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dass dasselbe bezüglich der Gegenleistung im Augenblicke der Vorleistung auf den Vorleistenden übergeht; seine Sache ist es, bezüglich der Empfangnahme die Initiative zu ergreifen 1). Für das heutige Recht muss dagegen in Ermangelung besonderer Verabredung folgender Satz aufgestellt werden. Jeder Contrahent trägt das Perikulum in Beziehung auf das vom Gegner zu leistende Objekt, denn Jedem liegt bezüglich der Empfangnahme desselben die Initiative ob: auch die Gefahr ist also doppelseitig 2).

Bezüglich der datio in solutum lässt sich die Behauptung, dass den Empfänger die Initiative der Empfangnahme treffe, nicht ohne Weiteres aufstellen. Liegt dem Verkäufer in Beziehung auf den Preis diese Initiative nicht ob (vgl. H.G.B. Art. 325), so kann er auch nicht ohne Weiteres durch datio in s. in eine schlechtere Lage gebracht werden. Die dem Käufer bezüglich des Preises zugewiesene Initiative geht in Ermangelung besonderer Verabredung auch auf das Surrogat über; den Käufer trifft also bezüglich des Ersatzmittels die Gefahr so lange, bis er mit demselben diejenigen Erfüllungshandlungen vorgenommen hat, die ihm auch bei der Preiszahlung obgelegen hätten 3).

Aus diesen Andeutungen ergibt sich, dass zwischen Kauf, Tausch und Hingabe an Zahlungsstatt allerdings noch manchfache praktische Verschiedenheiten bestehen und auch fernerhin fortdauern werden 4).

1) L. 10 C. de condict. ob c. d. (4, 6); L. 5 §. 1 D. de praescr. verb. (19, 5). Widersprechend scheint L. 16 D. de cond. c. d. (12, 4). Der Widerspruch verschwindet, wenn man den Tod des Sklaven in die Zeit vor der Vorleistung verlegt; wäre Kauf vorhanden, so wäre auch schon in diesem Stadium, sofort nach der Verabredung, die Gefahr übergegangen. Für diese Erklärung kann auch auf den Wortlaut mortuus est Bezug genommen werden. Vgl. über sonstige Ansichten: Erxleben, die Condictiones II S. 386 fgg.

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2) Gehen daher beide Objecte durch Zufall unter, so ist die Obligation überhaupt erloschen.

3) Man braucht sich nur Papiergeld oder ausländische Münzen als solche Surrogate vorzustellen, um die Richtigkeit dieses Satzes sofort zu erkennen.

4) Am weitesten in der Identificirung von Kauf und Tausch geht wohl Endemann Handelsrecht §. 102 in Consequenz seiner Auffassung des Werths als des eigentlichen Verkehrsobjects.

Fünftes Kapitel.

Die Zweiseitigkeit des Kaufvertrags.

§. 164.

Der Kauf ist ein wesentlich zweiseitiges Verhältniss. Für den Naturalkauf ist dieser Satz ausser allem Zweifel, einseitiges Geben und Nehmen ist weder Verkauf noch Kauf. Nicht anders verhält es sich aber auch mit dem Consensualcontrakte. Derselbe ist kein bloser Vorvertrag, sondern der Kauf selbst mit hinausgeschobener Erfüllung (S. 82, 96). Auch er ist also nothwendig zweiseitig; gerade nur die Erfüllung kann hier möglicher Weise einen einseitigen Charakter annehmen 1).

Die hiermit vertretene Ansicht, welche die Zweiseitigkeit als wesentliches Moment des Vertrages selbst, nicht erst der Erfüllung auffasst, ist keineswegs allgemein anerkannt. Sehen wir dabei auch ab von der ebenso ungeschichtlichen als in sich widerspruchsvollen Auffassung, welche das juristische Synallagma im Kaufe überhaupt läugnet2), und von der nach de andern Seite hin extremen und ebenfalls schwer fassbaren Theorie, welche nur eine Obligation mit wechselseitigen Leistungen annimmt 3), so ist bekannt, dass Keller das Synallagma wesentlich in den Vollzug verlegt; die Verbindlichkeit jedes Theils ist zu leisten gegen Empfang der Gegenleistung; die letztere ist als solche gewissermassen gar nicht in obligatione, sondern in condicione 4). In der That ist also der Contrakt eigentlich nur die Summe von zwei symmetrischen

1) Vgl. Bd. I S. 540 fgg.

2) Dernburg, Compensation (2. Aufl.) §. 8, 10.

3) Liebe, Stipulation S. 248 fgg.

4) Keller, Jahrbuch des gemeinen Rechts Bd 4 S 337 fgg.; Pandekten §. 243. Die Nachfolger von Keller haben seine Lehre nicht tiefer begründet. Literatur bei Windscheid §. 321 A. 2.

Vorverträgen; besteht auch nur einer derselben zu Recht, so wird dadurch an dem thatsächlichen Resultate nichts geändert; das negotium claudicans verursacht daher im Wesentlichen keine Schwierigkeit ').

Es ist leicht einzusehen, dass für diese Ansicht die exceptio non adimpleti contractus, die doch quellenmässig bezeugt ist, völlig verloren geht. Sie zu retten, bezweckt die Theorie von Windscheid. Nach ihm 2) ist die richtige Formulirung nicht: jeder Contrahent ist nur verpflichtet zur Leistung gegen Gegenleistung; sondern: jeder Contrahent ist nur dann verpflichtet, seine Verbindlichkeit aus dem Vertrage zu erfüllen, wenn auch der andere Contrahent sie erfüllt. Im Uebrigen lehrt auch Windscheid, dass die Obligationen, welche ein zweiseitiger Vertrag erzeugt, nicht in der Weise von einander abhängig seien, dass die eine nicht ohne die andere bestehen oder entstehen 3) könnte; sondern jede erzeugte Obligation bestehe getrennt von der andern; nur könne keine der Parteien Erfüllung verlangen, ohne ihrerseits zu leisten, was sie versprochen hat. Lassen wir dabei das „Bestehen" ganz auf sich beruhen denn dass die eine Obligation ohne die andere bestehen kann, ist unbestreitbar

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und halten uns an das „Entstehen", so scheint mir nur zwischen zwei Möglichkeiten die Wahl vorzuliegen. Entweder man nimmt an, dass eine Gegenleistung auch ohne darauf gerichtete Obligation möglich ist; dann sind wir wieder bei der Keller'schen Theorie angelangt; oder man nimmt das Gegentheil an; dann ist absolut nicht einzusehen, woher gleichwohl die Gegenleistung kommen soll; und wir be

1) Vgl. Bd. I S. 569.

2) Pandekten §. 321.

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3) §. 93 A 1, §. 321. wenn eine solche Verbindlichkeit für die Gegenpartei entsteht, kann die nicht verbundene Partei Erfüllung derselben nicht verlangen, ohne ihrerseits das zu leisten, was sie wenn auch ungiltig versprochen hat." - Bei dem gegenseitigen Vertrage kann sehr wohl die Verpflichtung des einen Contrahenten ohne die des andern bestehen." Auch durch die Bezugnahme auf die,Absicht des Vertrages (§. 321 A. 23) ist nicht viel gedient. Die Absicht geht auf gegenseitige Verpflichtung; kann dieselbe rechtlich nicht erfüllt werden und sie tritt gleichwohl in Wirksamkeit, so sind wir wieder bei der Fiktion angelangt.

finden uns dann in Wahrheit vor einer Fiktion; die Obligation, die nicht entstanden ist, wird behandelt als wäre sie entstanden. Das Versprechen, obschon es keine Obligation erzeugt, wird behandelt, als ob es eine solche erzeugt hätte, denn es muss zum Zwecke der Erlangung der Gegenleistung erfüllt werden.

Wir unsererseits halten dagegen an der Auffassung fest, die schon im ersten Bande unter der Bezeichnung des „genetischen Synallagma" vorgetragen ist. Der Vertrag ist zweiseitig, mag er als Real- oder als Consensualgeschäft auftreten, nur mit dem Unterschied, dass im ersteren Falle die Leistungen, unbeschadet der Zweiseitigkeit, zeitlich auseinanderfallen können, während im zweiten Falle die Zweiseitigkeit zugleich nothwendig Gleichzeitigkeit der Entstehung in sich schliesst.

Gegenüber dieser Regel gibt es eine Reihe von Erscheinungen, die den Eindruck von Ausnahmen zu machen geeignet sind.

Zu diesen scheinbaren Ausnahmen rechne ich nicht:

1) die Offerte. Nach römischem Rechte ist sie ganz unverbindlich; nach Handelsrecht bindet sie zwar vorübergehend, aber eben nur als Offerte. Die Vorstellung eines nur nach einer Seite verpflichtenden Vertrages kann hier überhaupt nicht entstehen.

2) Der ungiltige Kaufvertrag kann gleichwohl gewisse einseitige Wirkungen hervorbringen. Allein dieselben sind gar nicht rechtsgeschäftlicher Art, sondern Wirkungen des Vertragsschlusses als eines Schaden erzeugenden Thatbestandes.

3) Auch der Vorvertrag gehört nicht hieher. Denn, soferne er einseitig ist und das Gleiche gilt auch von sonstigen einseitigen Verpflichtungen zum Kaufen oder Verkaufen -fehlt jeder Schein, als wäre er selbst schon ein wenn auch anomaler Kaufvertrag. Soferne aber die Möglichkeit eines zweiseitigen Vorvertrages überhaupt anerkannt wird, liegt ja die Gränzlinie gegenüber dem Hauptvertrage nothwendig in ganz anderen Punkten.

Es bleiben also nur die Fälle übrig, wo ein wirklicher, gegenwärtiger Kaufvertrag vorliegt, dessen Existenz aber gleichwohl keine oder keine gleichmässig zweiseitige ist. Diese Fälle, unter sich selbst ungleichartig, sind die Folgenden: 1) Das s. g. negotium claudicans,

2) der suspensiv bedingte Kauf auf Probe,

3) die emtio spei und die daran sich anschliessenden sonstigen Fälle des aleatorischen Kaufes 1).

Erster Abschnitt.

Das hinkende Geschäft.

§. 165.

Trotz seiner geringen praktischen Bedeutung bedarf das 8. g. hinkende Geschäft einer eingehenden Untersuchung; gerade durch dieselbe gelangt Begriff und Wesen der dem Kaufe innewohnenden Zweiseitigkeit zu besonders klarer Erkenntniss 2).

Vor Allem ist aber das Gebiet des negotium claudicans vorläufig gegen verwandte Gebiete abzugrenzen, um damit eine sichere Grundlage für die folgende Erörterung zu gewinnen.

1) Das hinkende Geschäft erzeugt, worüber kein Zweifel besteht, wenigstens einen einseitigen Anspruch auf Erfüllung. Darin liegt der Unterschied von dem schon im vorigen Paragraphen erwähnten Falle, wo der Kauf nur einen einseitigen Anspruch auf Entschädigung erzeugt. Ebenso

2) ergreift die Mangelhaftigkeit der einen Seite nicht auch die andere, im Gegensatze zur Anfechtbarkeit, deren Geltendmachung die Wirksamkeit des Geschäftes nach beiden Seiten hin zerstört. Auch wo ein Anfechtungs- oder Restitutionsgrund besteht, hat die eine Partei die Entscheidung über die Wirksamkeit des Geschäftes in Händen; dies ist also offenbar nicht der ausschlaggebende Punkt 3).

3) Die Eigenthümlichkeit des hinkenden Geschäftes beruht nicht auf der besonderen, sei es empirischen sei es juristischen

1) Der eigenthümliche Fall der L. 20 §. 2 D. locati (19, 2) bleibt einem späteren Zusammenhange vorbehalten.

2) Weder vom Standpunkte der Keller'schen noch der Dernburgischen Theorie macht das hinkende Geschäft besondere Schwierigkeiten. Vgl. Keller im Jahrbuch a. a. O. S. 353, 373, 385. Dernburg a. a. O. S 64 fgg.

3) Vgl. L. 13 §. 27, 28 D. de a. e. v. (19, 1).

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