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Seitens der Parteien durch die Presse. Nichts schien ihm offenbarer, als dass der allgemeinste Charakter der Bewegung von Unten gegen Oben noch ganz derselbe sei mit dem Wesen der französischen Revolution; ihr Ziel sei, vielleicht unbewusst, auch bei uns die Herrschaft der Mehrheit, das Recht des Stärkern, die Uebergewalt der Fäuste; ein Zustand, der auf einmal in die Wirklichkeit träte, wenn dem Streben der einen Partei gemäss allgemeines Stimmrecht eingeräumt würde.

Die Welt, meinte Hr. Roth, hat schon einmal das wunderbare Schauspiel gesehen, dass aus einer Art Weltliteratur, aus der Verbreitung einer allseitigen Bildung und den durch Geistesbildung gemilderten Sitten selbst unsägliche Barbarei unwiderstehlich hervorwuchs: die römische Welt war unter den Antoninen nicht minder gebildet in ihrer Art, als unsre heutige, und sie ist nicht durch den Einbruch roher Völker, sondern durch sich selbst in Barbarei versunken, als sie, überreich an Mitteln der Geistesbildung, das Vermögen einbüsste, diese Mittel zu gebrauchen. Er glaubte, dass unsere Regierungen vor allem Andern berufen seien, zu verhindern, dass die Barbarei herein breche, von welcher die Welt bedroht ist, wenn die Revolution ihr Ziel erreicht. So meinte er denn, ihre natürliche Stellung sei zwischen dem, was besteht, und dem, was werden will, so zwar, dass sie zuallererst, was mit ganz unzweifelhaftem Recht besteht, wie die Religion, das Königthum von Gottes Gnaden, die nationale Sprache und Sitte, um jeden Preis zu erhalten sich bemühten, was aber werden will, dann selbst förderten und schafften, wann sie quid possit oriri, quid non aus der eigenen Geschichte ihres Volks erkannt, und die wirklichen Bedürfnisse der Zeit sich deutlich gemacht hätten. Denn was das Volk in Wahrheit brauche und begehre, das lasse sich auch ermitteln, wenn man ernstlich suche. Aber den unberechtigten Forderungen müsse strenger Widerstand, dem Gerede und dem Einflusse der Parteien ernste Gleichgültigkeit entgegengestellt werden. Burke, Canning, Wellington waren ihm Muster solcher Staatslenker, welche, im Widerstehen wie im Nachgeben und Gewähren gleich gross und stark, unsrer Zeit gezeigt hätten, wie man erhaltend fortschreiten und im Fortschreiten erhalten solle. Aber die Gesetzgebung unsrer Zeit, obwohl auch sie manches Gute gebracht habe, lege zu geringen Werth auf das Einheimische, wie sich dieses nicht eben aus neuer noch nicht abgeschlossener Erfahrung, sondern aus der ganzen geschichtlichen Entwicklung des deutschen Volks erkennen lasse; es schade da unsere Bewunderung des Fremden, unsre Lust zur Nachahmung; und so sei uns auch die Meinung angekommen, als wäre die Theorie die rechte Quelle und die Grundlage neuer Staatsverfassungen. Alle lebendigen und wirklichen Verfassungen alter und neuer Zeit seien geworden, nicht gemacht worden, nicht wie Pallas in vollständiger Rüstung aus dem Haupte des Gottes hervorgesprungen, sondern in Theilen entstanden, aus unabweisbaren nationalen Bedürfnissen, vielfältig auch durch Feststellung alter, durch den Zeitgeist bedrohter Sitten hervorgegangen, und ebendadurch mit dem Sinne des Volkes nicht nur verwandt, sondern Eines gewesen. Viel Allgemeines in Deutschland, viel Eigenthümliches der deutschen Stämme und ihrer alten Rechte und Satzungen sei beim Falle des deutschen Reichs vorhanden gewesen, was der Erhaltung würdig als Grundlage eines neuen Aufbaues hätte dienen können. Im Gegensatze gegen diese seine Ansichten war's ihm merkwürdig, aus dem Munde des Verfertigers einer der neuen Verfassungen das Wort zu vernehmen: Das Volk müsse erst für diese Verfassung erzogen werden." Die neuen Verfassungen schienen ihm gegrabenen Teichen

Verhandlungen der XVI. Philologen-Versammlung.

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ähnlich, bei denen es nicht unmöglich aber auch ganz ungewiss sei, ob Quellen aus der Tiefe zu denselben heraufdringen und sie speisen würden.

Die Lust zu Neuerung und Umkehr des Bestehenden, meinte er, ist die Niederländer im sechszehnten, die Engländer im siebzehnten, auch die Nordamerikaner im achtzehnten Jahrhundert bei ernsten und strengen, uns aber in diesem Jahrhundert nach dem Vorgange der Franzosen bei schlaff gewordenen Sitten angekommen, so dass sich in die politische Bewegung unsrer Zeit viel mehr Unreines gemischt hat, als bei jenen uns verwandten Völkerschaften. Es sollte daher die Bewegung von Oben nach Unten zuallererst gegen das Anwachsen des schon gross gewordenen sittlichen Unfugs und auf Erhaltung der Reste deutscher Zucht und Sitte ausgehen. Statt dessen habe die Verwaltung, wie sie im Durchschnitt verfahre, denen, welche von unten auf Alles gleich machen wollten, von Oben her durch ihr Organisiren selbst gezeigt, wie es dem Scheine nach leicht sei, alle Eigenthümlichkeiten der Orte und Gegenden zu verwischen; die Centralisation lasse keiner Körperschaft ihre berechtigte Stellung zwischen dem Throne und dem Volke, und reize dadurch dieses selbst zu Verbindungen, die gegen die Regierung gerichtet seien; die Bureaukratie endlich, welche in ihrer Art ebenso nivellire, wie die Bewegungspartei in der ihrigen, wolle nicht selbstständige, nur folgsame Diener, unbekümmert darum, dass der Diener, je unselbständiger, desto bereiter ist, der Neuerung, welche ihn durch die Hoffnung einer verbesserten Lage reizt, sein Ohr zu leihen, und dem Gegner, wo dieser in der Oberhand ist, seine Dienste zu widmen. Auch die Bewegung von Oben nach Unten hielt Hr. Roth im Allgemeinen nicht für die rechte und heilsame. Aber er glaubte an den guten Willen der Regenten und vertraute vornehmlich der deutschen Gesinnung seines und unsers Königs; das Geschlecht der alten Schälke an den Spitzen der Verwaltungen, deren ironisches Handthieren im Amte er in mehr als einer Hauptstadt selbst geschaut hatte, glaubte er abgestorben; den Wahrheitssinn unsers Volkes fand er zwar geschwächt, aber nicht geschwunden; die geistigen Kräfte nirgends in der Welt so gross und so mannigfaltig, obwohl durch ihre Zerstreuung minder wirksam; und vor Allem hoffte er auf die unüberwindliche Macht des Christenthums.

Mein Bruder hatte die Altersstufe erreicht, von welcher Aristoteles (Rhet. II, 14) sagt, dass sie die vollständige Entfaltung des männlichen Geistes herbeiführe, als ihm dasjenige Amt zu Theile wurde, welches seinen Studien, wie seiner Neigung, ganz entsprach: er wurde im März des Jahres 1828 Präsident des Oberkonsistoriums in München. Als bei Erledigung der Stelle ihm der Wunsch aufstieg, dass sie ihm beschieden sein möchte, erinnerte er sich, dass der Vater ihn als etwa zwölfjährigen Knaben einst hier in die Stiftskirche mitgenommen hatte, die Probepredigten anzuhören, welche von Kandidaten abzulegen waren; dass ihm das Loos des Consistorialdirektors, welcher, auf einen Stock mit goldenem Knopfe gestützt, jedem der Kandidaten das Satis est zurufen durfte, über Alles beneidenswerth erschienen war; worauf der Vater gesagt hatte, so weit könne er's auch bringen, wenn er fleissig lerne, und noch weiter. Obwohl es aber in der Welt keinen Beruf gab, der ihm wünschenswerther gewesen wäre, erlaubte er sich keine Aeusserung des Verlangens, viel weniger einen Schritt zur Bewerbung. Der König Ludwig hatte selbst den Gedanken gefasst, diesen aber nicht ausgeführt, ohne zuvor die Meinungen bedeutender Personen eingeholt zu haben. Und es fehlte nicht an starkem Widerspruch von Solchen, die entweder einen andern ebenfalls verdienten

und energischen Mann wollten, oder auch gerade ihn seiner Eigenthümlichkeit wegen nicht wollten. Der Minister, unter welchem er bis dahin arbeitete, gab zur Antwort: Fr. Roth werde nicht unterlassen, der Regierung bei Gelegenheit sein attisches Salz in's Gesicht zu sprengen, erkannte aber seine vorragende Tüchtigkeit für die Stelle an. Als der König entschieden hatte, freuten sich Alle der Wahl, welche unsrer Kirche wohlwollten, selbst katholische Geistliche, ungeachtet Fr. Roth als strenger Protestant angesehen war. Am 13. März 1828 in die Residenz berufen, durfte er aus des Königs eigenem Munde seine Ernennung zum Präsidenten vernehmen, und der König selbst ermahnte ihn, sein Amt ohne irgend anderweitige Rücksicht nur nach bestem Wissen und Gewissen zu führen. ,,Was hälfe es dem Menschen," erwiederte er, wenn er die ganze Welt gewänne" - und der König unterbrach ihn, indem er hinzusetzte, „und nähme doch Schaden an seiner Seele."

Er trat in den neuen Beruf voll von Bewunderung der göttlichen Führung, deren eigenthümliche Wege er in ernstem Nachdenken oft betrachtet hatte. Denn auch aus der Geschichte hatte er, je tiefer er eindrang, desto lauter den Ruf zur Denuth vernommen; und von der Demuth aus, die er im eigenen Leben und in der Geschichte gelernt hatte, konnte er, zum reifen Manne geworden, ebenso zum Glauben aufwärts steigen, wie er dreissig Jahre vorher in jugendlicher Schwärmerei den Glauben tief unter sich gesehen hatte. Er hatte sich aber schon längere Zeit neben den andern philologischen und geschichtlichen Studien mit religiösem Stoffe viel beschäftigt, besonders mit Luthers Schriften, dann, als er in die nächste Verbindung mit F. H. Jakobi getreten war, mit Hamann; und der tägliche Umgang mit Jakobi förderte seine religiöse Stimmung, ungeachtet der edle Greis es selbst beklagte, dass er sich das Positivste im Christenthum nicht aneignen könne. Zu Luthers Werken hatte ihn zuerst der philologische Trieb hingeführt; er hob das Vollendetste in der Sprache, dasjenige, worin der Geist des Reformators sich am reinsten und schönsten kund gibt, hervor, woraus dann die Sammlung mit dem Titel Dr. Martin Luthers Weisheit entstand, welche 1816 zu Nürnberg im Drucke erschien. Bei Hamann reizte ihn zunächst dessen Auffassung griechischer Weisheit im Einklang mit der geoffenbarten Wahrheit, die Vereinigung antiken Sinnes mit dem christlichen. Wann ihm der Glaube an das einfache Bibelwort zum Herzensbedürfnisse geworden sei, wüsste ich nicht zu sagen; wohl aber ist gewiss, dass er nimmermehr gewagt haben würde, Vorsteher einer Kirche zu werden, deren Glaube nicht der seinige gewesen wäre. Er fand den Rationalismus im geistlichen Regiment und bis auf die niederste Stufe des Klerus, dann unter protestantischen Lehrern, Beamten und Bürgern so ganz vorwaltend, dass die Wenigen, welche dem Glauben unsrer Kirche treu blieben, selbst in den vorherrschend protestantischen Landestheilen als Sektirer missgeachtet, gedrückt, oft beinahe verfolgt wurden. Fr. Roth hielt sich nicht für befugt oder berufen, Andern seinen Glauben aufzunöthigen, und ein Bekenntniss mit dem Munde, ohne Ueberzeugung, erschien ihm schon in politischen, vielmehr in religiösen Dingen ganz verwerflich. Auch wollte er den Predigern nicht selbst predigen lassen: es ist, dachte er, das Wort sehr nahe bei dir in deinem Munde, und in deinem Herzen, dass du es thuest (Dav. 30, 14). Aber auf die heil. Schrift, die Symbole, die Heiligkeit des Berufes und des Amtsgelöbnisses, auf die Pflichten des geistlichen Vaters der Gemeinde, auf die Verbindlichkeit zur wissenschaftlichen Fortbildung wurde mit Ernst hingewiesen. Doch gerade diese Pflege des geistlichen Regiments reizte zu heftigem Widerstand und erbittertem

Angriffe. Denn was den Meisten mit einem gewissen Stolze ihr Rationalismus hiess, war nichts weniger als ein religiöses oder wissenschaftliches System, sondern vielmehr der Widerstand dessen, was die heil. Schrift das Fleisch nennt, gegen Alles, was im Christenthum dem Eigenwillen unbequem ist, zunächst gegen die Lehre von der Sündhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit des Menschen; da man denn, weil dergleichen aus der Bibel nicht zu streichen war, und darüber gepredigt werden musste, zu deuten und zu drehen und die Inspiration der Vernunft über die der heil. Schriften zu setzen, ja diese selbst als veraltet zu verdrängen sich bemühte. Es war natürlich, dass diese Art von Bekennern des Rationalismus ihren Widerstand nicht denjenigen Anforderungen entgegensetzte, deren gute Begründung und Billigkeit sie nicht leugnen konnten. Dagegen bekämpften sie die vornehmsten Dogmen unsrer Kirche mit allen Waffen, nicht des Scharfsinnes und der Wissenschaft, sondern mit Schmähungen und Lästerungen jeder Art gegen die Obern, denen sie Symbolatrie und despotisches Hinarbeiten auf Verfinsterung der Geister zur Last legten; besonders in einer 1831 begonnenen und bald verschwundenen Zeitschrift, welche der damals viel genannte Stifter der Lautirmethode herausgab. Fr. Roth hat niemals etwas gethan, sich gegen diese oder andere Angriffe zu vertheidigen oder dieselben abzuschneiden. Aber das erkannte er, dass es seine Aufgabe sei, dafür zu sorgen, dass ein anderes wissenschaftliches und gläubiges Geschlecht von Geistlichen

* Unter Andrem sollten hiezu zwei Anstalten dienen, beide im Jahr 1833 gemacht, einmal das Ephorat für die Studierenden der Theologie in Erlangen, und zweitens die Einrichtung, dass immer vier (jetzt sieben) Kandidaten des Predigtamts, welche ihre theologischen Studien absolvirt haben, in München unter den Augen des Oberkonsistoriums durch weitere vorzugsweise praktische Studien sich für ihren Beruf noch ferner ausbilden sollten. Das Ephorat in Erlangen hat nur fünfzehn Jahre bestanden. Folgende Stelle aus einem Briefe Fr. Roths an den Ephorus, Prof. Dr. Höfling in Erlangen vom 15. Septbr. 1833 zeigt, welcherlei Bildung er als nothwendig für den Geistlichen ansah.

Noch vielmehr aber würde ich mir von einer anderen Wirksamkeit versprechen, zu welcher ich Sie und die Repetenten auffordern möchte. An den meisten, auch den besseren Prüfungsarbeiten liessen mich vielerlei Wahrnehmungen auf eine nur geringe Bekanntschaft mit der klassischen Literatur schliessen. Ich bedauerte das, ohne mich darüber zu verwundern, da ich weiss, wie mancherlei Irrthum und Wahn von diesem Studium abkehrt, dem überdiess häufig eine Richtung gegeben wird, deren Unfruchtbarkeit abschrecken kann. Niemand ist entfernter als ich von dem Wunsche, dass unsere jungen Theologen sich in die sogenannte Alterthumswissenschaft, in die vermeintlich selbstständige Philologie vertiefen möchten. Nicht einmal denen würde ich diess wünschen, die sich zugleich auf das Schulamt vorbereiten. Eine vertraute, fruchtbare Bekanntschaft mit den hohen Geisteswerken des klassischen Alterthums ist von jener weitläufigen, gelehrten Ausrüstung nicht nur unabhängig, sondern gedeiht oft besser bei Entbehrung derselben. Dass ich eine solche Bekanntschaft, mit Einem Autor wenigstens, allen unseren Theologen, und zwar als die beste Zugabe zu ihrem Fachstudium herzlich wünsche, das gestehe ich offen. Ich wünsche sie ihnen hauptsächlich als ein Schutzmittel gegen die unabwendbaren Eindrücke der neuesten Literatur. Hat man durch Eindringen, welches anhaltender Betrachtung immer gelingt, an jenen Werken eine vollendete Form, sowie einen reichen Gehalt einmal kennen gelernt, so ist es unmöglich, durch Geringeres, das ein Tag um den andern bringt, so schimmernd es auch sein mag, hingerissen und verführt zu werden. Je erschütterter heutzutage die alten Autoritäten, je zudringlicher die anmasslichen neuen sind, desto ernster ist an die Jünglinge, damit sie nicht in die schmählichste Knechtschaft gerathen, die Aufforderung zum Selbstdenken. Von diesem aber sagt ein grosser Kenner, „dass man es aus den Alten mehr lerne; dazu trägt ihre Manier beim Untersuchen viel bei, und sollten auch in alten Philosophen weniger Sachen sein als in neuen. Bei diesen sind es meist nur die Resultate, welche uns interessiren; bei Griechen und Römern aber ist der Gang der Untersuchung weit lehrreicher. Und hierin zeigt sich die Ueberlegenheit der Alten am deutlichsten. (F. A. Wolf, Leipzig, Lit. Zeitg. Int.-Bl. Nr. 18 d. J.) Zudem steht Pindar und Sophocles, selbst Homer und Virgil dem Christenthum nicht so ferne, als hochge

nachwüchse; und ungeachtet seine eigenthümliche amtliche Stellung ihm keinen unmittelbaren Einfluss auf Schule und Universität zuliess, ist ihm und gleichgesinnten Freunden, unter denen Niethammer ihm am nächsten stand, dieses in der Weise gelungen, dass das geistliche Amt kaum anderswo mit solcher Redlichkeit und Treue gepflegt wird, als in der baierischen protestantischen Kirche.

Hatte Fr. Roth im eigenen Lager heftigen Widerstand gegen das Wirken in seinem Berufe gefunden, so war der Kampf, den er, nicht mit der katholischen Kirche, sondern mit einer Partei aus derselben zu führen hatte, noch peinlicher und schwerer. Nicht blos, dass die Reformation und die Person unsers Kirchenvaters, das Wesen und die Richtung unsrer Kirche in Zeitschriften und Monographieen mit Hohn und giftiger Lästerung überschüttet wurde derjenige Minister selbst, dem auch das Oberkonsistorium untergeordnet war, übte vom Jahr 1838 an einen in konstitutionellen Staaten unerhörten Druck auf unsre Kirche, besonders dadurch, dass die Bildung neuer protestantischer Gemeinden auch da, wo das Bedürfniss durch Zahlen nachgewiesen, und wo die Mittel durch äusserste Anstrengung kirchlichgesinnter Protestanten aufgebracht und flüssig waren, in jeder Weise erschwert, Kollekten zur Aufbringung der Mittel als Eingriffe in die Prärogativen der Krone behandelt, die Anerbietungen des Gustav-Adolph-Vereines anzunehmen verboten, die Fürsorge der geistlichen Oberbehörde feierte neuere Dichter sich ihm gestellt haben, und die Pflicht gegen die Obrigkeit wird in dem Krito erbaulicher gelehrt, als in Predigten, die neuerlich zu Weimar und Leipzig gehalten wurden. Ich breche ab, wiewohl ich eine Hauptsache, den Vortrag, der von den Alten zu lernen ist, gar nicht berührt habe. Genug, hoffe ich, um den oben ausgesprochenen Wunsch zu rechtfertigen, dem auch so grosse Namen, wie Melanchton, Calvin, Grotius das Wort reden. So eingenommen bin ich jedoch von der eingestandenen Vorliebe nicht, dass ich Antreiben zum Lesen der Klassiker begehrte. Nur wo Empfänglichkeit und Neigung ist, wünsche ich diese aufgemuntert und gepflegt. Ich müsste mich sehr irren, wenn nicht bei der Mehrzahl jene Empfänglichkeit vorausgesetzt werden dürfte, die oft nur der Gelegenheit und Anregung entbehrt. Wo sie aber sich nicht findet, da ist gewöhnlich doch Geschick und Neigung entweder zur Naturkunde oder zur Mathematik, oder zur Geschichte. Auch das verdient Aufmunterung, obgleich diese Studien dem künftigen Diener des Wortes minder förderlich zu sein scheinen, als die Philologie. Allein davon abgesehen, werden diese eben so gut das leisten, was nach meiner Ansicht noch schätzbarer als der unmittelbare Nutzen ist: die Kräfte und Triebe zu beschäftigen und zu befriedigen, die, indem sie Abwechslung und Erholung von dem Beruf-Studium suchen, leicht auf das Niedrige und Schädliche verfallen, wenn sie nicht von dem Bessern angezogen werden. Diess ist die wichtigste Rücksicht, in welcher ich jedem unserer jungen Theologen ein Nebenfach und in demselben Aufmunterung und Anleitung wünsche. Eine Wirksamkeit in diesem Sinne, mittelbar oder unmittelbar von den Repetenten ausgeübt, wird zuverlässig die Aufsicht auf das Sittliche ungemein erleichtern. Doch ist mir eine andere Betrachtung beinahe gleich wichtig, die auf denselben Wunsch führt. Einst war die protestantische Geistlichkeit, zwar nicht so ausschliessend und darum auch nicht so herrisch, als weit früher die katholische, jedoch sehr überwiegend, Inhaberin und Bewahrerin aller Wissenschaft und Gelehrsamkeit, die in der philosophischen Fakultät vorgestellt ist. Seitdem der Wahn von allgemeiner Nützlichkeit der Theilung der Arbeit und Scheidung der Fächer auch in das Reich der Wissenschaft eingedrungen, und seitdem den sprechendsten Erfahrungen zuwider geglaubt worden ist, jedes Fach, jedes Geschäft fordere für sich allein seinen Mann, hat jener Besitz der Geistlichkeit, zu grossem Schaden der Kirche, wie des Gemeinwesens, fast aufgehört. Nur in England dauert er noch fort (so dass z. B. der jetzige Erzbischof von Dublin kürzlich die staatswirthschaftlichen Vorlesungen hat drucken lassen, die er als Professor zu Oxford gehalten), und ist dort eine der grossen Stützen wie der Kirche so des Staates. Bei uns war jene nachtheilige Veränderung eine Hauptursache und ein Vorwand des heillosen Begehrens einer sogenannten Emanzipation der Schule, dem jetzt noch zu viel entgegen steht, in Bayern wenigstens, als dass man fürchten müsste, ihm zu unterliegen, das aber in die Länge mit sicherem Erfolge nicht anders bekämpft werden kann, als durch eine Bildung der Geistlichkeit, die ihr den alten Platz an der Spitze der allgemeinen Bildung wieder anweist.

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