Page images
PDF
EPUB

dieses Cod. beantwortet. Seine Mittheilungen bestätigen, dass auch dieser Cod. mit den übrigen mutili wesentlich übereinstimmt. Herr Prof. Rühl sagt von ihm: „er ist so vollständig als der vollständigste der mutili, und wol so alt, als der Abrinc. und hat das Eigenthümliche, dass vom Schreiber eine Menge von Lücken durch das Stehenlassen von freiem Raum angedeutet worden sind, wo unsere Ausgaben ruhig im Text fortschreiten." Auf diese Uebereinstimmung gestützt habe ich in bei weitem mehr Stellen die Lesarten der mutili aufgenommen, als dies schon Piderit gethan hatte. Wenn dies nicht consequent geschehen ist, so bestimmte mich dabei die Beobachtung, dass auch diese alten Handschriften, abgesehen von Fehlern, welche in der Flüchtigkeit und im Mangel an Verständniss von Seiten des Abschreibers oder in der Unleserlichkeit der Vorlage ihren Grund haben, auch von willkürlichen Abänderungen nicht frei sind. Namentlich aber ist ihre Autorität in Bezug auf Auslassungen gering. Conjecturen mochte ich nicht aufnehmen, ausser wo ihre Richtigkeit evident oder die vulgata so offenbar verderbt ist, dass, um einen annehmbaren Sinn zu gewinnen, eine Aenderung durchaus nöthig war.

Zu der sehr verdienstvollen Ausgabe von Soro f*) verhält sich die hier vorliegende wie dieser selbst zu seinen Vorgängern in der Bearbeitung dieser Ciceronischen Schrift. Eine Eigenthümlichkeit der Ausgabe von Sorof besteht in zahlreichen auf sorgfältiger Beobachtung beruhenden Bemerkungen über den Sprachgebrauch Cicero's. Von diesen habe ich da Gebrauch gemacht, wo sie mir für das genaue Verständniss der eben behandelten Stelle von Wichtigkeit schienen. Oefter hatte ich die Freude mich mit S. in der Auffassung einer Stelle in Uebereinstimmung zu finden und dadurch in der Ueberzeugung von der Richtigkeit meiner Ansicht bestärkt zu werden.

Im Bezug auf die grammatische Erklärung glaubte ich viele Hinweisungen auf grammatische Lehrbücher, wenn sich diese auf Dinge bezogen, die man bei Primanern als bekannt voraussetzen darf, streichen zu dürfen, und ich hätte dies noch häufiger gethan, wenn ich nicht gefürchtet hätte, nicht im Sinne mancher Leser zu handeln; auch wäre damit nicht viel Raum gespart worden. Im Uebrigen befand ich mich gerade über verschiedene grammatische Punkte mit Piderit's Erklärungen nicht in Einklang. Ueber einzelne dahin einschlagende Fragen habe ich mir Belehrung von den Herren Dir. Prof. Dr. Müller in Breslau, Oberbibliothekar Prof. Dr. v. Halm in München, Staats

*) M. Tullii Ciceronis de oratore libri tres. Erklärt von Dr. G. Sorof. 3 Bde. Berlin bei Weidmann 1875.

rath v. Neue in Stuttgart, meinem verehrten Lehrer, erbeten
und in freundlichster Weise erhalten.

Wünschenswerth für die Benutzung des Buchs und die
Brauchbarkeit desselben auch für weitere Studien schien mir
die Hinzufügung eines lexikalisch-grammatischen Index zu den
fleissigen erklärenden Indices Piderit's. Derselbe soll nicht
bloss auf den Inhalt der Anmerkungen, sondern auch auf die
Sprache Cicero's in diesen Büchern hinweisen. Das Urtheil
darüber, was in einen solchen gehöre, mag bei den Verschiednen
verschieden sein; es ist schwer darin das rechte Mass zwischen
dem Zuviel und dem Zuwenig zu treffen. Bei einzelnen Worten
sind alle Stellen, wo sich diese in de oratore überhaupt oder
in einem der Bücher finden, bei andern nur Beispiele für die
Gebrauchsweise angeführt.

Einige Druckfehler sind trotz aller Sorgfalt der Correctur
doch noch stehen geblieben; ich habe bemerkt p. 168 Z. 1
v. o. agnoscendo st. agna scendo; p. 351 Z. 6 v. o. Sulcipi
st. Sulpici; p. 352 Z. 7 v. o. ab turba st. ac turba; p. 395
Anm. Spalte 1. Z. 11 v. u. in der Translatio st. und der T.;
p. 413 Anm. Sp. 1. Z. 6 v. o. conversiones st. conversionis;
p. 429 Anm. Sp. 1. Z. 1 v. o. § 217 st. § 15.

Halle, im December 1877.

F. Th. Adler.

EINLEITUNG.

I.

deutung für

Cicero's wahre Grösse beruht nicht sowol auf seiner staats- § 1. männischen, als auf seiner schriftstellerischen Wirksam- Cicero's Bekeit. Denn so hoch wir auch gerechter Weise die Siege dette anschlagen müssen, die er in seiner politischen Laufbahn ratur von der ersten Ehrenstelle bis zur höchsten, dem Consulat, und bis zur glorreichen Bekämpfung der Catilinarischen Verschwörung erfochten hat, höher ist ohne allen Zweifel das glänzende und bleibende Verdienst zu stellen, das er sich um seines Volkes Sprache und Litteratur erwarb. Niemand wird es mit Recht bestreiten können, dass hauptsächlich durch ihn die römische Sprache und Prosalitteratur unter dem mächtigen Einfluss der Meisterwerke des griechischen Volkes aus der beschränkteren und unvollkommneren nationalen Gestalt zu der Vollendung erhoben ist, wie sie sowol der Weltherrschaft des römischen Volkes, als auch der besonderen culturhistorischen Bedeutung desselben allein entsprach1). Denn wie es nach dieser Seite hin überhaupt Roms providentielle welthistorische Bestimmung war, die griechische Geistesbildung in sich aufzunehmen und von ihrem Licht sich durchdringen zu lassen, gerade in dem Moment, als das griechische Volk sich ausgelebt hatte und darum nicht mehr im Stande war, Träger und Vermittler der allgemein menschlichen, wissenschaftlichen und künstlerischen Cultur zu bleiben: so ist es insbesondere Cicero gewesen, in dem diese lebensvolle Durchdringung des römischen nationalen Elements mit dem universalen griechischen in Form

1) Vellei. Paterc. I 17, 3 at oratio ac vis forensis perfectumque prosae eloquentiae decus, pace P. Crassi Scipionisque et Laeli et Gracchorum et Fanni et Servi Galbae dixerim, ita universa sub principe operis sui erupit Tullio, ut delectari ante eum paucissimis, mirari vero neminem possis, nisi aut ab illo visum aut qui illum viderit; II 66, 5. Plin.

CIC. DE ORAT.

hist. nat. VII 30 (31), 117 salve prí-
mus omnium parens patriae appel-
late, primus in toga triumphum
linguaeque lauream merite, et fa-
cundiae Latiarumque litterarum pa-
rens atque omnium triumphorum
laurea maior, quanto plus est in-
genii Romani terminos in tantum
promovisse quam imperii. Brut. 72,
253; 73, 254; 93, 321 ff.

1

und Inhalt auf der höchsten Spitze erscheint. Freilich war das griechische Geistesleben schon lange vor Cicero mit dem römischen in Berührung gekommen, von Livius Andronicus in der Mitte des 3. Jahrh. v. Chr., dem ersten, der griechische Litteratur auf römischen Boden verpflanzte, und den ihm nachfolgenden Schriftstellern bis zu der Epoche machenden Gesandtschaft der drei griechischen Philosophen in der Mitte des 2. Jahrh.2) und der späteren Verbreitung griechischer Bildung unter der römischen Aristokratie; gleichwol aber zeigt sich doch in Keinem ein so starkes und klares Bewustsein von der erwähnten Bedeutung der griechischen Litteratur für die lateinische, ein so unermüdetes und mit dem höchsten Erfolg gekröntes Streben, die fremden Geistesschätze aus Hellas nach Latium, wie in ein verhältnismässig noch gesundes Gefäss, zu übertragen, als eben in Cicero, in dem sich die Nachahmung der früheren Zeiten nun zur freien schöpferischen Nachbildung erhob. Sein Dichten und Trachten ist darauf gerichtet (und damit hängt zum Teil auch wol seine politische Stellung zu den Optimaten zusammen, die gerade umgekehrt wie in Athen in Rom als die Träger höherer Bildung betrachtet werden müssen), die römische Litteratur nicht nur zu einer ebenbürtigen Nebenbuhlerin der griechischen zu erheben, sondern durch die Vereinigung der Vorzüge beider in seines Volkes Sprache die griechische Litteratur noch zu überbieten. Daher sucht er nicht nur selbst in alle Gebiete griechischer und römischer Litteratur und Kunst einzudringen3), sondern dieses universale Wissen auch dem Römer zu vermitteln1), die Litteratur- und Kunstperioden beider Völker mit einander zu vergleichen und mit regem Wetteifer wo möglich

2) de or. II 37, 155; III 18, 68; Tusc. IV 3, 5; Gell. N. A. VI (VII) 14, 8; XVII 21, 46.

3) Tacit. dial. de orat. c. 30 notus est vobis utique Ciceronis liber qui Brutus inscribitur; in cuius extrema parte (nämlich von c. 89 bis 92) sua initia, suos gradus, suae eloquentiae velut quandam educationem refert: se apud Quintum Mucium ius civile didicisse, apud Philonem Academicum, apud Diodotum Stoicum omnes philosophiae partes penitus hausisse; neque his doctoribus contentum, quorum ei copia in urbe contigerat, Achaiam quoque et Asiam peragrasse, ut omnem omnium artium varietatem complecteretur. Itaque hercle in libris Ciceronis deprehendere licet

[ocr errors]

non geometriae, non musicae, non grammaticae, non denique ullius ingenuae artis scientiam ei defuisse. Ille dialecticae subtilitatem, ille moralis partis utilitatem, ille rerum motus causasque cognoverat. Quint. XII 10, 12.

4) de divin. II 1, 1 Quaerenti mihi multumque et diu cogitanti, quanam re possem prodesse quam plurimis, ne quando intermitterem consulere reipublicae, nulla maior occurrebat, quam si optimarum artium vias traderem meis civibus; quod compluribus iam libris me arbitror consecutum; und 2, 4 ff. Magnificum illud etiam Romanisque hominibus gloriosum, ut Graecis de philosophia litteris non egeant. Tusc. II 2, 5 ff; Acad. post. I 2, s.

den Griechen den Rang abzugewinnen"). In den ruhigeren, helleren Augenblicken seines viel bewegten Lebens erkennt auch Cicero selbst diese schriftstellerische Thätigkeit so sehr als seinen Hauptberuf, dass er alle die mannigfachen Stürme, die das Schifflein seines Lebens hin- und hergeworfen, als widrige Hemmnisse und Störungen seiner wissenschaftlichen Studien offen beklagt.

in Cicero's

Leben.

litterarischen

In keinem seiner schriftstellerischen Werke aber tritt so- § 2. wol dieses Bewustsein, als auch jenes universale, auf alle Perioden Gebiete der griechischen und römischen Litteratur und Kunst sich erstreckende Wissen in so glänzender Weise Periode seiner hervor, als in Cicero's vollendetster oratorischer Schrift, Thätigkeit. in seinen drei Büchern de oratore. Es lassen sich im Allgemeinen in Cicero's Leben drei Hauptperioden bestimmt unterscheiden: erstens die Periode der Vorbereitung Cicero's bis zu seinem ersten öffentlichen Auftreten in seinem 26. Lebensjahre (von 106-81 v. Chr.), zweitens die Periode seines öffentlichen Lebens und Wirkens (von 81-56 v. Chr.) und endlich drittens die Periode seiner litterarischen Musse, aus der er nur hin und wieder in das öffentliche Leben hervortritt (vom J. 56-43 v. Chr.). Die Bücher de oratore gehören dem Anfang der dritten Periode an, während die beiden anderen grösseren oratorischen Schriften Cicero's, die er selbst mit jenen unter der Gesamtbezeichnung oratorii libri zusammenfasst"), beinahe 10 Jahr später geschrieben, an den Schluss der Periode, in das Jahr 46 v. Chr. fallen. Bittere politische Erfahrungen und schmerzliche Demütigungen aller Art hatten ihm das Staatsleben fast ganz verleidet. Auf die Siegesfreude über die ruhmvolle Unterdrückung der Catilinarier war nur zu bald die für einen Mann wie Cicero unerträgliche Niederlage durch seinen heftigsten Feind, den berüchtigten Clodius gefolgt, und darauf eine Zeit (vom April 58 bis August 57), an den empfindlichsten Täuschungen und anderen Leiden überreich. Die Flucht aus Rom, die Zerstörung seines Hauses und der Verlust seines Vermögens hatten so niederdrückend auf ihn gewirkt, dass er mitunter des Lebens völlig überdrüssig ward'). Und wenn es auch nach den dunkeln Zeiten des Exils bald wieder heller wurde und Cicero über seine Gegner triumphierend im September 57

5) Brut. 73, 254 (Brutus zu Cicero:) magnifice te laudatum puto, quem non solum principem atque inventorem copiae dixerit (sc. Caesar), quae erat magna laus, sed etiam bene meritum de populi Romani nomine et dignitate. Quo enim uno vincebamur a victa Graecia, id aut (per te) ereptum illis est aut

certe nobis cum illis communicatum.
Plut. Cic. 4. Vgl. Tusc. I 1 ff. de
finib. I 3. Wie sehr, dabei freilich
Cic. die Römer überschätzt, ist be-
kannt genug (de or. I 4, 15).

6) de divin. II 1, 4.

7) wie aus den Briefen an Atticus aus dieser Zeit (III 8-10. 12. 14. 15-17. 19-21) deutlich hervorgeht.

« PreviousContinue »