzutage der ausdruck vorzugsweise in der beschränkung auf militärische befehlshaber gebraucht wird, so ist die allgemeinere bedeutung doch noch keineswegs erloschen, wie ja auch „obrigkeit“ jede art von regierungs- oder amtsgewalt bezeichnet.

gewählten vorsteher Gallischer und Britannischer staaten principes nennen, so wie Livius 10, 16 von principes Etruriae redet. Bei letzterem, 36, c. 11 und 27; 38, c. 8 heißen ferner die obersten des Aetolischen bundes principes Aetoliorum"; bei Caesar 6, c. 11 und 12 die führer von parteien „principes factionum." Folgende stellen beweisen, daß noch im 9. und 10. jahrh. „principes" zuweilen im sinne niederer vorsteher gebraucht wurde. Mit einem grafen des Linzgaus hatte der bischof und St. Galler abt Salomo einen streit. Er versammelte daher im j. 890 „ut futura posteris destrueret jurgia, omnes principes de tribus comitatibus, id est de Turgovve, de Lintzgovve, et de Rhaetia Curiensi, cum reliqua populorum multitudine. Der graf des Linzgaus war ebenfalls anwesend. Hierauf „primates" omnes de illis tribus collecti comitatibus, cum juramento et fide testificati sunt, se vidisse et bene nosse, quod etc. (Neugart, nr. 596). Comes cum judicio principum et aliorum populorum. j. 963 (Neugart, n. 749 der meint es sei wohl popularium [sc. judicum] zu lesen vgl. Stälin 1, 342). In beiden urkunden können unter den principes, primates nur die vorsteher, die zentgrafen, schöffen und allenfalls königliche vassen verstanden werden. Vgl. auch die von Waitz, 4, 277 angeführten Stellen : senatores plebis totiusque populi principes; seniores plebis populique principes. Aehnliches gilt von Form. Alsat. 2: coram N. comite juniore et multitudine procerum ac popularium.

[ocr errors]

Gleich zutreffend erscheint auch „hauptmann" 1, „ 1 ,ältester" 2,meister" 3, nur daß ihr gebrauch in Deutschland von jeher ein mehr landschaftlicher gewesen ist.

Den principes der alten Deutschen werden nun von Caesar und Tacitus folgende befugnisse und rechte zugeschrieben:

1. Recht zu sprechen, jedoch nur unter mitwirkung des volks.

2. Den geschlechtern und verwandtschaften wohnsitze und äcker wohl nach maßgabe eines volksbeschlusses

anzuweisen.

3. Wichtigere staatsangelegenheiten, über die das volk entscheiden soll, im voraus gemeinschaftlich zu berathen; minder wichtige aber kurzweg abzuthun.

4. Bei öffentlichen religionsgebräuchen neben den priestern thätig zu sein.

5. Im kriege zu befehligen, im frieden kriegerische jugend um sich zu sammeln.

1 So haben noch jetzt einige Oesterreichische provinzen ihren „landeshauptmann", auch in der Schweiz war dieser name sonst bekannt. Im kanton Appenzell heißt der vorsteher einer rhode oder nachbarschaft noch jetzt „hauptmann." (Blumer 1, 352, 376 und 295.)

2 Alt, Ags. eald, Latein. altus, stammt von alan, aljan, Latein. alere, und bedeutet also ursprünglich einen genährten, erwachsenen, in die höhe gerichteten, dann den hervorragenden, angesehenen, den vorsteher. Grimm, D. wörterb. Den Angelsachsen hieß sowohl der vorsteher des dorfs, als der hundertschaft, der grafschaft und der provinz „ealdor", „ealdorman." R. Schmid, gesetze der Angels. 2. ausg. s. 560.

[ocr errors]

3 Meister ist vermuthlich nicht ein aus dem Lateinischen (magister) entlehntes, sondern urdeutsches wort. In Sachsen hieß der dorfvorsteher burmeister", in Franken hier und da „dorfmeister“; die oberen beamten der mark führten meistens den namen „markmeister" oder „märkermeister“; vgl. gau- und markverfassung 37 und 139. Man gedenke auch der „bürgermeister", „zunftmeister."

6. In der volksversammlung den jüngling waffenfähig zu machen.

7. Die principes erhalten beden und geschenke. Germ. c. 15 „Die staaten haben den gebrauch freiwillig und mann für mann den obersten etwas an zugvieh oder früchten beizusteuern, was denn, als eine verehrung angenommen, auch dem bedürfnis zu hülfe kommt." Es lag also nicht im willen des einzelnen, den beitrag zu geben oder nicht; sondern wenn der staat, das volk, ihn bewilligt hatte, so musten alle, mann für mann, ihn entrichten. Ich erblicke in diesen abgaben den grefenhafer, beedhafer, die grefenbede u. s. w. der späteren zeit, die theils von jeder haushaltung (viritim), theils, nach ausbildung des privateigenthums, von jeder hufe entrichtet wurden. 2 Ebenso weisen urkunden aus allen ge

1

1 Davon war also niemand, kein vermeintlicher adel ausgenommen. 2 Die allgemeine abgabe der rauchhühner scheint mehr für die opfer berechnet gewesen zu sein. Die meisten weisthümer nennen hühner, nicht hähne. Zwar berichtet Adam von Bremen, daß von allen thieren das männliche geschlecht zum opfer geeignet gewesen sei (Grimm, myth. 32.) Allein könnte der hahn, ein ja in besonderen ehren gehaltener und daher auf stangen, bäume und kirchthürme gesteckter vogel (Grimm, 386), nicht eine ausnahme gemacht haben? Wirklich heißt es in dem im 11. oder 12. jahrhundert gedichteten Reinhard Fuchs, 74: zur hochzeitsfeier eines königs sollten die männchen aller vierfüßigen thiere und vögel geschlachtet werden; der hahn und gansert waren entflohen. Da man mit Grimm, myth. 32 hierin eine uralte opfersage zu erblicken hat, so wäre damit eine wichtige bestätigung obiger vermuthung geliefert. Dagegen steht mit ihr in widerspruch eine nachricht Dithmars von Merseburg über das ehemals von den Dänen alle 9 jahre zu Lederun auf Seeland gefeierte große opfer fest „ibi diis suismet 99 homines et totidem equos, cum canibus et gallis pro accipitribus oblatis, immolant." Hiernach wären also anstatt habichten hähne geopfert worden. (Grimm, myth. 29.) Die nachricht so verstanden scheint mir aber nicht recht zu passen. Der habicht oder weihe war ein heiliger vogel (Grimm, myth. 600 und gesch. der Deutsch. spr. 49-52), konnte daher schwerlich von menschen

genden Deutschlands aus, daß gemeinden und gerichte verpflichtet waren, dem gerichtsherrn, namentlich zu heerzügen in's ausland, einen säumer (lastthier) zu stellen, der jedoch der gemeinde wieder gehörte, wenn er lebend zurückkehrte. Es hindert nichts, diesen späteren gebrauch mit des Tacitus angaben in verbindung zu bringen. Daß die armenta nicht viritim gegeben wurden, liegt auf der hand; auch heißt es vel armentorum vel frugum.

Von beiden arten steuern läßt sich sagen, daß sie ,necessitatibus subveniunt"; der säumer dient zum vorhabenden kriegszug, der hafer zur unterhaltung der comites; und dennoch reichen sie hierzu nicht immer aus, erscheinen also mehr nur wie ein ehrengeschenk. 1

als opfer geschlachtet werden, hähne also auch nicht anstatt fehlender habichte. Rühs, 323, war der meinung, pro accipitribus heiße nicht »anstatt" sondern „für, zum besten der habichte", und ich halte diese von Grimm, 30, anm., zwar verworfene auslegung für die allein richtige, zumal die weisthümer (Grimm, weisth. 1, s. 1 und 658, c. 8. Zöpfl, alterthümer 1, 151) zeigen, daß noch viele jahrhunderte später die zum gericht mitgebrachten habichte ein huhn zum verspeisen erhielten. Und weil hier wiederum hühner nicht hähne genannt werden, so glaube ich, daß Dithmars angabe, es seien galli, nicht gallinae, geopfert worden, nicht sehr genau ist. Noch in neueren jahrhunderten wurde an manchen orten Ehstlands unter gewissen bäumen ein schwarzes huhn geopfert. Grimm, myth. 373. Vgl. auch daselbst s. 659 über die verschiedene bedeutung des erkrähens der henne und des hahns.

Das spätere mittelalter noch hatte dafür den namen „ehrschatz." Von der art, wie manche gelehrte der vorigen jahrhunderte den Tacitus auslegten, folgende heitere probe. Die fruges, welche laut Germ. c. 15 den principes abgegeben werden, meinten sie, könnten nichts anderes sein, als der von den hörigen" an den „adeligen gutsherrn" für die überlassung von land zu entrichtende „zehnte!" Der berühmte Lipsius erkannte auch sofort, daß die stelle durch nachlässigkeit der abschreiber verdorben sei, und fügte mit gelehrtem scharfblick vor conferre das wörtchen „decimam" ein. So war es außer allem zweifel, daß der zehnte zu den altgermanischen einrichtungen gehörte, und alles jetzt zehntpflichtige land ursprünglich dem zehntherrn eigenthümlich zustand. Und das blieb keineswegs eine unschuldige gelehrten-theorie; die canzleien des adels und der landesherrn haben sie zur

« PreviousContinue »