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geschieht dieß auf das einseitige Vorbringen des Impetranten, der Jmpetrat ist nicht gehört, die Wahrheit der Thatsachen nicht untersucht. Es ist daher unter der sich von selbst verstehenden Vorausseßung ertheilt: si preces veritate nitantur. Der Impetrat kann mithin auf Untersuchung der Thatsachen antragen, dieß geschieht durch die Einrede der unrichtigen Darstellung derselben von Seiten des Impetranten: praescriptio mendacii, und der Richter hat ihr Raum zu geben, auch wenn ihm das Rescript unverweilte Execution auftrüges). Wird die Einrede gegründet befunden, so verliert der Impetrant jeden Vortheil aus dem Rescript"). Die Unwahrheit ist aber auf doppelte Art möglich: durch Angabe falscher Thatsachen (subreptio) und durch Unterdrückung wahrer (obreptio). Unsere Juristen streiten nun über die Beweislast bey der praescriptio mendacii, und es finden sich darüber zwey Hauptmeinungen: 1) der Beweis liege stets dem Impetraten ob, weil er der Excipient sey); 2) der Impetrat habe die exceptio obreptionis, nicht aber die exceptio subreptionis zu beweisen*). Die richtige Ansicht ist: in Beziehung auf die Thatsachen, von denen die Entscheidung des Streits abhängt, bestimmt sich das onus probandi wie sonst, das Rescript ändert hierin nichts, weil es eben jene stillschweigende Bedingung enthält. Was der Impetrant bey dem Anbringen der Sache auf dem gewöhnlichen Weg hätte beweisen müssen, das muß er auch jetzt beweisen1).

§. 15.

Das gesetzliche Recht ist im vorzüglichen Sinn ein geschriebenes, indem die Schrift ein Erforderniß seiner Entstehung ist. Daher sind Urkunden seine vornehmste Erkenntnißquelle, obwohl nicht die einzige, da möglicherweise auch die Uebung von seiner Existenz zeugen kann, wie es auf der anderen Seite auch geschriebenes (aufgezeichnetes) Recht giebt, welches kein gesetzliches ist), daher denn auch die folgenden

f) L. 7 C. de divers. rescr. (1, 23).

g) L. 2-4 C. si contra ius (1, 22), cap. 20 X. de rescript. (1, 3).

h) L. 5 C. si contra ius (1, 22).

i) S. z. B. Mühlenbruch, Lehrbuch §. 35. Man beruft sich auf L. 2 C. de dilat. (3,11), wo aber von dem onus probandi gar nicht die Rede ist.

k) S. 3. F. Böhmer, ius eccl. prot. I. 3, 11.

1) S. auch Thibaut, Archiv für civil. Pr. XVII. 6. Diese Entscheidung läßt auch der J. R. A. §. 80 offen.

m) So gehörten z. B. die edicta praetorum zum ius scriptum, ohne Gesetze zu seyn. Das römische Recht ferner, wie es das Corpus Juris enthält, ist allerdings ein von Justinian promulgirtes, also für sein Reich ein geseßliches Recht, nicht für Deutschland, wo es nicht durch einen Act der geseßgebenden Gewalt, sondern durch Volksüberzeugung recipirt worden ist.

Grundsäge theilweise, soweit sie sich nämlich auf den Gebrauch der Urkunden für die Rechtskenntniß beziehen, nicht für das geseßliche Recht ausschließlich, sondern auch für andere aufgezeichnete Rechtssätze gelten. Die Erkenntniß des geseßlichen Rechts ist gerichtet

1) auf die Existenz des Gesetzes, welche a) von der Aechtheit der Urkunde theils im Ganzen, theils in ihren einzelnen Theilen (Säßen, Worten) abhängt, deren Untersuchung (Kritik) entschieden zu den Aufgaben des Richters mitgehört"), b) von der verfassungsmäßigen Promulgation und Publication des Gesetzes, worüber dem Richter nicht ohne Inconsequenz und unbegründete Schmälerung seines Berufs das Urtheil (versteht sich, in seiner Sphäre und mit Beschränkung der Wirksamkeit seiner Entscheidung auf den einzelnen ihm vorliegenden Proceß) entzogen werden könnte");

2) auf den Sinn des Gesezes. Die auf dessen Ermittelung gerichtete Thätigkeit heißt Auslegung, Interpretation im heutigen Sinn des Wortes). Daß diese Thätigkeit zu dem Beruf des Richters gehört, kann nicht bezweifelt werden, und ihre Grundlagen find theils die Sprachregeln (s. g. grammatische Interpretation), theils die Schlüsse, die aus der juristischen und historischen Umgebung des Gesezes auf seinen Inhalt zu machen sind (s. g. logische Interpretation). Aller

n) Savigny, System I. §. 38. 39.

o) Viele wollen dem Richter zwar eine Untersuchung über das Erforderniß der Publication zulassen (was denn freilich eine augenscheinliche Nothwendigkeit ist), nicht aber über Geseßmäßigkeit der Entstehung des Geseßes, s. unter anderen Linde: ,,in Monarchien mit landständ. Verfassung sind die Gerichte nicht befugt, die Gültigfeit der von d. Monarchen ohne Mitwirkung der Landstände erlassenen Geseße einer Prüfung und Entscheidung zu unterwerfen," Archiv für civ. Pr. XVI. 13. Man spricht häufig so davon, als ob der Richter eine allgemeingültige Entscheidung über die Eristenz des Gesezes gebe, was, wie im Tert bemerkt wird, nicht der Fall ist. Vgl. auch Wächter, Archiv für civ. Pr. XXIV. S. 238 Note 12. (v. Stockmar: „Ist der deutsche Richter an allgemeine landesherrliche Constitutionen gebunden, welche ohne die nach Vorschrift der Verfassung einzuholende ständische Zustimmung erlassen sind?", Zeitschrift für Civilr. und Proceß N. F. X. 2. 1852, eine Arbeit, welche die Untersuchung nicht blos durch eine richtigere Fragestellung, sondern auch durch Geltendmachung des staatsrechtlichen Gesichtspuncts wesentlich gefördert hat. In den neueren Verfassungen ist übrigens regelmäßig die Prüfung der Rechtsgültigkeit gehörig publicirter landesherrlicher Verordnungen dem Richter entzogen und den Kammern vorbehalten. Vgl. Preuß. Verf. vom 31. Januar 1850 Art. 106. R.)

p) Tie Thätigkeit hat eine receptive Richtung, sie geht rein auf Gewinnung des Rechtssaßes, welchen der Geseßgeber in dem Gesez hat niederlegen wollen; die interpretatio im Sinne der Römer dagegen ist das Verhältniß der Wissenschaft zu dem gegebenen Recht überhaupt, welches nicht blos ein receptives, sondern auch ein productives (durch Ergänzung, Erweiterung, Modificirung §. 18) ist.

dings aber kann diese lediglich von wissenschaftlichen Grundsäßen abhängige (s. g. doctrinelle) Interpretation für den Richter ausgeschlossen seyn dadurch, daß der Sinn eines früheren Geseßes durch die äußere Autorität eines neuen Rechtssaßes festgestellt ist, welcher der Richter zu folgen hat, auch wenn der so festgestellte Sinn wissenschaftlich nicht sich rechtfertigen ließe; dieß kann geschehen durch ein Gesetz, daß einem früheren einen gewissen Sinn unterzulegen gebietet (s. g. authentische Interpretation), oder durch ein Gewohnheitsrecht (s. g. Usualinterpretation)), in beiden Fällen (die man unter dem Namen der Legalinterpretation gegenüber der doctrinellen zusammenzufassen pflegt) ist ein neuer Rechtssaß entstanden, der nur in die Beziehung zu einem früheren Gesetz gestellt ist, daß er so behandelt werden soll, als wäre er schon durch dieses gegeben).

Recht der Wissenschaft®).

§. 16.

Die Thätigkeit der Wissenschaft ist theils eine receptive, Erkenntniß des durch die übrigen Rechtsquellen gegebenen Rechts, darauf bezieht sich Kritik und Interpretation, die im vorigen § zunächst für das gesetzliche Recht erwähnt worden sind, aber ihre Anwendung auch auf die Erkenntniß des Gewohnheitsrechts finden, theils eine productive, wodurch die Wissenschaft selbst in die Reihe der Rechtsquellen eintritt.

q) L. 37 D. de legib. (1, 3): Si de interpretatione legis quaeratur, inprimis inspiciendum est, quo iure civitas retro in eiusmodi casibus usa fuisset, optima enim est legum interpres consuetudo. Daß nicht jede herkömmliche Interpretation Usualinterpretation ist, ergiebt sich aus dem Begriff des Gewohnheitsrechts.

r) Die Grundsäße, die bey der juristischen Kritik und (doctrinellen) Interpreta= tion leiten müssen, lassen sich zu einer besonderen Theorie gestalten, die man juristische Hermeneutit genannt hat. Das ist vielfach, im allgemeinen nicht mit Glück, versucht worden, dadurch sind diese Darstellungen in Mißcredit gekommen. (Auch der neueste Vorschlag von F. C. Schmidt, Methode der Auslegung der Justinianischen Rechtsbücher 1855: ausschließlich die Titel zu beachten, in welche die Compilatoren die Stellen gebracht haben, würde uns nur der wichtigen duplex interpretatio berauben. Vgl. Arndts, in der Krit. Ueberschau III. S. 485 f. Stinging, in der Heidelb. Krit. Zeitschrift III. S. 56 f. R.) Eine alle bisherigen weit hinter sich lassende Theorie der Auslegung hat Savigny gegeben, System des heut. R. R. I. §. 32-51. (Vgl. jedoch noch: Lang, Beiträge zur Hermeneutik des röm. Rechts 1857. R.)

a) Puchta, Gewohnheitsr. I. S. 161 ff. II. S. 14 ff., Gursus der Instit. I. §. 15. 18. [vgl. noch Goldschmidt Handb. d. Handelsr. 2. Aufl. 1874. I. S. 305. S.] Zum Theil abweichend Savigny, System I. §. 14. 19. 20. (v. Scheurl, Beiträge 1852. Nr. 4. Böcking, Pand. §. 11. Keller, Pand. §. 1. Bruns, in v. Holzendorff's Encyclopädie I. S. 258, welche ein besonderes Recht der Wissenschaft als dritte coordinirte Rechtsquelle verwerfen. R.)

Das auf der äußeren Autorität der unmittelbaren Volksüberzeugung und der geseßgebenden Gewalt beruhende Recht wird durch die wissenschaftliche Thätigkeit auf seine Principien zurückgeführt, und als ein System, ein Ganzes von gegenseitig sich voraussetzenden und bedingenden Säßen begriffen. Auch das vollständigste Gewohnheits- und gefeßliche Recht aber wird sich gegenüber der unendlichen Mannigfaltigkeit stets neu sich erzeugender Rechtsverhältnisse unvollständig erweisen, diese Lücken zeigt zugleich das System auf, und füllt sie aus. In vielen Fällen wird sich der Richter von der actuellen Voltsüberzeugung und Gesetzgebung verlassen finden, hier tritt die Wissenschaft als ergänzende Rechtsquelle ein, indem sie den anzuwendenden Rechtssatz aus den Principien des bestehenden Rechts erschließt). Ein solcher Rechtssah beruht auf inneren Gründen, auf der Autorität, die ihm jeine wissenschaftliche Wahrheit giebt, diese Wahrheit ist die Bedingung seiner Gültigkeit; seine Erscheinung in den Ansichten und der Thätigkeit der Juristen hat nur die Bedeutung, daß für eine Ansicht, die von den angesehensten Juristen als wahr erkannt ist (herrschende Ansicht, communis opinio doctorum) und sich in den Gerichten geltend gemacht hat (Praxis), eine Vermuthung der Wahrheit streitet, die ein gewissenhafter Richter, bis er vom Gegentheil überzeugt ist, gelten lassen wird, die aber von dem Augenblick an, wo er ihrer Unrichtigkeit gewiß ist, ihre Autorität für ihn verlieren muße). Man kann das Recht der Wissenschaft, sofern es in den Juristen und ihrer Thätigkeit zur Erscheinung kommt, auch Juristenrecht oder Recht der Praxis nennen, aber diese Ausdrücke beschränken sich nicht auf das Recht der Wissenschaft, sie bezeichnen jedes Recht, das diese Erscheinungsform annimmt, und dieß kann auch Gewohnheitsrecht seyn, wo die Ansichten der Juristen nicht wissenschaftliche, durch eine wissenschaftliche Opera

b) L. 10—13 D. de legib. (1, 3). Justinian hat für einen solchen Fall vorgeschrieben, daß die Entscheidung vom Kaiser eingeholt werden solle. L. 2 §. 18 C. de vet. iure enucl. (1, 17). Dieß sezt die Möglichkeit voraus, Rechtsstreitigkeiten unmittelbar der Entscheidung des Fürsten zu unterwerfen, die nach heutiger Verfassung nicht Statt findet, und die auch schon Justinian durch ein späteres Gesey (Nov. 125) abgeschafft hat. Viele haben geglaubt, dem s. g. Naturrecht jene ergänzende Function zuschreiben zu müssen, auf dieses müsse der von positiven Gesezen verlassene Richter recurriren, eine Meinung, die mit der blinden Verehrung selbst, die man diesem von historischen und praktischen Grundlagen entblößten Naturrecht widmete, vorübergegangen ist.

c) Es ist eine durchaus verkehrte Meinung, daß ein Gericht Ansichten, die es früher als richtig erkannt hat, auch für die Zukunft gelten lassen müsse (Autorität der Präjudicien), noch weniger haben die Präjudicien der Obergerichte eine bindende Autorität für die Untergerichte.

tion vermittelte find, sondern unmittelbare Volksansichten, die sich in den rechtsständigen Gliedern der Nation, als den natürlichen Repräsentanten derselben in rechtlichen Dingen, vornehmlich an den Tag legend). Dieß wird der Fall seyn bey Rechtssäßen, die überall auf eine innere Begründung durch Consequenz aus dem sonst bestehenden Recht keinen Anspruch machen.

Die Erkenntniß des wissenschaftlichen Rechts und ihre Methode ist nicht der Gegenstand besonderer Regeln, sondern die Aufgabe der gesammten Rechtslehre. Im allgemeinen gelangt man dazu durch eine doppelte Operation, 1) Erschließung des Rechtssaßes aus den Principien, unter welche der Fall seiner Natur nach gehört (juristische Consequenz), 2) Nachweisung, daß dieselbe Folgerung auch sonst schon unter gleichen Umständen in dem bestehenden Recht vorkommt (Analogie).

Zweites Kapitel.

Verhältniß der Rechtsvorschriften zu einander.

Aufhebung von Rechtssäken.
§. 17.

Eine Rechtsvorschrift kann den Grund ihrer Aufhebung in sich selbst tragen, indem sie unter gewissen (ausdrücklichen oder stillschweigenden) Voraussetzungen gegeben ist, die wegfallen können; so wenn sie nur für eine gewisse Zeit gegeben ist, deren Ablauf sie aufhebt. Außerdem aber wird sie dadurch aufgehoben, daß sie in Collision mit einer anderen tritt, der diese Wirkung zukommt. Der Rechtssag, der einen anderen aufheben soll, muß 1) von einer Rechtsquelle herrühren, der diese Kraft gegenüber jenem zusteht; so kann gemeines Recht nicht durch particuläres aufgehoben, sondern nur seine Anwendung auf die Verhältnisse, die und soweit sie das particuläre bestimmt, ausgeschlossen werden, und eben dasselbe ist das Verhältniß des autonomischen gegenüber dem regelmäßigen Rechts). 2) Er muß den anderen aufzuheben bestimmt

d) (Diese natürliche Repräsentation ist namentlich in Bezug auf die Reception des römischen Rechts (von einem subjectiv idealen, aber unhistorischen Standpunkte aus. S.] geläugnet worden von Beseler, Volksrecht und Juristenrecht S. 71. f. Wächter, gem. Recht Deutschlands S. 114, Windscheid §. 10. Note 3. 4, §. 16 Note 7. Durch den von Stinking (s. o. §.3 a) geführten Beweis, daß der Reception eine Strömung in den Volkskreisen der Halbgelehrten entgegen kam, hat sich jedoch auch in dieser Anwendung das normale Verhältniß bestätigt. R.)

a) Dagegen ist der Ursprung der Rechtssäße aus der unmittelbaren Volksüberzeugung oder aus der Geseßgebung an sich gleichgültig, s. §. 13.

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