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den germanistischen Strömung der Zeit bald allgemein geschehen

dürfte.

Sollte jedoch der Verfasser in jenem romanistischen Rigorismus in der That zu streng verfahren seyn, so liegt die Compensation wiederum eben in seiner oben erwähnten eigenthümlichen Richtung auf die römische Rechtsdialektik. Denn wie verkommen auch die historischen und ethischen Grundlagen des classischen römischen Rechts, die Staatsinstitutionen, das Vormundschafts- und Creditrecht, die sittlichen Zustände, das Strafrecht und vollends das Internationalrecht des sinkenden römischen Kaiserreichs uns mit Recht erscheinen mögen, über allen diesen Rechtstheilen steht doch noch immer die meisterhafte Logit der classischen Juristen, jene Rechtsmathematik, die in den Seminarien der Rechtslehrer und Respondenten erzogen, in der reichen Rechtslitteratur gesammelt und vor Allem durch die antike Einheit praktischer Theorie und wissenschaftlicher Praxis getragen, ein Bruchstück altrömischer Geistesgröße darstellt, mächtig genug, um noch in dem trümmerhaften byzantinischen Excerpt dem mittelalterlichen wie dem heutigen Recht als Muster zu dienen.

Unsere Zeit und unsere Nation bedarf des juristischen Idealismus um so dringender, je mehr auch in der Rechtswissenschaft der Subjektivismus der Methode und Construktion, wie in dem Rechtsleben der Gegenwart die Richtung auf die materiellen Interessen vorherrschend wird. Die romanistische Rechtswissenschaft ist aber nicht nur eine Zierde und ein Sammelplatz der Culturvölker, die Universalität, die Einfachheit, Klarheit und Consequenz ihrer Rechtsgedanken erhebt sie zum Correktiv gegen die Ausschreitungen des modernen Rechtsgeistes, zu einer Schule und Zucht des juristischen Denkens, in welche uns noch mehr als bisher zu vertiefen Noth thut, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, längst Veraltetes und Abgestorbenes als geltendes Recht zu behandeln oder in der Construktion

und Methode einer wüsten Willkür zu verfallen. Mögen die vereinten Forschungen der romanistischen und germanistischen Rechtsdoctrin im Geist der historischen Rechtsschule, möge die Erstreckung der Competenz des Reichstags über das gesammte bürgerliche Recht die Verdrängung des römischen Rechtsstoffs bis zum gänzlichen Stoffwechsel herbeiführen, die exemplarische Bedeutung der römischen Rechtsdialektik wird darunter nur gewinnen. Der beengenden Rücksichten auf die praktische Brauchbarkeit überhoben, kann sie sich um so freier entwickeln und nur mit der juristischen Bildung und Wissenschaft überhaupt könnte sie untergehen.

Puchta's Pandekten haben zum Bruch der Buchstabenherrschaft, zur Belebung und Verjüngung des wissenschaftlichen Geistes auf dem romanistischen Rechtsgebiet in der Rechtslehre wie der Rechtsanwendung nicht wenig beigetragen; es ist vorauszusehen, daß ihnen noch eine fernere Wirksamkeit beschieden ist.

Um zu diesem fortwirkenden Einfluß beizutragen, so weit dieses durch die Nachträge eines Andern überhaupt möglich ist, sind in der vorliegenden Ausgabe die hervorragendsten Ergebnisse der fortschreitenden Rechtslitteratur berücksichtigt, welche in den seit dem Erscheinen der zehnten Auflage im Jahre 1866 verflossenen Zeitraum fallen. Außer einigen allgemeinen Construktionen des Systems gehören dahin mehrere werthvolle Monographieen, nicht zu gedenken der mancherlei Erzeugnisse, durch welche die kleine Litteratur ihre Thätigkeit in gewohnter Weise bekundet hat. Eine besonders erfreuliche Erscheinung, welche von deutscher Seite eine entsprechende Erwiederung verdient, bietet die Thatsache dar, daß die Italiener, wie unter andern Serafini's rasch fortschreitendes Archivio giuridico bezeugt, neuerdings angefangen haben, die Ergebnisse unserer Litteratur mit großer Aufmerksamkeit zu verfolgen.

Vorrede zur zwölften Auflage.

Ist die Herausgabe einer fremden Arbeit immer ein schwieriges Unternehmen, so gilt dieß doppelt in dem Fall, wo ein zweiter Herausgeber den ersten ablösen soll, nachdem dieser durch langjährige Einwirkung auf das ursprüngliche Werk dessen Charakter unwillkürlich und nicht unwesentlich modificirt hat. Principielle Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden über die eigentliche Aufgabe des Bearbeiters werden da kaum ausbleiben, und doch verbietet es sich von selbst, in rücksichtsloser Weise gegen die Gestalt, die das Buch inzwischen gewonnen hat, vorzugehen. Man sieht sich nothgedrungen auf die schlüpfrige Bahn des Compromisses verwiesen. Um so unerläßlicher ist es, die Regeln anzugeben, von denen man sich dabei hat leiten lassen.

Hier mußte zunächst der Grundsag maßgebend sein, das von dem Verfasser selbst herrührende unverkürzt und unverändert zu erhalten; auch von Zusäßen sind zu dem Tert in der gegenwärtigen Auflage nur ganz vereinzelte und kurze Einschaltungen hinzugekommen, die Rudorff'schen Erweiterungen desselben sind dagegen meist unverändert geblieben. Dann kam es darauf an, die Noten nicht den Tert überwuchern zu lassen, wie das für ein Lehrbuch dringend geboten erscheint. Deshalb sind die nicht selten umfangreichen blos historischen Excurse, die Rudorff in seinen Anmerkungen gegeben, namentlich da weggeschnitten worden, wo sie nicht zu unmittelbarer Erläuterung des von Puchta Gesagten dienten. Ferner mußten die mehr oder minder kritisch gehaltenen Referate Rudorff's über einzelne litterärische Erzeugnisse schwinden, die zudem mit der ganzen Anlage des Werkes nicht recht harmoniren wollten. Endlich ist die Polemik Rudorff's gegen Puchta aus gleicher Rücksicht überall getilgt, wo nicht wirklich

die communis opinio sich gegen Puchta entschieden hat, und dafür eine rein referirende Angabe des Dissenses und der Dissentienten sub

stituirt. So ist trop der Hinzufügung zahlreicher, aber freilich nur ausgewählter, Litteraturnotizen, und mannigfacher, jedoch möglichst knapp gehaltener, ergänzender und erläuternder Zusäße der Umfang der neuen Auflage im Vergleich zur elften nicht gewachsen. Jede subjective Polemik gegen den Verfasser oder auch gegen Rudorff wurde dabei selbstverständlich vermieden, ebenso sind die Hinweisungen auf die moderne Praris nicht vermehrt. Der wesentliche Werth des Puchta'schen Werkes besteht in der logisch-systematischen Durcharbeitung des rein Römischen Rechts, dem gegenüber das Anknüpfen an die heutige Praris nothwendig unvermittelt uud fremdartig sich ausnimmt.

In äußerlich redactioneller Beziehung handelte es sich vor Allem um Herstellung eines correcten Tertes. Es mußte zu dem Ende bei der allmålig eingerissenen Verderbniß durch massenhafte und oft sinnstörende Druckfehler auf die vierte Auflage von 1848 zurückgegangen werden, der legten, auf die noch Puchta selbst im Einzelnen nachbessernd eingewirkt haben mag; sie ist die erste von Rudorff besorgte. Sämmtliche Quellencitate sind revidirt, auch die zahlreichen und häufig verdruckten Litteraturangaben in den Rudorff'schen Noten, so viel möglich, nachgeschlagen. Für absolute Genauigkeit kann ich hier jedoch nicht einstehen. Mühe und Arbeit ist dabei nicht gespart; auch die Correctheit des Druckes dürfte befriedigen. — Für die äußere Erkennbarkeit der Autorschaft ist gesorgt. Rudorff's Zusäße stehen in runden Klammern mit der Sigle R. am Schluß. Soweit eine Ueberarbeitung derselben meinerseits Statt gefunden hat, ist zu dem R. ein S. hinzugesetzt. Meine eigenen Hinzufügungen sind durch eckige Klammern eingeschlossen.

Sehe ich recht, so dürfte von allen Lehrbüchern des Römischen

Rechts, die jest gang und gäbe sind, das Puchta'sche noch die bedeutendste Zukunft haben. Ist erst das in Aussicht genommene Deutsche Civilgesetzbuch ins Leben getreten, so werden die Vorlesungen über Pandekten sich mehr und mehr auf das rein Römische Recht beschränken, einen mehr propädeutisch in die Technik des Rechts einführenden Character annehmen, und eben diesen Character weist neben seinen sonstigen Vorzügen als Lehrbuch am vollkommensten das Puchta’sche Buch auf. Es wird dann auch an der Zeit sein, die späteren Ansäße an den echten Kern unbarmherziger zu streichen, als es hier vorläufig geschehen ist.

Königsberg, den 30. December 1876.

Dr. Schirmer.

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