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also das römische Recht als adoptirtes keine geringere Wirksamkeit als das eingeborne; diese Gleichheit, wie sie durch die freie Reception be= günstigt worden war, trug hinwieder dazu bey, jenem die Eigenschaft eines fremden Rechts zu nehmen). Gegenüber dem particulären Recht einzelner Länder, Provinzen, Orte, hat es allerdings nur die subsidiäre Anwendbarkeit, welche das Sprichwort ausdrückt: Stadtrecht bricht Landrecht, Landrecht bricht gemein Recht, aber dies gilt von jedem ge= meinen Recht, auch von dem einheimischen), auch hat der Geist des römischen Rechts an der Ausbildung der particulären Rechte keinen geringeren Antheil, als die einheimisch deutschen Rechtsanschauungen. §. 6 a.

Das Gewohnheitsrecht, dessen im §. 6 als eines Bestandtheils des heutigen römischen Rechts gedacht worden ist, hat zu Erkenntnißquellen vornehmlich 1) Urkunden über die wirkliche Rechtsanwendung, in wel= cher die volksmäßige Rechtsüberzeugung sichtbar wird: Rechtsbeleh= rungen, Gutachten, Urtheile (consilia, responsa, decisiones etc.), namentlich solche, die von angesehenen Collegien (Juristenfacultäten und Gerichtshöfen) ausgegangen und von denen auch Sammlungen angelegt und herausgegeben worden sind (Noten e, f), 2) aber auch die wissenschaftlichen Arbeiten selbst, besonders der Juristen, deren Werke eine allgemeine Anerkennung gefunden und als Reflere der herrschenden Ansichten gegolten haben, der s. g. bewährten Rechtsgelehrten. Ein solches Ansehen genoß im Mittelalter die Glosse des Accursius, dann

umgestalten. Diese können nur in Verbindung mit dem leßtern ihre befriedigende Behandlung finden. R.)

c) (Aus dieser völligen Gleichstellung folgt, daß „im Zweifel“ von einer „Vermuthung" weder für den römischen, noch den deutschen Rechtssaß die Rede sein kann, mithin die Collision beider nach denselben wissenschaftlichen Prinzipien zu unterscheiden ist, welche bei Rechtsfäßen gleichen Ursprungs maßgebend sein würden. Die fundata in iure intentio, auf welche manche Romanisten (z. B. v. Wächter, gem. Recht Deutschlands S. 186–204, Windscheid §. 2 n. 2) noch heute Gewicht legen, ist ein' längst antiquirter Rest der kammergerichtlichen Beweistheorie von 1495, nach welcher die deutschen Rechtsgewohnheiten allegirt, geprüft und bewiesen werden mußten. Vgl. besonders Beseler, System des gem. deutschen Privatrechts II. 1866 §. 8. 9., der mit Recht erinnert, daß in dieser rein wissenschaftlichen Frage nicht mit Proceßpräsumtionen zu operiren ist. R.)

d) Vgl. Reichs-Hofraths-Ordnung von 1654 Tit. 1. §. 15: Präsident und Reichshof-Räthe sollen — zuvorderst Unsere Römisch-kaiserliche Wahlcapitulation, Reichsabschied, Religion und Profan-Frieden, und den jüngsten Münster und Osnabrückischen Friedenschluß, nach Ausweisung des 17. Art. §. 1 und 2, wie auch jedes Stands, Lands, Orts und Gerichts sonderlich die gebührliche allegirte und probirte Privilegia, gute Ordnung und Gewohnheiten, und im Mangel derselben die Kaiserliche Rechten, und rechtmäßige Observationes und Gebräuch in acht nehmen.

Bartolus mit vielen seiner Zeitgenossen im 14. und 15. Jahrhundert, später die s. g. Praktiker des 16. und 17. Jahrhunderts (ältere Praktiker)), und viele des achtzehnten). Man versteht in diesem Sinn

e) Unter Anderen: Andr. Gaill, pract. observationum ad proc. cam. imp. libri II, zuerst 1580. Joach. Mynsinger, consiliorum decades sex, zuerst 1576. – Singulares observ. camerales, zuerst 1576. Ant. Faber, codex definitionum forens. et rerum in Sabaud, senatu tract. zuerst 1606. (,,codex fabrianus"). Herm. Vulteius, consilia s. responsa facultatis iurid. in acad. Marpurg. IV. vol. 1611 ff. Matth. Berlich, conclusionum practicabilium secundum ordinem D. Augusti liber, zuerst 1614 ff. 4 Thle., Decisiones 1625. 1660, 3 Thle. Bened. Carpzov, iurisprudentia forensis romano-saxonica sec. ord. const. D. Aug., zuerst 1638, - Responsorum libri sex, zuerst 1642, - Decisionum saxon. tres partes, zuerst 1646 ff. Dav. Mevius, decisiones Wismariensis tribunalis, zuerst 1664 ff. Ferd. Chr. Harpprecht, consilia iuridica tubingensia 1695 ff., 7 Bde. Nic. Chr. de Lynker, consilia s. responsa 1704 ff. 2 Bde. Jo. Balth, a Wernher, selectae observationes forenses, zuerst 1710 ff.

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f) J. H. Böhmer, consultationes et decisiones 1733 ff., 3 Bde. Fr. Es. a Pufendorf, observ. iuris universi, quibus praecipue res iudicatae summi tribunalis (Cellensis) continentur, zuerst 1744 ss., 4 Bde. D. G. Strube, rechtliche Bedenken, Hannov. 1761 ff. u. öfter. 5 Thle. (Systematisch geordnet von E. Spangenberg 1827 ff.) C. F. Hommel, rhapsodia quaestionum in foro obvenientium, neque tamen legibus decisarum 1765 f., 1782 f. 7 Bde. J. A. G. Kind, quaestiones forenses observ. ac praesertim decisionib. saxon. supremi provoc. tribun. illustratae, zuerst 1792 ff. 4 Thle. (F. v. Bülow und) Th. Hagemann, prakt. Erörterungen mit Urtheilssprüchen des Zelle’schen Tribunals und der übrigen Gerichtshöfe bestärkt 1798 ff. 7 Bde. Achter Band von Spangenberg 1829. G. H. v. Berg, jurist. Beobachtungen und Rechtsfälle, größtentheils in der götting. Juristenfac. und in der k. Justizkanzley zu Hannover gesammelt 1802 ff. 4 Thle. Ein, jedoch sehr unvollständiges Repertorium über die früheren Werke ist J. C. C. Schröter, repertor. iuris consultatorium in praecipuas decisiones et reponsa etc. 1793. 1799, 2 Bde.

Sammlungen mit ausführlicheren oder kürzeren Ausführungen aus dem gegenwärtigen Jahrhundert, unter anderen: die schon im vorigen begonnene Collectio notab. decis. supremi trib. appell. hasso-casselani 1768–1821, 17 Theile (13— 17 auch unter dem Titel: Neue Sammlung bemerkenswerther Entscheid. d. O. A. G. zu Gaffel, herausg. v. B. W. Pfeiffer 1818—21); ihr schließt sich an B. W. Pfeiffer, prakt. Ausführungen aus allen Theilen der Rechtswiss. Mit Erkenntnissen des O. A. G. zu Cassel 1825-41, 6 Bde. 7. Bdz. 2. Abth. 1846, und: Neue Sammlung bemerfenswerther Entscheid. z., herausgegeben unter Aufsicht des Justizmin., von F. Strippelmann. 1842 ff. 8 Thle. [Supplem.-Bd. 1854.] C. A. Gottschalk, sel. disc. for. capita. Additae sunt decis. sax. supr. prov. tribun. 1816 ff. 3 Thle. (G. A. Ackermann, Rechtsfäße aus Erkenntnissen des k. O. A. G. zu Dresden [bis 1872, 22. Bd., der zweiten neuen Folge sechster Band]. C. F. Tafel, auserlesene Civilrechtssprüche der höheren Gerichtsstellen in Würtemberg. 1835–1866. 6 Bde. R.) —- Waldek, Controversenentscheidungen des gem. O. A. G. des Herz. Braunschweig 2. 1. Thl. 1827. — W. v. d. Nahmer, Samml. der merkwürd. Entscheid. d. herzogl. nassauischen D. A. G. 1824 ff., fortgesezt von Chr. Flach 1842 ff. — (v. Nettelbladt, Rechtssprüche des D. A. G. zu Parchim 1837-1839. 6 Bde. R.) — Erkenntnisse und Entscheidungsgründe des O. A. G. zu Lübeck in hamburg. Rechtssachen 1843-1866.

unter Praktikern die juristischen Schriftsteller, welche das Recht in unmittelbarster Beziehung auf die Anwendung behandelten, deren Untersuchungen durch Rechtsfälle veranlaßt sind, und die dann auch ihre Resultate durch die wirkliche Anwendung belegten; ein Umstand, der hinwieder ihren Ansichten einen bedeutenden Einfluß auf die Praxis sichern mußte. Hülfsmittel für die Kenntniß dieser Praxis sind Handbücher, welche dieselbe entweder vorzugsweise zum Gegenstand habens), oder wenigstens eine fortwährende Rücksicht darauf nehmen. Nur sind ihre Angaben häufig unzuverlässig, indem sie nicht selten eine gemeine Praxis ohne hinreichenden Grund behaupten, während die wirkliche Anwendung entweder überhaupt schwankend und unentschieden ist, oder nur sehr particulär, etwa in einem einzelnen Land vorkommt.

Oppositionen.
§. 7.

Das römische Recht hat seinen Weg in Deutschland nicht ohne mancherley Anfechtung gemacht, die zum Theil durch mangelhafte Auffassung und Behandlung desselben von Seiten seiner Anhänger selbst hervorgerufen worden ist. Die wichtigsten dieser Oppositionen sind die von dem Standpunkt der besonderen Nationalität aus erhobenen. In den ersten Jahrhunderten wurde der Kampf gegen seinen Inhalt für das hergebrachte deutsche Recht geführt"), später richtete er sich vorzugsweise gegen die Form eines unbequem eingerichteten, ungleich abgefaßten, manche Widersprüche in sich schließenden, in fremder Zunge sprechenden Gesetzbuchs, zu Gunsten eines neuen von uns selbst zu verfassenden, in dem man sich übrigens eine materielle Herrschaft der

4 Bde. (Desgleichen in Frankfurter Rechtssachen, herausgegeben von J. J. Römer. 1854-1867. 7 Bde. Samml. von Entscheidungen in Rostockischen Rechtsfällen. 1849-1861. 2. Aufl. 1862. C. Arends, Samml. interessanter Erkenntnisse aus dem gem. und bayer'schen Civilr. und Civilprozesse 1843-1858. 5 Bde. — Ein höchst brauchbares Repertorium für die heutige Praris ist: J. A. Seuffert's Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten 1847 ff. (bis 1862 15 Bde., fortgesetzt von A. F. W. Preusser. Bis 1875 Bd. 16—30.) R. S.)

g) Jo. Schilter, exerc. ad pand. (praxis iuris romani) zuerst 1675 ff. Sam. Stryk, usus modernus pandectarum, zuerst 1690 ff. (Neuere Handbücher in dieser Richtung sind: C. F. Sintenis, das praktische gemeine Eivilrecht 1. Bd. 1844. 2. Bd. 1845. 1847. 3. Bd. 1851. 2 Aufl. 1861. In Form eines Eraminatoriums mit Uebersicht der Controversen, nach dem Institutionensystem: R. v. Holzschuher, Theorie und Casuistik des gemeinen Civilrechts. 3 Bde 1843-1854. 3. Aufl. von Kunße 1963-1864. R.)

a) Eichhorn, deutsche Staats- und Rechtsgeschichte §. 444.

römischen Rechtsbestimmungen wohl hätte gefallen lassen"), endlich ist daneben die nationelldeutsche Opposition wieder aufgetreten, welche mit der ältesten die Richtung auf den Inhalt gemein hat, aber nicht wie diese für ein bestehendes hergebrachtes Recht, sondern für eine zu fünftige, nach Abstreifung römischer Bildung zu erwartende germanische Entwickelung kämpfte). Das römische Recht ist aus dem ersten dieser Kämpfe siegreich hervorgegangen, es hat sich ergeben, daß der zweite sein Wesen gar nicht berührte, der dritte wird die Macht, die seinem Geist beschieden ist, schwerlich zu verringern im Stande seyn “).

Resultat.
§. 8.

Die Wichtigkeit des römischen Rechts für unsere rechtlichen Zustände ist von seiner Geltung als recipirtes Recht, wovon bisher die Rede war, unabhängig. Jene gefeßliche Autorität des Corpus Juris

b) Dieser formellen Richtung, welche namentlich auch bey den Gesetzgebern der Mitte des vorigen Jahrhunderts Anklang gefunden (vgl. Cocceji, Project des corporis iuris fridericiani Th. 2. Vorrede. Kreittmayr, Anmerk. über den cod. max. bavar. civil. I. 2, 9), gehört auch die Schrift von Thibaut: über die Nothwendigkeit des allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland 1814 an, mit ihren zahlreichen Geschwistern und Nachkommen.

c) Vgl. Bluntschli, die neuen Rechtsschulen der deutschen Juristen 1841. S. 30 -52. (Neueste Versuche: Dr. Karl Adolf Schmidt (in Rostock), der principielle Unterschied zwischen dem römischen und germanischen Recht I. (einziger Band) 1853 und desselben Reception des R. R. in Deutschland 1868. Nach der Ansicht des Vfs. beider Schriften soll die Subjectivität des römischen Rechts die objectiv sittliche Rechtsordnung zerstört haben, dem Volke durch Gewalt und Eigennuß aufgedrungen sein u.s. w. Er übersieht die humanistische, religiöse und sittliche Bewegung im Volke, welche dem römischen Recht entgegen kam (Stinging, Gesch. der populären Literatur 1867, S. XXI ff.), den Culturfortschritt und die Befreiung aus dem hierarchischen Druck und dem rohen mittelalterlichen Volksrecht, welchen es anbahnte, die sittlichen Grundgedanken, welche es enthält (z. B. L. 10 §. 1. D. de iust. et iure (1, 1) L. 15 D. de cond. inst. (28, 7); Jhering, Geist des röm. Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung 3 Bde., zweite Auflage 1866–71, der dritte noch unvollendet), die ausgebildete Technik der römischen Juristen, und vergißt, daß das heutige römische Recht durchaus von dem modernen Rechtsgeist des neuern Europa durchzogen ist. Eine Gegenschrift ist: F. v. Hahn, die materielle Uebereinstimmung der römischen und germanischen Rechtsprincipien. 1856. Vgl. auch Röder, Grundgedanken des röm. und germ. Rechts. 1855. R.)

d) (Es verdient betont zu werden, daß gerade von den um den Aufschwung der neuern germanistischen Studien verdientesten Schriftstellern eine tiefere und gerechtere Würdigung des röm. Rechts vertreten wird, vgl. z. B. Gerber, deutsches Privatrecht, 10. Aufl. 1870, Beseler, System des gem. deutschen Privatrechts, 2. Aufl. 1866. §. 8. 9. Jm Handelsrecht fehlt es selbst an entschieden romanistischen Färbungen nicht. R.)

civilis könnte abgeschafft werden, und sie ist wirklich in mehreren deutschen Ländern beseitigt worden, ohne die Bedeutung des römischen Rechts wesentlich zu verringern. Denn diese liegt vorzugsweise in dem unermeßlichen Einfluß, den es auf unser (gleichviel in welcher Form) geltendes Recht geübt hat, und eben so auf dessen künftige Fortbildung üben muß, sie liegt in der rechtlichen Gemeinschaft aller deutschen Länder, die sich thatsächlich an das römische Recht mehr und sicherer als an ein anderes Element unseres Rechts anknüpft, endlich in dem rechtlichen Verkehr zwischen allen gebildeten Nationen, dessen Grundlage die aus jenem stammenden Rechtsbegriffe sind oder zu werden allein vermögen.

System des heutigen römischen Rechts.

§. 9.

Es giebt keinen Theil unseres gegenwärtigen Rechts, der sich dem Einfluß des römischen völlig entzogen hätte, vor allem aber ist es unser Privatrecht, dessen Stoff und Gestaltung sich größtentheils auf dieses Element unseres Rechts zurückführt. Das heutige gemeine Privatrecht nun, soweit es auf römischem Recht, reinem oder durch neuere Rechtsquellen modificirtem, beruht, ist der Gegenstand der Vorträge, für welche der Name Pandekten hergebracht ist, und die systematische Darstellung desselben somit auch die Aufgabe dieses Lehrbuchs. Je mehr bey dieser Darstellung der Gedanke, daß es sich um gemeines deutsches, ja um ein die nationalen Schranken überschreitendes Recht handelt, festgehalten wird, desto völliger wird sie ihrer Aufgabe entsprechen, desto sicherer wird sie sich davor bewahren, das Wesentliche und Dauernde gegen das Zufällige und Vergängliche zurückzusehen.

§. 9a.

Die Darstellung des heutigen römischen Rechts im Ganzen, also abgesehen von der Behandlung einzelner Abschnitte und Fragen, hat sich seit dem Wiedererwachen der Jurisprudenz in verschiedenen Formen. bewegt, in verschiedenen Richtungen versucht.

Zuerst war die eregetische Methode, d. h. die äußere Anschließung an die Form, Gedankenfolge und Ordnung der geschriebenen Quellen die vorherrschende. In dieser Form wurden die Vorlesungen gehalten, und die vornehmsten Schriften geschrieben. So sind die Glossen der ersten unter den modernen Juristen (Glossatoren), im 12. und bis in das 13. Jahrhundert herein, eine fortlaufende Exegese der einzelnen Stellen des Corpus Juris, auch die Commentarien der auf jene

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